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Viel Sterne auf der Nachtegaalstraat

Ein Buch über Otto Blumenthal…

Von Ramona Ambs

„Onkel Arthurs Geburtstag. Wetter noch gut, kein Frost mehr, abends Mond mit Hof – Vormittags Bank wegen Judenabgabe. Sie wissen nirgends etwas klares…“ So lautet der Text vom 4. Februar 1939 in Otto Blumenthals Tagebuch. Über Otto Blumenthal haben wir schon einmal kurz berichtet. Der im Juli 1876 in Frankfurt geborene Mathematiker wurde unter anderem durch seine Untersuchungen zu komplexen Funktionen in der Zahlentheorie bekannt. Volkmar Felsch, selbst Mathematiker in Aachen, hat sich die Mühe gemacht, die Tagebücher und Dokumente aus Otto Blumenthals Nachlass zu einem äußerst beeindruckenden Buch zusammenzustellen. Auf 540 Seiten finden sich nicht nur Informationen von und über Otto Blumenthal, sondern auch über Freunde, Umstände und Weggefährten, die Felsch recherschieren konnte. Dreh- und Angelpunkt des Werks sind jedoch die Tagebucheinträge von Blumenthal selbst.

Am Montag, 6. 2.1939 notierte Blumenthal: „Wetter immer noch unwahrscheinlich schön- Briefe von e und m, beide gut.(…) Zum Finanzamt wegen der Judenabgabe: alle sehr freundlich, aber keiner weiss, was er zu tun hat…“

Blumenthal hatte schon früh unter der Herschaft der Nazis zu leiden. Bereits im April 1933 wurde er für einige Tage inhaftiert, weil er als „Kommunist“ denunziert wurde.  Zudem galt er – trotz seiner Konversion zum Protestantismus – den Nazis als „Volljude“, weshalb er 1938 als Herausgeber der Mathematischen Annalen zurücktreten musste. Die Judenvermögensabgabe, die in seinen Tagebucheinträgen immer wieder auftaucht, brachte ihn finanziell in starke Bedrängnis.

„ Freitag, 10.2.1939: Trüb, regnerisch, milde.- Endlich Genehmigung des Finanzamts, dass ich die Judenabgabe mit Papieren bezahle..(..)..endlich ein neues Annalenheft mit bösen Druckfehlern, sonst gut“

„Dienstag, 14.2.1939: Vormittags heiter, sonnig, nachmittags bedeckt. Wegen der Judenvermögensabgabe noch zwei langweilige „Erklärungen“ auszufüllen…“

Im Sommer 1939 zieht Blumenthal schließlich in die Niederlande. „Es hat viel für sich, in einem freien Lande zu sein!“ schreibt seine Frau Mali in einem Brief an ihren Sohn Ernst Blumenthal.

Fast jeder Tagebucheintrag beginnt mit dem Wetter. Außer an Geburtstagen oder ungewöhnlichen Ereignissen. So liest man am Sonntag, 3.5. 1942: „Erster Tag mit dem Judenstern. Tief bedeckt, trocken, kalt..“ – oder am 20. 7.1942 (seinem Geburtstag): „meine Schwester verschleppet. 66. Geburtstag in aller Stille. Trocken, bedeckt, tiefe Wolken, kühl…“ Manches wurde erst nachträglich eingetragen. So hat Blumethal beispielsweise erst am 25. Juli aus einem Brief erfahren, dass seine Schwester an seinem Geburtstag deportiert wurde. Immer wieder finden sich andere Dokumente zwischen den Tagebucheinträgen, Briefe, Fotos, Verordnungen oder auch ärztliche Atteste, die den kurzen Stichworten der Tagebuchsätze etwas mehr Farbe und Gestalt geben.

So liest man darin auch die Judenverordnung für das besetzte Niederlande vom 30.6. 1942:

„Aufgrund von Artikel 45 der Verordnung Nr. 138/1941 des Reichskommisars für die besetzten Niederlande hinsichtlich der Aufrechterhaltunge der öffentlichen Odrnung wird verfügt:

1) Juden müssen sich von 20 Uhr bis 6 Uhr innerhalb ihrer Wohnungen aufhalten.

2) Juden ist es verboten sich in Wohnungen, Gärten sowie in anderen der Erholung oder Entspannung dienenden Einrichtungen von Nicht-Juden aufzuhalten, sofern dieses nict aufgrund bestehender Miet- oder Arbeitsverträge notwendig ist…(…) Juden dürfen Läden, die nicht als jüdische Geschäfte gekennzeichnet sind, nur in der Zeit von 15- 17 Uhr betreten..“

Diese Verordnung spiegelt sich dann so in Blumenthals Tagebuch wieder: „Donnerstag, 2.7.1942. Wenig bewölkt, heftige Windstöße aus N; abends Lämmerwolken(…) Vormittags in Leeuwenbergh Briefe geschrieben. 15-16  Uhr Jodenboodschappen. (Juden-Einkäufe). Viel Sterne auf Nachtegaalstraat (…) Gesuch an Christiansen fertig. Zu Hause Abschrift des Gesuchs an Bodenheimer (…)“

Der letzte Tagebucheintrag ist am 21.4.1943 verfasst: „ 2. Packtag.-6.30 Uhr aufgestanden. Besuche ter Meulen, van der Burg…“

Blumenthal wurde dann nach Theresienstadt deportiert und verstarb dort im November 1943.

Volkmar Felsch, Otto Blumenthals Tagebücher. Ein Aachener Mathematikprofessor erleidet die NS-Diktatur in Deutschland, den Niederlanden und Theresienstadt, Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn, 1. Aufl. 2011. 540 Seiten,gebunden mit Schutzumschlag, Euro 29,80, Bestellen?

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