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Raubmord – Arisierung: Das Prinzip Staatsraub

Gewöhnlich verbindet sich die Vorstellung von Arisierungsgewinnlern schnell mit Konzernmanagern und Bankdirektoren. Die in den späten 1990er-Jahren in vielen europäischen Staaten und Großunternehmen eingesetzten, aus Fachhistorikern gebildeten Untersuchungskommissionen zur NS-Zeit verstärkten den in der Gesamtschau falschen Eindruck…

Was geschah eigentlich genau mit den Besitztümern der Juden?, fragte sich der Zeithistoriker Götz Aly vor einigen Jahren. Am 10. März erschien seine Studie „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus„.

Darin untersucht er, wie die Nazis in allen Ländern Europas den jüdischen Besitz „geräuschlos“ in die Staatskassen transferierten. Durch seine Archivrecherchen hat er neue Erkenntnisse über die Politik der „Regierung Hitler“ gewonnen. Le Monde diplomatique druckte mehrere Auszüge.

Das Prinzip Staatsraub

Von Götz Aly

Gewöhnlich verbindet sich die Vorstellung von Arisierungsgewinnlern schnell mit Konzernmanagern und Bankdirektoren. Die in den späten 1990er-Jahren in vielen europäischen Staaten und Großunternehmen eingesetzten, aus Fachhistorikern gebildeten Untersuchungskommissionen zur NS-Zeit verstärkten den in der Gesamtschau falschen Eindruck. In der etwas differenzierteren Fachliteratur werden daneben kleinere und größere Nazi-Funktionäre gerne zu den Absahnern der Arisierung gezählt. Seit einigen Jahren geraten zudem gewöhnliche deutsche Nachbarn ins Blickfeld, ebenso polnische, tschechische oder ungarische Nutznießer – Leute, die sich ihre schmutzigen Dienste für die Besatzungsmacht nicht selten aus „entjudetem“ Eigentum vergelten ließen. Doch führt jede Konzeption, die sich allein auf die privaten Profiteure konzentriert, in die Irre. Sie verfehlt den Kern der Sache, wenn die Frage beantwortet werden soll, wo das Eigentum der expropriierten und ermordeten Juden Europas geblieben ist. […]

In wünschenswerter Klarheit konnte ich den Entscheidungsprozess nur für das Militärverwaltungsgebiet Serbien aus den Akten rekonstruieren. Dort ermordeten die Deutschen die Juden ungewöhnlich schnell. Bereits ein Jahr nach dem Überfall resümierte der Militärverwaltungschef Mitte April 1942: „Schon vor Monaten habe ich alles an Juden im hiesigen Lande Greifbare erschießen und sämtliche Judenfrauen und Kinder in einem Lager konzentrieren lassen und zugleich mit Hilfe des SD einen Entlausungswagen angeschafft, der nun in etwa 14 Tagen bis 4 Wochen auch die Räumung des Lagers endgültig durchgeführt haben wird.“ (Unter „Entlausungswagen“ verstand der Chef der Militärverwaltung einen Gaswagen, in dem die jüdischen Frauen, Kinder und Alten mit Hilfe von einströmendem Motorgas erstickt wurden.) Wenige Wochen später waren von den etwa 22 000 serbischen Juden die allermeisten tot. Am 23. Mai stellte der Judenreferent des Auswärtigen Amts fest: „Die Judenfrage ist in Serbien nicht mehr akut. Es handelt sich dort nur noch um die Regelung vermögensrechtlicher Fragen.“(20)

Für das Konfiszieren der Vermögen war das Referat 17 (später 12) des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft in Serbien zuständig. Es wurde von dem Reichsbankbeamten Hans Gurski geleitet, der vorher im Stab des in den folgenden Abschnitten noch bedeutsamen Hermann Neubacher in Bukarest gearbeitet hatte. Kaum hatten Einheiten der Wehrmacht und der SS die serbischen Juden im Frühjahr 1942 ermordet, beratschlagten die Fachleute der Besatzungsverwaltung und der Vierjahresplanbehörde die endgültige Verwendung der materiellen Hinterlassenschaften.(21 )Noch am 23. Mai 1942 ging das Auswärtige Amt davon aus, das Vermögen würde, sobald die Ansprüche der Volks- und Reichsdeutschen bedient seien, „in einer Art Stiftung vom Reich verwaltet werden“.(22 )Auch in der Kommissarischen Verwaltung des jüdischen Haus- und Grundbesitzes rechnete man „mit der Möglichkeit eines späteren Verfalles des Judenvermögens in Serbien zugunsten des Reiches“.(23) Die meisten Beamten sahen in den potenziellen Arisierungserträgen einen Vorschuss auf die später noch im Einzelnen festzulegende „Kriegsentschädigung“ Serbiens an den Aggressor Deutschland.

