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Hitlers afrikanische Opfer

"Ihr habt ja auch Bayern unter euch", lautete die Antwort eines französischen Soldaten auf den Vorwurf eines bayerischen Soldaten, der sich über die "Buntheit" des französischen Heeres ausgelassen hatte. Mit solchen Zeugnissen belegt Raffael Scheck den Kontrast in den Anschauungen zwischen der Bevölkerung Deutschlands und des kolonialen Frankreichs im Zweiten Weltkrieg…

Von Rosa Fava

Mindestens 3000 Soldaten im Dienste Frankreichs wurden nach der am 10. Mai gestarteten Offensive gegen Frankreich Ende des Monats und Anfang Juni 1940 von deutschen Soldaten und Offizieren nach ihrer Gefangennahme ermordet, weil sie Schwarze waren. Sie gehörten zu den Einheiten aus den afrikanischen und karibischen Kolonien Frankreichs, die teilweise freiwillig, teilweise unter Zwang rekrutiert worden waren. Die Zahl von im Kampf gezielt getöteten Tirailleurs Senegalais (Senegalschützen), wie in Frankreich die Soldaten aus westafrikanischen Kolonien genannt wurden, die den weitaus grössten Teil der afrikanischen oder gemischten Regimenter stellten, und anderen Afrikanern lässt sich nicht ermitteln. Unklar wird auch bleiben, wie viele schwarze Soldaten die Kriegsgefangenschaft überlebt hätten, wenn sie genauso behandelt worden wären wie ihre weissen Mitgefangenen, was in vielen Lagern nicht der Fall war.

Wie Raffael Scheck genauestens aus der schwierigen Quellenlage rekonstruiert, sonderten die Deutschen in einer langen Reihe von belegten Fällen nach einer Gefangennahme die Soldaten aus den west- und zentralafrikanischen Kolonien von denjenigen aus Nordafrika und von den Weissen ab, um sie zu töten. Nicht selten handelte es sich um etwa 50 Männer, nach einigen Aussagen in einzelnen Fällen auch um 100 bis 200. Manchmal versuchten die weissen französischen Offiziere, die Ermordung zu verhindern. Die Tatorte liegen überwiegend im Norden und Westen Frankreichs entlang der Verteidigungslinien, verantwortlich sind unterschiedliche Einheiten der Wehrmacht, Offiziere wie einfache Soldaten. In vielen Fällen wurden Schwarze in Kriegsgefangenschaft sehr viel schlechter behandelt als die Weissen, in anderen Fällen erfolgte eine korrekte Versorgung und Behandlung. Es gab manchmal auch das Verbot, Schwarze zu beerdigen oder ihre Gräber zu schmücken.

Die Unterschiede im Vorgehen innerhalb der Wehrmacht werfen die Frage nach den Hintergründen auf. Der personalisierende Titel des Buches erweist sich dabei als irreführend. Scheck stellt in Übereinstimmung mit dem bisherigen Forschungsstand fest, dass es keinen zentralen Befehl zur Ermordung der Schwarzen Soldaten gab. Ausgehend von der Frage nach den Motiven der Soldaten und Offiziere, im Wissen um die Straflosigkeit im Kampf gegen Schwarze Einheiten möglichst keine Gefangenen zu machen oder Gefangene zu ermorden, thematisiert Scheck zum einen die historischen Ursachen im kolonialen Rassismus gegen Schwarze und die Vorläufer solcher Verbrechen in vorangegangenen Kriegen und zum anderen die spezifisch nationalsozialistischen ideologischen Hintergründe, aber auch situative Konstellationen während der Kämpfe.

Eine zentrale Rolle für die Bereitschaft zum Töten spielten die Entmenschlichung der Schwarzen sowie die damit verbundene und im militärischen Kontext bedeutsame Perspektive auf sie als illegitime Kämpfer. Die nationalsozialistische Propaganda schloss dabei bruchlos an ihre Vorläufer an: Bereits im deutsch-französischen Krieg 1870/71, in den Aufständen der Einheimischen in Deutsch-Südwest sowie in Deutsch-Ostafrika, im Ersten Weltkrieg und während der anschliessenden Besatzung des Rheinlandes wurden afrikanische Soldaten auf Seiten des Gegners oder generell schwarze bewaffnete Kämpfer als "Bestien" oder "Wilde" diffamiert und gezielt Lügen über deren nicht "mannhafte" und unsoldatische, schliesslich animalische Kampf- und Tötungsmethoden in die Welt gesetzt. Der Einsatz des Coupe-Coupe, eines 40cm langen Messers, das die Westafrikaner traditionell im Nahkampf einsetzten, stand dabei im Vordergrund, verbunden mit dem Vorwurf der Verstümmelung, wie er als Rechtfertigung für die eigene Brutalität gegenüber partisanischen Einheiten in Ost- und Südeuropa bekannt ist.

