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Schrille Vielstimmigkeit: Der deutsche Neo-Nationalsozialismus

Der deutsche Neo-Nationalsozialismus ist zu disparat, um ihn in einem Guss darzutellen. Es gibt keine umfassende Theorie und keinen roten Faden, die die Fragmente schlüssig miteinander verbinden könnte. Wer von den „ewig Gestrigen“ redet, verkennt, dass der Neo-Nationalsozialismus sich längst auf die deutsche Geschichte nach Hitler eingelassen hat…

Von Dieter Maier

Die dumpfen Klüngel der NPD, die intellektuelle Neue Rechte und die „freien Kameradschaften“ haben irgendetwas gemeinsam, aber das ist kein Nenner, sondern ein Bündel diffuser Einstellungen, Hass auf jeweils unterschiedliche Teile der Bevölkerung. Der Verlag edition critic war deshalb gut beraten, einen Sammelband mit Beiträgen des Journalisten und Sachbuchautors Anton Maegerle herauszugeben, der die Themenpalette abdeckt.

Maegerle hat länger und intensiver dazur gearbeitet als viele seine deutschen Kollegen. Er hat zahlreiche Bücher verfasst, für ungezählte Fernsehdokumentationen recherchiert und vor Ort gedreht und kontinuierlich Artikel veröffentlicht. Seine hier zusammengestellte Texte bilden ein Mosaik, das die Entwicklung und Vielschichtigkeit des Neo-Nationalsozialismus erkennen läßt. Maegerle zeichnet die Linien von Hitlers Obersalzberg (wo er sich in eine Wallfahrt von Nostalgikern einschmuggelte) bis zur NSU. Die Texte sind mit Fakten grundiert, exakt beobachtet und politisch zugespitzt. Immer wieder geht Maegerle dem Spiel ins Sektenhafte nach, das dem deutschen Neo-Nationalsozialismus durchgängig anhaftet. Die monströse Hitlerzeit kann nur um den Preis der Irrationalität der heutigen politischen Situation angepasst, der Bruch von 1945 nur auf verschlungenen Wegen umgangen werden. Die Uneinheitlichkeit des heutigen NS-Phänomens hat hier ihre Wurzeln.

Maegerle zeigt die Verstrickungen des Nationalismus in einer globalisierten Welt auf: Es ist eine Internationale der Nationalisten, die zu Rudolf Heß´ Geburtstag und anderen Anlässen marschiert. Die Holocaust-Leugnung war von Anfang an international und hat mit ihrere Pseudowissenschaftlichkeit der bornierten deutschen Szene einen Modernisierungsschub verpasst. Dieselbe Wirkung hatte die Neue Rechte, die sich um einen Rassismus nach Auschwitz bemühte.

Maegerle macht deutlich, dass der rechte Terror in Deutschland weit mehr Opfer gefordert hat als der linke, den die Ämter für Verfassungsschutz so gerne betonen. Alleine nach 1990 waren es 140 Todesopfer, darunter „Migranten, Homosexuelle, Behinderte, Obdachlose, Linke, Gewerkschaftler, Journalisten, Roma, Juden und auch Aussliedler“. Bei alle dem stellt das „jüdische Feindbild ein zentrales Bindeglied der rechtsextremen Ideologie dar“, so Maegerle. Der deutsche Neo-Nationalsozialismus ist ein Kontinuum, das mit wechselden Farben in einer Zick-Zack-Linie verläuft und tief in Gesellschaft und Staat hineinreicht.

Maegerles Sammelband ist ein wohltuendes Korrektiv zu den an politischen Vorgaben ausgerichteten Verfassungsschutzberichten. Der Namensindex von 28 Seiten macht das Buch zu einem Nachschlagewerk, nach dem man sonst lange suchen müsste.

Anton Maegerle: Vom Obersalzberg bis zum NSU : die extreme Rechte und die politische Kultur der Bundesrepublik1988-2013. Berlin, Edition Critic 2013, 409 S., Euro 20,00, Bestellen?