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Die Psychoanalytikerin Else Pappenheim

Die vor 100 Jahren – am 22. Mai 1911 in Salzburg – geborene Psychoanalytikerin und Psychiaterin Else Pappenheim (nicht verwandt mit Freuds bekannter Patientin Berta Pappenheim) gehört zu den Vergessenen der von Freud geprägten Wiener Aufbruchbewegung…

Von Roland Kaufhold

1938 hatte sie wegen des ihr zugeschriebenen Judentums vor den Nazis in die USA fliehen müssen. Ihr Vater Martin Pappenheim (1881 – 1943), seit 1924 außerordentlicher Professor für Neurologie in Wien, seit 1928 Mitglied der von Freud gegründeten Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV), war nach den Februar-Aufständen des Jahre 1934, die blutig niedergeschlagen wurden, nach nachdrücklichen Warnungen von sozialdemokratischen Freunden von einer Palästinareise nicht mehr nach Wien zurückgekehrt. Er hatte noch in Wien zwei bekannte, am Aufbau Israels maßgeblich beteiligte Zionisten (Dizengoff und Bialik) behandelt und gehörte zu den Begründern der Psychoanalyse im damaligen Palästina.

Dem österreichischen Psychoanalysehistoriker Bernhard Handlbauer ist es zu danken, dass Else Pappenheims Leben und Wirken in einem opulenten Band erstmals in Erinnerung gerufen wird.

Neben einer umfangreichen, 200-seitigen biographischen Studie über die Protagonistin enthält der Band 23 zum großen Teil unveröffentlichte Studien Pappenheims; diese sind in die Kapitel autobiographisch-historische Beiträge (S. 203-311), Geschichte der Medizin und der Psychoanalyse (S. 313- 439) sowie klinische Beiträge (S. 441-573) unterteilt.

Zur Biographie: Die Familie Else Pappenheims siedelte 1912 nach Wien über. Diese Nachkriegsjahre waren durch Hunger und Armut geprägt, wie sich Pappenheim lebhaft erinnert. Sie besuchte zuerst eine „freie Schule“ sowie anschließend die legendäre, fortschrittliche Schwarzwaldschule (S. 32f.). Deren liberale Atmosphäre sowie einige ihrer Lehrerinnen – hierunter Aline Furtmüller – wirkten sich prägend auf ihre kulturellen Interessen aus. Eine ihrer Mitschülerinnen war Marie Langer, die zeitlebens ihre enge Freundin blieb. Ihre Erinnerungen an diese außergewöhnliche Frau beschreibt Pappenheim in einem eigenständigen Beitrag (S. 257-264).

Pappenheim begeisterte sich als Schülerin für das Klavierspielen wie auch für die Neurologie. Diese blieb zeitlebens ihre Passion. Das Werk Hölderlins – er wurde im Alter schizophren – beeindruckte sie so sehr, dass sie eine über 50seitige, anspruchsvolle Abiturarbeit über diesen tragisch-kreativen Menschen verfasste. Diese frühe Studie „Das Pathologische in Hölderlins Leben und Werk“, in welcher sich ihr psychiatrisches Interesse bereits andeutete, wird im vorliegenden Werk erstmals publiziert (S. 443-495).

Bereits als junge Erwachsene nahm sie auf Vermittlung ihrer Eltern, die mit Freud befreundet waren, an Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Mittwochgesellschaft teil. Prägend wirkte sich auch das Engagement ihrer Tante Marie Pappenheim-Frischauf (1882-1966) aus; diese war Mitglied der Kommunistischen Partei und hatte zusammen mit Wilhelm Reich mehrere Sexualberatungstellen aufgebaut.

Von 1928 bis 1935 studierte sie Medizin und arbeitete von 1935-1938 als Sekundarärztin an der Wiener neurologisch-psychiatrischen Klinik. Ihre Erinnerungen an diese Zeit sowie an einige ihrer Kollegen (Schilder, Stengel, die Bühlers, Pisk, Langer, Geleerd, Sylvester und Kestenberg) werden im Buch im einführenden biographischen Beitrag von Handlbauer sowie in einigen im Buch publizierten Erinnerungsstudien verlebendigt.

Ihre analytische Ausbildung bei Otto Isakower (1934 – 1938) wurde von den Vorboten des Nationalsozialismus, von welchem sie als Jüdin unmittelbar bedroht wurde, geprägt: „Man hat irgendwie geglaubt, man könne noch studieren, noch fertig machen, so ging es von Jahr zu Jahr.“ (S. 55) Sie nahm an einer von Marie Langer initiierten „illegalen“ Lesegruppe teil, engagierte sich aufgrund ihrer beruflichen Belastungen jedoch nicht unmittelbar politisch. Ihre Erinnerungen an zahlreiche analytische Freunde, die in späteren Kapiteln über ihre Zeit in den USA wieder aufgegriffen werden, sind nüchtern, anrührend, wenn auch gelegentlich etwas schroff.

