Kategorien / Themen

Werbung

Jugend früher und heute, hier und anderswo..

„Die Jugend von heute“ ist oft der Beginn einer langen Schimpftirade von Personen, die sich rein altersmäßig, nicht mehr zu der beschimpften Gruppierung zählen dürfen. Gleichzeitig heißt es dann „Früher war alles besser“… Aber war es das wirklich? War die Jugend von früher besser? Und hatten sie es einfacher?…

Von Ramona Ambs

„Jugend im Aufbruch: Gestern, Heute, Morgen“ ist diesmal Thema des neuen Jüdischen Echos. Und es ist wie immer ein buntes Sammelsurium an wunderbaren Texten, Interviews und Bildern. In 39 Beiträgen nähern sich die Autoren in allen möglichen Formen dem Thema Jugend an.

Eine aktuelle Definition seiner eigenen Generation heute versucht Oliver Jeges: „In Anspielung auf Robert Musils Roman „Der Mann ohneEigenschaften“ könnte man heute von einer Generation ohne Eigenschaften sprechen. Genau wie Musils Protagonist Ulrich geht es der heutigen Generation. Ulrich nimmt sich mit Anfang dreißig, nach drei missglückten Lebensentwürfen als Ingenieur, Mathematiker und Offizier, ein Jahr Pause vom Leben.“ In dieser Selbstdefinition der „Generation Maybe“ beschreibt Jeges die beiden Pole, zwischen denen sich seine Generation bewegt „ Wir wollen Lebenskünstler sein und denken wie Beamte“ stellt Jeges fest.

Es kommen in diesem Heft aber auch andere Stimmen, und vor allem junge Menschen endlich einmal selbst zu Wort. Das war auch das Anliegen der Chefredakteurin Marta S. Halpert: „ So oft wie nie zuvor wird heute über Jugendliche geurteilt: Man analysiert, verdammt oder idealisiert sie. Selbstbezogene Klischees werden ausgepackt, persönlich befragt werden sie eher selten. Das Jüdische Echo gibt ihnen eine Stimme…“

Und diese Stimmen sammeln sich dann auch lebhaft und kontrovers zwischen den schönen, von Cristóbal Schmal gestalteten Buchdeckeln. So lässt Reinhard Engel zwei Absolventen der Lauder Business School zu Wort kommen, während Miguel Szymanski junge Menschen in Spanien und Portugal mit ihren ganz eigenen Sorgen und Nöten portraitiert. Den Problemen dieser „verlorenen Generation“ (Otmar Lahodynsky) in Europa, die so massiv von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit geprägt ist, wie kaum eine Generation zuvor, widmen sich viele weitere Beiträge, die vom Alltag der Generation Praktikum ebenso zu berichten wissen, wie vom vorsichtigen Optimismus in Südamerika, wo es neuerdings einige junge Europäer hinzieht. Insbesondere in Uruguay stranden viele. Julieta Rudich erzählt von vier jungen Menschen, darunter Nadia Cederbaum. Die Tochter jüdischer Einwanderer sagt von sich selbst: „Ich fühlte mich als Kind noch als uruguayische Jüdin, heute eher als jüdische Uruguayerin“.

Ganz anders geht es da oft Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland oder Österreich. Münire Inam hat mit ihnen gesprochen. So erfahren wir beispielsweise von Timur: „In Tirol war Timur „der Türke“. In Wien ist der „der Tiroler“, und in der Türkei sehen ihn die Leute als „Almanci“- den Deutschländer…. In der Volksschule war er ein „Bilderbuchausländer“, wie ihn die Politik nicht hätte besser erfinden können. „Ich wollte dazugehören, war ein Streber und der Liebling aller Lehrer“. Weil er nicht am katholischen Religionsunterricht teilnahm, musste er zum Deutschförderkurs. „Das war furchtbar, ich wollte nicht in diese Gruppe gehören.“ In türkischen Kreisen war Timur damals Außenseiter- auch weil sein Vater als „Kommunist“ verleumdet wurde. Die Wende kommt, als sich Timur und seine beste Freundin 13-jährig ineinander verlieben. „Ihre Eltern waren strikt dagegen. Als Freund war ich nicht mehr gut genug. Da hab ich gemerkt: Ich bin anders.“

Das Gefühl des Nichtdazugehörens und der Ausgrenzung kennen auch viele jüdische Jugendliche in Deutschland. Sandra Anusiewicz-Baer portraitiert vier von ihnen und lässt sie auch selbst zu Wort kommen. So resümiert die zwanzigjährige Studentin Faina Lyubarskaya, die mit neun Jahren nach Deutschland kam: „Ich bin geduldig und habe Verständnis für andere. Ich weiß, wie es ist, wenn man nicht sprechen kann. Ich weiß aber auch aufgrund meines Werdegangs, dass man für sich selbst kämpfen muss, dass man es selber machen muss!“

Diesen Willen etwas zu erreichen und für etwas zu kämpfen zeichnet viele junge Menschen aus. Sie haben das Leben noch vor sich und wollen aktiv ihre Zukunft mitgestalten. Das gilt auch und vor allem für Israel. Vier Beiträge widmen sich den aktuellen Sorgen und Hoffnungen von jungen Israelis. Manfred Gerstenfeld beschreibt, was die israelische Gesellschaft jungen Juden abverlangt, Sabine Brandes erzählt von der Abwanderung junger Akademiker aus Israel und Daniela Segenreich-Horsky beschreibt die alltäglichen Probleme von jungen Israelis in Ausbildung, Armee und im Job. Andrea Livnat lässt wieder junge Israelis selbst zu Wort kommen. Sie erzählt von Nimrod und Schachar und deren Aktivitäten während der großen Massendemonstrationen im letzten Sommer und macht dabei klar: „ Es sind eben nicht nur die Probleme eines verwöhnten Mittelstands, der versnobten Tel Aviver, die den ganzen Tag im Café sitzen, wie der Protestbewegung gelegentlich vorgeworfen wird. Das Leben im Ballungsraum Tel Aviv ist unglaublich teuer…“, und deshalb muss sich eine junge Frau wie Schachar mit sechs verschiedenen Jobs gleichzeitig über die Runden bringen.

Dass Jugend aber auch schon zu anderen Zeiten oft noch sehr viel schwieriger war, zeigen weitere Texte des Bandes. Am drastischsten wird dies natürlich bei den biographischen Texten von Ari Rath, Richard Bugajer, Agnes Heller und Leon Zalman (dem Gründer des jüdischen Echos) deutlich, aber auch die Darstellungen von Maria M. Kovács, die von der Einführung des Numerus Clausus für jüdische Studenten an den Universitäten in Budapest in den Zwanziger Jahren erzählt, zeigt, dass die Möglichkeiten und Gefahren für Jugendliche schon weitaus schlimmer waren, als die heutigen Herausforderungen.

Dennoch – oder gerade deswegen- sollte der Blick auf die Jugend- die es als homogene Gruppe so ohnehin nicht gibt- voll Neugierde und positiven Gedanken begleitet sein. Es ist nämlich „keine verlorene Generation“, wie Martha S. Halpert festhält, sondern ein buntes und aufregendes Sammelsurium an Geschichten und Gesichtern, denen die Zukunft gehört.

Das Jüdisches Echo 2012/13: Jugend im Aufbruch: Gestern, heute, morgen, 152 S., Falter Verlag 2012, Euro 14,50, Bestellen?

Comments are closed.