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Deutschland und der Iran: Matthias Küntzel untersucht historische Kontinuitäten

Die Wahrnehmung der „Islamischen Republik Iran“ ist im deutschsprachigen Raum trotz des derzeitigen medialen Getöses weiterhin geprägt von einer Verharmlosung des antisemitischen Charakters des Regimes und Beschwichtigungen hinsichtlich der Bedrohung, die vom iranischen Atomprogramm für Israel, den Westen und die iranische Bevölkerung ausgeht…

Von Stephan Grigat

Der Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel führt in seiner kürzlich erschienenen Studie zahlreiche Beispiele für einen derart getrübten Blick auf die iranischen Machthaber an. Er setzt dagegen eine detaillierte Analyse der von antiwestlichem Antiliberalismus, Judenhass und Israelfeindschaft, pathologischer Misogynie und globalen Herrschaftsansprüchen geprägten Gedankenwelt und Praxis der khomenistischen Ajatollahs. Sowohl an seiner Darstellung der Anfänge des Islamismus in Iran in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als auch an der Analyse des apokalyptischen Mahdi-Glaubens der derzeitigen iranischen Führung wird man in zukünftigen Debatten nicht vorbei kommen.

Küntzel stellt sich die Frage, warum ein Nachfolgestaat des Nationalsozialismus wie die Bundesrepublik zu einem derartigen Regime die engsten Beziehungen unterhält und dafür auch regelmäßig Konflikte mit seinen westlichen Verbündeten riskiert. Warum war es Hans-Dietrich Genscher, der 1984 als erster NATO-Außenminister den neuen Machthabern in Teheran seine Aufwartung machte? (Der erste Außenminister eines westlichen Landes, wie Küntzel schreibt, war er strenggenommen nicht. Wenige Monate vorher war bereits Erwin Lanc, der damalige sozialdemokratische Außenminister Österreichs zu einer Visite in den Iran aufgebrochen und hatte so den Besuch seines deutschen Amtskollegen mit vorbereitet.) Warum liefern deutsche Unternehmen mit staatlichen Förderungen jährlich Waren im Wert von rund 4 Milliarden Euro in den Iran? (Ein Konzern wie Siemens, der angekündigt hat, ab Mitte 2010 keine neuen Aufträge mehr aus dem Iran annehmen zu wollen, wird nichtsdestotrotz auch dieses Jahr voraussichtlich wieder Waren im dreistelligen Millionenbereich in den Iran liefern, und immer mehr deutsche Lieferungen gehen nicht direkt ins Reich der Mullahs, sondern beispielsweise über die Vereinigten Arabischen Emirate.) Und warum ist Deutschland weiterhin einer der größten Bremser in der Debatte um schärfere Sanktionen gegen Teheran, obwohl mittlerweile auch der deutschen Politik klar sein dürfte, dass die Diktatur aus Mullahs und Revolutionsgarden mit Hochdruck an Nuklearwaffen arbeitet? (Bei der aktuellen Debatte um neue UN-Sanktionen betreibt Deutschland, derzeit im Gegensatz zu Frankreich, eine Verwässerung der angestrebten Beschlüsse und schließt gleichzeitig jede militärische Intervention gegen die iranischen Nuklearanlagen aus – auch für die Zukunft, wie Außenminister Westerwelle vergangenen Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ unmissverständlich klar gemacht hat.)

Küntzel verweist zu recht darauf, dass das heutige deutsche Sonderverhältnis zum Iran nicht allein aus den politischen und ökonomischen Interessen der Bundesrepublik verstanden werden kann und zieht die historisch gewachsene Freundschaft der beiden Länder als Erklärung heran – eine Freundschaft, deren Grundlage schon im 19. Jahrhundert gelegt wurde und sich mit einer frappierenden Kontinuität vom Kaiserreich und der Nazizeit über die Modernisierungsdiktatur des Schah bis in die Gegenwart der „Islamischen Republik“ hielt. Weder die islamische Revolution 1979 noch die von den Spitzen des iranischen Staates befohlenen Morde an iranischen Oppositionellen auf deutschem Territorium Anfang der 90er Jahre, die systematische Leugnung des Holocaust oder die Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel konnten dieser Freundschaft bisher etwas anhaben.

