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Opfer der Befreiung

Der Katalog zur neuen Dauerausstellung im ehemaligen KGB-Untersuchungsgefängnis in Potsdam ist erschienen…

Von Martin Jander

Als Europa vom Nationalsozialismus befreit wurde, ging es nicht immer gerecht und demokratisch zu. Da der größte Teil der deutschen Gesellschaft den Nazis mehr oder weniger überzeugt bis zum bitteren Ende folgte oder zumindest stille hielt, Wehrmacht, Polizei und SS bis zum Schluss nicht aufgaben, musste die Befreiung von außen militärisch durchgesetzt werden. In anderen europäischen Ländern wurden die alliierten Armeen von mitunter breiten Widerstandsbewegungen unterstützt. In Deutschland schlug den Befreiern Widerstand entgegen. Auch bei Entnazifizierung und Wiedergutmachung konnten sich die Alliierten in Deutschland nur auf kleine Teile der Bevölkerung stützen.

Ein Ort, an dem dies beklemmend dicht nachvollziehbar wird, ist das KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße 1 in Potsdam. Im April dieses Jahres wurde hier eine neue Dauerausstellung eröffnet. Ausstellung und Katalog ersetzen und erweitern die vorläufige Ausstellung vor Ort und dazu bereits verfügbare Publikationen von Memorial Deutschland e. V. („Von Potsdam nach Workuta“, 2003) und der Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg („Von Potsdam nach Workuta“, 1999).

Die Eröffnung der Dauerausstellung und die Veröffentlichung des Kataloges wurden von Protesten begleitet. Der Gedenkstättenverein KGB-Gefängnis hatte im Vorfeld die Abberufung der Gedenkstättenleiterin Dr. Ines Reich verlangt. Ein Mitglied des Vereins, Lothar Scholz – er war 1947 wegen angeblicher Spionage zu 15 Jahren Arbeitslager in der Sowjetunion verurteilt worden, 1955 wurde er entlassen – hat Ines Reich sogar „körperlich angegriffen und mit dem Tode bedroht“, wie die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten mitteilte. Scholz selbst erklärt, Reich lediglich „etwas unsanft zur Seite geschoben“ zu haben.

Ein weiteres Mitglied des Vereins, Bodo Platt – er war 1948 wegen angeblicher Spionage und angeblicher Zugehörigkeit zu einer faschistischen Organisation zu 20 Jahren Arbeitslager in der Sowjetunion verurteilt worden, 1956 wurde er entlassen – äußerte in einem Interview mit der Zeitschrift „Stacheldraht“, die Machart der Ausstellung und die Texte des Kataloges entsprächen „marxistischer Geschichtsauffassung“, die Auswahl der Dokumente lasse den KGB als „ganz normale Spionageabwehr“ erscheinen, die Verdienste der Roten Armee im Kampf gegen den Nationalsozialismus würden so herausgearbeitet, dass die Massenverhaftungen und die Geschehnisse in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach 1945 lediglich als „Kolatteralschaden“ erschienen, die Häftlingsschicksale würden nicht ausreichend herausgearbeitet, die Jugendopposition gegen die sowjetische Armee nach 1945 in Deutschland werde nicht gewürdigt und eine Darstellung der Zwangsarbeitslager des Gulag in der Sowjetunion fehle ganz.

Wer die Ausstellung besucht und den Katalog liest, wird schnell feststellen, dass diese Vorwürfe aus einer einäugigen und empathielosen Perspektive formuliert werden, der es offenbar um Politik mit der Erinnerung geht, nicht aber um die Empathie mit den deutschen und sowjetischen Opfern der blutigen Befreiung Europas. Wie ideologisch die erhobenen Vorwürfe sind, wird nicht allein an der Wortwahl der Kritiker, „marxistisch“, deutlich, sondern auch daran, dass sie sich vornehmlich auf das Schicksal deutscher Inhaftierter in Potsdam und in sowjetischen Arbeitslagern beziehen, das Schicksal der sowjetischen Verurteilten scheint den protestierenden deutschen Zeitzeugen weitgehend egal. Ganz anders Ausstellung und Katalog, sie mühen sich im Detail das komplizierte In- und Übereinander von Befreiung und neuem Unrecht nachvollziehbar zu machen. Sie bilden das bittere Unrecht, das manchen Befreiten zugefügt wurde, in einer Weise exemplarisch ab, die den Besucher nicht kalt lassen kann.

In einem allerdings haben die Protestierenden Recht: Das Bild von sowjetischen Befreiern, die angeblich genauso verachtenswert sind, wie es die deutschen Judenmörder und Vernichtungskrieger waren, wird hier nicht gemalt. Und, so möchte ich hinzufügen, das ist auch gut so.

Ines Reich, Maria Schultz (Hrsg.), Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstrasse Potsdam, Berlin 2012, ISBN 978-3-86331-072-1, Metropol Verlag, 237 Seiten, 19.00 €uro, Bestellen?

Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg (Hrsg.), Von Potsdam nach Workuta,  Potsdam 1999, ISBN: 3-932502-19-1, Eigenverlag Landeszentrale, 142 Seiten, 4.50 €uro oder per PDF

Memorial Deutschland e. V. (Hrsg.), Von Potsdam nach Workuta, Potsdam 2002, ISBN 3-932502-19-1, Eigenverlag Memorial, ohne Seitenangabe, ohne Preisangabe (Bezug über Memorial Deutschland oder Abruf per Internet)

NACHTRAG:
Offener Brief von Bodo Platt an Martin Jander, siehe: http://gedenkbibliothek.de/download/Offener_Brief_von_Bodo_Platt_an_Martin_Jander.pdf

Per Zufall stoße ich heute auf Ihren Artikel „Opfer der Befreiung“ und nehme in Form eines „Offenen Briefes“ dazu wie folgt Stellung:

Ihre Auslassungen über meine Person und die sog. Dauerausstellung im ehemaligen KGB-Gefängnis Potsdam strotzen voller Unkenntnis‚ unterlassener Recherchen und willkürlicher Behauptungen:

a) Ich war und bin nicht nur Mitglied des Vereins „Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam“, sondern auch nach der Übernahme des Gefängnisses 2009, nach Ausgrenzung und Boykott aller bis dahin engagierten Zeitzeugen zum 1 .Sprecher der Zeitzeugen-Initiative „Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam“ gewählt worden.

b) Die von Ihnen kolportierte Darstellung -„er war 1948 wegen Spionage und Zugehörigkeit zu einer faschistischen Organisation zu 20 Jahren Arbeits- und (Besserungs-) Lager in der Sowjetunion verurteilt worden, 1956 wurde er entlassen-…“ suggeriert dem Leser, hier hat ein Faschist wegen Spionage zu Recht seine Strafe erhalten. Wie in der ersten Textfassung zur Dauerausstellung von der verantwortlichen Historikerin, Frau Dr. Ines Reich, machen Sie Herr Jander‚ Zeitzeugen zu Verbrechern, in dem Sie das kleine Wörtchen „angeblich“ vermeiden, um welches im Beirat der Stiftung erst gerungen werden musste. So wie einst die sowjetischen KGB-Offiziere machen Sie uns Zeitzeugen – so auch mich – heute erneut zu Spionen, obwohl Sie als Historiker wissen müssten, dass die Begründungen für Verhaftungen und Verurteilungen seitens des KGB’s zu Stalinzeiten durch beliebige Ergänzungen und Auslegungen des § 58 die Verfolgung von ethnischen, sozialen und politischen Bevölkerungsgruppen ermöglichten. Sie wiederholen die Anschuldigung des KGB‚ Mitglied einer faschistischen Organisation gewesen zu sein. Können Sie rechnen? 1930 geboren, wollen Sie mich‚ der als Pimpf im Jungvolk war, zum Faschisten abstempeln? Was Sie hier betreiben, ist Rufmord !! Das ist genau die Strategie‚ der sich die kommunistische Presse, ob Prawda oder Neues Deutschland in der Sowjetunion bzw. in der DDR befleißigten ‚ nämlich politische Vorgänge und Prozesse unter der Maxime des Klassenkampfes, des Kalten Krieges usw. durch Verschweigen, durch Verleumden, durch gefälschte Deutungen einer marxistischen Geschichtsschreibung anzupassen, kritische, nicht konforme Bürgerinnen und Bürger zu Volksfeinden, zu Elementen zu ächten. Alles vergessen? Wo bleibt dem Leser gegenüber die Klarstellung, dass wir Verurteilten mehrheitlich als „Opfer politischer Repressionen“ rehabilitiert worden sind?

