Vom 01.Januar 1941 bis zum 05. Mai 1945 hat Eva Mändl-RoubiÄkova Tagebuch geführt, zunächst in Prag, wohin sie mit Mutter und Grossmutter 1938 vor der Pogromstimmung im nordböhmischen Saaz (Žatec) flieht, bis zu ihrem Abtransport nach Theresienstadt am 17. Dezember 1941, danach dort mit wenigen Unterbrechungen bis zur Auflösung des Ghettos 1945…
Von Katja Schickel
Zunächst gilt es, in Prag Unterkunft zu finden, das Allernötigste an Mobiliar, den neuen Alltag zu organisieren, denn mit dem Münchner Abkommen ist klar, dass sie sich auf einen Daueraufenthalt einrichten müssen. Sorge und Fürsorge um ihre Familie wie um Freunde und Bekannte werden immer wieder thematisiert, wie sich den fast täglich bedrohlich zunehmenden Verboten und Schikanen etwas wie Normalität entgegen setzen lässt.
Ausgrenzung aus dem öffentlichen Raum erschwert Unternehmungen und Ausflüge, manche Gegenden (Plätze, Parks, Badeanstalten, Kinos etc.) dürfen Juden nicht mehr aufsuchen, Lebensmittel werden rationiert, Einkäufe sind nur zwei Stunden am Nachmittag erlaubt, Telefone müssen abgegeben werden, Hausdurchsuchungen sind an der Tagesordnung. Umso wichtiger wird der familiäre und freundschaftliche Zusammenhalt, der auch später in Theresienstadt für den Überlebenswillen so wichtig werden wird.
Eva Mändl-RoubiÄkova sucht Arbeit als Modistin, wird von ihrer Chefin ausgenutzt und immer wieder gedemütigt. Das Tagebuch hilft ihr gegen aufkommende Verunsicherung. Verzweiflung wie Hoffnung kann sie hier offenbaren. Ihr Verlobter bekommt ein Affidavit. Ihre eigene Emigration nach England misslingt allerdings, da sie noch nicht volljährig ist. Die Grossmutter will niemand zur Last fallen und wählt den Freitod.
Ihre Aufzeichnungen in Gablenberger Kurzschrift sind kurze prägnante Notate, präzise Protokolle der Entwürdigung und Drangsalierung wie des Widerstands dagegen. Sie zeigen, welche Spuren diese Erfahrungen im Inneren hinterlassen und welche Strategien nötig sind, sich nicht zu verlieren, auf einer eigenständigen Wahrnehmung und Identität zu beharren. Ab 19. September 1941 muss der Judenstern getragen werden, junge Männer (unter ihnen z. B. auch der Künstler Peter Kien) werden als ‚Vortransporte‘ nach Theresienstadt geschickt, um Baracken zu bauen, aller Besitz muss katalogisiert, "arisiert", werden (H.G. Adler beschreibt diese Prozedur der Verzeichnisse ebenfalls in "Die Reise"), ab Oktober werden die ersten Prager Juden nach Polen deportiert, in einem der ersten Transporte nach Theresienstadt sind Eva Mändl-RoubiÄkova und ihre Mutter.
Auch in Theresienstadt geht es um die Herstellung eines Alltags, das Sich-Gewöhnen meint aber vor allem, sich aktiv zu kümmern, "sich mit den Umständen vertraut machen und diese für sich zu nutzen wissen", wie es in den Überlegungen der Herausgeber heisst. Die extremen Lebensumstände des zunehmend überbelegten Lagers sind katastrophal und entwürdigend, in den Wintermonaten darf nicht geheizt werden, die Menschen sterben hungers, viele erfrieren. Die Arbeitskommandos sind straff organisiert, ermöglichen aber auch die Beschaffung von Lebensmitteln. Willkür und Brutalität werden von RoubiÄkova in allen Facetten beschrieben, wie Macht und Kontrolle sich über Angst erzeugen lassen und über die ständigen Transporte nach Polen. Sie wird einmal sogar von der Liste der nächsten Deportation gestrichen, ein anderes Mal will sie sich eintragen lassen, um nicht von ihrer Familie und Freunden getrennt zu werden. Die notwendige Kürze ihrer Eintragungen in Kladden und auf Zetteln wird (im Nachhinein) zum Stilmittel: es schärft ihren Blick aufs Wesentliche.
