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Eine Begegnung mit der Freudschen Psychoanalyse, die zum Lesen ermutigt

„Es regnet auch jetzt schon Glückwünsche und Blumenspenden, als sei die Rolle der Sexualität plötzlich von Sr. Majestät amtlich anerkannt, die Bedeutung des Traumes vom Ministerrat bestätigt und die Notwendigkeit einer psychoanalytischen Therapie der Hysterie mit 2/3 Majorität im Parlament durchgegangen.“ Dies schrieb der 46-jährige Sigmund Freud 1902 an seinen Freund Fließ anlässlich seiner Ernennung zum „außerordentlichen Professor“. Sigmund Freud hatte lange auf diese akademische Ernennung warten müssen – für einen Juden keine außergewöhnliche Erfahrung; es war im Österreich Anfang des 20. Jahrhunderts eher normal, dass Juden sehr viel länger als ihre christlichen Mitbewerber auf eine akademische Anerkennung warten mussten…

Von Roland Kaufhold

Freud hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Bücher verfasst, seine ersten psychoanalytischen Schriften waren erschienen, die keineswegs nur Begeisterung und Zustimmung ausgelöst hatten.

Die Gesammelten Werke Freuds, Grundlage jeder psychoanalytischen Ausbildung sowie eine Möglichkeit sich Freuds  Persönlichkeit anzunähern, da er viele biographische Aspekte in sein Werk eingearbeitet hat (besonders in die „Traumdeutung“), sind in ihrer Gesamtheit überwältigend. Die Versuchung ist nahe, mit der Lektüre erst gar nicht zu beginnen. Der Psychoanalytiker Bernd Nitzschke, der seit über 40 Jahren in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT über Psychoanalyse schreibt, hat nun einen leicht lesbaren, sprachlich glänzend formulierten Einführungsband zum Werk Freuds vorgelegt, der einen guten Einstieg in das komplexe Labyrinth der Freudschen Schriften ermöglicht – aber auch zu einer erneuten Lektüre Freuds anregt. Es werden immer wieder in passender Weise Auszüge aus Freud Schriften wiedergegeben, die Querverweise zu den in diesem Band selbst nicht enthaltenen Schriften sind prägnant und ermuntern so zu weiterem vertiefenden Lesen in Freuds Gesamtwerk. Das bewusst als einführendes Basiswerk konzipierte Buch ist auch für Laien geeignet. Eine solche Prägnanz, zudem aus einer undogmatischen Position heraus verfasst, ist innerhalb des Meeres der diesbezüglichen Bücher eine sehr erfreuliche Ausnahmeerscheinung.

Die ersten vierzig Seiten behandeln Freuds Leben: Seine Studienjahre, seine ersten analytischen Erfahrungen, „große Hoffnungen – und Enttäuschungen“, seine schrittweise Entdeckung und theoretische Weiterentwicklung der analytischen Theorie und Praxis, die in einer „Zeit des Umbruchs“ (S. 23) stattfindet. Im Kapitel „Das ‚wilde Heer’ formiert sich“ (S. 28-31) wird dann die Phase der Institutionalisierung der Psychoanalyse beschrieben: Freud scharte, mit Unterstützung Paul Federns, eine Gruppe Interessierter Laien und Ärzte um sich, die in einem gemeinsamen Gruppenprozess die psychoanalytische Theorie und zugleich ihre gesellschaftliche, ihre pädagogisch-soziale Verankerung voranzutreiben verstanden hatte, ein Prozess, der –  wie die Schriften Siegfried Bernfelds, Bruno Bettelheims, Rudolf Ekstein, Ernst Federns und Hans Keilsons (allesamt jüdische Exilanten), eindrucksvoll zeigen – später auch im sozialen Bereich zu einem beachtlichen Erfolg führen sollte. Die spätere Distanzierung einiger früher Anhänger Freuds konnte als Krisenerfahrung genutzt und verarbeitet werden. Insbesondere auf den  „Arier“ C. G. Jung hatte Freud anfangs große Hoffnung gesetzt: „im Klartext heißt das, Jungs ‚Auftreten’ sollte die Psychoanalyse ‚der Gefahr’ entziehen, als ‚eine jüdisch nationale Angelegenheit’ betrachtet zu werden und damit antisemitischen Vorurteilen zum Opfer zu fallen“ (S. 30).

