antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Rita Ottens, Joel Rubin:
Klezmer-Musik
Dtv 1999
Euro 10,00

Bestellen?

 

Mehr von Rita Ottens und Joel Rubin:

Klezmer-Musik

"Fassade des Stimmigen":
Jüdische Musik in Deutschland

http://www.
rubin-ottens.
com

 

"The Sounds of the Vanishing World": The German Klezmer Movement as a Racial Discourse
Download: PDF (840K)

(A shorter version of this article was originally presented at the conference, “Sounds of Two Worlds: Music as a Mirror of Migration to and from Germany,” in September 2002 at the Max Kade Institute for German-American Studies at the University of Wisconsin in Madison. See also:
Rita Ottens with Joel E. Rubin
Web Based Conference Proceedings University of Wisconsin, Madison Max Kade Institute for German-American Studies, 2004)

Klezmer-Musik:
Das Geheimnis der jüdischen Geige

Von Rita Ottens und Joel Rubin
Aus dem Buch "Klezmer-Musik", S.
107-109

"Ihr wollt wissen, wieviele Männer unter einem Dach wohnen? Schau an die Wände! Es wohnen so viele Männer dort, wie Geigen daran hängen!" schrieb Isaac Lejbusch Peretz in seiner klassischen Erzählung "A Gilgl fun a Nign" (Die Seelenwanderung einer Melodie, 1901).

Es ist nicht das erste Mal, daß nach den Ursachen des großen Anteils jüdischer Musiker, insbesondere unter den bedeutendsten Violinsolisten seit der Zeit um die Jahrhundertwende, gefragt wird. Der Publizist Joachim Harnack spricht von den "gewissen Eigenarten ihres Spiels", das insbesondere durch "eine besonders satte Färbung – und zwar ein dunkel-sonores Timbre" des Tons – charakterisiert ist. Hartnack bemerkt einen einerseits "eigenartigen sinnlichen Schimmer" bei Geigern wie Huberman, Elman und Heifetz und zeigt sich andererseits erstaunt über den "keuschen" Ton von Menuhin oder über Milsteins "beinahe kühle Noblesse, aus der jeder Hauch von Sinnlichkeit verbannt scheint – um dann bei anderer Gelegenheit um so deutlicher hervorzutreten".

Was ist nun das Geheimnis dieses besonderen Tons, an dem sich noch bis zur Jahrhundertmitte die jüdische Herkunft eines Geigers nachweisen ließ? Hartnack vergleicht bewundernd die "besondere Glätte der Tonemission und eine ganz eigene Art des Portamentospiels" jüdischer Geiger auf Schallplatten der dreißiger Jahre mit dem Portamentosingen des Kantoren Joseph Schmidt (1904–1942) aus Davideni/Bukowina und erkennt Ähnlichkeiten zwischen Gesangstechnik der Kantoren und den "Tonmodulationen und der Tonbewegung" von Jascha Heifetz – "und zwar nicht nur im Legato, sondern auch beim Détaché." Hier jedoch fehlt Hartnack das letzte Stück im Puzzle, die Kenntnis über Klezmorim – von der Musikgeschichtsschreibung bis heute zumeist als Folklore abgetan und daher als nicht zur Hochkultur gehörig erachtet.

Hätte er jemals die Aufnahmen der Geiger Winjar oder Zehngut [Die unmittelbar nach Drucklegung des Buches neuesten diskografischen Forschungsergebnisse wurden von uns bereits im Booklet zur CD "Oytsres" eingearbeitet. Danach war Winjar der Name einer Sängerin des Jiddischen Theaters Kiew, die bei den Rabinowitsch-Einspielungen 1937 mitwirkte. Siehe auch Prolog "Ein Klezmer-Orchester für Väterchen Stalin, S. 19-39. Richtig muß es also heißen "die Geiger Rabinowitsch und Zehngut". Die Autoren] oder gar den Klarinettisten Dave Tarras mit seiner Raffinesse hören können, hätte er leicht zu dem Schluß gelangen können, daß das Geheimnis der großen jüdischen Geiger in der eng mit dem Synagogalgesang verwobenen Tradition der Klezmorim liegt, von der auch Joseph Schmidts Vortrag geprägt war.

Dabei enthält eine der frühen Joseph Schmidt-Biographien noch eine erstaunlich detaillierte Beschreibung der musikalischen Welt des Sängers, der "in seinen größten Momenten mit einer todberührten Inbrunst" sang, so der Kritiker Jürgen Kesting. Die Einflüsse der Volkslieder, "Doinas", "Horas", Gassenhauer und Musik der Zigeuner auf den angehenden Weltstar fehlen in späteren Lebensbeschreibungen gänzlich, übergangen werden auch die als Klezmorim nicht ausdrücklich gekennzeichneten "jüdischen Musikkapellen mit ihrer Originalität und ganz eigenem Stil". Ebenso unbefriedigend wie aufschlußreich ist die musiklexikalische Behandlung der Klezmorim und ihrer Musik: Sie erscheinen allenfalls als wenig beachtenswerte Anhängsel der Liturgie und nicht als lebendige Bewahrer "eines bis in die Frühzeit zurückreichenden künstlerischen Erbes, das die Kunstmusiker zumeist verachtend abstreiften", wie es der Musikwissenschaftler Walter Salmen für die Spielleute formulierte. Auch der Klezmer gab neben der "musica composita" seiner Zeit die Traditionen der nicht komponierten Musik aus der Frühzeit in schöpferischen und vielfältigen Umformungsprozessen an die nächste Generation weiter.

