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Brundibar — Der Weg durchs Feuer

Brundibar ist die Oper der Kinder von Theresienstadt, jenes Spiel, das vor dem Hintergrund des Holocaust zum Symbol von Hoffnung und Widerstand wurde. Die vorliegende Geschichte erzählt darüber hinaus, wie das Werk von Hans Krasa und Adolf Hoffmeister im Winter 1938/39 in Prag entstand und wie in der Zeit vor der Besetzung der Tschechoslowakei deutsche, tschechische und jüdische Kultur einvernehmlich nebeneinander existierten…

Die 1923 geborene Ordensschwester und Musikpädagogin Maria Veronika Grüters entdeckte viele Jahre nach dem Völkermord die vergessen geglaubte Kinderoper und setzte sich mit aller Kraft dafür ein, dass das Werk mit ihrem Schülerensemble in deutscher Sprache auf die Bühne kommt. Mit ihrer Inszenierung reiste sie bis nach Israel.

Weil die Familie Grüters während der NS-Zeit fortwährenden Repressalien ausgesetzt war, ferne Verwandte in Theresienstadt bzw. Auschwitz umkamen, entwickelte die Schwester eine sehr besondere Motivation, an die Kinder des Ghettos und an den Komponisten H. Krasa zu erinnern. Ihr Engagement um Brundibar wird zu einem besonderen Impuls für die Beschäftigung mit dem Thema "Musik im Widerstand".

brundibarBrundibars Weg durchs Feuer beleuchtet ein besonders widerspruchsvolles Kapitel der Musikgeschichte des 20. Jahrhundertes. In der Rückschau auf die Grütersche Familiengeschichte begegnet der Leser auch Musikern wie Johannes Brahms, Clara Schumann oder Max Reger.

Der Autor Dr. Thomas Freitag begegnet in den 90er Jahren der Benediktinerin Maria Veronika Grüters und erfährt in langen Jahren freundschaftlichen Kennenlernens nicht nur vom Engagement der Ordensschwester um die Kinderoper. Da die Grütersche Familie Verfolgung und Ausgrenzung während der NS-Zeit ausgesetzt war, sind Parallelen in Sr. Maria Veronikas Leben und dem Kontext von Brundibar augenfällig. Erzählt wird eine Geschichte voll von Mut und stillem Widerstand. Der Autor hat mehrere Bücher zum Thema "Kind und Musik" veröffentlicht.

Thomas Freitag: BRUNDIBÁR — Der Weg durchs Feuer
REGIA Verlag Cottbus 2009, 212 Seiten, Euro 12, Bestellen?

 

LESEPROBE
Thomas Freitag — Brundibar. Der Weg durchs Feuer (REGIA Verlag, Cottbus 2009; ISBN: 978-3-86929-013-3)

"Das ist wieder einer ihrer verrückten Pläne", heisst es im Lehrerkollegium, als die Ordensschwester Maria Veronika Grüters ankündigt, mit der Oper auf Reisen zu gehen. "Es liegt die Einladung nach Israel vor", erklärt sie. Dann ist es irgendwann doch so weit.

Tage- und nächtelang hatte die Schwester an der Rekonstruktion des Werkes von Hans Krasa gesessen, sich keine Pause gegönnt. Bis zuletzt hatte sie gehofft, eine richtige Partitur für die Einstudierung zu bekommen. Vergeblich. An ein tschechisches und ein hebräisches Libretto kommt sie heran, daraus reimt sie die deutsche Fassung. Ein Klavierauszug trifft ein, keine Orchesterstimmen. Die Zeit drängt, alle wollen die Oper unbedingt aufführen. Ihr hilft eine alte Brundibar-Filmeinspielung. Als versierte Musikerin hört sie die Stimmen ab, verpflichtet sich selbst, die Musik so authentisch wie nur möglich zu rekonstruieren. Endlich ist die Partitur, die eigene Partitur fertig: 135 Seiten, 25 Stimmen für Soli, Chor, Orchester. Dann wird in atemberaubenden Tempo geprobt, Kostüme genäht, Kulissen gebaut. Beinahe wäre ihr kurz vor der Premiere die Aufführung an ihrer Schule verboten worden. Alles fügt sich in letzter Minute. Der Erfolg ist einzigartig. Ihr wird bescheinigt, dass ihre Instrumentation der ursprünglich gespielten Fassung im Ghetto sehr ähnlich sei. Was für ein Erfolg!

Nun aber nach Israel? Lange streiten sie, ob das Bühnenbild farbenfroh, bunt oder eher grau und verhalten sein soll. So viel Farbe für die Kulisse? Wie hatte die Dekoration vor 40 Jahren ausgesehen? Einige, die damals als Kinder in Theresienstadt Brundibar spielten, sitzen jetzt als Erwachsene, als Überlebende im Publikum. Wie werden sie reagieren, wenn nun Mädchen aus Deutschland ihre Oper zeigen? Deutsche Schülerinnen spielen vor Überlebenden in Israel. Es sieht so aus, als würde es ein Spiel mit dem Feuer.