Ergreifend, wie sie Menschen beschreibt, die sich in der sog. Schleuse sammeln, die Ankommenden wie die, die auf den nächsten Transport nach Polen warten müssen, wie Hoffnung und Verzweiflung die Luft erfüllen, wie sie sich selbst als Teil dieses Geschehens sieht, das sie beschreibt. Ab Oktober 1944 geht "unerbittlich ein Transport nach dem anderen nach Polen", darunter ihre Familie, die meisten ihrer Freunde und Bekannten. Sie fühlt sich vernichtet und apathisch und hört auf zu schreiben. Sie beteiligt sich weiterhin am Lebensmittelschmuggel, aber ihr Lebenswillen ist gebrochen. Ab April 1945 kommen Tausende "Überlebende aus allen möglichen Lagern, in entsetzlichem Zustand, fürchterlich anzuschauen…erzählen grauenhafte Sachen…Fast alle kommen aus Birkenau." Mit dem Eintrag "Schluss! Konec!" endet das Tagebuch.
Eva Mändl-RoubiÄkova erkrankt jedoch an Typhus, muss länger im Lager bleiben, kann sich nicht abfinden, überlebt zu haben. In Prag trifft sie wenig später ihren Verlobten wieder, sie heiraten und haben zwei Kinder. Vor allen die möchte sie schützen und nicht mit ihren Erlebnissen belasten. Von 1957 — 73 arbeitet sie als Sekretärin und bis 1981 in verschiedenen Gelegenheitsjobs. (Ihr Mann Richard RoubiÄek konnte als Emigrant von 1939 und ehemaliger Soldat der tschechoslowakischen Auslandsarmee im Westen seinen Rechtsanwaltsberuf nicht ausüben. Ihre Tochter emigriert nach dem Prager Frühling in die USA, wo sie Eva RoubiÄkova erst ab 1989 regelmässig besuchen kann).
In den 60er Jahren werden die Hefte zufällig entdeckt, ihr Mann übersetzt sie ins Tschechische, weitere 20 Jahre vergehen, bis amerikanische Historiker Interesse an ihrem Tagebuch zeigen und es 1998 unter dem Titel "We´re alive and life goes on" in den USA erscheint.
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Die Autorin: Eva Mändl-RoubiÄkova wird 1921 in Saaz in eine deutschsprachige jüdische Familie geboren. Mit der Machtergrefiung Hitlers ändert sich das Klima in der sudentendeutschen Stadt. Kurz vor dem Münchner Abkommen flieht die Familie nach Prag, das sie 1941 mit einem der ersten Transporte nach Theresienstadt verlassen müssen. Ihre gesamte Familie und die meisten Freundinnen und Freunde werden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Eva RoubiÄkova lebt heute, 88-jährig, in Prag.
Eva Mändl-RoubiÄkovas Tagebuch ist ein einmaliges Zeitdokument, weil es aus weiblicher Sicht den Alltag der Ausgrenzung und die vielfältigen Überlebensstrategien unmittelbar veranschaulicht, die auch in der extremen Situation des Lagerlebens, der ständigen Todesbedrohung wichtig waren bzw. noch an Bedeutung gewannen; weil es das Ghetto Theresienstadt über fast den gesamten Zeitraum seines Bestehens in dessen Strukturen und Mechanismen beschreibt und das kontinuierliche Bemühen um Freundschaft, Würde und eigene Identität.
Eva Mändl-RoubiÄkova:
Langsam gewöhnen wir uns an das Ghettoleben. Ein Tagebuch aus Theresienstadt
mit Vor- und Nachwort der Autorin, 240 Seiten
Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 2007
Euro 19,90
Leserbriefe