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Jüdischer Sport in NS-Deutschland und Erez Israel

Ein Vorstoß in eine sporthistorische Terra incognita…

„Am 10. März 1937 verlässt eine Fußballmannschaft Deutschland, um nach Erez Israel zu fahren“, meldete die Jüdische Rundschau. An diesem Tag verabschiedeten mehrere hundert Gemeindemitglieder die Mannschaft von Bar Kochba-Hakoah Berlin am Anhalter-Bahnhof. Die Zugfahrt ging über Zwischenaufenthalte in Karlsruhe und Straßburg, wo das Team mit großer Freude von den örtlichen Makabi-Vereinsmitgliedern empfangen wurde, nach Marseille. In der französischen Hafenstadt bestiegen die Sportler das Schiff Patria und erreichten nach einer „bewegten“ Überfahrt am 18. März den Hafen von Haifa.

Diese Gastspielreise einer jüdischen Mannschaft aus Nazi-Deutschland ins damals noch britische Mandatsgebiet Palästina wird in dem soeben erschienenen Band „Sport als Element des Kulturtransfers“ beschrieben. Dokumentiert wird damit eines der vielen bislang unbekannten sportlichen Ereignisse, die im Rahmen eines binationalen Forschungsprojektes vom „Sportwissenschaftlichen Institut der Universität Hannover“ und dem „Center for German History“ an der Hebräischen Universität Jerusalem dem Vergessen entrissen werden konnten. Dazu gehört gleichfalls die Tournee der Handball- und Basketballmannschaften von Makabi Petach Tikwa, die im Mai 1937 in Berlin, Leipzig, Frankfurt/Main und Köln Spiele gegen deutsch-jüdische Mannschaften austrugen.


Bar Kochba Hakoah Berlin absolvierte einige Spiele in Erez Israel

Solche Begegnungen unter den als minderwertig eingestuften und mit dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze bürgerlich ausgegrenzten Juden aus Deutschland und Palästina werfen Fragen hinsichtlich der politischen Absicht des NS-Regimes auf. Der im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 kurzzeitig eingeleiteten Phase einer Liberalisierung gegenüber den jüdischen Sportlern,waren schon bald wieder Entrechtung und Ausgrenzung gefolgt. Humane Gesten mit außenpolitischer Wirkung waren nicht mehr notwendig. Dennoch erlaubte die nationalsozialistische Staatsführung diese sportlichen Begegnungen. Hintergrund dafür dürfte das Haavera-Abkommen gewesen sein, in dem die NS-Regierung mit der Zionistischen Vereinigung für Deutschland wirtschaftliche Erleichterungen für auswanderungswillige Juden nach Palästina vereinbart hatte und somit die gewünschte Emigration vorantrieb. Auch die Mannschaft von Makabi Petach Tikwa wollte mit ihrer Reise durch Deutschland die Juden zu einer Übersiedlung nach Erez Israel ermuntern.

Bild: Die Zeitung widmete den Besuchern aus Erez Israel im Juli 1937 die Titelseite
Fotos: aus dem besprochenen Band (Makabi-Archiv)

Im Unterschied dazu wurden die Aktivitäten assimilatorischer Sportverbände und -vereine massiv eingeschränkt. Gleichwohl konnten die jüdischen Athleten an der Makabiade teilnehmen, ein den Olympischen Spielen vergleichbares internationales Sportfest, an dem lediglich jüdische Wettkämpfer zugelassen sind. Auch hier unterbanden die NS-Behörden diese Aktivitäten nicht: Ein Vertreter der Reichsportführung nahm im März 1935 in Berlin sogar an der offiziellen Verabschiedung des deutschen Teams zur 2. Makabiade in Erez Israel teil. Hofften sie doch, dass die Sportler nicht mehr nach Deutschland zurückkehrten. Auch die Zionisten hatten ähnliche Erwartungen: Junge Sportler, die von Max Nordau propagierten „Muskeljuden“, schienen für den Aufbau der jüdischen Nation bestens geeignet.

Die Geschichte des jüdischen Sports in NS-Deutschland und Erez Israel war lange Zeit ein Randthema in der historischen Forschung. Es ist das Verdienst von Lorenz Peiffer und Moshe Zimmermann sowie deren Mitarbeitern, Licht in dieses vergessene Kapitel gebracht zu haben. Nach der Veröffentlichung ihrer regionalen Untersuchung „Juden im Sport während des Nationalsozialismus“ für den Bereich Niedersachsen und Bremen beleuchten sie nun, wie die deutsch-jüdischen Immigranten die Leibesübungen als wesentliches Element der zionistischen Idee in Palästina förderten. Viele Sportarten, insbesondere der Fußball, wie Moshe Zimmermann aufzeigt, profitierten zudem von diesem Transfer, waren doch die ersten zwei Trainer der israelischen Nationalmannschaft frühere Spieler von Hakoah Wien. Egon Polack und Lajos Hess hatten bereits in den 1930er Jahren ihre Fußballer-Karrieren in Erez Israel aufgenommen.

Emigrierte Sportjournalisten, Funktionäre und insbesondere die vielen Aktiven waren von großer Bedeutung für den Aufbau und die Gründung des Staates Israel. In sieben Beiträgen, die den Bogen vom Schulsport in Palästina bis hin zur Funktion des Fußballs zwischen Diaspora und Erez Israel während der NS-Zeit schlagen, wird die zentrale Rolle des Sportes bei der Ausformung nationaler Identitäten beschrieben. Vervollständigt wird das Buch mit einem umfangreichen kommentierten Dokumententeil.

Die Texte belegen, dass der Sport als autonomes Kulturelement im Bereich der deutsch-jüdischen und israelischen Geschichte von den Historikern bislang kaum beachtet wurde. Die Autoren betreten mit ihrer Publikation sportgeschichtliches Neuland. Das ist mehr als löblich – und lange überfällig! – (jgt)

Lorenz Peiffer/Moshe Zimmermann (Hg.), Sport als Element des Kulturtransfers. Jüdische Sportler zwischen NS-Deutschland und Palästina, Wallstein Verlag, 256 Seiten,  € 24,90, Bestellen?

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