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Jüdische Witze – und Lebenskunst

Der große Köln-Leverkusener Kabarettist Wilfried Schmickler würde an dieser Stelle sagen: Kennen Sie den? „Im Hotel fragt Grün den Blau: „Hast du ein Bad genommen?“ Antwort: „Wieso, fehlt eines?“

Von Roland Kaufhold

Es ist gelegentlich einfach, die Laune zu heben, Niedergeschlagenheit zu vertreiben. Wenn das Schicksal, die Lebenssituation besonders arg ist empfiehlt sich eine „Spontanheilung“ – durch einen Witz. Kein derber, kein herabsetzender Witz – nein: Ein jüdischer Witz. Selbst in Zeiten der bittersten Not, der existentiellen Angst – die dem jüdischen Schicksal, historisch betrachtet, bekanntlich nicht fremd ist – ermöglicht ein Witz eine mentale Verbesserung.

Die Not, so könnte man vielleicht sagen, ist die Quelle kultureller Produktivität.

Elisabeth Jupiter kommt aus einer jüdischen Familie von Überlebenden. Hieraus macht sie kein „Geheimnis“, macht daraus aber auch keine „große Sache“. Sie streut es gelegentlich ein, um ihren eigenen  Zugang, ihre eigene Sozialisation in einer Kultur des Witzes nachvollziehbar zu machen. Sie versammelt eine Vielzahl von jüdischen Witzen, ordnet diese verschiedenen Lebensthemen zu – Kinder und Ehe, Geschäft und Geld, Liebe und Ehe, Bei Tisch und zu Gast, Emigration und Assimilation, Religion, Kunst, Kultur und Lebensart, Juden und Christen sowie, abschließend, Krankheit und Tod – und verknüpft diese Witze in einem lakonischen-heiteren, häufig gelehrigen Erzählstrang. Elisabeth Jupiter ist eine in Wien lebende Psychotherapeutin. Da verwundert es nicht, dass sie immer mal wieder auf den großen Sigmund Freud verweist – klärend und deutend.

Im Witz werden Lebensinhalte verdichtet, diese Verdichtung mündet in einer überraschenden Pointe. Der Witz behandelt wichtige Grundthemen des Lebens – zum Beispiel die Sorge um das Aufwachsen der eigenen Kinder. „Eltern und Kinder“ ist ihr erstes Kapitel betitelt. Die eigenen Kinder sind der Stolz seiner Eltern und Großeltern:

“Drei alte Damen sitzen im Kaffeehaus und packen die Photos ihrer Enkerl aus. „Entzückend“, sagt die eine zu ihrer Sitznachbarin. „Wie alt sind die beiden denn jetzt?“ – „Der Rechtsanwalt ist vier und die Ärztin zwei.“ (S. 15)

Jüdische Witze erzählen vom Leben, den alltäglichen Sorgen und Leidenschaften – im Alter zwischen zwei und sechzig Jahren:
„Kennen Sie eigentlich den Unterschied zwischen der italienischen Mamma und der jüdischen Mamme? Die italienische Mamma sagt zum Kind: „Wenn du die Suppe nicht isst, bring ich dich um.“

Die jüdische Mamme sagt dem Kind: „Wenn du die Suppe nicht isst, dann bring ich mich um.““ (S. 16)

Witze ermöglichen eine Angstabwehr. Selbst die beinahe tägliche Angst vor terroristischen Übergriffen ist mit einem selbstironischen Witz leichter zu ertragen:
„Und den Unterschied zwischen einem palästinensischen Terroristen und einer jüdischen Mamme, kennen Sie den? Mit Ersterem kann man manchmal verhandeln!“ (S. 17)

Der Antisemitismus ist eine wahnhafte Projektion. Der Existenz eines konkreten Juden bedarf es hierbei nicht. Wir begegnen verhülltem oder aber manifestem Antisemitismus vielfältig – auch in den hiesigen Kommentarspalten von haGalil. „Geschäft und Geld“ sind bevorzugte Projektive antisemitische Fantasien. Hiervon handelt dieser Witz:
„Kohn gibt auf der Post ein Telegramm an seinen Geschäftsfreund Grün auf: „Akzeptiere Ihre Offerte. Brief folgt. Hochachtungsvoll Kohn.“

Der Schalterbeamte gibt den freundlichen Rat: „Hochachtungsvoll könnten Sie eigentlich weglassen.“ Worauf Kohn verwundert fragt: „Nanu, woher kennen Sie den Grün?“ (S. 26)

Auch das Leben im Shtetl, in bitterster Armut, war mit einem guten Witz leichter zu ertragen, wovon diese Anekdote erzählt:

„Bei einer armen alten Dame, die auf einem Dachboden in New York lebt, läutet das Telefon und eine Stimme fragt: „Ist dort Rothschild?“ – „Oj, wenn Sie wüssten, wie falsch verbunden Sie sind!“ (S. 32)

Jüdische Witze sind, so bemerkt Elisabeth Jupiter treffend, „zum Lachen gewordene Tränen“ (S. 38):

„Am zugesperrten Geschäft von Blau hängt ein Plakat: Wegen Todesfall geschlossen. Kohn, der gerade vorbeikommt, fragt aufgeregt den davor stehenden Blau: „Um Gittes willen, wer ist denn gestorben?“ – „Die Kundschaft!“ (S. 38)