Als der mit Abstand wichtigste Handelspartner des iranischen Regimes im Westen hätte Deutschland die besten Karten in der Hand, um die Machthaber in Teheran massiv unter Druck zu setzen. Als Gründe, warum das bisher aber nicht passiert, führt Küntzel neben den gewachsenen historischen Beziehungen und den ökonomischen und geopolitischen Interessen auch eine Mischung aus Kulturrelativismus, antiwestlichem Ressentiment und Naivität an, die tatsächlich die gesellschaftlichen und außenpolitischen Debatten in Deutschland stark prägen.
Küntzels Buch ist nicht nur eine detaillierte Analyse, sondern zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer. Drastisch führt er die Gefahren vor Augen, die ein nuklear bewaffneter Iran für den Staat der Shoahüberlebenden und ihrer Nachkommen bedeuten würde. Er verdeutlicht, dass sich nicht nur Berliner Politiker, sondern auch die deutschen Unternehmen die Frage stellen müssen, wem im Iran sie in Zukunft die Hand reichen wollen: einer despotischen Theokratie, in der apokalyptische Djihadisten wie Ahmadinejad immer mehr Macht an sich reißen, oder „der nach Freiheit gierenden Bevölkerung“.

Fraglich bleibt, ob Küntzel recht hat, wenn er darauf insistiert, dass das vorpreschende Agieren des iranischen Regimes europäische Staaten wie Deutschland vor die Entscheidung stellt: „An der Seite des Westens gegen den Islamismus? Oder an der Seite des Islamismus gegen Israel und die USA?“ Diese Alternative löst Beklemmungen aus, denn aus Gründen, die sich bei Küntzel nachlesen lassen, ist trotz 60 Jahren militärischer Westbindung keineswegs ausgemacht, wie Deutschland sich in dieser Frage in der Zukunft positionieren wird. Möglich wäre allerdings auch, sich nicht zu entscheiden und die bisherige Politik des postnazistischen Deutschlands fortzusetzen, bei der beständig zwischen Westbindung und „deutschem Weg“ geschwankt wird.

Dementsprechend verwundert lässt einen der Schluss des Buches zurück. Küntzel postuliert, Deutschland solle „den moralischen Kompass, der Berlin abhandengekommen ist, wieder an seinen Platz stellen“, wo er doch gerade auf 300 Seiten die ebenso kontinuierliche wie skrupellose Iran-Politik vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik beschrieben hat. Einmal abgesehen davon, dass sich der Sinn derartiger Kategorien für die Kritik der deutschen Außenpolitik nicht erschließt, fragt man sich, wann der „moralische Kompass“ in Berlin denn „an seinem Platz“ gestanden haben soll.

Matthias Küntzel: Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft. Wolf Jobst Siedler Verlag: Berlin 2009, 320 Seiten, Euro 22,-, Bestellen?

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitherausgeber von „Der Iran – Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer“ (Studienverlag 2008).

1 comment to Deutschland und der Iran: Matthias Küntzel untersucht historische Kontinuitäten

  • Distelberg

    Hoch interessant fand ich den Bericht zum Forschungsstand.
    http://www.hagalil.com/archiv/2010/02/09/islamischer-antisemitismus/3/
    Hier steht, dass die Orientalistik in Deutschland während des NS-Regimes massive Anstrengungen unternahm um den Antisemitismus in der arabischen (islamischen) Welt zu verbreiten. Dieselben Größen waren dann nach dem Krieg tonangebend auch in der Bundesrepublik. Die Orientalistik in Deutschland hat also seit 1933 einen deutlichen Schlag nach rechts und zum Antisemitismus. Sowas muss man wissen, wenn man sich mit solchen Themen befasst.