c) Wenn Sie sich an Ort und Stelle informieren würden, müssten Sie den nach der Wende über Jahrzehnte beibehaltenen zerstörten Zustand des Speziallagers Sachsenhausen feststellen‚ auf ein Viertel seiner Ausmaße reduziert, durch Überwaldung und Versteppung der Wahrnehmungs- und Bedeutungslosigkeit überlassen. Mit subtiler, die Öffentlichkeit täuschend, gleicher Methode werden die Schrecken des KGB Gefängnisses durch die systematische Reduzierung und Sperrung ganzer Gebäudeteile und einzelner Zellen‚ werden die Ausmaße der Folterzellen den Besuchern vorenthalten.

d) Wenn Sie sich eine Vorstellung über die Häftlingsschicksale machen wollen, dann setzen Sie sich dem Vergleich der in der Ausstellung nicht wiedergegebenen Beschreibungen der Qualen, der Ängste‚ der physischen und psychischen Folter der Häftlinge mit ihren Erlebnisberichten aus, die seit drei Jahren bis zum heutigen Tage nicht nur boykottiert werden, sondern im Einzelfall sogar im Umfange von 1000 Exemplaren entwendet und auf unredliche Weise verschwunden sind. Geschreddert? Verbrannt? Zu den boykottierten Schriften gehörten auch die Dokumentationen „Von Potsdam nach Workuta“ und „Schatten zwischen Belvedere und Schloss Cecilienhof‘ von Memorial Deutschland. Ihre Behauptung Publikationen von Memorial Deutschland erweiterten Ausstellung und Katalog‚ ist falsch, ist irreführend. Je ein Exemplar liegt heute zwischen einer Vielzahl von Prospekten flach auf der hohen Balustrade der Rezeption, nicht wahrzunehmen und wenn je entdeckt‚ lediglich, als Ansichtsexemplar deklariert, nicht zu erstehen. Der Besuchermuss sich selbst um Bezugsquellen bemühen. Diese Hefte haben ebensowenig eine Breitenwirkung wie alle anderen bis heute boykottierten Schriften. Lesen Sie von Hergart Wilmanns „Blumen im Beton“, von Heinz Schwollius „Aus der Todeszelle in die Hölle von Bautzen“‚ von Benno Prieß „Erschossen im Morgengrauen“, lesen Sie von Elisabeth Schuster „Reite Schritt, Schnitter Tod !“ – Leben und Sterben im Speziallager Nr. l des NKWD Mühlberg/Elbe‚ von Günter Martins „Ruki nasad“‚ von Jan Schönfelder „Klassen-Kampf‘ – Die Oberschule Pößneck und die Junge Gemeinde 1952- 1 954 usw. und vielleicht auch meinen Erinnerungsbericht „Sobirai weschtschi“ – Pack deine Sachen! – Jugendjahre im Gulag und dann wiederholen Sie Ihre polemischen Vorwürfe von „Einäugigkeit, von einer empathielosen Perspektive‚ von mangelnder Empathie mit den deutschen und sowjetischen Opfern der blutigen Befreiung Europas“ usw.

Ich habe über 35 Jahre in den Oberstufen verschiedener Schularten Geschichte, Gemeinschaftskunde, Deutsch und Ethik unterrichtet und unzählige Male die Triologie „Mein Kampf’‚ die Antikriegsfilme und Dokumentationen, das „Requiem für 500000″ – das Sterben und den heroischen Kampf im Warschauer Ghetto – usw. gesehen, erlebt und in tiefer Betroffenheit mit meinen Schülern verarbeitet. Ich verwahre mich gegen Ihre Unterstellungen, Verfemungen und Verurteilungen!

Kein redlicher Geschichtler zweifelt die Tatsache an, dass die sowjetrussischen Armeen die russischen Völker, die größten Opfer im Niederringen der Nazi-Diktatur im II. Weltkrieg erlitten haben‚ dass die zweimalige Kriegswalze das Land in unvorstellbarem Ausmaße zerstört hat.

Genauso infam ist Ihre Unterstellung, „das Schicksal der sowjetischen Verurteilten scheint den protestierenden deutschen Zeitzeugen weitgehend egal“ zu sein. Scheint? Weitgehend? Haben Sie nur eine blasse Vorstellung davon, wie wir in den Kohlenschächten von Inta undWorkuta in außergewöhnlichen existentiellen Nöten und Gefahren eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Angehörigen aller russischen Völker bildeten, eine Erfahrung die zu den wertvollsten Erinnerungen unserer Gefangenschaftsjahre zählt? Und uns sollten unsere Schicksalsgefährten aus vielen Nationen „egal“ sein? -Wir hätten keine Empathie für diese unter dem Krieg und stalinistischem Terror leidenden Völker gehabt?

Ich habe in acht Jahren‚ von meinem 17. bis zum 25. Lebensjahr so viel Bitteres, Demütigungen, Verachtung, Kriminalisierung‚ Unmenschlichkeit, Vereinsamung‚ Trostlosigkeit und Traumata erfahren, wie meine Leidensgefährten/innen auch, und Sie wollen mir und uns Zeitzeugen in althergebrachter Propaganda unterstellen – ich zitiere: „In einemallerdings haben die Protestierenden Recht: Das Bild von sowjetischen Befreiern, die angeblich* genauso verachtenswert sind, wie es die deutschen Judenmörder und Vernichtungskrieger waren, wird hier nicht gemalt.“ – wir würden „die sowjetischen Befreier genauso verachten ‚wie die deutschen Judenmörder und Vernichtungskrieger“ verachtet wurden und werden? Was Sie sich da erlauben‚ ist ungeheuerlich und erfüllt den Tatbestand der Hetze! Die undifferenzierte Schwarz-Weiß-Malerei‚ die Instrumentalisierung, Aufrechnung und das gegenseitige Ausspielen der Opfer sollte für einen Historiker obsolet sein.

Wir Zeitzeugen haben einzig und allein zwei Verpflichtungen zu dienen und zumahnen: Nie wieder Krieg! Nie wieder soll ein Krieg von deutschem Boden ausgehen! Nie wieder eine Diktatur, auf dem Boden welcher Ideologie auch immer! Dem Vergessen keine Chance! Das sind wir unsern Kindern und Enkeln schuldig!

Herr Jander‚ Anstand, Redlichkeit und Fairness sollten Ihnen gebieten‚ sich bei uns Zeitzeugen und bei meiner Person zu entschuldigen!