Auch die Vierjahresplanbehörde engagierte sich am 21. März 1942 noch für die „Verwertung zugunsten des Reichs“.(24) Dagegen opponierte das Reichsfinanzministerium. Dessen Vertreter Christian Breyhan regte im Mai 1942 an, die Erlöse müssten „der Ordnung halber durch den serbischen Haushalt laufen“. Anschließend habe es der Militärbefehlshaber durchaus „in der Hand, den Verwendungszweck festzulegen und die serbische Verwaltung entsprechend anzuweisen“.(25 )Einen Monat später fand eine weitere Zusammenkunft zu derselben Frage statt. Darüber berichtete der Vertreter des Auswärtigen Amtes: „Bei der Besprechung über die Liquidierung des serbischen Judenvermögens am 19. Juni im Hause des Vierjahresplans wurde auf Grund verschiedener Vorbesprechungen Folgendes beschlossen: Das Vermögen der Juden in Serbien ist zugunsten Serbiens einzuziehen. […] Die Einziehung soll zugunsten Serbiens erfolgen, weil eine Einziehung zugunsten des Reiches der Haager Landkriegsordnung widersprechen würde. Der Erlös kommt aber mittelbar uns [den Deutschen] zugute […].“(26) In der Haager Landkriegsordnung heißt es in Artikel 46 glasklar: „Das Privateigentum darf nicht entzogen werden.“ Die Vorschrift gilt allerdings nur für die Besatzungsmacht, nicht für die nationale Verwaltung des besetzten Landes.

Wenige Tage nach dem Berliner Treffen schloss sich Göring den Einwänden der Finanzfachleute an und verfügte: Hinfort sei „das jüdische Vermögen in Serbien […] zugunsten Serbiens einzuziehen“, um damit, so begründete er, „eine finanzielle Hilfe für den durch die Last der Besatzungskosten ohnehin stark beanspruchten serbischen Staatshaushalt zu ermöglichen“.(27) Nun hatte der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft „die Übergabe der von ihm verwalteten Judenvermögen südlich der Donau zu beschleunigen, damit Serbien so rasch wie möglich mit der Verwertung anfangen kann“. (Nördlich der Donau bedienten sich die in der Batschka ansässigen Deutschen mit rabiaten Methoden.) Im Übrigen wurde festgelegt: „Die serbische Regierung muss eine Verordnung des in Serbien gelegenen Vermögens von Juden, die am 15. 4. 1941 jugoslawische Staatsbürger waren, zugunsten des serbischen Staates herausbringen.“(28) Der serbische Ministerrat erließ diese am 26. August 1942. Neben den schon genannten Hauptmotiven für den Entschluss – den Dinar zu stärken und so zu tun, als würde die Haager Landkriegsordnung respektiert – lag der Besatzungsmacht auch daran, „das Ansehen der serbischen Regierung Nedic […] durch die Freigabe des Judenvermögens zugunsten Serbiens zu stabilisieren“.(29)

Tatsächlich machten in der zweiten Jahreshälfte 1941 „die Kriegslasten etwa das Doppelte der bereits nicht gedeckten Normalauslagen im serbischen Staatshaushalt aus“, woraus sich – auch aus deutscher Sicht – sofort „eine äußerst ernsthafte Gefährdung der Währung“ ergab.(30) Bis dahin hatten die Besatzungskosten monatlich etwa 500 000 Dinar betragen. Das Gesamtvermögen der serbischen Juden schätzte man im Dezember 1944 auf drei bis vier Milliarden Dinar.(31 )Zum Zeitpunkt der Berliner Entscheidung reichte es also, um die Besatzungskosten für ein gutes halbes Jahr zu decken, beziehungsweise dafür, über einen längeren Zeitraum den Inflationsdruck auf die serbische Währung zu mindern.(32) Folglich meldete der Vertreter des Auswärtigen Amtes im September 1942 zu dem in den Monatsberichten regelmäßig behandelten Punkt „Begrenzung der Besatzungskosten“: Das Thema bedürfe „zurzeit keiner Erörterung“.(33)

