Moshe Zimmermann:
Goliaths Falle.
Israelis und Palästinenser im Würgegriff
Aufbau Tb Verlag 2004
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Goliaths Falle
Die neue Auflage des
Antisemiten-katechismus
Das Erbe von Oslo |
Massada-Zionismus
Moshe Zimmermann
30. Juni 1998 (Maariv)
Die Klemme, in der sich der Laizismus in Israel
befindet, kommt am deutlichsten in der Debatte um den Militärdienst zum
Ausdruck: Der Militärdienst ist zum allerletzten Fluchtort für die Kräfte
geworden, die sich weigern, ihren Anspruch, Grundpfeiler des Zionismus und
des Staates Israel zu sein, aufzugeben.
Nur ist die Formel: "Wer Militärdienst leistet, ist der
wahre Israeli", mit der man auf die Ultraorthodoxen Druck ausüben will, in
der Tat eine bloße Massada-Formel der nichtreligiösen Kräfte in Israel, d.
h. ein Rezept für den kollektiven Suizid dieser Kräfte im Kampf um den
Charakter der israelischen Gesellschaft.(1)
Erstens ist die Identifizierung der säkularen Gesellschaft
mit Militär und militärischem Verhalten schon aus moralischen und
kulturellen Gründen dubios, nicht weniger dubios als die in den Augen der
Religiösen und Ultraorthodoxen existierende Nähe zwischen Laizismus und
Disko-Kultur oder Hasch-Rauchen. Militärdienst und das Militär selbst galten
ja vornehmlich in der alten preußischen Tradition als Wert. Die Behauptung,
daß das Militär an und für sich ein Wert ist, resultiert aus dem Glauben an
einen Zustand oder eher einen Mythos von der belagerten, umzingelten
Gesellschaft - in Israel wie damals in Preußen. Nur eine Gesellschaft mit
einer ausgeprägten Festungsmentalität hält in der Regel das Militär für den
primären Garant ihrer Existenz.
Konnte man in Israel vor einem halben Jahrhundert noch von
einem realen Belagerungszustand ausgehen, so ist er heute zum bloßen Mythos
geworden. Das israelische Militär als Volksarmee, in der jeder Staatsbürger
dienstpflichtig ist, verfolgt seine früheren Ziele nicht mehr. Seine
Hauptbeschäftigung erwächst aus der Präsenz in den besetzten Gebieten, kaum
aus der Verteidigung der Grenzen nach außen. In dieser Situation fallen die
Zehntausende von Ultraorthodoxen, die wegen des (oft angeblichen) Studiums
in den "Jeshivot" (Talmud-Hochschulen) nicht eingezogen werden, für die
Sicherheit des Staates kaum ins Gewicht. Einem rein militärischen Zweck
dient das Verlangen nach Militärdienst für Ultraorthodoxe also nicht. Wenn
uns die westliche Welt als Vorbild vorschwebt, ist eine kleine,
professionelle Armee die eigentliche Vision. Herrscht dagegen die Vision von
einer großen Armee im endlosen Zustand der Belagerung vor, wie armselig ist
dann die Gesellschaft, die das Militär braucht, um eben ihrem Zionismus und
Laizismus klare Konturen zu verschaffen.
Ist das Ziel - wie so oft feierlich posaunt - der Frieden,
ist dann das Militär ein zum Absterben prädestiniertes Organ? Je näher und
wirklicher der Frieden, um so bedeutungsloser die Rolle des Militärs auch
als Symbol des Laizismus und des Zionismus. Die sonderbare Logik, wonach die
säkularen Kräfte (die sich ja eher auf dem linken Flügel der Politik
befinden) den Zionismus und den Staat ausgerechnet über die Schiene des
Militärdienstes für sich in Anspruch nehmen, erklärt wahrscheinlich die
Angst vor dem Frieden nicht nur seitens der israelischen Rechten, sondern
auch bei den Linken! Welche Ikonen werden säkularen Kräften in
Friedenszeiten übrigbleiben, um sich gegenüber den religiösen und
ultraorthodoxen Konkurrenten behaupten zu können?
In den sechziger Jahren hat die neue Linke im Westen die
Vision gehegt: "Stellt euch vor: Der Krieg bricht aus, und niemand geht
hin!" Die konsequenteren Verfechter einer linken Position haben sich sogar
die trotzige, aus der Weimarer Zeit stammende Parole "Soldaten sind Mörder!"
angeeignet. Dagegen ist die Umdeutung des Militärdienstes zum absoluten
Kriterium einer säkularen israelischen Identität die reinste Reaktion.
Mehr noch: Sie ist der Strang, der Selbstmord. Entweder -
oder: Wenn wir uns noch tiefer in den Kriegszustand hineinversetzen, werden
am Ende, wenn auch die Ultraorthodoxen beim Militär dienen, die
nichtreligiösen Soldaten zu Wasserträgern für die national-religiösen Teile
des Militärs, die der Besiedlung des "Landes der Väter" durch Juden den
Vorrang vor dem Frieden oder dem Menschenleben geben (Anzeichen dafür findet
man bereits jetzt). Denn bereits heute (1998) fungiert das Militär
vornehmlich als Instrument des Kampfes gegen palästinensische Kinder oder
als Beschützer von Siedlern. Wenn aber der Frieden kommt, wird das Militär
um so überflüssiger sein und als solches eine wackelige Stütze für die
säkularen Kräfte, die den Anspruch auf das "wahre Israelitum" für sich
erheben.
Wenn säkulare Menschen der Aneignung des Zionismus und des
Staates durch die Ultraorthodoxen und die national-religiösen Kräfte
entgegensteuern wollen, wenn sie die Gleichberechtigung mit den
letztgenannten anstreben, sollen sie sich lieber nicht auf den Anachronismus
namens Militär einlassen und sich in anderen, existentiellen Bereichen
profilieren, wie zum Beispiel im Kampf um mehr Demokratie und Freiheit,
gegen den Hang zur Theokratie.
Anmerkung:
(1) Massada; eine von König Herodes gebaute Festung
unweit vom Toten Meer. Während des "Großen Aufstands gegen die Römer"
(60-70) u. Z. war Massada von jüdischen Zeloten besetzt. Nachdem die Römer
Jerusalem erobert hatten, begann die Belagerung Massadas. Um nicht in
Römische Gefangenschaft zu geraten, verübten die dort verschanzten Juden
kollektiv Selbstmord. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist der Satz "Massada darf
nie wieder fallen" zum zionistischen Slogan geworden.
hagalil.com
04-11-04 |