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Diversität sich scheinbar widersprechender Antisemitismen

Nationalisierende Selbstbilder stimulieren antisemitische Fremdbilder…

„Nach Auschwitz ist der Antisemitismus nicht verschwunden, sondern hat sich globalisiert und nimmt im Alltag kapitalistischer Migrationsgesellschaften die eigentümliche Gestalt einer Diversität sich scheinbar widersprechender Antisemitismen an,“ berichtet Professor Dr. Wolfgang Stender in seinem Beitrag zur aktuellen Ausgabe von „Psychologie und Gesellschaftskritik“. Antisemitismus sieht der Soziologe immer im Kontext von Identitätszwängen.

Möglicherweise spiegelt sich in der vielfach beobachteten neuen Unübersichtlichkeit von Alltagsantisemitismen die Realität von kapitalistischen Migrationsgesellschaften wider. Stender zitiert Salomon Korn, der von einem neuen Kraftdreieck des Antisemitismus spricht: „Der gleichzeitig von Südeuropa vordringende islamistische Antisemitismus und der aus dem Osten Europas in die Europäische Union einsickernde klassische Antisemitismus werden eine Zangenbewegung vollziehen, die den in Westeuropa vorhandenen sekundären und schuldreflexiven Antisemitismus vermutlich stärken wird. Die Folge wäre womöglich eine sich wechselseitig stützende Allianz unterschiedlich geprägter Formen der Judenfeindschaft.“

Für Stender sind „die neuen Konstellationen von Alltagsantisemitismen allerdings komplizierter als Korn annimmt. Man muss die durch Machtbeziehungen geprägten Bedingungen der unterschiedlichen Identitäts- und Differenzkonstruktionen in den vielfaltig gespaltenen Migrationsgesellschaften Europas analysieren, um zu begreifen, wie sich die Äußerungsformen des alltäglichen Antisemitismus heute zusammensetzen. Dabei wird man feststellen, dass sich Antisemitismen unterschiedlicher sozialer und psychischer Genese zum Teil amalgamieren, zum Teil aber auch in Konkurrenz zueinander treten, weil die Identitäts-/Differenzkonstruktionen, auf denen sie beruhen, sich nicht miteinander vereinbaren lassen.

Die Vielfalt der Antisemitismen scheint mit der Vielfalt essenzialisierender Identitätskämpfe heute zu korrespondieren. Fremd- und Selbstethnisierungen sind an der Tagesordnung und im Alltagsbewusstsein wie auch in der Medienöffentlichkeit ubiquitär. Ethnisierende, nationalisierende, wie auch religionisierende Selbstbilder mobilisieren antisemitische Feindbilder. Je nationaler, ethnischer, religiöser die Identiätsfrage beantwortet wird, desto antisemitischer fallen die Welt- und Selbstorientierungen aus …“

Psychologie und Gesellschaftskritik. Themenschwerpunkt: Identität.Analyse. Doppelausgabe 144/145. ISBN 978-3-89967-779-9, Euro 19,00, Bestellen?

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