Einen Monat nach dem „Anschluss“ (12.3.1938) wurde sie aus rassistischen Gründen von der Klinik fristlos entlassen. Sie ersuchte um Hilfe für die Erlangung eines Affidavits – die Voraussetzung für eine Emigration in die USA. Ihre Erinnerungen an diese Phase sind von tiefer Enttäuschung geprägt, da ihr – sie galt erst als „Anwärterin“ – von ihren Wiener sowie ihren amerikanischen Kollegen nicht geholfen worden sei. Angst hatte sie in dieser Zeit dennoch nie. Ihre lebenslange Freundin Judith Kestenberg – später eine Pionieren einer Arbeit mit kindlichen Opfern der Shoah – „wurde meine Rettung“ (S. 74): Sie vermittelte ihr ein Affidavit – am 8.11.1938 emigrierte sie, nach einem Zwischenaufenthalt in Haifa, nach New York. Ihrer Mutter sowie einigen weiteren Verwandten hingegen gelang die Flucht nicht mehr. Sie entzogen sich am 25.1.1942 in Bonn der Deportation durch Selbstmord.

Die Schilderungen ihres psychiatrischen und psychoanalytischen Wirkens in den USA – in Baltimore, Maryland und New York – sind durchgehend anregend. Sie erleichtern ein Verständnis der schwierigen Bemühungen der Emigranten, sich in dieser unvertrauten sozialen Wirklichkeit eine neue private und professionelle Identität anzueignen. Lesenswert sind insbesondere ihre Erinnerungen an die psychoanalytische Emigrantengruppe in New York (S. 93-96); diese werden in einigen weiteren im Buch publizierten Beiträge, etwa in dem Interview „Ich habe Wien sehr geliebt!“ (S. 268-311), vertieft: „Zuerst waren es nur fünf oder sechs, die sich ständig gesehen haben, dann hat die Geselligkeit unter den Analytikern zugenommen. Zuerst waren es nur die Wiener, dann kamen in paar Deutsche, Holländer, Ungarn und Polen und die Amerikaner, die in Wien ihre Ausbildung gehabt haben, dazu. Das hat etliche Jahre gedauert, bis das zerfallen ist.“ (S. 93f.)

1956 reiste Else Pappenheim erstmals wieder nach Österreich. Eine Remigration kam für sie, insbesondere jedoch für ihren Ehemann, nie ernsthaft in Frage. Die zerstörerischen Erfahrungen, die eigenen Verluste, waren zu bedrückend. Erst das Wiener Symposium „Vertriebene Vernunft“ im Jahr 1987, an welchem sie gemeinsam mit Bruno Bettelheim, Ernst Federn und Rudolf Ekstein teilnahm, ermöglichte eine Wiederannäherung an jüngere österreichische Kollegen, hierunter an Bernhard Handlbauer – ein Kontakt, der bis heute gehalten hat. Auf die Frage nach ihrem Zuhause entgegnet Else Pappenheim: „Im Grunde genommen wahrscheinlich noch immer Wien, obwohl das grotesk ist. Das ist nicht zu Hause. Aber sagen wir, in meiner Seele ist es das Zuhause.“ (S. 139).

Else Pappenheim lebte bis zu ihrem Tod im Januar 1999 hochbetagt, gemeinsam mit ihrem Ehemann Stephen Frishauf in New York. Ihre Verbundenheit zu einigen österreichischen Kollegen symbolisierte sie durch die Schenkung ihrer umfangreichen Privatbibliothek an die Sexualberatungsstelle Salzburgs. Auch in den letzten Jahren kam sie im Rahmen von Oral History Workshops gelegentlich nach Wien. Bernhard Handlbauer hat ihr mit dem vorliegenden Werk – welches unter einem vielleicht befremdlichen Buchtitel erschienen ist – ein würdiges Denkmal gesetzt.

Bernhard Handlbauer (Hg.): Else Pappenheim. Hölderlin, Feuchtersleben, Freud. Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse, der Psychiatrie und Neurologie (Bibliothek Sozialwissenschaftlicher Emigranten, Bd.VII), Graz-Wien 2004 (Verlag Nausner & Nausner), 608 Seiten, geb., 41,00 €.

Mehr zum Thema:
Von Wien nach New York: Zum Tode der Psychoanalytikerin Else Pappenheim (22.5.1911 – 11.1.2009)
Exil und Identität: Das Austrian Institute in New York

Foto: Else Pappenheim, Wien 2004 (aus: Brigitta Boveland (2006): Exil und Identität. Österreichisch-jüdische Emigranten in New York und ihre Suche nach der verlorenen Heimat. Gießen (Haland & Wirth im Psychosozial-Verlag), S. 189.)

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