Den Schwerpunkt des Buches bilden sechs Kapitel, in denen die Grundbegriffe und Basiskonzepte der Psychoanalyse Sigmund Freuds, die Methode der freien Assoziation, das Sexualitätskonzept, die Theorie der psychischen Erkrankung, das Behandlungskonzept sowie die Kulturtheorie in sehr verständlicher und dennoch stets vertiefender Weise dargeboten werden. Hierbei werden immer wieder längere aussagekräftige Passagen aus den Werken Freuds wiedergegeben; diese Passagen sind optisch hervorgehoben und erfüllen so die Anforderungen dieses nicht nur für Psychologiestudenten gedachten Einführungsbands, den jeder, der sich Freud erstmals (oder auch wieder) nähern will, mit großem Gewinn lesen wird.

Der Grundriss des Gedankengebäudes Freuds wird in allen Kapiteln erkennbar und verständlich; die Lektüre ist nie ermüdend, vielmehr immer belebend und anregend. Der Herausgeber und Kommentator dieser Auswahl Freudschen Texte vermag den Leser zu fesseln und zum Weiterdenken anzuregen. Und von welchen Fachbüchern lässt sich dies schon sagen…

Bernd Nitzschke (Hrsg.): Die Psychoanalyse Sigmund Freuds. Konzepte und Begriffe. Schlüsseltexte der Psychoanalyse, Wiesbaden 2010 (VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, 299 S. 29,95 Euro, Bestellen?

–> „Das Leben in der Kultur“
Bernd Nitzschke präsentiert in einer vorzüglich zusammengestellten und kommentierten Ausgabe die Psychoanalyse Sigmund Freuds

3 comments to Eine Begegnung mit der Freudschen Psychoanalyse, die zum Lesen ermutigt

  • Munir

    Vielen Dank für diese interessante Rezension beziehungsweise den wertvollen Hinweis. Ich bin immer wieder begeistert von der vielfältigen Berichterstattung. Kann man doch nur so erahnen, welchen gedanklichen Reichtum die Landschaften Mitteleuropas einmal hervorbrachten.

  • Mishehu

    Wurde Freud zum größten Teil nicht widerlegt? Als absoluter Laie bin ich an einem leicht verständlichen Einführungsband mit Bezug zum aktuellen, als sicher geltenden Wissensstand interessiert. Ich möchte sozusagen nicht zuerst Newton studieren, um Einstein zu verstehen.

  • Martina

    @Mishehu:
    Na, da kann ich Ihnen das Buch sehr empfehlen! Eine gut lesbare Einführung. Danach werden Sie vielleicht zu einzelnen Werken Freuds greifen.
    Zum Thema eine aktuelle Ergänzung: Das Thema „Psychoanalyse und Nationalsozialismus“ war innerhalb der Standeszunft 40 Jahre lang ein Tabu, Psychoanalytiker haben sich bei diesem – ihre eigene Geschichte betreffenden – Thema genauso verdrängend und verleugnend verhalten wie die deutsche und österreichische Gesellschaft, in der sie leben. Erst Mitte der 1980er Jahre erschienen die ersten diesbezüglichen Publikationen, zuerst in der Fachzeitschrift „Psyche“ (Lohmann, Dahmer, Lockot; oder etwas kritischer Brainin/Teicher, Juelich, Speier, die Mitscherlichs, Nitzschke, Parin, Kaufhold). Ihrer ermordeten jüdischen Kollegen etwa haben sich „die“ Psychoanalytiker erstmals Mitte der 1980er Jahre erinnert; auch die Auswirkungen des Exils ihrer jüdischen Kollegen waren bis zu diesem Zeitraum kein Thema. Dass die Geschichte des Erinnerns keineswegs ein fortlaufender Prozess ist scheinen neuere Beiträge in eben dieser „Psyche“ zu belegen, vgl. früher die Diskussion um den Ausschluss Wilhelm Reichs (Fallend/Nitzschke versus Schröter) sowie die aktuellen Beiträge von Schröter zum Thema, wie auch die erfreulich deutlichen Repliken von Brainin/Teicher sowie von D. Becker.
    Sehr anregend geraten ist hierzu die soeben erschienene fachkundige Rezension
    des Buches von Mitchell G. Ash (Hg.): „Psychoanalyse in totalitären und autoritären Regimen“, besprochen unter dem Titel „Hitlers reinigendes Feuer“ von Galina Hristeva bei „literaturkritik.de“.  
    Die Rezensentin schreibt: „Der Band legt viel Wert auf Breite sowie auf die vielseitige Beleuchtung unterschiedlicher Aspekte und ist international ausgerichtet. Erwartungsgemäß widmet sich ein Großteil der Aufsätze dem Schicksal der Psychoanalyse während des nationalsozialistischen Regimes. In diesem Rahmen bildet „das Ende der Psychoanalyse in Wien 1938“, wie Kapitel II des Buches heißt, einen besonderen Fokus.“
    Weiter unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14945&ausgabe=201012