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Ein bewegtes Leben

Josef Shakeds Lebenserinnerungen…

„Gegen Mitte der 50er Jahre schützte mich wohl ein gewisses jugendliches Selbstbewusstsein vor allzu quälenden Zweifeln. Aber hin und wieder kamen mir doch Bedenken, ob ich am richtigen Ort gelandet war.“
Josef Shaked über seine Übersiedlung nach Wien

Von Roland Kaufhold

Josef Shaked, 1929 in Ungarn geboren, dann noch rechtzeitig mit seinen Eltern in das damalige Palästina emigriert, lebt seit knapp 60 Jahren in Österreich. Er blickt auf ein spannendes, höchst außergewöhnliches Leben zurück. Versammelt hat er seine Lebenserfahrungen nun in einem Lehrbuch über Gruppenpsychotherapie – also über das Fach, welches er als Psychoanalytiker und undogmatischer Freud-Schüler entwickelt hat. Und doch ist sein Buch bei Weitem mehr als ein Fachbuch: Es ist auch eine autobiografische Zeitreise, eingebettet in die Geschichte der Psychoanalyse. Ein außergewöhnliches Leben. Ein Leben als Jude, der sich immer wieder selbstreflexiv auf seine jüdische Abstammung bezieht. Ein außergewöhnliches Werk. Ein Stück Zeitgeschichte.


© Walter Wehmeyer

Versammelt sind hierin Bruchstücke, die nur schwer miteinander zu verbinden sind – für seine Umwelt. Josef Shaked hat sie seelisch zusammen geführt. Was blieb ihm anderes übrig? Vergleichbar ist sein mit „Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse“ betiteltes Spätwerk am ehesten mit dem Essayband „Ein Leben mit der Psychoanalyse“ seines langjährigen Freundes Ernst Federn.

Josef Shaked wuchs in Ungarn auf, seine Eltern emigrierten Anfang der 30er Jahre als überzeugte Zionisten nach Palästina, entgingen so der Shoah. Die Familie hieß ursprünglich Scharf, sie nahm im jungen jüdischen Staat als zionistische Familie den Namen Shaked an. Sie lebten in einem arabischen Viertel der multikulturellen Stadt Haifa, im Norden Israels gelegen. Sein Vater, ein gelernter Steuerberater, beteiligte sich als Zionist am Aufbau Israels – seiner neuen biografischen Heimat. Er arbeitete auf dem Bau, obwohl er körperlich hierzu nur wenig geeignet schien. Und er sprach nur noch hebräisch. Mit seiner Muttersprache wollten sein Vater nichts mehr zu tun haben.

Der junge Josef Shaked war identifiziert mit dem „linken Zionismus“, den u.a. der linke Psychoanalytiker und Zionist Siegfried Bernfeld1 repräsentierte. Er las die Schriften Freuds wie auch Marx. Josef Shaked kämpfte im Unabhängigkeitskampf Israels als Soldat, seine Identität blieb mit dem jüdischen Staat verknüpft, welchen er doch bald verlassen sollte.

Shaked wollte Psychoanalytiker werden, wusste jedoch nicht wie. Und er war weitgehend mittellos. 1951 ging er Dank eines Stipendiums zum Medizinstudium nach New York, dem damaligen Zentrum emigrierter Wiener Psychoanalytiker. Sein Schwerpunkt war die Biochemie: „Dieses Studium absolvierte ich zwar in viereinhalb Jahren, freilich ohne besondere Interessen oder gar Engagement.“ (S. 14) Nebenbei arbeitete er als Nachhilfelehrer und Übersetzer, als Kellner und als Schichtarbeiter. Hierbei machte er zahlreiche soziale Erfahrungen, die sein Interesse am Verständnis des Menschen weckten. Viele Jahre später, in Österreich, freundete er sich mit dem 15 Jahre älteren Ernst Federn an, der sieben Jahren Konzentrationslager überlebt hatte und sich, wie Shaked selbst, anfangs als Linker, als „Trotzkist“ verstand. Für solche Ideen war in ihrem neuen, seinerzeit von der McCarthy Ära geprägtem Heimatland USA kein Platz. Beide sollten die USA wieder verlassen. Dies unterschied sie von der Mehrzahl ihrer in die USA geflohenen jüdischen Kollegen und Freunden.

Im autobiographischen Rückblick beschreibt Josef Shaked seine vier Jahre in den USA so: „Ich fühlte mich dann bald in eher linken Kreisen heimisch, das Jüdische spielte keine wesentliche Rolle. (…) Dass sich der Freundeskreis aus Schwarzen, aus Trotzkisten und anderen Oppositionellen zusammensetzte mag wohl eine Art Protest gegen das Establishment gewesen sein, der in Israel begann und sich in Amerika nun verstärkte; vielleicht war es auch eine Rebellion gegen den Vater, denn schließlich verließ ich ja Israel.“ (S. 15) Die Erfahrungen im multikulturellen, weltoffenen New York prägten seine Identitätssuche.