Anders als im Kampf gegen Einheiten von Partisanen und Partisaninnen wurde die Illegitimität Schwarzer Soldaten nicht völkerrechtlich begründet, sondern schlicht rassistisch: "Wilde" dürfe es in den Einheiten "zivilisierter Nationen" überhaupt nicht geben. Aus deutscher Sicht verstiess die Gegenseite durch den Einsatz von Schwarzen gegen die Ehre der "weissen Rasse" und das Völkerrecht, daher hatte auch das Kaiserreich nie die eigenen Kolonialsoldaten in Europa eingesetzt.

Nationalsozialistische Propagandaorgane radikalisierten 1940 die bestehenden Imaginationen, wie es schon sprachlich in der Häufung hasserfüllter Bilder von "viehischen Gräueltaten", vom "tierischem Blutdurst", vom Zähnefletschen und Totbeissen seitens "schwarzer Tiere, die der Franzose in Khaki gekleidet" habe, zum Ausdruck kommt. Die widersprüchlichen Spannungen zwischen soldatischem Kameradschaftsgeist und quasi sportlichem Fair Play über die Fronten hinweg und rassistischer Weltanschauung lässt sich an folgendem Bericht eines französischen Offiziers ablesen: "Als er [der Offizier] sich am Morgen des 6. Juni in Conde-Folie ergab, gratulierte ihm ein deutscher Hauptmann in fliessendem Französisch zu seiner geschickten Verteidigungstaktik, die bei dem angreifenden Bataillon zu schweren Verlusten geführt hatte. Später allerdings drohte ein deutscher Oberleutnant damit, ihn zu erschiessen, da er schwarze Soldaten befehligt hatte." (S. 37) Hinrichtungen französischer Offiziere, die Tirailleurs Senegalais vorgestanden hatten, erfolgten tatsächlich.

Typisch für Schecks Vorgehen ist der Versuch, "Vorurteile" zu entkräften, indem er den "wahren Kern" so lange herauszuschälen versucht, bis letztendlich der ideologische Nexus zum Vorschein kommt:

"Es existieren Berichte über schwarze Einheiten, denen die Munition ausgegangen war, und die daraufhin ohne Rücksicht auf eigene Verluste Ausfallangriffe mit dem Coupe-Coupe ausgeführt hatten, bei denen diese Waffe im Zweikampf mit deutschen Soldaten eingesetzt wurde. Diese Kämpfe ereigneten sich häufig an abgelegenen Orten und ohne Zeugen. Wenn ein Mann, der um sein Leben kämpft, ein solches langes Messer einsetzt, führt diese zu Verletzungen beim Gegner, die im Nachhinein wie absichtlich zugefügte Verstümmelung aussehen können. Es ist durchaus möglich, dass deutsche Soldaten nach solchen Kämpfen die Leiche eines ihrer Kameraden mit abgeschnittenem Arm oder Kopf vorfanden, und daraufhin in der Überzeugung, dass schwarze Soldaten ihre Gegner grundsätzlich verstümmelten, Rache forderten. Bei vielen der mutmasslichen Verstümmelungsfälle kann es sich um Ergebnisse von Nahkämpfen und somit nicht um Verstösse gegen das Kriegsrecht gehandelt haben.
Die Vorurteile gegenüber schwarzen Soldaten sassen bei deutschen Soldaten teilweise so tief, dass sie auch von Schusswaffen verursachte Wunden für absichtliche Verstümmelungen hielten." (S. 133)

Die Bedeutung solcher individueller "Überzeugungen", die sich nicht ausschliesslich auf Propaganda zurückführen lassen, wird darin deutlich, dass es keinesfalls nur — unter Oberkommando der Wehrmacht stehenden — SS-Einheiten oder ideologisch besonders geschulte Wehrmachtseinheiten waren, die die Massaker begangen. Genauso spielte die Gewöhnung von Soldaten, die beispielsweise vorher in Polen eingesetzt gewesen waren, an Tötungsaktionen eine Rolle. Schliesslich macht Scheck auch auf situative Faktoren aufmerksam, da die gleiche Einheit das eine Mal Morde durchführte, das nächste Mal nicht.

