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Das Kind der Talibanfrau

Ein Roman über die Folgen religiösen Extremismus für Kinder…

Yair Nehorai - Das Kind der Talibanfrau„den anderen Kindern die Schokolade wegnehmen
das mache ich
wenn sie mich nur endlich rauslässt.“

So endet der erste Eintrag dieses in Form eines Prosagedichts geschriebenen Romans aus der Sicht eines Jungen zwischen seinem 6. und 15. Lebensjahr. Ein Junge, dessen Mutter einer radikalen Gruppierung des ultrareligiösen Sektorsin Israel angehört. Die Frauen dieser Gruppe, die meistens nicht selbst aus ultraorthodoxen Familien stammen, sondern diesen Weg erst später im Leben gewählt haben, treiben die halachischen Gebote auf die Spitze. Während sich ultraorthodoxe Frauen zwar in lange Röcke und dicke Strümpfe kleiden und ihre Haare bedecken, tragen die sog. „Talibanfrauen“ schwarze Umhänge, schwarze Handschuhe, verhüllen ihre Töchter, verwehren ihnen die Schulausbildung und leben eine „Lehre der Züchtigkeit“. Anders als im Land der echten Taliban kommt dies jedoch nicht aus dem Zwang der Männer, sondern aus eigenem Willen der Frauen. Der Protagonist des Buches leidet nicht nur unter der Isolierung, die ihm seine Mutter auferlegt, sondern auch unter tagtäglichen Misshandlungen, körperlicher und seelischer Art, mit denen sie ihn zu einem frommen Jungen erziehen möchte.

Die Geschichte beruht auf einem wahren Hintergrund. Autor Yair Nehorai ist Strafverteidiger in Jerusalem und vertrat in den letzten Jahren einige Mandanten, die extremen religiösen Gruppierungen angehörten. Darunter auch in einem Fall, der in Israel großes Aufsehen erregte, bei dem die Mutter, die von den Medien als „Talibanmutter“ bezeichnet wurde, wegen Kindesmisshandlungen zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Nehorai vertrat den Vater. Der Sohn des Paares, gepeinigt und verängstigt von den eigenen Gedanken, wurde zur Inspiration für den Roman, der im Hebräischen den prägnanten Titel „waTehi li Imri kiwri“ – „Und meine Mutter wird mir mein Grab sein“ – trägt.

Um es nochmal zu betonen, die sog. Talibanfrauen sind eine Ausnahmeerscheinung in Jerusalem und Beit Shemesh, die mittlerweile auch von ultraorthoxen Rabbinern und der streng religiösen Gesellschaft in Jerusalem verurteilt wird. Die Rabbiner warnen offiziell vor den Talibanfrauen und ihren Praktiken, in Mea Shearim gab es auch bereits Demonstrationen gegen die Frauen mit mehreren Hundert Teilnehmern.

Insofern ist der Untertitel des Buches – „Eine ultraorthodoxe Familie in Israel“ – ein wenig unglücklich gewählt, suggeriert er doch, es würde sich hier um eine „normale“ streng religiöse Familie handeln. Der Verlag hat dem Roman dankenswerterweise einen Artikel über die Hintergründe angefügt, der im vergangenen Jahr im Spiegel erschien, so dass der Leser sich dadurch ein besseres Bild machen kann. Es stellt sich dabei die Frage, wieso gerade dieses Buch mit einer so speziellen Geschichte auf den deutschen Markt kam.

Die Antwort gibt der Autor selbst. Es handele sich seiner Meinung nach nicht, so schreibt er in seinem Vorwort, um eine „jüdische“ Geschichte. „Davon bin ich überzeugt, obwohl das Buch ursprünglich in Hebräisch geschrieben wurde, die Religion das Judentum ist, die Gesetze der Torah entstammen und sich die Begebenheit in Israel ereignet hat. In jedem Land, in jeder Kultur, Sprache und Religion gibt es Familien, in denen Regeln und Verbote herrschen, in denen Religion und Bräuche in einer Art und Weise missbraucht werden, dass die Kinderseelen verletzt werden.“

In diesem Sinne kann man sich der Hoffnung von Yair Nehorai nur anschließen, dass das Buch „dass dieses Buch seinen Weg in die Herzen derer findet, die Misshandlungen erfahren haben, dass es helfen wird, die Wunden zu heilen, und vielleicht etwas dazu beitragen kann, dass nicht weitere hinzukommen.“

Yair Nehorai, Das Kind der Talibanfrau. Eine ultraorthodoxe Familie in Israel, Nicolai Verlag 2012, 244 S., Euro 19,95, Bestellen?

Der Autor zum Phänomen der Talibanfrauen (hebr.):

Ein Bericht mit versteckter Kamera (hebr.);

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