antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Rita Ottens, Joel Rubin:
Klezmer-Musik
Dtv 1999
Euro 10,00

Bestellen?

 

Mehr von Rita Ottens und Joel Rubin:

Das Geheimnis der jüdischen Geige

"Fassade des Stimmigen":
Jüdische Musik in Deutschland

Im Zentrum eines alten Rituals - Die Klarinette in der Klezmer-Musik

http://www.
rubin-ottens.
com

"The Sounds of the Vanishing World": The German Klezmer Movement as a Racial Discourse
Download: PDF (840K)

(A shorter version of this article was originally presented at the conference, “Sounds of Two Worlds: Music as a Mirror of Migration to and from Germany,” in September 2002 at the Max Kade Institute for German-American Studies at the University of Wisconsin in Madison. See also:
Rita Ottens with Joel E. Rubin
Web Based Conference Proceedings University of Wisconsin, Madison Max Kade Institute for German-American Studies, 2004)

 

Lesetipp zu einem In-Phänomen:
Klezmer-Musik

Von Rita Ottens und Joel Rubin
Aus dem Vorwort zum Buch "Klezmer-Musik", S. 9-1
3

In den zwanziger Jahren wurde die als große musikalische Sensation gefeierte "Yiddish American Jazz Band" des Klezmers Joseph Cherniavsky von einer amerikanisch-jiddischen Zeitung als "möglicherweise der erste erfolgreiche Versuch, jiddische Musik wiederzubeleben" gewürdigt.

Um dieselbe Zeit inszenierte am Jiddischen Theater in Moskau der Reinhardt-Adept Alexander Granowski das Stück "Nachts auf dem alten Markt" von Isaac Lejbusch Peretz als schrillen Bilderbogen über eine verschwindende Tradition und sterbende Kultur: Der Marktplatz erschien als ein Friedhof. Und während die großen Klezmer-Klarinettisten Naftule Brandwein und Dave Tarras das heimwehkranke osteuropäische Immigrantenpublikum der Lower East Side mit ihren Klängen beglückten, erhoben die jiddischen Dichter des New Yorker "Insichisten"-Kreises ihre Stimmen zu einem letzten großen Lamento: Mit einer nie gekannten Bitterkeit klagten die von Joyce und Kafka beeinflußten introspektivistischen Sprachvirtuosen, Zeitgenossen der Klezmer-Kultur und des jiddischen Operettentheaters der Second Avenue, über ihre Isolation und Ghettoisierung als jiddische Dichter-Avantgarde und Intellektuelle. Ihre Kunst wurde weder von den ungebildeten Immigrantenkreisen noch von den nichtjüdischen Intellektuellen- und Künstlerzirkeln wahrgenommen.

"Seit mindestens 150 Jahren 'verschwinden' Juden als folkloristische Objekte", bemerkt lakonisch die amerikanische Folkloristin Barbara Kirshenblatt-Gimblett, und die in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts einsetzenden Aktivitäten jüdischer Forscher und Musiker zur Bewahrung jiddischer Musik lassen bereits ein ausgeprägtes Bewußtsein für die allmählich stattfindende Auflösung der traditionellen Lebensformen erkennen. Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Neuordnung Europas vollzieht sich die Historisierung der Shoah in einer gleichzeitigen Welle von Bewahrungs- und Weiterentwicklungsbestrebungen jiddischer Kultur und Musik gänzlich neuer Art: "Klezmer Chai", Klezmer lebt, so nannte sich vor einigen Jahren eine Klezmer-Band aus Leverkusen, und eine ebenfalls nichtjüdische Krakauer Klezmer-Band wirbt gar mit kabbalistischer Symbolik auf dem Cover für ihren Anspruch, "etwas Neues und in der jüdischen Musik Einzigartiges zu schaffen."

Während sich Barbara Kirshenblatt-Gimblett gegen die weitverbreitete Haltung ausspricht, jüdische Ethnographie ausschließlich im Lichte der Shoah zu sehen, ist Klezmer, der traditionellen Hochzeits- und Festmusik des osteuropäischen Judentums in Europa genau das beschieden: Dazu ausersehen, das jüdische Vakuum in Europa auszufüllen, das die Shoah hinterlassen hat, beginnt sie als Symbol für das Judentum eine Rolle in der populären Kultur zu spielen, wobei ihr ein verdächtiges Übermaß an Wohlwollen und Bewahrungsbekundungen seitens des Publikums und der Medien zuteil wird – was könnte einer Musik Schlimmeres passieren!

Die vorliegende Geschichte der Klezmer-Musik handelt nicht vom Klezmer-Revival in Amerika und seinen Ausläufern in Europa, sondern von der eigentlichen Klezmer-Musik und der Klezmer-Kultur, wie sie in Osteuropa als Lebensform innerhalb einer vom jüdischen Religionsgesetz bestimmten Gemeinschaft bestand. Entstanden ist so die kollektive Biographie der Klezmer-Musiker Osteuropas und ihrer unmittelbaren Nachfahren, geschrieben aus der Perspektive der traditionellen jiddischsprachigen Klezmorim selbst. Die jüngsten Interviewpartner waren siebzig Jahre alt, Angehörige einer spärlich dokumentierten funktional-rituellen Musikkultur, die – außer in den chassidischen Gemeinden Israels – heute nicht mehr existiert. So starb der Trompeter Willie Epstein im Juli 1999 im Alter von achtzig Jahren in Florida während der letzten Korrekturen am Manuskript unseres Buches; sein Bruder Max, heute der einzige lebende Klezmer-Musiker von Rang, dessen Spiel und Repertoire noch von osteuropäischen Einwanderermusikern geprägt war, erlitt vor drei Jahren einen Schlaganfall, kurz nach Beendigung des auf unseren Forschungen und Interviews basierenden Dokumentarfilms über ihn und seine Brüder, "A Tickle in The Heart."

Wie in der Geschichtsschreibung üblich, haben wir aus den Erinnerungsfragmenten, nicht selten einander widersprechend, und der Materialfülle die Beispiele ausgewählt, die uns besonders typisch oder bedeutsam erschienen. Bewußt wurden Begriffe aus der jiddischen und hebräischen Sprache, dem Umfeld der Klezmer-Musik, beibehalten, um die Musik mit der ihr eigenen Terminologie zu beschreiben und die sozialen und kulturellen Zusammenhänge der "Klezmeraj", ihr Ausbildungssystem und ihre Aufführungspraxis sowie den musikalischen Formenreichtum der osteuropäisch-jüdischen Welt angemessen zu vermitteln (ein Glossar und Hinweise zur Aussprache dieser Bezeichnungen finden sich im Anhang).

Im vorliegenden Buch werden zum ersten Mal die Wurzeln der Klezmer-Musik im religiösen jüdischen Schrifttum freigelegt, ihre ursprünglich magischen Funktionen und ihr Sitz im mittelalterlichen Volksglauben der rheinländischen Juden dargestellt. Überraschend mag auch die von den Klezmer-Virtuosen des 19. Jahrhunderts wie Gusikow und Pedotser bis hin zu Dave Tarras und Max Epstein vollzogene Hinwendung der jiddischen Instrumentalisten zur westeuropäischen Kunstmusik erscheinen, verbindet man doch zumeist Urwüchsigkeit, Leidenschaft und Sentimentalität mit der bunten, schrägen, anarchischen Musik aus jiddischen, Jazz und Rock-Elementen, die der World Music-Markt heute als "Klezmer" für die sinnsuchende Gesellschaft bereitstellt.

Musikalisch kann Klezmer-Musik nicht als isoliertes Phänomen betrachtet werden: Eine Darstellung ohne die Einbeziehung der Wechselwirkung mit traditionellen südosteuropäischen Musikkulturen ist ebensowenig möglich wie die Ausklammerung ihrer Funktionen in der jüdischen Religionsausübung, die sie – zusammen mit chassidischer und synagogaler Musik – seit Jahrhunderten bewahrt. Das säkulare Yiddish und Klezmer-Revival Amerikas, das gerade diesen Religionsbezug nicht zur Kenntnis nehmen will, basiert auf einer gänzlich anderen Entwicklung: Auf der Nahtstelle zwischen der Alten und Neuen Welt entstand eine Unterhaltungskultur der jiddischsprachigen Immigranten-Unterschichten der Lower East Side, deren Nachkommen in das amerikanische Mainstream-Entertainment, den Jazz und in die klassische Musik abwanderten.

Die amerikanischen Revivalisten übernahmen die aus wenigen Elementen der osteuropäischen Spielweisen bestehende kommerzielle jiddische popular- und Klezmermusik und nahmen eine künstliche Archaisierung vor, die mittlerweile zu einem primitiven Einheitsstil geführt hat, der das genaue Gegenteil zu dem an Paganini orientierten Ideal der Schtetl-Klezmorim darstellt. So schließt das Buch mit einem kritischen Überblick zum Klezmer- Und Yiddish-Revival, das diese Musik seit über zwanzig Jahren popularisiert, aber eben nur scheinbar eine echte Fortsetzung der jahrhundertealten Tradition darstellt. Es fehlt die Basis der jiddischen oder hebräischen Sprache, der chassidischen oder liturgischen Musik, der jüdischen Religion und nicht selten die Kenntnis der mittlerweile historischen Entwicklung des Yiddish-Revivals selbst. Aber gerade die gegenwärtige Situation in den streng orthodoxen Gemeinden Israels zeigt, daß sich die Klezmer-Tradition im religiösen Umfeld erhalten und weiterentwickeln konnte, wenn auch in Formen, die mit ästhetischen Maßstäben allein nicht zu fassen sind, weil sie allein auf religiösen Funktionen fußen.

Gerade dies ist das Anliegen des Buches: die Klezmer-Musik in ihrer Eigenart zu definieren und ihren Weg von der funktionalen Einbettung in das jüdische Ritual bis zur ästhetisierten und kommerzialisierten Form zu beschreiben. Denn losgelöst von der jüdischen Religion erscheint Klezmer-Musik nur als ein Sammelsurium von willkürlichen Tönen und Rhythmen. Begriffsunschärfen und Unkenntnis haben zu Beliebigkeit, Austauschbarkeit und Putzigkeit mit "Klezmer-Tangos", "Klezmer-Chansons", "Klezmer-Tänzen" geführt — und das entspricht nicht der geschichtlichen Wahrheit der einst hochentwickelten urbanen jüdischen Festmusik Osteuropas, aus deren Reihen die Elite der klassischen Virtuosen des 20. Jahrhunderts von Mischa Elman bis Emanuel Feuerman hervorging.

Nur mit einem fachübergreifenden Ansatz, der Elemente aus Musikethnologie und historischer Musikologie, Judaistik, vergleichender Religions- und Literaturwissenschaft, Geschichte, Soziologie sowie Cultural Studies vereint, war es uns möglich, die komplexen Entwicklungen der traditionellen Klezmer-Musik zu erschließen und ihren Weg über Zeitalter und Kontinente darzustellen. Seit 1989 führen wir Interviews und Forschungen in den USA, Ost- und Westeuropa (u. a. Litauen, Rußland und Birobidschhan) sowie Israel durch, dazu kommt eine Sammeltätigkeit seit den 60er Jahren. Die musikalische Zusammenarbeit von Joel Rubin – selbst einer der ersten Protagonisten des Revivals in den USA – insbesondere mit den Epstein Brothers und den chassidischen Musikern in Israel öffneten uns die Türen zu einer Welt, deren Denken und Fühlen nicht nur unsere Forschung bereichert und dieses Buch möglich gemacht hat, sondern auch unser Leben insgesamt veränderte.

Die parallel produzierte CD "Oytsres (Treasures): Klezmer Music 1908–1996" (Wergo) entspricht in der Auswahl unserer derzeitigen Auffassung und der Intention des Buches. Möge dieses Buch dazu beitragen, was die "Insichisten" für ihre Literatur vergeblich einforderten: Daß die jiddische Kultur und die Klezmer-Musik nicht mehr unbekannt bleibe und ihre Künstler nicht mehr als "Hottentotten" betrachtet werden – nicht nur im Hinblick auf die phänomenologischen, sondern durchaus auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Implikationen.

Aus dem Vorwort zum Buch "Klezmer-Musik", Rita Ottens und Joel Rubin, S. 9-13.
© Rita Ottens and Joel Rubin 1999
http://www.rubin-ottens.com

hagalil.com 04-10-04











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem