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Jürgen Fuchs: „Soldat der Wahrheit“

Grüne Ehrung des DDR-Bürgerrechtlers und Schriftstellers Jürgen Fuchs (19.12.1950 – 9. 5.1999), der den Alltag in der DDR unter Rückgriff auf die berühmten Tagebücher von Viktor Klemperer analysierte…

Von Martin Jander

Bücher über Jürgen Fuchs sind immer interessant. Der kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus geborene Bürgerrechtler und Schriftsteller zählte, neben Robert Havemann, Wolf Biermann und einigen anderen, zu den DDR-Intellektuellen, die die Diktatur sowjetischen Typs in deutschen Farben und ihre Regierenden mit Worten und Taten existenziell herausforderten.

Im Dialog mit der Wirklichkeit: Annäherungen zu Leben und Werk von Jürgen Fuchs (1950-1999)In dem von Ernest Kuzynski im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung herausgegebenen Sammelband beschreiben Freunde und Mitstreiter von Jürgen Fuchs den unermüdlichen politischen Aktivisten und Verfechter der Freiheit des Wortes, der sich nach seiner Vertreibung aus der DDR auch international  in der Literatur einen Platz erschrieb.

Havemann, Biermann, Fuchs und andere erinnerten in den 70er Jahren die DDR-Führung, an die von ihnen längst beiseitegelegten demokratischen und humanistischen Gehalte der linken Tradition. Erich Honecker und andere beschleunigten durch Ausbürgerung, Haft und Terror gegen dieses Triumvirat der DDR-Opposition in den 70er Jahren den Verlust des letzten Restes ihrer antinazistisch-humanistischen Glaubwürdigkeit.

Jürgen Fuchs besaß als ausgebildeter Psychologe die Fähigkeit, den Alltag des Terrors in der Diktatur sowjetischen Typs, den er selbst durchlebte, so präzise zu beschreiben, dass er den DDR-Oberen zur Zeit ihrer Herrschaft und ihren Schönrednern bis heute mächtig auf die Nerven ging und geht.

In einem Gedicht schrieb Fuchs schon 1974 selbstbewusst: „Scheinwerfer / Die mich anfallen / Bis sie vorüber sind / Und mich blaß sehen / Und geblendet / Verstehe ich gut / in ihrer Wut: / Denn ich leuchte / Zwar matt / Aber sie durchleuchten mich nicht / Und ich nehme ihnen die Sicht / Ein wenig: / Nicht unsichtbar / Nicht zu übersehen / Mit mir müssen sie rechnen.“

Mit seinen Büchern „Gedächtnisprotokolle“ (1977)[1], „Vernehmungsprotokolle (1978)[2], „Fassonschnitt“ (1984)[3], „Das Ende einer Feigheit“ (1984)[4] „Unter Nutzung der Angst“ (1994)[5] und „Magdalena“ (1998)[6] kann Fuchs als einer der wichtigsten Autoren und gleichzeitig Aktivisten der im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern in den 70er Jahren relativ kleinen Opposition der DDR gelten. Er beteiligte sich an deren Aktivitäten direkt und mittelbar auch dann noch als er bereits in den Westen ausgebürgert worden war.

Kein anderer Autor neben ihm hat den eingemauerten und sehr deutschen Kasernenhof DDR sowie seine Wachmannschaften und Politinstrukteure so drastisch portraitiert und bloßgelegt wie er. Es ist darüber hinaus seinen Forschungen zu verdanken, dass der Missbrauch der Psychologie durch das Ministerium für Staatssicherheit zum öffentlich verhandelten Thema wurde. Zeit seines schreibenden Lebens hat Fuchs sich außerdem gemüht, jeder Form der, wie er es nannte, „Sklavensprache“ zu entsagen.

Die in dem Sammelband publizierten Beiträge, u. a. von Hans Joachim Schädlich, dem langjährigen Vorsitzenden des Verbandes der Schriftsteller in Berlin Hannes Schwenger, der renommierten Professorin für Sprachkunst Esther Dischereit aus Berlin/Wien, der Nobelpreisträgerin für Literatur Herta Müller, dem ungarischen Historiker und Schriftsteller György Dalos und vielen anderen demonstrieren die große Achtung, die sich der 1999 gestorbene Fuchs international mit seinen Büchern und politischen Interventionen erworben hat.

Leider gelingt dem Herausgeber des Sammelbandes, Ernest Kuzynski, Dozent für Deutschlandstudien an der Universität Lodz, aber nicht, was er so gerne mit seiner Publikation befördern würde. Er will, wie er in seinem lesenswerten Beitrag des Sammelbandes schreibt, dass der „ganze Mensch und Schriftsteller“ Jürgen Fuchs neu entdeckt wird.

Die versammelten Beiträge ordnen Fuchs aber leider nicht in den breiteren Kontext der so genannten „Renegatenliteratur“ ein und versuchen auch nicht Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zu ihren großen Werken, wie zum Beispiel von Arthur Koestler,  herauszuarbeiten. Fuchs gehört eindeutig in diesen Zusammenhang. Er sah sich bis zum Ende seines Lebens als demokratischer und humanistischer Linker im Konflikt mit autoritären Traditionen des Sozialismus. Einer seiner wichtigsten politischen Freunde wurde in seinen späteren Jahren der Autor eines Standardwerks der so genannten Renegatenliteratur: Manes Sperber, der Verfasser des Buches „Wie eine Träne im Ozean“.