Die Schülerinnen, die Musiklehrerin Maria Veronika, alle Mitreisenden – sie wissen, dass mit dem Sängerkrieg in der Kinderoper im Ghetto so viele Hoffnungen verbunden waren. Im Spiel konnten die Kinder damals für ein paar Stunden dem freudlosen Alltag mit so grosser Not, Gefahr und Tod entrinnen. Im Spiel konnten sie Fantasien entwickeln, zu sich finden, sogar über sich hinaus wachsen. Sie kennen die Geschichte der Oper genau, wissen vom Völkermord an den Juden. Fünfundfünfzig Mal wurde Brundibar im Ghetto aufgeführt, in tschechischer Sprache. Immer neue Spieler kamen zum Ensemble dazu, viele mussten fort, sie haben sie niemals wieder gesehen. Daran wollten die Schülerinnen erinnern, und an den Komponisten Hans Krasa. Es war dies die allererste deutsche Aufführung. Alles musste am nächsten Tag wiederholt werden.
Nun sind sie in Israel, im Nahen Osten. Maitage sind hier so warm, wie bei uns zu Hause der Sommer warm ist. Eine Woche lang reisen Chor und Orchester und Begleitpersonen vom Freiburger Mädchengymnasium durch das Land. Fast 100 Kinder und Erwachsene sind auf Tour. Sie wohnen im Kibbuz Givat Haim Ihud, sie besuchen Tel Aviv und Jerusalem, sie machen Ausflüge ins Karmelgebirge, ans Tote Meer, nach Bethlehem. Vor allem aber zeigen die Mädchen ihre Märchenoper viermal auf der Bühne. Zweimal waren sie schon im Fernsehen zu sehen, einmal im Vatikansender. Es gab eine Pressekonferenz.
Sie führen alles mit farbigen, bunten Kulissen auf, weil damit die Freude und Lebenshoffung der spielenden Kinder von Theresienstadt am besten zum Ausdruck kommt. Die deutschen Mädchen haben sich mit den israelischen Kindern angefreundet. Die einen singen ihr "Dona nobis pacem", die anderen das "Schalomlied", im Handumdrehen stimmen sie gemeinsam in ihre Lieder ein.

Grosses Gedränge herrscht im festlich erleuchteten Saal in Jerusalem. Es sind mehr Menschen gekommen, als man erwartet hatte. Sie wollen Brundibar, die Oper Brundibar von einst, sehen. Zweimal wird gespielt an diesem Tag und noch immer reichen die Plätze nicht aus. Ruth Elias hatten sie schon am Ankunftstag in Tel Aviv kennengelernt, sie betritt als Gast die Bühne und singt mit prägnanter Stimme die Theresienstadt-Hymne. Sie begleitet sich auf dem Akkordeon: "Wenn man will, dann gelingt`s, / Hand in Hand und fest vereint. / Auf den Ghetto-Trümmern lachen werden wir." Ruth Elias kam als junge Frau ins Ghetto, wurde später nach Auschwitz verschleppt, überlebt und konnte befreit werden. Mit Brundibar verbindet sie viele Erlebnisse.

Die Zuschauer sitzen bis an das Orchester heran. Schwester Grüters dirigiert ihre jungen Musikerinnen entschlossen und temperamentvoll. Kaum ist der letzte Ton verklungen, gibt es Applaus. Es gibt Applaus, der kaum aufhören will. Mehrere Male verbeugen sie sich, die Dirigentin, die Hauptfiguren Ann und Sepp, der Spatz, die Katze, der Hund. Noch einmal spielen sie das Wiegenlied der Kinder als Zugabe. Wieder Beifall.
Jetzt kommt eine Frau ganz dicht an den Bühnenrand. Sie wendet sich der Ann-Spielerin zu, schüttelt ihr die Hand und beglückwünscht sie. Als es nach und nach stiller wird im Saal, geht die Frau mit den grossen, ausdrucksstarken Augen auf die Dirigentin zu.
„Ihr habt wunderbar gespielt", sagt sie. "Ganz beeindruckend war das. Mir hat euer Brundibar gut gefallen.“
Andere kommen dazu. Es ist sehr still geworden. Sie blicken auf die Frau aus dem Publikum. Sie hält einen Moment inne. Dann erzählt sie, wie sie vor über 40 Jahren in Brundibar in Theresienstadt die Aninka, die in der deutschen Aufführung Ann heisst, gespielt hat.
"So war das in Terezín", sagt sie. "Und heute habt ihr diese Oper, unsere Oper von damals neu gespielt. In deutscher Sprache. Das ist grossartig. Vielen Dank dafür.“

Jetzt wissen die Freiburgerinnen, dass sich ihre Arbeit gelohnt hat. Noch immer ist es mucksmäuschenstill. Die Frau, die zu ihnen gesprochen hatte, heisst Greta Klingsberg, damals Greta Hofmeister. Eben das Mädchen Aninka im Spiel in Theresienstadt. 40 Jahre liegt das zurück. Noch einmal wendet sich Frau Klingsberg an alle: „Es ist für mich kaum fassbar, dass ich meine einstige Rolle nach so langer Zeit wiedererleben kann. Habt nochmals Dank und kommt irgendwann wieder hierher.“

Am nächsten Tag veröffentlicht die "Jerusalem Post" einen Bericht über das bewegende Spiel der Kinder aus Deutschland. Die Aufführung wird als Zeichen der Völkerverbundenheit und des guten Willens gewürdigt. Darüber freuen sich die Akteure ganz besonders. Brundibar ist wiederentdeckt. In der Zeitung sind nebeneinander zwei Fotos. Das eine zeigt Greta Klingsberg, das zweite Foto die junge Ann-Darstellerin aus Freiburg.

–>> Regia Verlag

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