Joachim Innerhofer und Sabine Mayr haben ein Südtiroler Heimatbuch geschrieben über ihre „Mörderische Heimat“. Treffend bemerkt Peter Turrini in seinem Vorwort: „Was man Österreicher nennt, ist ein europäisches Gemisch gleichen Namens. Eine Promenadenmischung, die den Glücksfall ihrer Mischung nicht wahrhaben will und sich immer wieder als deutschen Schäferhund ausgibt. Man stelle sich das einmal bildlich vor, eine Promenadenmischung setzt sich die Ohren eines Schäferhundes auf und bellt großdeutsch. Das macht die österreichischen Fremdenhasser so lächerlich und unberechenbar.“ Und er bringt es auf den Punkt: „Was soll die theoretische Frage an uns selbst, ob wir im Jahre 1939 feige oder mutig gewesen wären, wo die Frage doch nur lauten kann, ob wir heute feige oder mutig sind“…
Rezension von Karl Pfeifer
Südtirols Opfer der Schoah wurden von Faschisten observiert und ausgewiesen, großteils von einheimischen Nationalsozialisten verfolgt und deportiert. Nach 1945 weigerte man sich, Überlebende für ihre materiellen Verluste zu entschädigen. Die Erinnerung an die Opfer wurde verdrängt. Innerhofer und Mayr dokumentieren die vielseitigen Äußerungsformen des in Südtirol tief verwurzelten Antisemitismus. Südtirols NS-Opfer hatten ihre Heimat geliebt und wichtige Beiträge in der Medizin, Wirtschaft und im Tourismus geleistet. Das Aufzeigen der Spuren jüdischen Lebens in der Geschichte Südtirols lässt ihnen eine späte Anerkennung zuteilwerden.
Das 468 Seiten umfassende Buch beinhaltet „verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran“, aufgeteilt in die Teile „Zedaka im Traubenkurort“, „Rassisch verfolgt und deportiert“, „Direktorinnen, Präsidenten und Pioniere“, „Kaufleute und Geschäftsführer“, „Unbekannte Unternehmerinnen“, „Ärzte und Kurärzte“, „Rechtsanwälte im Visier des Unrechts“ und „Heimatrecht abgelehnt…“
Hier eine Kostprobe aus diesem Buch: Am 10. April 1920 schrieb Franz Kafka in einem Brief an Max Brod und Felix Weltsch über das Hotel Emma [in Meran]. „Bisher habe ich in einem der ersten Hotels gewohnt oder vielleicht überhaupt in dem ersten, denn die andern gleichrangigen sind geschlossen. Die Gäste waren einige vornehme Italiener, dann noch ein paar andere Eindringlinge, der große Rest Juden, zum Teil getauft.“
Im selben Brief berichtet Kafka auch über seine Begegnung mit Sabetay Gabay: „Dort war Zum Beispiel ein türkisch-jüdischer Teppichhändler, mit ich meine paar hebräischen Worte gewechselt habe, ein Türke an Gestalt, Unbeweglichkeit und Frieden, ein Duzfreund des Konstantinopler Großrabbiners, den er merkwürdiger Weise für einen Zionisten hält.“
…Während der gemeinsamen Mahlzeiten gaben pensionierte Offiziere aus Deutschland und Österreich in der Ottoburg antisemitische Äußerungen zum Besten. Man sprach „von jüdischer Lumperei Frechheit Feigheit“, schreibt Kafka Anfang Mai 1920 in einem Brief an Max Brod, „lacht […] dabei mit einer gewissen Bewunderung und entschuldigt sich nachher auch noch bei mir, nur den jüdischen Sozialisten und Kommunisten verzeiht man nichts, die ertränkt man in der Suppe und zerschneidet man beim Braten.“ Die rechte Presse strotzte damals von antisemitischen Berichten über angebliche jüdische Weltverschwörungen und Sabotageakte, und auch in Südtirol brachten rechte Organe wie „Der Burggräfler“ die absurdesten antisemitischen Ergüsse, wie zum Beispiel am 10. April 1920 in einer Ausgabe, die Kafka neugierig machte. „Letzthin wollte ich Dir eine Nummer des hiesigen katholischen Blattes mit einem Leitartikel über Zionismus schicken, es schien mir aber damals zu langweilig. Es war eine Besprechung eines in Wien erschienenen Buches von Wicht über Zionismus und Freimaurerei. Der Zionismus ist hiernach die von der Freimaurerei geschaffene, im Bolschewismus zum Teil schon aufgegangene Schöpfung zur Zerstörung alles Bestehenden und Aufrichtung der jüdischen Weltherrschaft. Beschlossen wurde das alles auf dem ersten Basler Kongreß, der zwar nach außen hin verschiedene lächerliche Sachen verhandelte, um äußerliche Billigung der Weltorganisation zu bekommen, im Innern aber nur über die Mittel zur Erreichung der Weltherrschaft beriet. Diese Geheimprotokolle sind glücklicherweise in einem Exemplar gestohlen worden und wurden von dem großen russischen Gelehrten Nilus (von dem merkwürdiger Weise in dem Leitartikel nochmals ausdrücklich bemerkt wird ‚er hat wirklich gelebt und war ein großer russischer Gelehrter‘) veröffentlicht. Stellen aus den Protokollen der ‚Weisen von Zion‘, wie sich die Kongreßmitglieder selbst nennen, werden zitiert, sie sind gleichzeitig dumm und schrecklich wie der Leitartikel.“
Nur wenige Spuren einer einst rührigen jüdischen Vergangenheit finden sich heute in den größeren Städten Südtirols. Seit einigen Jahren erfasst das Jüdische Museum in Meran Daten über frühere jüdische Einwohner und Einwohnerinnen. Bisher konnten nahezu 200 Opfer der Schoah ermittelt werden. Die Datenbank mit den gesammelten Informationen über Leistungen, Schicksale, Vertreibung, Verfolgung und Auslöschung bildet die Grundlage dieses spannenden Buches.
Die Zeiten ändern sich, denn „Die Drucklegung erfolgte mit Unterstützung der Autonomen Provinz Bozen – Amt für deutsche Kultur der Autonomen Region Trentino-Südtirol, der Stadtgemeinde Meran sowie der Stiftung Südtiroler Sparkasse und Roberto Furcht.“
Joachim Innerhofer, Sabine Mayr: Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran, mit einem Vorwort von Peter Turrini, Edition Raetia, 2015, Euro 24,90, Bestellen?
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