Nach Abschluss seines Biochemiestudiums betrieb er noch ein Semester jüdische Studien, „vielleicht ein Versuch, in dieser Zeit des persönlichen Zweifels und der grundlegenden Skepsis an allem mich nochmals mit meinen Ursprüngen auseinanderzusetzen.“ (S. 16)

Josef Shaked suchte eine neue seelische Heimat, eine private und berufliche Identität. Er fasste einen höchst außergewöhnlichen Beschluss, den im jungen jüdischen Staat wohl kaum jemand nachzuvollziehen vermochte: Er wollte nach Europa, „zurück zu Freud“. Deutschland kam nicht in Frage, trug sein israelischer Pass doch (wie alle israelischen Pässe) den Stempel „Alle Länder der Welt außer Deutschland.“ 1955 beschloss der 26-jährige, zum Studium in das Freudsche Wien zu gehen, um dort die Psychoanalyse zu erlernen. Er wollte etwas zurück bringen, von dem doch nichts mehr existierte: Nahezu alle jüdischen Psychoanalytiker hatten in der Nazizeit Wien verlassen, die Mehrzahl von ihnen emigrierte in die USA, einige wurden ermordet, nur drei Psychoanalytiker waren in Wien geblieben. Der 82-jährige Psychoanalytiker und Emigrant Josef Shaked sinnt über seine Motive für diese höchst ungewöhnliche Wahl nach: In Wien, „so dachte ich, würde sich mein Lebenstraum verwirklichen lassen. Dieser Traum hatte sich in mir schon als 15-jährigem festgesetzt, als ich während meiner Mittelschulzeit in Israel auf die Schriften Sigmund Freuds stieß und in der Folge nicht mehr von der Idee lassen konnte, selbst Psychoanalytiker zu werden. Im Nachhinein erscheint mir diese frühe Weichenstellung als eine Art Pubertätsreaktion, als ein Protest gegen die traditionelle Erziehung und wohl auch gegen mein religiöses Elternhaus. In der Klasse war ich damit ein Außenseiter,  keiner meiner Freunde oder Mitschüler ließ sich zu einem solchen intellektuellen Abenteuer überreden.“ (S. 13)

Shaked studierte Medizin in Wien, musste vor allem jedoch noch einmal Deutsch lernen, dessen er „kaum mächtig“ war, so dass er sich die Sprache „im Selbststudium erst mühsam aneignen musste.“ (S. 17) Zur Finanzierung seines Studium unterrichtete er privat Englisch und an mehreren Schulen Hebräisch und jüdische Religion; „schließlich fand ich mich in der Funktion als Schulinspektor der Kulturgemeinde, mit der ich ansonsten wenig zu tun hatte, wieder und hatte mehrere Lehrer unter mir. Alles in allem führten diese Umstände dazu, dass sich das Studium doch sehr in die Länge zog.“ (S. 17)

Anfang der 60er Jahre machte er bei Igor Caruso eine Psychoanalyse. Ein lang gehegter Traum erfüllte sich. Und doch beschlichen ihn Zweifel an der Qualität dieser Ausbildung. Caruso, der aus einem adeligen, katholischen  Elternhaus stammte, war eine charismatische Persönlichkeit. In den 60er und 70er Jahren profilierte er sich in Österreich als ein „progressiver“ Hochschullehrer und Psychoanalytiker, der Impulse der Frankfurter Schule und der (in Österreich winzigen) Studentenbewegung aufzugreifen bzw. eine eigene therapeutische „Schule“ aufzubauen schien. Vor wenigen Jahren, ab 2008, wurden die Idealisierungen, die Caruso lange von „linken“ Psychotherapeuten und Sozialwissenschaftlern entgegen gebracht worden sind, durch Entdeckungen über seine Verstrickungen als medizinischer Gutachter im nationalsozialistische Euthanasieprogramm schwer erschüttert (vgl. Publikationen von Vogt, Parth, List, Reiter, Göllner, Benetka und Rudolph).2 Josef Shaked zeichnet seine eigene berufliche Sozialisation unter Caruso ausführlich nach, wie auch seine tiefe Erschütterung über diese Entdeckungen über die „andere Seite“ seines langjährigen, 15 Jahre älteren Kollegen. Er hebt hervor: „Dabei ist mir mein eigenes Nicht-wissen-Wollen in dieser Sache umso unbegreiflicher, als ein anhaltend hohes Interesse an Geschichte und Verbrechen der NS-Zeit schon wegen meiner jüdischen Herkunft für mich ebenso eine Selbstverständlichkeit war wie ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Erwachsenen, die im Dritten Reich lebten.“ (S. 67) Und: „Die ganze Angelegenheit erfüllt mich mit großer Betroffenheit, um nicht zu sagen mit Fassungslosigkeit.“ (S. 68)

Den Schwerpunkt dieses umfassenden Werkes bilden jedoch seine klinischen und theoretischen Studien. Josef Shaked zeichnet die  Entstehung und Entwicklung der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse“ nach, diskutiert verschiedene theoretische Schulen, insbesondere die Ich-Psychologie, und rekapituliert die vielfältigen, zeithistorisch eingebetteten Angriffe gegen Freuds Werk.