Leider lassen sich die Beiträger auch nicht darauf ein, dem Einfluss des wohl wichtigsten Autors nachzugehen, der Fuchs zu seinen Arbeiten inspiriert hat. Fuchs begann im Alter von 17 Jahren über den Alltag der DDR zu schreiben, nachdem er das in der DDR erhältliche Buch „LTI“ über den Alltag und die Sprache im Nationalsozialismus des Philologen Victor Klemperer gelesen hatte. In welcher Weise Fuchs Klemperers mehr philologische Analyse auf die DDR übersetzte, bleibt leider in diesem Sammelband unbesprochen.

Die Beiträger vermeiden leider auch jeden Hinweis auf die deutlichen Differenzen, die Fuchs mit seinen Mitstreitern Havemann und Biermann hatte. Während Havemann vor seinem Tod noch das Programm einer ökologisch sozialistische Utopie verfasste („Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg“ 1980), war Fuchs deutlich skeptischer. Fuchs sah seine Aufgabe vor allem im Protest gegen jegliche Inhumanität und suchte nach einer philosophisch ethischen Bewahrung der humanistischen Ideale, die einst auch von einigen Sozialisten als verpflichtend angesehen worden waren.

Die Autoren weichen außerdem auch der Frage aus, welche politischen Perspektiven Havemann, Biermann und Fuchs in Opposition zur SED geltend machten. Wolf Biermann hat hierzu bereits in einem Artikel des Spiegels deutlich selbstkritische Anmerkungen formuliert. Man habe, so Biermann, gemeinsam einen „Nationalpazifismus“ vertreten, sei in Äquidistanz zum Westen und der Sowjetunion verharrt.

Fuchs führte außerdem heftigen Streit mit grünen und linken Politikern in der Bundesrepublik Deutschland. Mit seiner radikalen Kritik am Sozialismus und an den Diktaturen sowjetischen Typs sahen sie ihn als nützlichen Idioten der nationalistischen und konservativen Rechten in der Bundesrepublik. Das wurde Fuchs nie. Das unterscheidet ihn auch heute noch von seinen rechtskonservativen Verehren, die sein Ansehen für eine simplifizierende Gleichsetzung rechter und linker Politik zu vereinnahmen suchen.

Mein Urteil über den vorliegenden Band fällt daher gemischt aus. Bücher über Jürgen Fuchs sind immer interessant. Der Autor und Bürgerrechtler gehört zu den wenigen interessanten Intellektuellen aus der kleinen DDR-Opposition der 70er Jahre. Er formulierte eine ganz unverwechselbare unabhängige Kritik am „linken“ Kasernenhof DDR und seinen Schönrednern. Der von Ernest Kuczynski vorgelegte Sammelband trägt viele interessante Perspektiven auf Fuchs zusammen. Wichtige Fragen werden in dem Buch jedoch nicht berührt, sie werden gar nicht gestellt.

Die Herausgeber hatten offenbar Angst vor Streit. Solche Furcht hatte Jürgen Fuchs nie. Seine autofiktiven Romane, seine politischen Essays und besonders seine Gedichte sind vor allem eines: direkt, drastisch und unverschnörkelt. Einen „Soldaten der Wahrheit“ nannte ihn daher einer seiner Freunde, der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, am Grab.

Ernest Kuczynski (Hg.), Im Dialog mit der Wirklichkeit – Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs, Halle 2014, Mitteldeutscher Verlag, 512 S., 19, 95 €uro, ISBN 978-3-95462-254-2, Bestellen? 

[1] http://www.amazon.de/Ged%C3%A4chtnisprotokolle-Mit-Liedern-Gerulf-Pannach/dp/3499141221/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1420199091&sr=1-1&keywords=j%C3%BCrgen+fuchs+ged%C3%A4chtnisprotokolle

[2]http://www.amazon.de/gp/product/3897736071/ref=s9_simh_bw_p14_d0_i2?pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-2&pf_rd_r=1EZ7HRXR4NGBP2FRBFEN&pf_rd_t=101&pf_rd_p=527392327&pf_rd_i=186606

[3] http://www.amazon.de/Fassonschnitt-J%C3%BCrgen-Fuchs/dp/3498020439/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1420199267&sr=1-1&keywords=j%C3%BCrgen+fuchs+fassonschnitt

[4] http://www.amazon.de/Das-Ende-einer-Feigheit-Einf%C3%BChrung/dp/3899030893/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1420199339&sr=1-1&keywords=j%C3%BCrgen+fuchs+ende+einer+Feigheit

[5] http://www.gvoon.de/publikation/dokument/unter-unter-nutzung-der-angst-77.html

[6] http://www.amazon.de/Magdalena-Memfisblues-Stasi-Firma-Horch/dp/3499226189/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1420199683&sr=1-1&keywords=j%C3%BCrgen+fuchs+magdalena

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