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Pinguin Patata, Gott und seine Mischpoche

Über die klugen Köpfe aus der heimlichen Hauptstadt Deutschlands…

Von Ramona Ambs

Sie sind alle wieder da. Sie schlendern über die alte Brücke, flanieren im Schloßgarten und führen hitzige Debatten in den Gassen der Altstadt: Heidelbergs Intellektuelle aus den Jahren 1910-1933. Ein 432 Seiten starkes Buch hat sie wieder lebendig gemacht: Man sieht die schüchterne Netty Reiling (Anna Seghers) durch die Landhausstraße eilen, man hört Emil Lederer dozieren und man schwärmt mit Rosa Meyer-Leviné abwechselnd für die Revolution und die Romantik.

Man leidet aber auch mit Karl Mannheim, der wegen seines Judeseins in akademischen Kreisen angegriffen wird, man wird Zeuge der Freundschaft zwischen Carl Zuckmayer und Carlo Mierendorff, der schon zu Beginn der zwanziger Jahre massiv vor den antisemitischen und antidemokratischen Bestrebungen der Nationalsozialisten warnte und der gleichzeitig in Heidelberg für seine spaßig-satirischen Ideen bekannt war. So organisierte er beispielsweise 1921 auf seiner Bude am Philosophenweg eine Feier zu Ehren des fiktiven  feuerländischen Dichters  „Pinguin Patata“, den er abwechselnd mit seinen Freunden darstellte.

Seinen frühen Spitznamen „Herr Vielgeschrey“ wurde er zeitlebens nicht los und selbst sein Freund Carl Zuckmayer nutze ihn, wenn er von ihm sprach: „Herr Vielgeschrey wurde der südwestdeutsche Bürgerschreck in sensationellen Massenversammlungen, in denen für Menschenrechte und europäische Versöhnung gekämpft wurde, er wurde der Kampfhahn gegen reaktionäre Verbindungsstudenten, Antisemiten, Chauvinisten, Nazivorläufer, Herr Vielgeschrey war der Motor und Mittelpunkt der politisch radikalen Jugend im Umkreis der Universität, Herr Vielgeschrey lernte, schrieb, arbeitete , lachte, schuftete, schlug, trank und liebte sich durch viele Landschaften, Orte und Städte und es lässt sich kaum ein aktiveres, gespannteres, impulsivere und gleichzeitig zielbewußteres Leben denken, und bei alldem war und blieb Herr Vielgeschrey der beschwingte, welt- und kunstvernarrte, helläugige und humorfunkelnde, symposionale und immer ganz gegenwärtige Gefährte unserer besten, unserer unwiederbringlichen Zeit“.

Doch die Freundschaft zwischen Carl Zuckmayer und Carlo Mierendorff ist nicht die einzige, von der erzählt wird. Eine andere große Freundschaft, die zum Zirkel um Max Weber gehörte, war die zwischen Georg Lukács und Ernst Bloch: „Die beiden jungen Philosophen müssen in Heidelberg ein merkwürdiges Gespann gewesen sein(…): Bloch als enfant terrible und Lukács als Aristokrat, der sich der bösen Streiche seines Freundes schämen muss“..Jedenfalls erregte Bloch regelmäßig den Unbill Max Webers, der bereits nach der ersten Begegnung mit Bloch folgendes sagte: „Grade war ein neuer jüdischer Philosoph da- ein Jüngling mit enormer schwarzer Haartolle und ebenso enormem Selbstbewußtsein, er hielt sich offenbar für den Vorläufer eines neuen Messias und wünschte, dass man ihn als solchen erkannte!“

Auch später ärgerte sich Max Weber immer wieder über Bloch: „dieser Mann ist voll von seinem Gott und ich bin Wissenschaftler!“ Doch gerade diese Mischung prägte den „Heidelberger Geist“, der später so oft beschworen wurde. Die Universität war geprägt von großer Liberalität,- sie war offen für Frauen und bei Juden sehr beliebt. So kam es in der Stadt zu einer turbulenten und sich gegenseitig stets neu befruchtenden Mischung kluger Köpfe. Das zeigt sich auch in den Bildern, die das Buch bereit hält. Flugblätter, Zeichnungen und Fotografien der Portraitierten geben den Texten ein Gesicht.

So findet man beispielsweise Bilder von Hannah Arendts Heidelberger Studentenausweis, oder auch dem von Hans Jonas und man erfährt manch zärtliche Anekdoten aus ihrer Heidelberger Zeit. Zum Beispiel über den Beginn der Freundschaft zu dem bekannten Zionisten Kurt Blumenfeld, den Jonas 1926 nach Heidelberg zu einem Vortrag einludt, und der dafür sorgte, dass Hannah Arendt sich auch als Jüdin politisierte. Und natürlich begegnet man auch Hannah Arendts anderen Freunden wie die beiden Erichs (Loewenson und Neumann), Karl Frankenstein und sogar Rahel Varnhagen, „meine wirklich beste Freundin, die nur leider schon 100 Jahre tot ist“ wie Hannah Arendt immer sagte… sind sie alle tot.

Mit 1933 endete dieses beschriebene intellektuelle Leben in Heidelberg. Die Protagonisten gehen ins Exil, werden verhaftet oder bringen sich irgendwann um,… -die meisten waren jüdisch. Was hätte aus ihnen – und aus dieser Stadt – werden können, wenn diese Zirkel Bestand gehabt hätten? Wenn all die Dichter, Gelehrten, Wissenschaftler, Provokateure, Kämpfer, Verrückten, Weisen, Enthusiasten, Rivalen, Freunde, Träumer und Talente gemeinsam zu ende hätten arbeiten dürfen?

Wir wissen es nicht, aber eine Ahnung von dem Wunderbaren bekommt man, wenn man sich in das Sammelsurium dieser Geschichten begibt.

„Intellektuelle in Heidelberg 1910-1933 Ein Lesebuch“

erzählt von: Arendt, Marie Baum, Walter Benjamin, Ernst Blass, Ernst Bloch, Jean Cavaillès, Hilde Domin, Norbert Elias, Erich Fromm, Frieda Fromm-Reichmann, Emil Gumbel, Alexandre Kojève, Jürgen Kuczynski, Emil Lederer, Käthe Leichter, Leo Löwenthal, Georg Lukács, Golo Mann, Karl Mannheim, Rosa Meyer-Leviné, Carlo Mierendorff, Gustav Radbruch, Anna Seghers, Alfred Seidel, Isaak Steinberg, Alfred Sohn-Rethel, Ernst Toller, Sergej Tschachotin, Margarete Turnowsky-Pinner, Alfred Weber, Max Weber und Carl Zuckmayer…

mit Beiträgen von: Markus Bitterolf, Reinhard Blomert, Bernd Braun, Micha Brumlik, Eberhard Demm, Carl Freytag, Gerhard Heinzmann, Dirk Hoeges, Christian Jansen, Peter-Erwin Jansen, Peter König, Renate Kremer, Jill Lewis, Reinhard Mehring, Alexandre Métraux, Walter Mühlhausen, Volker Neumann, Stephan Reinhardt, Angela Reinthal, Ilona Scheidle, Oliver Schlaudt, Stefan Schöbel, Marion Tauschwitz, Jennifer Tharr, Christian Voller, Hendrik Wallat, Judith Wisser, Christiane Zehl-Romero, Peter Zudeick

Verlag Stefan Schöbel 2014, 432 S., Euro 23,80, Bestellen?