P.S.: * SignifikanterWeise verwenden Sie hier dasWort „angeblich“


Replik von Martin Jander

Betr.: Ihr offener Brief

„Sehr geehrter Herr Platt,

Sie beschweren sich, dass ich in meiner Buchrezension zum Katalog der neuen Ausstellung in der Leistikowstrasse unter dem Titel „Opfer der Befreiung“ bei hagalil schrieb, Sie, Bodo Platt, seien „1948 wegen Spionage und Zugehörigkeit zu einer faschistischen Organisation zu 20 Jahren Arbeitslager in der Sowjetunion verurteilt worden“. Sie haben mit ihrer Beschwerde recht. Der uninformierte Leser meiner Rezension könnte den Eindruck gewinnen, dieses von einem sowjetischen Militärtribunal im Oktober 1948 gefällte Urteil1 habe irgendeinen rechtlichen Bestand oder sei auch nur irgendwie gerecht gewesen. Das ist falsch.

Der uninformierte Leser meiner Rezension könnte glauben, Sie seien tatsächlich ein Spion gewesen, hätten einer faschistischen Organisation angehört und hätten zu Recht bis 1955 in einem sowjetischen Arbeitslager zugebracht. Das ist falsch. Ihr Urteil wurde deshalb auch, wie viele andere solcher Urteile sowjetischer Militärtribunale der unmittelbaren Nachkriegszeit, inzwischen aufgehoben. Es tut mir sehr leid, dass diese Formulierung in meiner ersten Rezension des Kataloges zur Leistikowstrasse stand. Ich habe zu flüchtig formuliert.

Natürlich hätte es heißen müssen, Bodo Platt war „1948 wegen angeblicher Spionage und angeblicher Zugehörigkeit zu einer faschistischen Organisation zu 20 Jahren Arbeitslager in der Sowjetunion verurteilt worden“. Es tut mir, wie ich Ihnen bereits in einer e-mail geschrieben habe, sehr leid. Ich habe die Redaktion von hagalil deshalb gebeten, den Text abzuändern und die fehlende Worte „angeblich“ in den Text einzufügen, damit sich der falsche Eindruck, sie seien ein faschistischer Spion gewesen, nicht weiter verbreiten kann. Die Redaktion hat dies auch gleich getan. Es tut mir sehr leid, dass die erste Version meiner Rezension so ungenau formuliert war, dass ein falscher Eindruck von ihnen entstehen konnte. Ich habe das nicht beabsichtigt, bitte entschuldigen Sie.

In Ihrem Brief behaupten Sie, dass sowohl im vormaligen Speziallager Sachsenhausen als auch im ehemaligen KGB-Gefängnis in der Leistikowstrasse dem Besucher heute absichtlich bestimmte Teile des Lagers bzw. des Gefängnisses vorenthalten würden und dass insofern die Gedenkstättenleitung in Sachsenhausen als auch in der Leistikowstrasse der bewussten Täuschung zu bezichtigen sei. Ehrlich gesagt kann ich mir das nicht vorstellen.

Ich kenne Professor Günter Morsch seit langer Zeit sehr gut und schätze ihn. Ich habe mit ihm über diese beiden von Ihnen hier vorgetragenen Vorwürfe nicht gesprochen. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Herr Morsch und Frau Reich – Was sollte der Grund dafür sein? – Besucher der beiden Denk- und Gedenkorte absichtlich täuschen wollen. Zu den Gründen warum in der Ausstellung in der Leistikowstrasse bestimmte Teile des Gebäudes nicht zugänglich sind, sagen Sie selbst in einem Interview mit dem Stacheldraht: „Als Argument wird genannt, dass ein zweiter Fluchtweg fehle, und die schlechte Stabilität des Hauses einen Durchbruch nicht erlaube.“2 Im weiteren Fortgang des Interviews behaupten Sie das Argument sei vorgeschoben. Wie kommen Sie darauf? Sie liefern keinerlei Begründung für Ihre Behauptung, Ines Reich und Günter Morsch suchten Zeitzeugen und heutige Besucher absichtlich zu täuschen.

In Ihrem offenen Brief sagen Sie, meine Bemerkung in der Rezension sei falsch, der neue Katalog ergänze die bereits vorliegenden Publikationen von zum Beispiel Memorial e. V.. Diesen Vorwurf verstehe ich nicht. Ich habe in meiner Buchrezension u. a. auf die Veröffentlichung von Memorial e. V. aufmerksam gemacht, habe sogar auf die im Internet verfügbare Version des Buches mit dem Titel „Von Potsdam nach Workuta“ hingewiesen und einen Link dazu gelegt. Die Ausstellung in Potsdam verweist ebenfalls auf die Veröffentlichung. Das Buch liegt, so war es jedenfalls bei meinem Besuch dort vor einigen Wochen, direkt in der Eingangshalle.

Ich habe die verdienstvolle Arbeit von Memorial e. V. auch schon vor längerer Zeit gelesen und ebenfalls einige der von Ihnen angegebenen Publikationen. Was ist unrichtig an der Aussage, dass der neue Katalog diese schon älteren Veröffentlichungen ergänze? Wenn ich Sie richtig verstehe, dann meinen Sie, dass ein Besucher der heutigen Ausstellung sich keine Vorstellungen von dem Terror machen kann, denen Häftlinge in Leistikowstrasse ausgesetzt waren? Dem kann ich nicht zustimmen. Ich habe in meinem Leben viele Ex-Gefängnisse, Ex-Arbeitslager, Ex-Konzentrationslager und Ex-Vernichtungslager besucht. Potsdam wird mir sicher so schnell nicht aus dem Kopf und aus den Gefühlen gehen.

Dabei gibt es in all diesen Einrichtungen immer einen letzten Rest, der mit Worten einfach nicht einfangbar ist. Ein solcher Vorwurf ließe sich insofern jedem Museum bzw. jeder Gedenkstätte machen, die einen Ort des Terrors darstellt. Was ich gar nicht angemessen finde, ist, wenn Museen solcher Orte Ausstellungsformen wählen, wie das z. B. noch zu Zeiten der DDR im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald der Fall war. Dort wurden, um die Brutalität der Bewacher des KZs darzustellen, auch Stücke von tätowierter Haut, die sich die Frau des KZ-Kommandanten hatte liefern lassen, ausgestellt und ein Schrumpfkopf.

Solche Ausstellungsgegenstände rufen nicht nur bei den Überlebenden des Lagers sondern auch bei den heute diese Orte Besuchenden nur Entsetzen und Schrecken hervor, sie tragen zur Aufklärung über solche Orte und die Gesellschaften, die sie hervorbringen, nicht bei. Ich weiß, dass dies ein schmaler Grat ist, auf dem Ausstellungsmacher wandeln. Einerseits soll der Besucher den vollen Umfang des Terrors nachvollziehen können, andererseits soll er nicht in seinen Gefühlen verletzt und verstört werden. Es gilt, ich denke aus gutem Grund, in der politischen Bildung ein „Überwältigungsverbot“. Wir dürfen in der politischen Bildung den Betrachter nicht in eine Situation bringen, die es ihm unmöglich macht, weiter zu denken. Was wir doch wollen, ist Aufklärung, nicht die Verbreitung traumatische Schrecken.

Sie stören sich an meiner Formulierung in der Buchrezension, die Kritik an der Ausstellung werde aus einer „einäugigen und empathielosen Perspektive“ formuliert, „der es offenbar um Politik mit der Erinnerung geht, nicht aber um die Empathie mit den deutschen und sowjetischen Opfern der blutigen Befreiung Europas.“ Ich halte diese Kritik aufrecht. Sie bezieht sich in meiner Rezension direkt auf das von Ihnen im Stacheldraht publizierte Interview3, dessen entscheidende Passagen und Formulierungen ich in meiner Rezension auch zitiere. In der dort formulierten Kritik kann ich keinen Hinweis lesen, dass die Situation von sowjetischen Häftlingen, die es in der Leistikowstraße auch gab, in der neuen Ausstellung falsch dargestellt sehen würde. Das Schicksal dieser Häftlinge scheint den Protestierenden, in diesem Fall Ihnen, jedenfalls in diesem Interview, weitgehend egal zu sein. Sie gehen darauf nicht ein. Ich kann nicht beurteilen, ob Ihnen dieses Schicksal als Person egal ist. Ich nehme das, nach Lektüre Ihrer Erinnerungen mit dem Titel „Pack Deine Sachen“4, nicht an. In Ihrer Kritik an der Ausstellung in Potsdam aber, kommt das Schicksal sowjetischer Häftlinge in der Leistikowstrasse nicht vor, insofern ist Ihre Kritik „einäugig“ und „empathielos“, was das Schicksal eben jener Häftlinge angeht. Für diese meine Kritik an Ihrer Kritik entschuldige ich mich nicht.

Ich gehe sogar noch weiter. Es tut mir ausdrücklich leid, dass ich in der Rezension nicht erwähnte, dass Sie in Ihrem bereits erwähnten Interview mit dem Stacheldraht den Leser täuschen. Sie behaupten dort, die Jugendopposition gegen die sowjetische Armee nach 1945 in Deutschland werde nicht gewürdigt und eine Darstellung der Zwangsarbeitslager des Gulag in der Sowjetunion fehle ganz. Jeder mit der Situation in Potsdam vertraute Beobachter weiß, dass in einer zweiten Projektphase eben diese Teile der Ausstellung hinzugefügt werden sollen. Es gibt sie heute noch nicht, ihre Erarbeitung ist jedoch bereits verabredet. Sie lassen den Leser Ihres Interviews in dem Glauben, die Ausstellungsmacher wollten diese Themen dem Besucher vorenthalten. Das ist schlicht falsch.

Auch für den Teil der Kritik, dass es vielen Protestierenden in Potsdam nicht um Empathie mit den Opfern der blutigen Befreiung Europas geht, sondern um „Politik mit der Erinnerung“ erhalte ich aufrecht. Sie selbst geben mit Ihrem offenen Brief an mich ein gutes Beispiel. Unter Ihren Brief haben Sie eine Grafik des Künstlers Bob Bahra eingefügt. Sie zeigt das Portrait eines Mannes, der halb wie Stalin und halb wie Hitler aussieht. Auf dieses Portrait ist der Satz aufgetragen „Nachdem man K. wegen seiner Sehnsucht nach Freiheit verhaftet hatte, wurde er gefragt, ob er lieber von Hitlers oder von Stalins Schergen erschossen werden möchte. Darauf hat K. geantwortet, dass es ihm egal sei …“

Hitler und Stalin alles dasselbe? Die Vernichtung der europäischen Juden und das Zwangsarbeitersystem der Sowjetunion alles dasselbe? Das Schicksal eines nach Auschwitz deportierten und ermordeten Juden und das Schicksal eines 1948 zu Unrecht in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportierten Bodo Platt ist genau dasselbe? Das wollen Sie im Ernst nicht sagen, oder doch? Ich denke, ein nach Auschwitz deportierter und dort vergaster Jude hätte es sicher vorgezogen, den Krieg zu überleben und dann in ein sowjetisches Zwangsarbeitslager deportiert und nach einigen Jahren Zwangsarbeit frei gelassen zu werden. Dieser angenommene Jude hätte es auch sicher geschätzt, wenn Jahre nach dem Krieg, die Verantwortlichen erklärt hätten, dass die Grundlage seiner Deportation falsch gewesen und als politische Repression zu kennzeichnen sei.

Damit will ich keineswegs die sowjetischen Zwangsarbeitslager schön reden. Ein Unterschied zwischen Ihrer Situation und der eines nach Auschwitz deportierten Juden bestand aber sehr wohl. Ich kenne Sie persönlich nicht. Ich habe lediglich bislang Ihre Erinnerungen gelesen. Ich kann nicht beurteilen, ob und inwieweit Sie persönlich mit ihrer Zeitzeugenarbeit in Potsdam und ihrer früheren Arbeit als Lehrer die Absicht verfolgen, den Nationalsozialismus und den Judenmord zu relativieren, indem das Unrecht, das die sowjetischen Befreier bei ihrer Ankunft in Deutschland verübten, so dargestellt wird, als sei es dem Unrecht gleich, das die Deutschen während des Nationalsozialismus verübten. Ihre dem offenen Brief angehängte Grafik bringt jedoch eine solche Relativierung zum Ausdruck.

So ist es auch mit den Veröffentlichungen anderer Kritiker der Potsdamer Ausstellung. Lesen Sie zum Beispiel die beiden in einer rechtsradikalen Verlagsanstalt erschienenen Bücher des ebenfalls in meinem Artikel zitierten Lothar Scholz.5 Er müsste Ihnen eigentlich durch Ihre Arbeit in Potsdam bekannt sein. In seinen beiden Büchern bringt er zum Ausdruck, dass es zwar auch einige gute Russen und Juden gäbe, die er persönlich kennen gelernt habe, aber im großen und ganzen hätte ihm sein persönliches Erleben gezeigt, dass Juden und Russen genauso hinterhältig und unzivilisiert seien, wie das die nationalsozialistische Propaganda, ihre Lieder und sein Religionslehrer ihm eingebläut hätten. Auch Herrn Scholz kenne ich nicht persönlich. Ich habe lediglich seine beiden Bücher gelesen. Nach diesen beiden Texten zu urteilen, sollte Lothar Scholz auf keinen Fall zur Zeitzeugenarbeit in Potsdam oder wo auch immer eingesetzt werden. Damit will ich nicht sagen, dass Sie und Lothar Scholz dieselben Persönlichkeiten wären. Ich kenne Sie beide ja nicht.

Es tut mir sehr leid, dass die erste Fassung meines Artikels zu hastig formuliert war. Ich bitte Sie um Entschuldigung. Wenn Sie mögen, lassen Sie uns doch einmal verabreden, wenn Sie demnächst in Berlin oder in Potsdam sind, ich würde mich darüber freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Jander“

  1. Siehe hierzu: Andrea Huterer (Hg.), Sobirai weschtschi! Pack Deine Sachen! Jugendjahre im Gulag. Erinnerungen von Bodo Platt, Berlin 2006, S. 23 (Bd. 20 der Schriftenreihe des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Berlin) []
  2. Zitiert nach: Nur ein Kollateralschaden? Interview mit Bodo Platt, in: Stacheldraht, Ausgabe 4, 2012, http://www.kgb-gefaengnis.de/5-0-Resolution-der-Opferverbaende.html (Aufgerufen am 13. 9. 2012). []
  3. Nur ein Kollateralschaden? Interview mit Bodo Platt, in: Stacheldraht, Ausgabe 4, 2012, http://www.kgb-gefaengnis.de/5-0-Resolution-der-Opferverbaende.html (Aufgerufen am 13. 9. 2012). []
  4. Andrea Huterer (Hg.), Sobirai weschtschi! Pack Deine Sachen! Jugendjahre im Gulag. Erinnerungen von Bodo Platt, Berlin 2006, S. 23 (Bd. 20 der Schriftenreihe des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Berlin) []
  5. Lothar Scholz, Im Namen von Marx, Engels, Lenin, Stalin – Eine Jugend in sowjetischen Straflagern, Berg am Starnberger Seee 2000; Lothar Scholz, Der verratene Idealismus – Eine Junge im Banne des Nationalsozialismus, Berg am Starnberger See 2004. []

23 comments to Opfer der Befreiung

  • Luckner

    Das sind natürlich die lupenreinen Begründungen der gescheiterten Kommunisten. Damit wird Stasi-Unrecht schön geredet. In der Ära Gauck sollte damit Schluss sein.

  • galim

    Keine Widerrede !!! Die sowjetische Besatzung, deren Nachfolgeregime, die SED, Staatsicherheit, „Grenztruppen der DDR“, Mielke, Honecker, und, und – und überhaupt alles was im Namen der „Freunde“ noch folgte war der Himmel auf Erden, waren LUPENREINE Demokraten. Schließlich hat’s doch auch ein Kanzler aus lupenreinem sozialdemokratischen Urgestein gesagt… Lupenrein demokratisch auch die sowjetische Partnerschaft gem. Hitler-Stalin-Pakt.
    Sie wär’s dann wohl auch heute noch, tja, wenn Hitler nicht Hitler gewesen wäre…
    Aber da war doch noch was! Na klar, die haben doch auch im Rahmen der Frontwalze ein paar KZ-Lager liquidiert – – – und das war natürlich wohl der stärkste Ausdruck einer wahrhaft lupenreinen anti-Nazi-Aktion von Volksväterchen Stalin und seiner Armee gegen böse deutsche Menschen… Dumm für die Lagerschergen, dass deren SS-Lager auf dem Weg des sowjetischen Vorstoss‘ im Weg waren, denn für Ami-Bomber war das kein Problem, die kamen schliesslich von der anderen Seite her, diese weniger lupenreinen Demokraten, pfui, pfui…

  • Daniel

    „In einem allerdings haben die Protestierenden Recht: Das Bild von sowjetischen Befreiern, die angeblich genauso verachtenswert sind, wie es die deutschen Judenmörder und Vernichtungskrieger waren, wird hier nicht gemalt. Und, so möchte ich hinzufügen, das ist auch gut so.“

    —————

    Sie mögen das ja gut finden, aber das ist Geschichtsrevisionismus und auch eine blanke Lüge.

    Nirgendwo wurde die Rote Armee als Befreier angesehen…nicht im Baltikum, nicht in der Ukraine, nicht in Polen, nicht in Ungarn und auch nicht in Deutschland. Warum auch!
    Die Erinnerung an diese „Befreiung“ ist im gesamten Osten Europas noch immer sehr lebendig. Fragen Sie doch mal Überlebende und ihre Nachfahren über ihre Erlebnisse mit den „Befreiern“.

    Ein barbarisches Regime wurde nur durch ein anderes ersetzt. Das dieselben Konzentrationslager wieder verwendet werden war nur logisch.

    Befreier waren sie ganz bestimmt nicht! Ob der Autor das nun gut findet oder nicht.

  • galim

    Dass hier spät-stalinistische Propaganda in einem jüdischen Forum verwurschtelt wird, ist sowieso besonders fatal…

  • Azarius

    @ galim
    Das hier ist auch kein jüdisches Forum, sondern ein Tummelplatz für Linke 😉

  • efem

    Wer, abgeshen von der der KZs, die Geschichte der Kriegsgefangenenlager des NS-Regimes unbeachtet lässt, der schreibt so wie „Luckner“, „Galim“, „Sebastian“, „Daniel“, Azarius.

    Dabei wäre es ein Leichtes, im Zeitalter des Internet sich zu informieren, bevor man das Maul aufreißt, z.B. in Wikipedia:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Stammlager

    Beispielhaft: http://de.wikipedia.org/wiki/Stammlager_VI_A

    Zitat:

    „Das Stammlager VI A war ein Stammlager für Kriegsgefangene in Hemer, Westfalen. Es bestand von 1939 bis 1945 auf dem Gebiet, das anschließend von der Blücher-Kaserne in Anspruch genommen wurde. Es war eines der größten Kriegsgefangenenlager im „Dritten Reich“ und galt als „Sterbelager“ vor allem für sowjetische Gefangene.“

    „Insgesamt starben etwa 23.900 Kriegsgefangene während ihres Aufenthalts im Stalag VI A, davon waren rund 23.500 Sowjets. In diesen Zahlen sind die Gefangenen, die während eines Arbeitseinsatzes ums Leben kamen, nicht enthalten.“

    Mehr als jeder zweite sowjetische Kriegsgefangene verlor sein Leben, von den ca. 5 Millionen gefangen genommenen Soldaten – auch Soldatinnen – der Roten Armee kehrten ca. 3 Millionen nicht nach Hause zurück.

    Das war gewollt, genauso wie der von Deutschland verursachte Tod von insgesamt etwa 15 Millionen ZivilistInnen der Einzelstaaten der SU.

    Wer in Kenntnis dessen Krokodilstränen darüber vergießt, dass die Politik der siegreichen UDSSR in ihrem Umgang mit Deutschen, die in ihren Machtbereich gerieten, kaum von besonderem Mitgefühl geprägt war, wer sich zusätzlich bei solchem background darüber echauffiert, dass nicht allen Gerechtigkeit widerfuhr und Unschuldigen, wie es schon das alte Sprichwort „Mitgefangen – mitgehangen“ versinnbildlicht, Unrecht getan wurde, der ist mehr als scheinheilig.

    Empfehlung: verp…t euch nach Altermedia!

  • Sebastian

    In seinem Roman, der Archipel Gulag von Alexander Solschenizyn gibt es eine Passage in der der Autor die Ankunft eines neuen Gefangenen ins Lager schildert.
    Der neue Gefangene wird als verwirrt und völlig desorientiert geschildert.Unmittelbar drängte sich die Frage auf, was hat der neue Gefangene erlebt. Im weiteren Verlauf gibt der Autor die Antwort. Bevor der arme Wurm ins Sowjetlager verschleppt wurde war er schon in einem anderen Lager.

    Er war in Auschwitz.

    Zitat Solschenizyn: „Dort hatte er den Verstand verloren“

    Also wenn selbst Alexander Solschenizyn eingesteht, dass Auschwitz eine noch üblere Dimension des Verderbens darstellt, als die Sowjetlager, die er überlebt hat, sollte Schluss sein mit der revisionistischen Relativierung der Naziverbrechen.

    • efem

      @ Sebastian
      .
      Vera Langsfelds Meinung im oben genannten Aufsatz aus „achgut“ erinnert in ihrer negativen Kritik der Ausstellung an Denkschemata des Bundespräsidenten. Beide identifizieren sich derart mit dem Antikommunismus, dass ihnen anscheinend nicht auffällt, wie sehr, darin, ihre Argumentationsstränge sich denen der rechten Szene nähern.
      .
      Nachdem ich deinen zweiten Beitrag gelesen habe, Sebastian, sehe ich ein, dass ich dich in die falsche Schublade steckte. Das tut mir Leid.
      .
      Im Übrigen ist es eine altbekannte Tatsache, dass schon immer kriegsführende Parteien Untersuchungsgefängnisse für den Feind einrichten, in denen Menschlichkeit ein Fremdwort ist, s. etwa Guantanamo.
      .
      „Vorbildhaft“ dabei im Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen und die Japaner, aber die mal außer Acht gelassen findet sich in gewissem Maß Vergleichbares, wie bei dem KGB-Gefängnis, auch in nicht dem sowjetischen Machtbereich unterliegenden Gebieten, nur besteht aus verständlichen Gründen außer bei Historikern (und, allerdings, Revisionisten) kein Interesse daran, es mehr als zur Komplettierung des Wissens über die Nazizeit und ihre Folgen zu thematisieren. Im Rahmen des Versöhnungskontextes ist das ein Gebot der Vernunft. Vergessen sind alle die Gräuel aller Seiten deswegen nicht.
      .
      Uns als Deutschen muss es besondere Pflicht sein, immer und immer wieder, auf dass sie sich nicht wiederholen, auf die von Deutschen begangenen Verbrechen hinzuweisen. Es ist nicht unsere Aufgabe, sie mit denen der Anderen in Relation zu setzen. Schon deshalb, weil die Dimensionen unvergleichbar sind.
      .
      Allein Nazi-Deutschland folgte einer Doktrin des Völkermordes. Wir können dankbar sein, dass sie uns nicht mit Gleichem vergolten wurde und – historisch durchaus belegbares – Rachedenken in der Richtung und überhaupt keinen Widerhall fand.