Grundsätzliches zu Mißverständnissen der Klezmer-Musik

Nur so ist auch zu verstehen, warum in den Biographien der großen Geigenvirtuosen deren Väter mißverständlicherweise als "Amateurgeiger" wie bei Joseph Achron oder unter der Berufsbezeichnung "Dorfschullehrer" – so Mischa Elmans Vater – erscheinen. Auch Heifetz' Vater Reuven stammte aus dem Klezmer-Milieu: Er sei "Theatermusiker" gewesen, wobei die Frage offenbleibt, ob allgemeines oder Jiddisches Theater, vermutlich spielte er außerdem auch auf Hochzeiten. Seine Stellung als Konzertmeister beim Symphonieorchester in Wilna verdankte er seiner Ausbildung als Klezmer und als Musiker in einem jiddischen Theaterorchester, was durchaus nicht – wie vielfach angenommen – immer dasselbe ist.

Der Begriff eines "Amateurmusikers" besaß im jüdischen Osteuropa eine ganz andere Bedeutung als in Westeuropa, das seine Kriterien auf einen Beruf und eine Musik anwendet, für deren Spielweisen sich eigene Ausbildungsstrukturen heranbildeten und die deshalb auch eine systematische Konservatoriumsausbildung nicht erforderlich machten – ohnehin war Juden der Besuch der Konservatorien nicht vor dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts möglich. Wie wichtig für das Verständnis der Klezmer-Musik und ihrer Weiterentwicklung gerade die Kenntnis der gesellschaftlich-religiösen Strukturen des jüdischen Osteuropas ist, verdeutlichen folgende Details: Die Bezeichnung "Dorfschullehrer" für Elmans Vater, dessen Vater wiederum ein bekannter Klezmer in Uman war, verkennt zum einen die Tatsache, daß Talnoje mit seinen 10 000 Einwohnern – davon mehr als die Hälfte Juden – keineswegs ein Dorf war, sondern immerhin Sitz des chassidischen Hofes von Reb Dowidl Twersky mit seinem berühmten Chasn Reb Jossele Tolner.

Zum andern konnte Elmans Vater Saul neben seiner Stellung als "Melamed", als Lehrer in einem Chejder, offensichtlich auch als ein nach dem Klezmer-System vollendet ausgebildeter Geiger und Pädagoge gelten. Denn bis zu seinem zwölften Lebensjahr erhielt Mischa Elman Violinunterricht von seinem Vater, erst nach seinem gefeierten Berliner Konzertdebüt im Jahre 1904 setzte der frühvollendete Künstler seine Studien bei Alexander Fiedelman an der Kaiserlichen Musikschule in Odessa fort.

Das Unterrichtssystem des "Chejder" vermittelte den jüdischen Knaben eine klassische Ausbildung. Das Lesen der hebräischen Schriften versetzte sie in die früheste Zeit ihres Volkes zurück und erzeugte auf diese Weise ein beständiges Nebeneinander von Gegenwart und Vergangenheit im Denken bereits der jüngsten Schüler. So unterrichtete ein Melamed neben dem biblischen Hebräisch noch ein halbes Dutzend hebräische und aramäische Dialekte, von der Sprache der "Mischna", der um 200 u. Z. redigierten Grundlage des Talmud, bis zu der rabbinischen Sprache des Kommentators Raschi aus dem 11. Jahrhundert. Im Chejder wurde auf die hebräischen Fächer tatsächlich drei- bis viermal soviel Zeit verwandt wie in den besten Gymnasien Europas auf Latein und Griechisch zusammen.

Wie fruchtbar sich gerade dieses kompromißlose Eintauchen in die geschichtliche Vergangenheit auf die jüdische Kultur auswirkte, beweist nicht nur die enge Verflechtung von Talmud und Tora mit der liturgischen und der klezmerischen Festmusik: Das über tausend Jahre entwickelte Lehr- und Denksystem auf der Grundlage dieses religiösen Schrifttums bildete auch den geistigen Nährboden für die Elite der klassischen Geigenvirtuosen des 20. Jahrhunderts und so unterschiedlicher Vertreter der künstlerischen Moderne wie die Maler Marc Chagall und Chaim Soutine (1893–1943) sowie die avantgardistische Bewegung der "Insichisten", der Introspektivisten, einer Gruppe um die jiddischen Dichter Jacob Glatshteyn (1896–1971) und A. Leyeles (Aron Glanz; 1889–1966) im New York der zwanziger Jahre.

Aus dem Buch "Klezmer-Musik", Rita Ottens und Joel Rubin, S. 107-109.
© Rita Ottens and Joel Rubin 1999
http://www.rubin-ottens.com

hagalil.com 04-10-04











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem