Rita Ottens, Joel Rubin:
Jüdische Musik-
traditionen
mit Audio-CD
Bosse Verlag 2001
Euro 25,95
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Klezmer-Musik
Das Geheimnis der jüdischen Geige
Im Zentrum eines alten
Rituals - Die Klarinette in der Klezmer-Musik
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"The Sounds of the Vanishing World": The
German Klezmer Movement as a Racial Discourse
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(A shorter version of this article was originally
presented at the conference, “Sounds of Two Worlds: Music as a Mirror of
Migration to and from Germany,” in September 2002 at the Max Kade
Institute for German-American Studies at the University of Wisconsin in
Madison. See also:
Rita Ottens with Joel E. Rubin
Web Based Conference Proceedings University of Wisconsin, Madison Max Kade
Institute for German-American Studies, 2004) |
"Fassade des Stimmigen":
Jüdische Musik in Deutschland
Von Rita Ottens
Aus dem Vorwort zum Buch "Jüdische Musiktraditionen", S. 7-19
"In der Welt, in der wir leben, geht es nicht länger
bloß um den Verfall des kollektiven Gedächtnisses und des verminderten
Bewußtseins der Vergangenheit, sondern um aggressive Vergewaltigung der
Restbestände von Gedächtnis, die bewußte Verzerrung des historischen
Zeugnisses, die Erfindung von mythologischen Vergangenheiten im Dienst
der Mächte der Dunkelheit. Gegen die Agenten des Vergessens, die
Zerkleinerer von Dokumenten, die Mörder des Gedächtnisses, die
Überarbeiter von Enzyklopädien, die Verschwörer des Schweigens... - nur
der Historiker, mit der strengen Leidenschaft für Tatsachen, Beweise,
Anhaltspunkte, die im Mittelpunkt seines Berufes stehen, kann wirksam
dagegen auf der Hut sein". (Yosef Hayim Yerushalmi, Zakhor. Jewish
History and Jewish Memory.)
Wäre heute eine Etikettierung als "klebrigste
Geschmacklosigkeit", wie sie Der Spiegel (28/1996) dem Tenor José
Carreras anheftete, auch für einen Interpreten jiddischer Lieder
denkbar? Von den Musiktraditionen der jiddischsprachigen Juden
Osteuropas heißt es gemeinhin, sie seien mit der Schoah "untergegangen",
und jiddische Lieder und Klezmer-Musik sind infolgedessen populärer
Ausdruck der "Gedächtnisgeschichte von Auschwitz" (Jan Assmann)
geworden. Gewöhnlich im negativen Kontext und mit Adjektiven wie
"verschwunden", "gemordet" und "versunken" behaftet, scheint "jüdische"
Musik ohne den Anschluß an die Reanimationsmaschinerie des Kultur- und
Gedenkbetriebes kaum überlebensfähig. Und so gilt heute offiziell die
schweigende Übereinkunft, über jüdische Musik öffentlich nur Gutes oder
besser gar nichts zu sagen.
Zunehmend begegnen uns Juden und Judentum unter den
Klängen des "Klezmer", nicht selten begleitet von Bildern religiöser
Chassidim, mit ihren Kaftanen, pelzumrandeten Hüten, Bart und "Pejes",
visuelle Verkörperungen des Judentums. Die gesamte Vielfalt jüdischer
Lebensformen und kultureller Ausdrucksweisen über die geschichtlichen
Epochen hinweg scheint auf diese visuellen und akustischen
Reduktionsformen jüdischer Existenz zusammengeschrumpft, ohne die keine
Gedenkfeier und kein Festival mit jüdischer und jiddischer Kultur
auszukommen meint. Fernsehberichte über Holocaust-Kongresse oder die
Einweihung der Großen Synagoge in Berlin - einst Hochburg der gegen die
jiddischsprachigen "Ostjuden" gerichteten Anhänger der jüdischen
Aufklärung - die Klezmer-Klarinette dieser geschundenen und als
antisemitische Bildvorlage benutzten Population ist zum Piktogramm
geworden. Damit werden im Fernsehen bekannte Persönlichkeiten
unterschiedslos als Juden gekennzeichnet: der Psychoanalytiker Erich
Fromm, der Maler Chaim Soutine, der klassische Cellist Misha Maisky. Ja
sogar Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in
Deutschland, blieb es nicht erspart, kurz nach seiner Wahl "verklezmert"
zu werden.
Klezmer-Musik ist somit ein realer Bestandteil
bundesrepublikanischer Kultur geworden und weist - mehr als ein
Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer - bereits eine eigene Geschichte,
einen spezifischen Gebrauch des jiddischen Repertoires und einen bisher
noch nicht theoretisch definierten Stil auf. Es wird immer
offensichtlicher, daß sich zunehmend ein ästhetisches Erleben und
Wohlgefallen an der Darstellung des Judentums in symbolischen
Präsentationen herausbildet. Dabei ist die musikalische vorherrschend
und hat als "Klezmer" in weiten Kreisen der Bevölkerung Aufmerksamkeit
gefunden. Diese Entwicklung legt nahe, daß die Beschäftigung mit
jüdischer Musik im heutigen Deutschland keine musikalische und
kulturelle Angelegenheit ist, sondern politisch-ideologischer Natur,
unweigerlich verbunden mit der gleichzeitigen Historisierung der Schoah
und der Neudefinition deutscher Geschichte.
(...)
Dies erklärt, warum eine kritische Auseinandersetzung
mit den gegenwärtigen Ausdrucksformen jüdischer Kultur schwer
durchzusetzen ist. Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung benennt die
Gründe für das öffentliche Interesse an jüdischer Kultur: Nach ihrer
Meinung zeugen die Beliebtheit des Musicals Anatevka, der Romane von
Isaak Baschevis Singer und der Klezmer-Konzerte "von einer
Sentimentalität, die doch bekanntermaßen nur die Kehrseite der
Brutalität ist".[1] Aber die Ausbrüche gelegentlichen Unmuts verlieren
sich im Schutze der Hochsicherheitstrakte, hinter denen sich jüdisches
Leben abspielt. Der Hilferuf "Schweig, Klezmer, schweig!" in der
Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung gibt dennoch einen Hinweis darauf,
dass die Reduzierung des Judentums auf "Klezmer" zumindest unter
jüdischen Intellektuellen im Lande mit Unbehagen beobachtet wird. [2]
Jedoch wird mehrheitlich die Musik dafür verantwortlich gemacht, anstatt
die an ihr Handelnden; vor allem wird versäumt, ihren historischen und
musikalischen Hintergrund genauer zu analysieren und die gegenwärtigen
gesellschaftlichen Verankerungen und ihre Folgen zu benennen.
Der auffällige Anti-Intellektualismus sowohl bei
Interpreten als auch bei den Rezipienten ist ein Indiz für die
Funktionalisierung jüdischer Musiktraditionen und vor allem der
Klezmer-Musik. Angesichts der gruppenmäßigen Breite ihrer Rezeption und
der bei all ihrer quantitativen Präsenz qualitatitiv ärmlichen und
uniformen Aussagen sucht man nach Erklärungen. Man wird feststellen, daß
sowohl der Angehörige des akademischen Establishments als auch eine
Verkäuferin bei dieser Musik in ähnlicher Weise reagieren, und der
Artikel der Rheinischen Post über Klezmer-Musik liest sich nicht viel
anders als ein Bericht im Spiegel. Weiterhin erstaunt die hinsichtlich
der Uniformität der Spielweisen und des Repertoires fast durchweg
positive, ja euphorische Reaktion, die so offenkundig nicht ästhetischen
Interessen entstammen können. Man geht zunächst einmal nicht fehl, wenn
man in dieser Rezeption Ideologie vermutet, deren Zweck stets die
Verklärung der gesellschaftlichen Situation ist. Und wo Ideologie ist,
ist auch Tabu: Es ist verboten, die Situation der jiddischen Musik und
Kultur in der Bundesrepublik Deutschland als ein Faktum zu diskutieren,
von dem man zunächst einmal auszugehen hat.
Im allgemeinen werden selbst die dürftigsten
Konzertdarbarbietungen mit großem Beifall und Bravo-Rufen belohnt, und
für Rezensionen und sonstige Artikel über Klezmer hat sich inzwischen
eine Uniformität der Ausdrucksweise herausgebildet, durch deren
ideologische Versatzstücke nur noch gelegentlich Verlegenheit
durchscheint. Beständige Verweise auf die Tiefe der Emotionen jüdischer
Musik deuten eher auf die Neigung, sich dem Irrealen auszuliefern als
die Realität jüdischer Kulturformen zur Kenntnis zu nehmen. Wie die
Musik der Synagoge schon im 19. Jahrhunderte von ungebildeten Kritikern
als "pittoresk" und "exotisch" angesehen und von ihr "orientalische
Wildheit" erwartet wurde, ist es heute die Klezmer-Musik, die sich als
Projektionsfläche für ähnliche Vorstellungen von Juden und jüdischer
Musik anbietet.
Die damit einhergehende Zurückweisung von Juden in den
Bereich des Gefühls, der Natur und rassischer Merkmale läßt Rückschlüsse
auf die Gesellschaft zu, die diese Bilder hervorbringt. Die Darstellung
der Musik als Inkarnation von Elementarkräften impliziert die Angst vor
der Zerstörung dieser Mythen durch nüchternes Denken und
wissenschaftliche Untersuchungen — ein sicheres Zeichen, daß wir es mit
schwer greifbaren inneren Vorgängen zu tun haben, deren Erforschung sich
eine wissenschaftliche Disziplin wie die Musikethnologie angelegen sein
lassen müßte.
Aber gerade die Konzepte der modernen Musikethnologie —
in den anglo-amerikanischen Ländern in Verbindung mit Lingustik,
Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Musikologie und vor allem
Anthropologie gelehrt — haben sich im Nachkriegsdeutschland kaum
etablieren können. So bleiben sie bei der Beschäftigung mit jüdischen
Musiktraditionen weitgehend außer Kraft gesetzt und belassen diese als
Spielball populistischer Interessen und Vorstellungen. Auch im Bereich
der deutschen Klezmer-Musik herrscht, ähnlich dem Berührungstabu vor der
deutschen Heimatmusik, die Angst vor, sich mit den Ausdrucksformen der
Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Zwar ist es nicht die Aufgabe der
Wissenschaft, Werturteile abzugeben, aber es gehört zu ihrem Mandat,
herauszufinden, was wahr und was unwahr und was echt oder unecht ist.
Denn "Wo Musik in sich brüchig, antinomisch geartet ist, aber das durch
die Fassade des Stimmingen überdeckt, anstatt die Antinomien
auszutragen, ist sie allemal ideologisch: selbst im falschen Bewußtsein
befangen".[3]
(...)
Lange unbemerkt vom bundesrepublikanischen
Establishment, konnte sich eine regelrechte Industrie herausbilden, die
"jüdische" Musik produziert, vertreibt, rezensiert und konsumiert,
zunächst getragen von Laien und den unteren Rängen der Massenmedien und
Bildungsinstitutionen — in erster Linie Nichtjuden. Seit einigen Jahren
nimmt sich auch die Hochkultur des Themas "Klezmer" an: Mit einer schief
konstruierten Beziehung von Jazz und Klezmer überraschte auch das
Berliner Jazz-Festival 1999, das einen überproportionalen Anteil von
Klezmer-Musik aufwies. Sowohl die Programmauswahl als auch die
fehlerhaften Einführungen durch namhafte Jazz-Experten waren ein
Beispiel für das intellektuelle Zwielicht, das sich auch in den Regionen
der E-Kultur um jüdische Musik und Kultur ausbreitet. Zumindest eine der
Gruppen befand sich musikalisch auf einem Niveau, das man in den USA als
"garage band" als ausreichend beschrieben ansehen würde.
Beispiele wie dieses sind keine Seltenheit, und man darf
wohl auch in diesem Falle annehmen, daß das Auffüllen mit "jüdischen"
Inhalten gerade stagnierenden Kulturunternehmungen öffentliche
Aufmerksamkeit und wohl auch finanzielle und politische Unterstützung
verspricht. Der offiziell-politische Charakter wurde durch die Tatsache,
daß die Veranstaltungsreihe mit Geldern vom Berliner Senat für
Wissenschaft, Forschung und Kultur ermöglicht wurde, noch unterstrichen.
Daß die mit dem Mythos Klezmer verbundenen Hoffnungen keineswegs zu
unterschätzen sind, zeigt auch der preisgekrönte Spielfilm "Jenseits der
Stille". [4] Wie kein anderes Werk der Popularkultur enthüllt er die
Tiefenstrukturen der Gesellschaft Ende der neunziger Jahre: Die
Klarinette spielende Teenager-Tochter eines taubstummen Ehepaares (!)
findet ihren Weg durch die Musik von Giora Feidman und entschließt sich,
"jüdische" Musik an einer deutschen Musikhochschule zu studieren.
Ein Klarinettenkasten birgt auch in einem anderen Werk
die Erlösung von der Last des deutschen Alltags: In einem Roman, der
Jugendlichen den Umgang mit Geld vermitteln soll, führt ein darin
verborgener Goldschatz zu dem Juden Friedmann. Dieser war vor dem Krieg
aus Deutschland nach Amerika geflohen und hatte es dort zu Reichtum
gebracht. Der gütige Friedman kommt schließlich den durch Mißmanagement
und Arbeitslosigkeit gebeutelten Romanprotagonisten in Deutschland zu
Hilfe — und fährt wieder nach Amerika zurück. (Nikolaus Piper: Felix und
das liebe Geld. Weinheim 1998). Diese Entwicklungen verdeutlichen die
Rolle der jiddischen Musik im Dienst der politischen Interessen und
heben vor allem die jiddische Klarinette als Ursprungsmythos und
Legitimation für die Geburt des wiedervereinigten Deutschlands als neue,
gereinigte Nation hervor.
Als letztes haben sich mittlerweile auch die politischen
und akademischen Institutionen angeschlossen, nachdem sie erkannt
hatten, daß mit der Förderung jüdischer Musik und Kultur internationale
Akzeptanz und politische Aufwertung verbunden ist. So unterstützte die
Bundeszentrale für Politische Bildung beispielsweise das kommerzielle
Filmprojekt über die amerikanische Revivalgruppe Klezmatics mit knapp
100.000 DM, wobei die Berliner Neue Synagoge als Kulisse für Interpreten
aus Israel und den USA fungierte. Aber ähnlich den Festivals und
Gedenkveranstaltungen blieb die Musik nur Mittel zum Zweck — nach innen,
als langfristige Investition in die Bildung der nächsten Generationen,
wirkt das nicht. Für eine gründlich edierte Publikation für den
Schulunterricht fehlt das Geld, und engagierte Lehrer suchen verzweifelt
nach Geldmitteln, um kompetente Referenten für Unterricht in jüdischer
Musik zu bezahlen.
Im gewissen Sinne gälte es auch hier, wie es die
Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich für den deutschen
Geschichtsunterricht einfordern, über jüdische Musik "von der Schule,
und zwar dort vom historischen Fachmann informiert zu werden", so daß
sie einseitige und verzerrte Darstellungen selbst korrigieren können.
Denn es sind nicht nur die Walsers und Co., die versuchen, die
Geschichte umzuschreiben, sondern auch diejenigen, die sich als
Nachfahren jüdischer Klezmorim in Deutschland begreifen. Wer die über
das Internet verbreiteten Versionen der Klezmer-Geschichtsschreibung
dieser Klezmer-Fans ernstnimmt, stolpert über die allgegenwärtige
Verknüpfung jüdischer Musik mit der Schoah und dem Antisemitismus und
die fantasievollen Ausblendungen der Wirklichkeit. Damit einher gehen
Legitimierungsversuche und der Wunsch, sich in die jüdische Kultur
einzugliedern und diese zu bereichern.
Denn so wie die "Nazi-Geschichte nur verzerrter Form
dargestellt werden" kann, wie die Mitscherlichs es konstatieren,
unterliegt auch die Geschichte der Klezmer-Musik mächtigen
Verschiebungen der Wirklichkeit. Daß sich diese jiddische Musikszene in
Deutschland zuweilen rabiat bis wehleidig gegen Kritik an ihren
musikalischen Fähigkeiten zur Wehr setzt, gehört zu ihren Merkmalen,
ebenso wie ihr Minderwertigkeitsgefühl gerade gegenüber denjenigen, die
an den Musiktraditionen derjenigen Juden festhalten, die zu
Hunderttausenden in der Schoah ermordet wurden. Dieser von
Außenstehenden schnell als "traditionalistisch" und "historisierend"
empfundene Ansatz verläuft jedoch parallel mit Entwicklungen in den
chassidischen Gemeinden und ist eine jüdische Art, die Schrecken der
eigenen Geschichte zu verarbeiten.
Gerade auf diese "Traditionalisten" wird nun aber, wie
sich anhand zahlreicher Beispiele aus dem Musikjournalismus belegen
lässt, eine vermeintliche Rächerfunktion projiziert — eine zumeist
unbewusste Strategie, die nichts anderes ist als die Umkehrung des
Wunsches nach Bestrafung. Diese Strategie richtet sich, je nach Ausmaß
der von Angst, Schuld und Machtlosigkeit geprägten psychischen Energien,
mehr oder weniger aggressiv gegen diese als lebende Mahnung empfundenen
"Traditionalisten" bzw. Juden und verstellt in der Folge auch den Blick
insbesondere auf die jiddischen Musiktraditionen.
(...)
Der Respekt vor anderen musikalischen Systemen
manifestiert sich in der Genauigkeit des Umgangs mit diesen. Nun hat
sich aber mittlerweile von der Klezmer-Musik die Auffassung von der
leichten Zugänglichkeit eingebürgert, vor allem wegen der vermeintlich
einfachen Improvisationsart, die als viel weniger kompliziert als die
der Jazzmusik dargestellt wird. Vergleiche dieser Art, bei denen das in
der Klezmer-Musik angewandte archaische Verzierungssystem an einer aus
gänzlich anderen Strukturen stammenden musikalischen Ausdrucksweise
gemessen wird, sind ein Beleg für die Weigerung, sich auf eine andere,
"fremde" Kultur einzulassen und deren Bedingungen aus dem ihr eigenen
Umfeld zu begreifen. Denn das Anlegen eigener Wertmaßstäbe zieht immer
Entwertung des Anderen, Fremden nach sich und stellt in diesem
Zusammenhang auch die jüdische Klezmer-Musik als wenig anspruchsvoll
dar.
Solche fragwürdigen Darstellungsweisen, die in die
Mottenkiste des Rassismus gehören (vgl. die Studie von Anke Poenicke,
Afrika in deutschen Medien und Schulbüchern. Konrad-Adenauer-Stiftung
Nr. 29, 2001, insbesondere Musik, S. 46-48), weist den Musikern und
Forschern einen Objektstatus zu, der nicht nur ihre Arbeit und ihre
Person entwertet, sondern darüber hinaus auch ihrer Umwelt die
Möglichkeit gibt, sich auf unbequeme kulturelle Ausdrucksweisen von
vorneherein nicht einzulassen oder diese gar wegen ihrer Fremdheit zu
stigmatisieren.
Deutlich wird eine solche Haltung anhand des folgenden
Beispiels aus der Publikation eines Jazzmusikers, der bundesweit
Workshops zu Klezmer-Musik und Improvisation abhält: Zur
Veranschaulichung der musikalischen Strukturen der Klezmer-Musik wurde
nicht etwa eine Melodie aus dem Repertoire von Klezmorim herangezogen,
sondern das Lied "Fuchs Du hast die Gans gestohlen". Anhand der
Transponierung der Töne d und a in des und as will der Autor dann die
Verwandlung der in C-Dur stehenden Tonart in eine "Klezmer"-Melodie der
Tonart Ahawa Raba demonstrieren. Das Beispiel enthält jedoch keine der
typischen melodischen Wendungen der fraglichen Tonart wie Kadenzen oder
Modulationen, die dann wiederum für die Klezmer-Musik charakteristische
melodisch-ornamentale Einheiten hervorbringen würden. Hier wird das
komplexe musikalische Geflecht von mindestens 500 Jahre alten
Ausdrucksweisen, die mit der Klezmer-Musik untrennbar verwoben sind, auf
die bloße Veränderung von zwei Tönen reduziert.
Man geht keinesfalls zu weit, wenn man Darstellungen
dieser Art kritisiert und zum Ausdruck bringt, dass derartige
Simplifizierungen und Fehlinterpretationen auch einmal im Zusammenhang
mit Fragen des kulturellen Eigentums diskutiert werden mögen: So
beklagen beispielsweise Exil-Tibetaner die Verfälschung ihrer Musik- und
Tanztraditionen durch die chinesische Besatzungsmacht und weisen diese
folklorisierten Darbietungen als nicht-tibetanisch zurück. Und während
der ersten Phase der Bombardierung Afghanistans wurde das Spielen von
afghanischer Festmusik durch amerikanische Propagandasender keineswegs
als Friedensangebot empfunden, sondern als Herrschaftsgeste, die auch
mit kultureller Unwissenheit und besten Absichten nicht entschuldbar
ist.
(...)
Wenn die jüdischen Festivalstars, für viel Geld aus
Amerika und Israel für ein Konzert importiert, wieder abgereist sind,
ist Deutschland wieder mit sich und seinen Ängsten allein. Und die eben
noch weltoffen sich gebenden Kulturkonsumenten verfallen augenblicklich
in die Defensive, sobald ein kritisches Wort sich erhebt. Über solchen
Rekonstruktionen und Reanimationsbemühungen werden die in Deutschland
lebenden jüdischen Künstler und Vertreter heutiger Traditionen beiseite
gedrängt. Kaftantragende Juden und die Klezmer-Klarinette dienen zwar
als Piktogramme der Jiddisch- und Klezmer-Festivals und Jüdischen
Kulturtagen, aber die propagierte Multikulturalität wird jüdischen
Künstlern nur insofern zugestanden, als sich ihre Ausdrucksformen mit
den herrschenden Vorstellungen decken.
Meine Untersuchungen zeigen, daß der Publikumsbeifall
umso heftiger wird, je mehr die Klischees des "Jüdischen" bedient
werden. Dabei steht insbesondere die Darstellung des jüdischen Leids
durch entsprechende musikalische Mittel wie instrumentale Rezitative und
Liedtexte im Vordergrund, die dann in schnelle Rhythmen und jagende
Melodiepassagen umschlagen. Diese rasende, ekstatische Fröhlichkeit der
Musik symbolisiert die Überwindung der Schoah, und manche
Klezmer-Gruppen manipulieren diese Bedürfnisse des Publikums (und wohl
auch ihrer eigenen) in einer Weise, die an ritualistische Abläufe denken
läßt, wobei am Ende die Katharsis, die gemeinsam genossene Erleichterung
und Läuterung steht. Man kann in diesem Zusammenhang von einem
Übersetzungs- und Deutungsversuch des Mythos Holocaust sprechen, der mit
eigenen musikalischen Formen einen Bedeutungswandel eingeleitet und die
Musik in den deutschen Kulturkreis überführt hat.
Diese Musik "jüdischen Ursprungs", wie der Berliner
Klarinettist Harry Timmermann es in seinem Werbepostkarten
bezeichnenderweise ausdrückt, hat mit der traditionellen jüdischen
Klezmer-Musik und mittlerweile auch mit dem amerikanischen Revival wenig
zu tun. Dessen ungeachtet hat sich mittlerweile die Auffassung
eingebürgert, daß die kosackenhaften, peitschenden Rhythmen und ein
"gequält intonierter Klang der Klarinette" und "gequetschte Töne", wie
es sogar der Führer Jüdisches Leben nach 1945 von Hans Ulrich Dillmann
(Hamburg 2001), integraler Bestandteil der jüdischen Aufführungspraxis
sind.
[1] Michael Wuliger, "Rückblick einer Nachgeborenen. Neu
im Kino: Yolande Zaubermans Film 'Ivan und Abraham’", Allgemeine
Jüdische Wochenzeitung vom 26. Juni 1997.
[2] Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 25. August 1994, S. 2.
[3] Theodor W. Adorno, Einführung in die Musiksoziologie. Zwölf
theoretische Vorlesungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975), S. 81.
[4] Dir. Karoline Link, BRD, 1996.
Aus dem Vorwort zum Buch "Jüdische Musiktraditionen",
Rita Ottens und Joel Rubin, S. 7-19.
© Rita Ottens and Joel Rubin 2001
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25-08-04 |