  • galim

    @efem… Ich bleib hier !!
    Empfehlung für dich: verp…s dich zu Margot nach Chile (nimm warme Sachen mit, ist z.Z. Winter dort !)

  • E. Schultz

    Auch bei dieser Diskussion zeigt sich wiederum, daß es Teilen der deutschen Gesellschaft bei der Beschäftigung mit Diktaturen und Massenverbrechen in Wirklichkeit nicht um Aufklärung und Erkenntnisse, sondern um einfache Zuschreibungen und Klassifizierungen geht.

    Im Gegensatz zu vielen Speziallagern war das Gefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße nie ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene. Es ist also vollkommen gegenstandslos und albern, den Kritikern der Ausstellung vorzuwerfen, sich dazu nicht zu äußern, wie es hier Jander tut. Einen Schritt darüber hinaus geht er dann noch mit der Unterstellung, daß ihnen „das Schicksal der sowjetischen Verurteilten“ „weitgehend egal“ wäre, ohne dafür den geringsten Anhaltspunkt – geschweige denn eine Quelle – zu liefern. Ach ja, aber in den Satz ist ja aber das schöne Wörtchen „scheint“ eingebaut. Es „scheint“ also alles nur so! Eine echt tolle Aussage für einen wissenschaftlich arbeitenden Historiker!

    Wie diese Methode wirkt (also, daß der Schein sofort für bare Münze gehalten sieht), erkennt man dann an den Reaktionen.

    Ausgeblendet wird dagegen, daß die Verbrechen in der Leistikowstraße keineswegs eine direkte Reaktion auf die Massenverbrechen der Nationalsozialisten waren, noch im speziellen mit Deutschland zusammenhingen. Denn die gleichen Methoden wendete das kommunistische Regime seit den zwanziger Jahren gegenüber den eigenen Landsleuten im Sowjetreich ebenso (und in einem noch weit schlimmeren Ausmaß) an, wie später gegenüber Polen, Balten usw. Die Gefängnisse und Lager in Deutschland waren ein direkter Bestandteil des Gulag-Systems innerhalb des gesamten sowjetischen und kommunistischen Machtbereichs.

    Dies bedeutet wiederum, daß jegliche Verharmlosung oder Relativierung der Verbrechen der kommunistischen Regime unverantwortlich und höchst gefährlich ist. Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, welches totalitäre System das schlimmere war – viel wichtiger – auch gerade im Hinblick auf die Zukunft – ist die klare Ansage, nie wieder ein totalitäres Regime überhaupt zuzulassen!

  • Sebastian

    Du hast es sehr schön beschrieben, wenn Du sagst: „Wir können dankbar sein, dass sie (die Nazi – Verbrechen) nicht mit Gleichem vergolten wurde“. Und: „Es ist nicht unsere Aufgabe, sie (die deutschen Verbrechen) mit denen der Anderen in Relation zu setzen. Schon deshalb, weil die Dimensionen unvergleichlich sind.“

    Was ich nicht nachvollziehen kann ist, wie Du dazu kommst Joachim Gauck und Vera Lengsfeld in einen Topf mit der rechten Szene zu werfen.

    In einer Rede, in der Joachim Gauck darüber sprach, ob es denn richtig sei, nach all den Versäumnissen bei der Aufklärung der Verbrechen der Nationalsozialisten in unserem Land, nunmehr die SED Diktatur so ausführlich an den Pranger zu stellen sagte Gauck, ich zitiere aus der Erinnerung:
    „Wir alle, die wir hier sitzen sind intelligente Menschen, wir wissen genau wo das schwarze Loch der deutschen Geschichte zu finden ist“.
    Was Gauck mit dem schwarzen Loch der deutschen Geschichte meinet, brauch ich nicht zu sagen.

    Jede Diskussion, in der irgendwelche Dreckskerle anfangen die Nazi-Verbrechen mit einem Vergleich zu den Verhältnissen in der ehemaligen DDR zu relativieren, verlasse ich sofort. Sowas hat einfach keinen Zweck.

    Leute wie Joachim Gauck, Vera Lengsfeld, Wolf Biermann oder die leider verstorbene Bärbel Boley haben ihre eigenen Erfahrungen mit der SED – Diktatur gemacht und sind zu recht empört, wenn diese Diktatur verharmlost wird. Die Verbrechen des Mielke – Staates werden durch den folgenden Satz am besten verständlich

    „Der Todesschuss erfolgte, wie in der DDR nach Abschaffung der Guillotine 1968 üblich, ohne Vorwarnung von hinten unmittelbar nach Betreten des Vollstreckungsraumes. Die Leiche (Werner Teske) wurde anschließend in das Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof gebracht und dort eingeäschert. (Das war 1981!!) (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Teske).

    Das Engagement von Joachim Gauck oder Vera Lengsfeld für die Erinnerung an so etwas, mit dem Hinweis abzutun, man würde sich damit den Argumentationssträngen der rechten Szene nähern, kann ich nicht nachvollziehen.

    Übrigens, wir sind 1945 von der UDSSR befreit worden und wir sind 1989 von der UDSSR befreit worden. Die SED hatte mit deutscher Gründlichkeit jede Wandlungsfähigkeit ihres Regimes, aus sich selbst heraus, im Keime ersticken lassen. Die UDSSR war mit Michail Gorbatschow sehr wohl aus sich selbst heraus wandlungsfähig und hat uns an diesem Segen teilhaben lassen.

  • efem

    @ Sebastian

    Ich werfe nicht in einen Topf, ich schrieb von Annäherung an braune Argumentation: die spricht nämlich durchweg von dem bitteren Leid, das die Deutschen, unschuldige Opfer allesamt, nach dem unglücklicherweise verloren gegangenen Krieg erlitten, wo doch der Endsieg schon zum Greifen nahe war und die allerletze Wunderwaffenentwicklung fast einsatzbereit: Musterbeispiele dafür sind „der Friedensflieger“, die „Rheinwiesenlager“, sind traurige Schicksale deutscher Kriegsgefangener, vor allem in sowjetischer Gewalt, aber eben auch in anderen Ländern. Purer Terror, das. Motto: vae victis (Wehe den Besiegten). Unerhört. Sowas hatte niemand „von uns“ verdient, die „wir“ auf Himmlers Geheiß sogar Bordelle in diversen KZs einrichteten.

    Meine Abneigung, meinen Argwohn gegenüber Herrn Gauck, was ich bereits auf diesen Seiten zur Genüge zum Ausdruck brachte, will ich nicht wieder von Neuem aufwärmen. Nur soviel: der Sohn zweier NSDAP-Mitglieder sagte (in Wikipedia nachlesbar): „Das Schicksal unseres Vaters“ – den die Sowjets aus sonst was für Gründen, aber PG gewesen zu sein spielte sicherlich eine gravierende Rolle, kassiert hatten – „wurde zur Erziehungskeule. Die Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus. Das machen wir nicht, vermittelte uns die Mutter unmissverständlich. Ich hatte dieses Gebot so verinnerlicht, … “ Übrigens machte er mehrfach klar, dass er allein deshalb Theologie studierte, weil die einen gewissen Freiraum gewährte. Auch einem von Nazieltern in gut deutscher, sprich strikt antikommunistischer Art Aufgezogenen.

