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„Fritz, wir sind fast schon wieder bei Hitler!“

Helmut Schmidt und Fritz Stern diskutieren über die Weltlage, ein Buch bei dessen Lektüre manchmal der Atem stockt…

Von Martin Jander
Erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 18.03.2010

Beim ersten Lesen erschließt sich kein eigentliches Thema dieses Gesprächs. Der Historiker und der Politiker sprechen ein wenig wahllos und assoziativ aneinandergereiht über Aspekte Preußens, Wilhelm II, den Nationalsozialismus, die USA und ihre Politiker, Denker der Aufklärung, die Bundesrepublik und die DDR, Ernst Reuter, John F. Kennedy, den Staatsbürger in Uniform und über Helmut Schmidt und Fritz Stern selbst. Ein Jahrhundertpotpourri, gewürzt mit kleinen Geschichten, wie zum Beispiel der, dass Helmut Schmidt einmal fast Zibigniew Brzezinski aus seinem Büro geworfen hätte.  

Und doch wird man ab und zu den Atem anhalten. Das liegt nicht daran, dass die Diskutanten Dinge preisgeben, die man noch nie gehört hätte, es sind die Formulierungen und der Ton des Ex-Bundeskanzlers. Immer da, wo er sich Motive, Interessen, Gedanken und Gefühle von Opfern der Deutschen vergegenwärtigen soll, ist er überfordert. Dann ruft er zur Ordnung: „Fritz, wir sind fast schon wieder bei Hitler!“

In seinen Händen hält der Leser keinen lediglich vom Band abgeschriebenen Text eines dreitägigen Gespräches, sondern, eine mehrfach überarbeitete und umgebaute Version davon. Wollen die beiden wirklich gesagt haben was da steht? Gleich zu Beginn fragt Stern Schmidt, ob er von einer besonderen Verantwortung der Deutschen für Polen sprechen würde. Schmidt verneint, darauf Stern: „Ich würde trotzdem von „besonderer Verantwortung“ sprechen wollen. Die Verwüstung Polens – ich meine –.“ Schmidt unterbricht ihn und erläutert, dass Polen ebenso wir Frankreich wichtig für Deutschland sei, wichtiger als die weiter weg liegenden Nachbarn Russland und England. Stern fragt erneut: „Nie und nirgends hat eine deutsche Armee so viele Gräuel geschehen lassen außer in Polen und dann später in Russland.“ Helmut Schmidt antwortet: „Ich stimme dem zu. Es ging aber voraus, am Ende des 18. Jahrhunderts…“ Schmidt entfaltet in der darauf folgenden Passagen eine Art Überblick zur Geschichte Polens, ohne auf die von Stern angesprochene deutsche Ausrottungspolitik in Polen zurück zu kommen.

Nur vordergründig unterhalten sich Schmidt und Stern über das letzte und das gegenwärtige Jahrhundert. Zwar zitieren beide sehr kenntnisreich viele der einschlägigen historischen Werke, aber hinter dem Schirm gelehrter Thesen geht es wirklich um die langen Schatten der Shoah in der gegenwärtigen Welt und welche Schlüsse der Ex-Offizier der deutschen Wehrmacht und der deutsch-jüdische Emigrant daraus ziehen. 

Bei genauerem Lesen entpuppt sich der Text als eine Art Beratungsgespräch des Historikers mit dem Politiker. Stern möchte Schmidt unbedingt für ein aufgeklärtes Verhältnis zur eigenen Geschichte gewinnen. Er befragt den Ex-Bundeskanzler, ob er die lange Tradition antidemokratischer und antisemitischer Politik und antihumanen Denkens nicht nur in Deutschland kennt und ob er sie im Rückblick auf sein eigenes politisches Leben erkennt. Er mahnt ihn immer wieder doch noch andere Aspekte in den Blick zu nehmen. Stern scheitert jedoch an einer wörtlich erklärten, oder durch Schweigen sowie abrupte Themenwechsel demonstrierten Empathielosigkeit seines Gegenübers. Dass Fritz Stern dieses Gespräch drei Tage und länger durchgehalten hat, dafür sollte ihm unbedingt ein Tapferkeitsorden verliehen werden.

In seinem Versuch Schmidt für demokratische Politik und humanes Denken zu gewinnen, geht Stern sehr weit, ich finde er geht zu weit. Noch bevor Schmidt sein eigenes Verhältnis zu Israel dargelegt hat, erläutert Stern, er halte die vorbehaltlose Unterstützung Israels durch die Administration von Bush jr. für den eigentlichen „Totengräber Israels“. Stern behauptet gar, in den USA würde Kritik an Israel „schnell als Antisemitismus“ gelten. Er distanziert sich sehr weitgehend von der Politik Israels.

Es kommt, was erwartbar in Deutschland meist kommt, Helmut Schmidt formuliert statt Kritik Ressentiments, er deutet Israel zum Aggressor im Nahen Osten um, behauptet, Israel sei das größte Problem einer Friedenslösung. Ohne auch nur mit einem Wort auf die permanenten Zerstörungsversuche einzugehen, denen Israel sich seit seiner Gründung ausgesetzt sieht, sagt Schmidt, es gäbe „maximal fünfzehn Millionen Juden“ auf der Welt. Schon im nächsten Satz folgt die Formulierung: „Ein kleiner Staat, der durch seine Siedlungspolitik auf der Westbank und länger schon im Gaza Streifen eine friedliche Lösung praktisch unmöglich macht.“ Eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Sicherheit Israels lehnt Schmidt, deutlich kritisiert von Stern, rundheraus ab.

Wer ein gutes Buch zum letzten Jahrhundert sucht, braucht diesen Band nicht. Wer verstehen will, warum es auch einem der größten Historiker des deutschen Sonderwegs nicht gelingt einen immer noch einflussreichen Ex-Offizier der deutschen Wehrmacht zu beraten, der sollte es kaufen. Der Leser blickt in einen Abgrund von Herzlosigkeit.

Helmut Schmidt, Fritz Stern, Unser Jahrhundert – Ein Gespräch, München 2010, Verlag C, H. Beck, ISBN 978 3 406 60132 3, 287 S., 21.95 €, Bestellen?

2 comments to „Fritz, wir sind fast schon wieder bei Hitler!“

  • Karl Pfeifer

    ich habe das Buch nicht gelesen, dafür ein Spätabend Gespräch der beiden Autoren im Fernsehen angeschaut.  Die Geschichte von Schmidts wirklicher oder angeblicher jüdischer Abstammung war peinlich, wie auch einiges andere was man da zu hören bekommen hat.

  • GerdEric

    Kurz gesaht:
    Schmidt hätte einen guten CDU-Politiker abgegeben,
    Merkel eine bessere SPD-Politikerin.
    Helmut der I. ist und bleibt Offizier.

    Er war (und bleibt) Opportunist (German Hairforce) und wußte innerparteiliche Opposition auszuschalten. Mit ihm begann der Abstieg der SPD (SPD-Wähler wählen keine andere Partei, sie bleiben Zuhaus). Selbst Demokrat war/ist er nur widerwillig.
    Wie sagte mal ein kluger Mann: Laßt die Toten die Toten begraben.
    „Unser Jahrhundert“, eines der Bücher, das kein Regal braucht, ab in die Tonne!

    PS:
    Helmut der II. Kohl
    Helmut der III. Schröder 😉