Der Witz hebt Tabus, Schamgefühle auf, erleichtert zugleich von heftigen Affekten – was dieser kurze Witz verdeutlicht:
„„Sag, Itzig, schreibt man „Hure“ mit einem r oder mit zwei r?“ – „Ich weiß nicht. Ich schreibe immer `gnädige Frau´.““ (S. 39)

Oder auch:

„In der sechsköpfigen Familie Blau hängt der Haussegen schief. Herr Blau schreit: „Ich bin sicher, dass unser Jüngster, der Jakob, nicht von mir ist!“ – „Aber, was redest du da“, antwortet Frau Blau, „gerade der Jakob ist von dir!“ (S. 60)

Elisabeth Jupiter fühlt sich einigen Witzen nahe, die ihr von ihrer Großmutter überliefert wurden – „die ich leider nie kennengelernt habe, da sie in Auschwitz ums Leben gekommen ist“ (S. 53). Nebenbei berichtet, vermag man das Unsagbare doch auszusprechen. „Es“ ist da – und doch nicht überwältigend. Zerstörerisch.

Das Leben ist gelegentlich grausamer, als der ärgste Witz vermuten lässt. Ganz nebenbei erzählt Elisabeth Jupiter von der Rückkehr ihrer Mutter in ihr ehemaliges Elternhaus – nachdem sie aus Auschwitz über Theresienstadt nach Wien zurückgekehrt war. Sie kehrte wieder in das Haus ihrer verlorenen Kindheit zurück: „Niemand hatte überlebt von der Familie, aber sie suchte trotzdem die vertraute Umgebung auf. Sie läutete bei der Nachbarin, die sie sehr freundlich hereinbat und ihr Kaffee anbot … im Service meiner ermordeten Großmutter.“ (S. 67)

Religionen sind häufig Träger von Geboten, auch von Speisevorschriften. Mancher fühlt sich daran gebunden – und sucht im Alltag doch Wege, diese Gebote mit einem glücklichen Leben zu vereinbaren. Einen Weg hierzu weist diese Anekdote:

„Im Delikatessengeschäft zeigt Herr Kohn auf den Schinken und sagt: „Geben Sie mir hundert Gramm von dem da!“ Der Verkäufer: „Hundert Gramm Schinken, meinen Sie?“ Darauf Herr Kohn: „Hab ich Sie gefragt, wie der Fisch heißt?“ (S. 65)

Das Kapitel über Emigration ist etwas länger geworden – was nicht verwundern sollte. Dieser von Albert Einstein überlieferte Witz passt hierzu gut:

„Einstein soll gesagt haben: „Werde ich mit meiner Theorie recht behalten, dann werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und die Franzosen, ich sei Weltbürger. Werde ich unrecht behalten, dann werden die Franzosen behaupten, ich sei Deutscher, und die Deutschen, ich sei Jude.“ (S. 76f.).

Sehr aktuell ist auch dieser Witz über einen Sohn, der Israel verlassen und in die USA übergesiedelt ist:
„George Levy, ein erfolgreicher New Yorker Anwalt, ruft seine Mutter in Haifa an. „Mein Liebling, wie geht es dir denn bei der vielen Arbeit? Isst du auch genug? Vor allem, isst du koscher?“

„Nein Mammi, das geht sich nicht immer aus, manchmal gehe ich schnell runter zu McDonald´s!“

„Aber am Schabbes arbeitest du nicht?“

„Na ja, manchmal lässt sich das einfach nicht vermeiden?“

„Sag einmal, aber beschnitten bist du schon noch?“ (S. 82)

Oder, noch prägnanter, Thema Exil.
„Wenn ein Jude in Tel Aviv aus Moskau kommend aus dem Flugzeug steigt und keinen Geigenkasten in der Hand hat – was ist er dann? Ein Pianist!“ (S. 86)

Genug. Wir wollen das wunderbare, köstliche Büchlein von Elisabeth Jupiter ja noch selbst lesen! Erschienen ist es 2010, nun liegt es bereits in der 3. Auflage vor. Es sollte auf vielen Nachttischen liegen. Dann wird unsere Welt friedlicher. Und glücklicher. Versprochen! Schließen wir eine Wette ab: Wann hat es die 20. Auflage erreicht…

Zwei kurze jüdische Witze gibt´s zum Nachschlag. Der eine handelt vom christlichen Antisemitismus:

„Moische fragt seinen Vater, warum Christus denn  eigentlich gekreuzigt und nicht ertränkt worden sei. Die Antwort: „No, stell dir vor, wie das ausschaut, in jeder Kirche ein Aquarium!“ (S. 102)

Und zu Krankheit und Tod:

„Der Arzt untersucht Frau Kohn und sagt dann in einem Vieraugengespräch zu ihrem Mann: „Ihre Frau gefällt mir gar nicht!“ Darauf Herr Kohn: „No mir schon lange nicht!“ (S. 110)

Unbedingt lesen! Und verschenken.

Elisabeth Jupiter: No, warum nicht? Der jüdische Witz als Quelle der Lebenskunst. Picus Verlag (Wien) 2010. (3. Aufl. 2012), 115 S., gebunden, 16,90 Euro, Bestellen?