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Die jüdische Geschichte, gut erzählt

Mit seiner „Kleinen jüdischen Geschichte“ hat Michael Brenner einen Kreis geschlossen. 2002 veröffentlichte er einen Sammelband, in dem Forscher aus aller Welt die Eigenart jüdischer Geschichte diskutierten. Im Jahr darauf publizierte Brenner mit jungen Kollegen eine Sammlung von Texten bedeutender jüdischer Historiker. Unter dem Titel „Propheten des Vergangenen“ erschien 2006 schliesslich eine erste Gesamtdarstellung jener jüdischen Historiker, deren Arbeiten dem Judentum gewidmet waren…

Von Thomas Meyer, Die Welt v. 30. Mai 2009

brennerBrenner, der in München jüdische Geschichte und Kultur lehrt, hatte seine eigenen Forschungen bislang ganz auf die Moderne konzentriert, wobei ihn die Zeit nach 1945 besonders zu interessieren schien. Ein Rückgang bis zu Adam und Eva, dort wo sich Geschichte und Mythos, Religion und Legenden auf komplizierte Weise vermischen, war von ihm eigentlich nicht zu erwarten.

Doch Brenner hat die Aufgabe souverän gelöst. Der Grund dafür dürften zwei kluge Entscheidungen sein: die „Kleine Geschichte“ ist frei von jeder ideologischen Zuspitzung. Geschichte wird hier nicht als Bekenntnis präsentiert, sondern mit einem Selbstbewusstsein, das sich durch klare und stets begründete Urteile auszeichnet. Etwa wenn Brenner davon spricht, dass sich das Judentum in seinem Verhältnis zu Christentum und Islam in „einer dauernden Spannung zwischen grundsätzlicher Tolerierung und gleichzeitiger Erniedrigung“ befand, dann ist dieser Satz das Ergebnis einer Sichtung der historisch furchtbaren, aber auch zeitweise fruchtbaren Parallelexistenz der drei Monotheismen.

Ein anderer Vorzug muss hervorgehoben werden, gerade weil er in Deutschland noch immer unter einem Generalverdacht steht: Brenner ist ein guter Erzähler. Wie bei allen guten Erzählern vergisst man allzu leicht, wie viel Arbeit in der Zusammenziehung von Details steckt, die nicht nur korrekt nebeneinander stehen stehen, sondern ein Bild ergeben sollen. Auch hier mag ein Beispiel genügen, um einen Einblick in die „Werkstatt“ Brenners zu erhalten: Einige Seiten widmet er den Makkabäerbüchern, die nicht zur hebräischen Bibel gehören. Ihr Wert als historische Quelle ist seit langem erkannt. Was aber Brenner in seiner konzisen Darstellung nutzt, ist die neue Edition des zweiten Makkabäerbuches von Daniel R. Schwartz, die im vergangenen Jahr erschienen ist und die die Forschung dazu auf eine neue Grundlage stellt. Der Leser kann selbst die Probe machen: Fast immer wird er die „Kleine jüdische Geschichte“ auf der Höhe der Forschung finden, ohne mit Fussnoten gelangweilt zu werden.

Zu dem Selbstbewusstsein und der Einarbeitung neuer Erkenntnisse tritt allerdings etwas hinzu, was den Reiz des Buches noch erhöht. Brenner hat all den Ereignissen, Gestalten, Festen, den einzigartigen Höhepunkten der Geschichte und dem nicht minder einzigartigen Versuch der Vernichtung der europäischen Juden einen Rahmen gegeben: „Am Anfang war die Wanderschaft.“ Mit diesem Satz beginnt Brenner die Reise durch die Jahrtausende. Mit der „Wanderschaft“ wird kein historisch ambivalenter Topos aufgerufen, vielmehr eine Beobachtung ordnend eingesetzt. Dass sie sich auf unzählige Fakten stützen kann, ist jedem Leser der Bibel und selbst dem nur groben Kenner der nachbiblischen jüdischen Geschichte unmittelbar einleuchtend. Doch die „Wanderschaft“ zeigt nur etwas an, was mal mehr, mal weniger entscheidend ist, und doch letztlich seine Singularität ausmacht: Judentum ist in sich dynamisch und von Aussen zur Dynamik angetrieben. Die realen, religiösen und geistigen „Wanderschaften“ sind in ihrer komplizierten Verschränkung die Achsen, an denen entlang Brenner die Geschichte erzählt.

Das schliesst Widersprüche ein, denn, wie die „Kleine jüdische Geschichte“ immer wieder belegt, die historischen Abläufe, die religiösen Entwicklungen und die zumeist säkulare intellektuelle Kultur sind durch Brüche voneinander geschieden und keineswegs blosse Faktoren, deren Zusammenspiel schon die Geschichte an sich ausmachen. Die auch in diesem Falle vielbeschworene Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen verbietet zudem von vornherein jede naive Treue zur Chronologie. Brenner trägt dieser Tatsache Rechnung, wenn er die Ausdrucks- und Prägekraft historischer Ereignisse in den Sphären Religion und Kultur nachzeichnet, die ihrerseits entscheidend für die jüdische Geschichte geworden sind.

Die „Kleine jüdische Geschichte“ ist die Geschichte des lebendigen Judentums, nicht nur deshalb widmet Brenner das längste Kapitel der Zeit nach der Shoah. Es ist die Zeit der Erinnerung an die Katastrophe, der Gründung des Staates Israels, einer ungeheuren Ausdifferenzierung des Judentums. Der unternommene Versuch, die Vielfalt in der Einheit darzustellen ist nicht nur aller Ehren wert, sondern hat zu einem eindrücklichen Ergebnis geführt. Die „Kleine jüdische Geschichte“ ist die jüdische Geschichte unserer Zeit.

Michael Brenner: Kleine jüdische Geschichte. C.H. Beck, München. 384 S., 24,90 Euro.

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