    Tja. Im „III. Reich“ standen auf „Fraternisierung“ mit den „bolschewistischen Untermenschen“ hohe Strafen, das ging bis hin zum Todesurteil. Logisch, dass brave Parteimitglieder das verinnerlicht hatten und daran festhielten und es weiterlebten, erst Recht, nachdem Schluss war mit Herrenmenschentum und diese „bolschewistischen Untermenschen“ ihre Ideologie frecherweise dem in ihrem Machtbereich befindlichen Teil des deutschen Volkes überstülpten. Wie in den anderen Besatzungszonen das nazistische Denken ja auch nicht schlagartig erloschen war und daher mühsam umerzogen wurde. Ach, Gauck…

    Es ist bekannt, dass viele Leute, die in der Nazizeit nicht aufmuckten, im Gegenteil zumindest mitliefen, brav den Arm hoben und sich die Kehle mit Heilrufen heiser schrieen, danach plötzlich mutig wurden und Auflehnung gegen die nun Herrschenden ausprobierten. So etwa in Westdeutschland bei den Hungerdemonstrationen, bei denen Hunderttausende auf die Straße gingen, freilich schon aus Hunger, aber auch, um den Besatzern die Meinung des deutschen Volkskörpers zu geigen.

    Bei Vera Lengsfeld gehe ich allein von dem aus, was sie, Mitherausgeberin von „achgut“, darin zu der Ausstellung schrieb. Sie kann sich garnicht genug darüber auslassen, wie verdreht und „der Terror“ verharmlost werde. Eine ein bisschen abgehobenere, der damaligen durchaus nicht unbedingt deutschfreundlichen Zeit geschuldete Sicht kommt ihr nicht in den Sinn, statt dessen meint sie. „Kein Wort vom Terror, der hier an Unschuldigen verübt wurde.“

    Frage am Rande: an Schuldigen verübter Terror wäre genehm?
    Ach, Vera…

    • E. Schultz

      Es ist richtig, daß sich die zwar vollkommen abstrusen, aber dennoch hochgefährlichen und letztlich in mörderischer Form eingesetzten Rassenlehren auch nach 1945 zunächst noch in den Köpfen vieler Deutscher befanden oder zumindest weiterwirken. Zudem war das Bild von den Sowjets in Deutschland natürlich darüber hinaus von langjährigen nationalistischen Feindbildern geprägt – und dies nicht nur in den späten vierziger Jahren, sondern auch noch weit darüber hinaus.

      Das ist jedoch nur die eine Seite. Es ändert nichts im mindesten daran, daß nicht nur der Widerstand gegen die Errichtung einer erneuten Diktatur auf deutschem Boden, sondern auch der anderortige Kampf gegen totalitäre Regime absolut nichts ehrenrühriges war und ist, sondern vielmehr – dort, wo er mit demokratischen Mitteln geführt wurde – ein Grund für Respekt und Anerkennung. Der Antikommunismus ist neben dem Antifaschismus unzweifelhaft ein wichtiges Fundament unserer Demokratie. Ihn in Frage zu stellen oder zu entlegitimieren, wie es gewisse Kreise heute tun, ist verantwortungslos und hochgefährlich.

      Viele Menschen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion waren weit mehr und über einen weit längeren Zeitraum Opfer des kommunistischen Regimes als etwa Deutsche, Polen, Tschechen und Ungarn. Dies gilt es nicht nur vorbehaltlos anzuerkennen, sondern es sollte auch viel mehr zum historischen Wissen gerade in den westlichen Ländern gehören, als es heute der Fall ist.

  • Hallo E. Schulz, natürlich gab es in der Leistikowstrasse in Potsdam auch sowjetische Haeftlinge. Es ist mir durchaus bekannt, dass es sich nicht um ein Speziallager handelt, sowjetische Häftlinge gab es trotzdem. Eben von denen ist in den Kritiken im Stacheldraht oder anderswo gar nicht die Rede. Auch in der heftigen Polemik von Vera Längsfeld auf der Achse des Guten kommen sie gar nicht vor. Martin Jander

    • E. Schultz

      Es gab in der Leistikowstraße auch sowjetische Häftlinge – da haben Sie natürlich Recht, Herr Jander. Allerdings schrieb ich oben bewußt: sowjetische Kriegsgefangene und nicht Häftlinge. Wie ich jedoch jetzt erst gesehen habe, bezog sich der entsprechende Absatz von Ihnen nicht auf den ersten Absatz Ihres Beitrags, in dem vom Nationalsozialismus die Rede war. Im ersten Kommentar von efem wurde daraus dann jedoch sofort die Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen im NS-Staat.

      Grundsätzlich ist es ja richtig, daß viele sowjetische Speziallager seit 1945 auf dem Territorium von ehemaligen NS-Konzentrationslagern und eben auch NS-Kriegsgefangenenlagern mit vorwiegend sowjetischen Gefangenen entstanden.

      Gleichwohl ändert dies an meinen grundsätzlichen Aussagen nichts. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus, der seine „Feinde“ nach Nationen und „Rassen“ abstufte – wobei Juden auf der untersten Stufe standen, gefolgt von den Ostslawen und dementsprechend die geringsten Überlebenschancen hatten – behandelte das kommunistische Regime in seinen Lagern die Angehörigen der unterschiedlichen Nationen alle formal gleich (schlecht) – egal, aus welchen Ländern ihres Machtbereichs sie stammten. Auch dies spricht dagegen, daß die Behandlung der deutschen Gefangenen nach 1945 explizit auf die Massenverbrechen des Nationalsozialismus zurückzuführen waren, sondern es war der ganz „normale“ schreckliche Usus des Systems.

      • efem

        >> Im ersten Kommentar von efem wurde daraus dann jedoch sofort die Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen im NS-Staat. <> … behandelte das kommunistische Regime in seinen Lagern die Angehörigen der unterschiedlichen Nationen alle formal gleich (schlecht) – egal, aus welchen Ländern ihres Machtbereichs sie stammten. <<

        Wiederum Stichwort "Achsenmächte". Warum hätten deren Angehörige nicht alle gleich "behandelt" werden sollen, zusammen mit mit gegen die SU kämpfenden Leuten anderer Nationen, deren sie habhaft wurde, etwa Finnen, Ukrainer, Balten usw.? Sie alle waren beteiligt am Krieg gegen die SU, selbst das eigentlich neutrale Spanien hatte fast 50.000 Soldaten geschickt ("Blaue Division").

        • E. Schultz

          Über die Vielfältigkeit der „Häftlingslingsgemeinschaft“ und die ebenso große Vielzahl der Motive sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher und Forschungsarbeiten erschienen. Einen guten Einblick in dieses Thema geben die Kataloge der Speziallager-Denkstätten, beispielsweise über Sachsenhausen und Buchenwald. Jüngst erschien zur Ausstellung in Neuhardenberg und Weimar der Katalog „Gulag – Spuren und Zeugnisse 1929-1956“.

          Bekannt sollte aber zumindest sein, daß sich viele sowjetische Kriegsgefangene, die die deutschen Lager im Nationalsozialismus überlebt hatten, nach ihrer Rückkehr umgehend in die dortigen Lager gesteckt wurden. Nach Stalins Ansicht hätte es in Deutschland gar keine sowjetischen Kriegsgefangenen geben dürfen, das seien allesamz Feiglinge und Überläufer, also Kriegsverräter. Natürlich traf dies für die meisten von ihnen überhaupt nicht zu, die meisten hatten sehr wohl an der Front ihr Leben riskiert. Sie waren froh, wenn sie die deutsche Kriegsgefangenschaft überlebten und hofften nun endlich, wieder zu ihren Familien in der Heimat zu kommen. Statt dessen wartete auf sie ein erneuten Lagerschicksal.

