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Medizin: Naturheilkunde und Judentum

Nach der theoretischen und methodologischen Trennung von Schulmedizin und Naturheilkunde haben sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch wieder akademisch gebildete Ärzte der alternativen und Naturheilverfahren angenommen und waren nun um deren wissenschaftliche Begründung bemüht. Nachweislich haben sich auch Ärzte jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens auf diesem Gebiet engagiert…

Das Buch „Naturheilkunde und Judentum“ (aus der Reihe „Medizin und Judentum“), herausgegeben von Caris-Petra Heidel, befasst sich mit der Frage, welche Rolle dabei aus dem Judentum kommende Ansprüche und Absichten gespielt haben. Es analysiert, inwieweit gerade jüdische Ärzte und Heilkundige Anhänger oder Protagonisten einer modernen Naturheilkunde und Naturheilbewegung waren. Schließlich werden die hieraus resultierenden praktischen Konsequenzen aufgezeigt, etwa für sozial- und standespolitische Forderungen oder die Gründung von Institutionen und Vereinen.

Grußwort und Einführung in das Tagungsthema

Jan Schulze

Das Neunte Kolloquium der Reihe «Medizin und Judentum“ steht unter der interessanten Überschrift „Naturheilkunde und Judentum“, und es findet in der Sachsischen Landeshauptstadt Dresden statt. Dieses „Heilkundige Dresden“ ist eine Wiege der naturheilkundlichen Medizin und war als solche durch die berühmten Sanatorien von Lahmann. Möller und Bilz europaweit bekannt geworden.

Bevor ich mich dem Thema Naturheilkunde näher widme, gestatten Sie mir als Arzt. Präsident der Sächsischen Landesärztekammer und Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer einige Worte zum Umgang mit der Aufarbeitung der Geschichte der Ärzte im Nationalsozialismus. Im Rahmen des 110. Deutschen Ärztetages wurde der „Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ verliehen. Ziel der Ausschreibung war, historische Untersuchungen auszuzeichnen, die sich vorbildlich mit dem Handeln der Ärzte in der NS־Zeit auseinandersetzen. So haben das Bundesgesundheitsministerium, die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvercinigung die mit insgesamt 10.000 Euro dotierte Auszeichnung 2006 ausgeschrieben.
Der Preis ging an Dr. phil. Ralf Forsbach. Siegburg, der die Jury mir seiner Arbeit „Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im Dritten Reich“ in der Kategorie Institutionengeschichte uberzeugte.
Dr. phil. Winfried Suis. München, erhielt in der Kategorie Innovation/Originalität mit der Arbeit „Der ‚Volkskörper‘ im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheits Verhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939-1945″ ebenfalls den Hauptpreis.
Dr. med. Lorenz Peter Johannsen aus Düren war dritter Preisfrager des Hauptpreises, er erhielt seine Auszeichnung für die Publikation „Kinderarzt Karl Leven. Lebensspuren-Todesspur“ in der Sparte Einzelschicksale.
Die Aufarbeitung dieser unseligen Vergangenheit begann schon im vorigen Jahrhundert und ist wohl noch lange nicht abgeschlossen!

Beschäftigt man sich mit dem Leben jüdischer Arzte in Sachsen, dann stößt man auch auf das Buch von Andrea Lorz „Die Erinnerung soll zum Guten gereichen. Aus dem Leben und zu den Leistungen Leipziger jüdischer Arzte“.
Anfang der 30er Jahre arbeiteten 82 Ärzte und 47 Zahnärzte jüdischer Herkunft in Leipzig, was circa elf Prozent der leipziger Ärzteschaft ausmachte. Zu den heute noch bekannten Ärzten, die zwar in Leipzig geboren wurden, aber ihre Karriere andernorts machten, zahlt der Röntgenologe Dr. Gustav Bucky. Nach ihm ist die Bucky-Blende – ein Streustrahlenraster, das unerwünschte Nebenstrahlung herausfiltert und damit die Schärfe eines Röntgenbildes erhöht – benannt. Ihm gelang 1936 die Auswanderung von Berlin nach New York, wo er 1963 starb. Weiterhin erwähnen möchte ich den Physiologen und Nobelpreisträger Sir Bernhard Katz (1970 Nobelpreis der Medizin, Quantisierung der synaptischen Informationsübertragung), der 1935 nach England emigrieren musste. 1990 wurde ihm die Ehrendoktorwurde von der Medizinischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig verliehen.
Damit komme ich jetzt von der wissenschaftlich begründeten Schulmedizin zur Komplementarmedizin.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Naturheilkunde stößt man immer wieder auf Begriffe wie ganzheitliche Medizin, gehen doch die Anwender der Naturheilkunde von einem so genannten ganzheitlichen Menschenbild oder Menschenverständnis aus. Befragungen haben ergeben, dass für viele Menschen die ärztliche Behandlung zu stark auf die Schulmedizin ausgerichtet ist. So sind 45 Prozent der Deutschen überzeugt, dass die Arzte die Möglichkeiten alternativer Heilverfahren zu wenig nutzen. Gewünscht ist eine schonende Behandlung mit weniger Nebenwirkungen. Über 80 Prozent der Befragten reagierten auf den Begriff der Naturheilkunde mit spontaner Sympathie, Antibiotika finden hingegen nur knapp 50 Prozent sympathisch. Die Untersuchung ist aber kein Urteil gegen die Schulmedizin, 81 Prozent der Bevölkerung glauben, dass sich die Ansätze ergänzen können.
Innerhalb der Ärzteschaft ist eine Auseinandersetzung zu dem Thema Schulmedizin und Komplementärmedizin entbrannt. Die Forderung nach einer wissenschaftlich begründeten Medizin bedeutet auch, dass sich die Naturheilkunde der Nutzendokumentation und Wirksamkeitsbeurteilung stellen muss.

Für eine Annäherung zwischen den Vertretern von Schulmedizin und komplementären Verfahren kann es hilfreich sein, wenn die Diskussion auf der Grundlage praktischer Fallbeispiele erfolgt, also auf den Patienten ausgerichtet ist und nicht auf einer theoretisch-ideologischen Ebene stattfindet, eine Besonderheit stellt die Schmerztherapie dar; so haben viele Schmerzpatienten eine lange Behandlungsgeschichte hinter sich, und die Therapie ist sehr komplex. Dazu zählen neben der klassischen Schulmedizin physio- und psychotherapeutische Verfahren, aber auch die sogenannte Komplementärmedizin.

Ich danke den Organisatoren der Tagung, im Rahmen der Kolloquium-Reihe „Medizin und Judentum“ gerade diese aktuelle Thematik Naturheilkunde gewählt zu haben und wünsche der Tagung einen spannenden Verlauf sowie eine interessante und konstruktive Diskussion.

Andrea Lorz: Die Erinnerung soll zum Guten gereichen – Aus dem Leben und zu den Leistungen Leipziger jüdischer Ärzte Leipzig 2005.
Urheberrechtlich geschütztes Material

[Naturheilkunde und Judentum]

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