Solche Sätze, wie sie sich für Serbien dokumentieren lassen, verweisen auf die generell angewandte, hoch geheime Enteignungsmethode, mit der sich die Deutschen im ganzen von ihnen beherrschten Europa des jüdischen Eigentums bemächtigten. Nur anderswo verwischten sie selbst – später auch die kollaborierenden Finanzverwaltungen und (National-)Banken der unterworfenen Länder( )- die Spuren gründlich. Die deutschen Besatzer machten nationale Institutionen, möglichst auf der Basis eigens erlassener nationaler Gesetze, zu Hehlern, ließen das Geld in das Sammelbecken Staatshaushalt fließen, um es sich dort in nunmehr von den Spuren der Herkunft gereinigter Form anzueignen.

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Quellenangaben:

(20) Übersicht über Maßnahmen gegen Juden in den besetzten Gebieten (Rademacher), 23. 5. 1942, PA AA R 103285, Bl. 1. Aus einer Anlage vom 17. 9. 1942, die zum Prüfbericht des Rechnungshofs erstellt wurde, geht hervor, dass die Ghettoisierung und Ermordung der serbischen Juden insgesamt 33 500 000 Dinar kostete, BA R 26/VI/602, Bl. 23; Bericht über die Verwaltung des Judenvermögens in Serbien (Gurski), 1. 12. 1944, (im Folgenden: Gurski-Bericht) BA R 26/VI/470, Bl. 51.
(21) Ebd. und RH (Müller) an GBW, Verwaltung des Judenvermögens, 3. 6. 1942, BA R 26/VI/602, Bl. 2-9.
(22) Vermerk Rademachers, PA AA Pol. Abt. Judenfragen 36/1 (Serbien), Bl. 629-632.
(23) Schlussbericht der Kommissarischen Verwaltung des jüdischen Haus- und Grundbesitzes, 22. 6. 1943, BA R 26/VI/359, Bl. 87.
(24) GBW (Gurski) an RH, 8. 9. 1942, BA R 26/VI/602, Bl. 12-20.
(25) Reichsfinanzministerium (Breyhan), 22. 5. 1942, BA R 2/30132.
(26) Auswärtiges Amt (AA), HaPol (Pamperrien), 20. 6. 1942, PA AA R 111255; die Besprechung betraf auch das bewegl. Judenvermögen, RFM (Breyhan), 1. 7. 1942, BA R 2/330, Bl. 33.
(27) Treuhandverwaltung und Judenvermögen, 23. 3. 1945, S. 14f., BA F 627 P.
(28) Vierjahresplan (Gramsch) an Auswärtiges Amt, 20. 6. 1942, ebd.
(29) Gurski-Bericht, Bl. 51 f.
(30) Der Bev. des AA beim MB in Serbien an AA, 13. 9. 1941, ähnlich am 5. 11. 1942, PA AA R 111208.
(31) Gurski, 16. 10. 1944, BA R 26/VI/470, Bl. 68; Gurski an Gramsch (VJP), 30. 4. 1943, ebd., Bd. 364, Bl. 345-357; Karl Heinz Schlarp, „Wirtschaft und Besatzung in Serbien“, S. 294 f. Der reale Ertrag wird geringer gewesen sein, ebd., S. 297 ff. Wie sich Besatzungskosten und Inflation in Serbien weiterentwickelten, zeigt der Bericht von Gotthardt (RWM), 15. 1. 1944, BA R 2/14553, Bl. 204-206; das RFM (Breyhan) schätzte das jüdische Vermögen in Serbien auf 150 Mill. RM (= 3 Mrd. Dinar), 22. 5. 1942, BA R 2/30132.
(32) Schlarp, „Wirtschaft“, S. 302.
(33) Woermann (AA) an v. Rintelen (AA), Lage in Serbien, 24. 9. 1942, auf der Basis des Telegramms von Benzler (Belgrad), 19. 9. 1942, NA T 120/1174, Aufn. 093 ff.

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