          Seit längerem durch Akten gut untermauert ist auch, daß der Vorwurf von „Spionage“ und „Diversion“ einer Allerweltsvorwurf war. Mit dieser Begründung konnte man alles und jeden einsperren, wenn man nur wollte. Und man wollte.

          In den sowjetischen Lagern selbst spielte der Verhaftungsgrund im übrigen gar keine Rolle. Einige Leute, die im heutigen Sinne tatsächlich schuldig waren, teilten das Schicksal mit denen, die einfach nur in die Mühlen des kommunistischen Macht- und Parteiapparates geraten waren.

          Zufall war das allerdings nicht. Es war die Logik des Systems, das tatsächlich noch bis in die fünfziger Jahre glaubte, daß sich Sklavenarbeit nicht nur in politischer Hinsicht (Repression), sondern auch in wirtschaftlicher Sicht rechnen würde. Trotz der Millionen Opfer.

  • Sebastian

    @efem

    Auf Wikipedia hab ich den Absatz gefunden, der mit dem Satz anfängt: „Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule.“ Dabei hab ich aber den Eindruck als ob Gauck diese „Erziehungserfahrung“ eher kritisch sieht.

    Aber wenn wir über Gauck diskutieren würden, würde ich wieder viel zu viel schreiben :-). Vielleich noch so viel. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Gauck nicht in Einzelfällen zu unerbittlich war. Insbesondere hab ich das bei Manfred Stolpe so empfunden. Gauck ist ja immerhin evangelischer Pastor und die christliche Ethik ist ja sehr auf dem Prinzip der Vergebung aufgebaut.

    Die Ausstellung hab ich leider noch nicht gesehen, werde mir aber das Buch dazu kaufen. Mir scheint, dass der Beitrag von Martin Jander, sehr differenziert auf das Problem eingeht, das auch Du und ich beklagen. Nämlich, dass Revisionisten immer wieder versuchen, das in dem KGB Gefängnis (oder in der ehemaligen DDR)geschehene Unrecht zu nutzen, indem sie diese elende und verkommene Aufrechnung mit den Naziverbrechen versuchen.

    Aber genau diese Aufrechnung, kann man Joachim Gauck oder Vera Lengsfeld nicht vorwerfen. Auch der Beitrag von Vera Lengsfeld auf der achgut hat m.E. keinen aufrechnenden Charakter.

    So wie ich Dich verstehe siehst du die Motivation von Joachim Gauck oder Vera Lengsfeld auch in einem undifferenzierten Antikommunismus. Die Abrechnung mit der ehemaligen DDR von Wolf Biermann fällt eher noch schärfer aus, als die von Joachim Gauck oder Vera Lengsfeld. Ebenso wie Wolf Biermann haben Joachim Gauck und Vera Lengsfeld ihre eigenen Erfahrungen in der ehemaligen DDR gemacht, wobei man Wolf Biermann mit Sicherheit keinen undifferenzierten Antikommunismus vorwerfen kann.

    Die Erfahrung von Vera Lengsfeld, von ihrem eigenen Ehemann bespitzelt worden zu sein, ist glaube ich wirklich eine traumatische Erfahrung. Das rechnet sie zu recht, dem mit deutscher Perfektion arbeitenden Stasi-System zu.

    Grad heute fand ich auf Spiegel – TV die folgende Dokumentation:

    http://www.spiegel.tv/filme/frauengefaengnis-hoheneck/

    Vor diesem Hintergrund muss man (glaube ich) die Positionen von Joachim Gauck oder Vera Lengsfeld sehen.

  • efem

    O.K. Stephan, schönen Dank für deine Darlegungen.

    Da die Ausstellung eine Einrichtung der SU behandelt, die außerdem in einem militärischen Sperrbezirk lag, d.h. die DDR da kaum etwas zu melden hatte, ist es sinnlos, daraus ein DDR-bashing zu konstruieren. Auch in der Bundesrepublik unterstanden die Haftanstalten der Westmächte nicht (west)deutscher Gerichtsbarkeit.

    Der brutale Umgang der DDR mit den Leuten, die sich nicht ihrer Ideologie fügen wollten, aus verschiedenen Gründen ihrem Machtbereich zu entfliehen trachteten oder auch eigentlich schon mitzugehen bereit waren, dabei jedoch ihre eigene Meinung zu Gehör zu bringen versuchten, ist ohne Wenn und Aber im Nachhinein als hochgradig menschenverachtend zu bewerten, keine Frage. Es zeigt die Hilflosigkeit des Systems, in dem es keinen Freiraum gab für Andersdenkende, nach dem Motto: wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

    Die Bundesrepublik Deutschland verhielt sich nicht unähnlich:

    “ … im Verlauf der fünfziger und sechziger Jahre“ wurden „nach dem damals geltenden politischen Strafrecht über 10.000 Personen mit Haftstrafen belegt und Hunderttausende von Verfahren gegen Kommunisten, aber auch des Kommunismus verdächtigte Personen geführt. Die Zahl der gegen Kommunisten gefällten 6688 Urteile war im Zeitraum 1951–1968 fast sieben mal so hoch wie die 999 Urteile gegen NS-Täter.“ (Wikipedia)

    Ob den ehemals Theologiestudierenden Lengsfeld und Gauck das in den Kram passt? Vermutlich.

    • E. Schultz

      Die Gleichsetzung eines demokratischen Systems mit einer Diktatur ist immer wieder bemerkenswert.

      Bereits seit 1950 gab es in der DDR / SBZ keine freien Wahlen mehr, wichtige Köpfe der bürgerlichen Parteien und auch der SPDler, die sich gegen die Zwangsvereinigung mit der KPD zur Wehr gesetzt hatten, waren verhaftet worden, teilweise waren gegen sie sogar Todesurteile verhängt und auch vollstreckt worden. Nun wurden die Parteien in der sogenannten „Nationalen Front“ endgültig gleichgeschaltet, die alleinige Macht, ging an die „führende Partei“, die „immer recht hatte“ – wie es in dem Propagandalied so schön hieß – über.

      Und da sollte man in der Bundesrepublik dem Treiben von emsigen Agitatoren, die die gleichen Verhältnisse auch in der Bundesrepublik schaffen wollten, einfach tatenlos zusehen? Keine wehrhafte Demokratie, so einer „gesamtdeutschen“ Diktatur den Weg ebnen?

      Dennoch hatten alle das selbstverständliche Recht, sich zu verteidigen, auch mit Wahlverteidiger, es gab keine Fließbandprozesse – im Gegensatz zur DDR.

      Es geht kaum geschmackloser! Ich gehe inzwischen allerdings davon aus, daß es nicht Unwissen ist, sondern Überzeugung.

  • efem

    a propos „Fließbandprozesse“:

    Man lese in meinem vorhergehenden Beitrag den vorletzten Absatz.

    Einen der Betroffenen lässt „Jungle World“ zu Worte kommen:

    http://jungle-world.com/artikel/2006/33/18018.html

  • Sebastian

    @efem

    Das Kommunisten – Bashing der 50-er und 60-er Jahre war ein übles Kapitel der Westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Ich erinnere mich insbesondere wie man Herbert Wehner immer wieder seine KPD-Mitgliedschaft aufs Brot schmieren wollte. Die ständig versuchten Ehrabschneidungen gegen Herbert Wehner waren unerträglich!

    Das sehe ich genauso wie Du.

    Vielen Dank für den Hinweis auf den Beitrag von Deniz Yücel. Man sieht, dass die Deutsche Richterschaft der Nachkriegsjahre nicht grade frei von alten Nazis gewesen ist.