Mit Raffael Schecks Untersuchung liegt nunmehr endlich eine deutschsprachige Monografie zu einem unbeachteten, spezifisch motivierten Verbrechen der Wehrmacht vor. Gegenüber bisherigen Publikationen, zuvorderst den Arbeiten Robert Kestings und Peter Martins, weist sich Schecks Darstellung durch die breite Quellenbasis und die dadurch ermöglichte sehr genaue ereignisgeschichtliche Rekonstruktion aus. Schade ist, dass er die Massaker an schwarzen US-Amerikanern und Briten nach der Landung in der Normandie 1944 nicht in den Blick nimmt, was das Bild der Verbrechen sowie ihrer rassistischen Grundlage vervollständigen würde.

Eine weitere Ergänzung wäre sinnvoll in Bezug auf die von Scheck nebenbei erwähnten afrikanischen und arabischen Soldaten in den deutschen "Schutztruppen" in den eigenen Kolonien. Diese Schwarzen im Dienste Deutschlands genossen als "treue Askaris" besonderes, gleichermassen kolonialrassistisch begründetes Ansehen. Der Blick auf die Widersprüchlichkeit im Bild vom Schwarzen Soldaten, die auch während des Nationalsozialismus noch bestand, würde Schecks Diskussion der Ursachen für den uneinheitlichen Umgang mit Schwarzen Kämpfern und Gefangenen um eine wichtige Dimension erweitern. Interessant wäre auch die Betrachtung von Kontinuitäten und von Traditionsbildung innerhalb der Wehrmacht in Bezug auf Offiziere, die in den Kolonialkriegen bzw. im Ersten Weltkrieg im Einsatz gewesen waren. Der General Paul von Lettow-Vorbeck ist eine solche Figur, anhand derer sich Kontinuitäten und Widersprüche vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Nationalsozialismus in Bezug auf die Perspektive Schwarze thematisieren lassen.

Durch den Einbezug einer — wenn man die englisch-, die französisch- und die deutschsprachigen Publikationen zusammenzählt — mittlerweile "umfangreichen" Literatur zum Rassismus gegen Schwarze im Nationalsozialismus in Politik, Kultur und Alltag gelingt Raffael Scheck die Einordnung der Wehrmachtsverbrechen in den gesellschaftlichen Kontext, dem die Soldaten und Offiziere entstammten, so dass der Rassismus in der Wehrmacht und in der SS nicht als Ausnahmephänomen erscheint. Indem der Autor zudem das historische Geschehen an der Westfront mit der vom antislawischen Ressentiment getragenen Mordpolitik in Polen, der Sowjetunion sowie Jugoslawien vergleicht — wenngleich in manchen Formulierungen über die Barbarisierung der Wehrmacht die Eigenständigkeit des Ziels der Vernichtung der Juden und Jüdinnen undeutlich wird —, würdigt er die Bedeutung der Verbrechen gegen Schwarze, die der europäisch-weisse Blick so lange ignoriert hat.

In einem Punkt allerdings wäre eine grössere begriffliche Schärfe wichtig: Scheck bezeichnet das Vorgehen der Wehrmacht in Frankreich auf Grund des Umgangs mit den Schwarzen immer wieder als "Rassenkrieg", der Elemente des Vernichtungskriegs in Ost- und Südosteuropa vorwegnahm. Zwar gab es unter Nationalsozialisten die Perspektive auf Frankreich als Ausläufer Afrikas in Europa, das laut Rosenberg ohnehin nur aus "weissen und schwarzen Negern" bestehe, und es gab auch Massnahmen der deutschen Besatzung, die sich insbesondere gegen die Einwanderungsbevölkerung aus den Kolonien richtete. Ziele wie die Eroberung von "Lebensraum", die Unterwerfung der "slawischen Untermenschen" zu Arbeitsvölkern, die Umsiedlungspolitik, "rassische" Selektionen usw., die die Kriegsführung in der Sowjetunion, in Polen oder Teilen Jugoslawiens mitbestimmten, gab es gegenüber Frankreich nicht — von einzelnen Massnahmen im "einzudeutschenden" Elsass abgesehen. Ein Vergleich der Kriegsführung müsste sich aber auf alle Dimensionen beziehen, um Begriffen wie "Rassen-" oder "Vernichtungskrieg" eine spezifische Bedeutung zu verleihen. Die Vernichtung der jüdischen und der Roma-Bevölkerung wiederum lässt sich ohnehin nicht allein über eine Betrachtung von Kriegshandlungen interpretieren.

Hervorzuheben ist schliesslich wiederum, dass Scheck den Aspekt der Strafverfolgung nicht von der Wissenschaft trennt: Wie er in der Einleitung schreibt, schickte er der Zentralstelle in Ludwigsburg alle seine Unterlagen. Verfahren wurden aber nicht eingeleitet, ob überhaupt Ermittlungen angestellt wurden, bleibt offen.

Raffael Scheck: Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten, Verlag Assoziation A, Berlin 2009, Euro 20,00