Sein theoretisches Hauptinteresse bilden jedoch seine Erfahrungen mit analytischen Großgruppen, deren theoretischen Modelle er maßgeblich geprägt hat. Einige Kapitel seien genannt: „Setting und typische Merkmale von Großgruppen“, „Zur Verflechtung von Politischem und Psychischem“, „Zum Problem der Gruppenleitung“ sowie „Interkulturelle Großgruppen“.

Josef Shaked, der mit der 68er -Protestbewegung sympathisiert hatte, machte immer wieder heftigste Erfahrungen mit Angriffen gegen seine Person, was vor allem in seiner jüdischen Identität begründet war. Die Projektionen und Attacken gingen gleichermaßen von „linken“ wie von „rechten“ politischen Kräften aus. Immer wieder wurde er als ein „jüdischer Rächer“ phantasiert; in Großgruppentherapien kam es zu Phantasien von körperlichen Übergriffen. Andererseits wurde er positiv als ein vergebender jüdischer Vater projiziert. Immer wieder musste er die schmerzhafte Erfahrung machen, dass er als Jude selbst nicht akzeptiert wurde. Er blieb das Phantasma seiner Umwelt. Sein seelischer Ort blieb randständig, fern ab von der „kompakten Majorität“ (Sigmund Freud).

In Wien freundete er sich mit dem 15 Jahre älteren Ernst Federn an, der sieben Jahren Konzentrationslager überlebt hatte und sich, wie Shaked selbst, anfangs als Linker, als „Trotzkist“ verstanden hatte. Die politischen und psychoanalytisch-reformerischen Interessen führten sie zusammen, wie auch die Gemeinsamkeiten in ihren Biografien. Shaked und Federn waren wohl die einzigen Wiener Psychoanalytiker, die auf Dauer wieder nach Wien zurück gekehrt bzw. nach Wien übersiedelt sind.

Josef Shaked beteiligte sich an zahlreichen Forschungsvorhaben über Antisemitismus und über Fortwirkungen des Nationalsozialismus, ein Engagement, das bis heute fortwirkt. Gegen Ende seines Buches bemerkt er: „Im Wien der Nachkriegszeit bot sich mir reichlich Gelegenheit, den traditionellen und wieder erwachten katholischen Antisemitismus, gepaart mit Restbeständen der nationalsozialistischen Ideologie aus der Nähe zu erleben und zu studieren, ohne mich persönlich betroffen zu fühlen.“ (S. 390)

Wenn auch Wien seit mehr als fünf Jahrzehnten sein Zuhause ist so bleibt Israel doch seine emotionale Heimat. Der Antisemitismus der Wiener habe ihn nie persönlich gekränkt, hat er mehrfach betont, weil er ja als Fremder, aus einer anderen Welt, nach Wien gekommen sei. Seinen israelischen Pass hat er stets behalten, neben seinem österreichischen. Die Wiener hätten ja immer dafür gesorgt, dass man sich dort nicht daheim fühle.3 Seiner Utopien, die ihn als jungen Mann prägten, ist er verlustig gegangen. Aber diese skeptische Grundhaltung teilt er mit Freud.

Öffentliche Aufmerksamkeit, dies bleibt noch nachzutragen, haben in den letzten Jahren die von ihm, seiner Ehefrau Susanne sowie der Wiener Psychotherapeutin Evelyn Böhmer-Laufer – als Begründerin und Hauptmotor – seit zehn Jahren regelmäßig durchgeführten Peace Camps mit österreichischen, israelischen, palästinensischen und ungarischen Jugendlichen gefunden.4


© Evelyn Böhmer-Laufer

Nachdrücklich haben sich in mir die Szenen eines Dokumentarfilmes über ihr Projekt der Peace Camps festgesetzt, in denen der betagte, kleine Mann zwischen diesen auf dem Fußboden sitzenden Jugendlichen steht und wohl über sich selbst spricht. Es sind friedenspolitische Bemühungen eines Unentwegten, eines skeptischen Menschenfreundes, die sein gesamtes Leben widerspiegeln.

Josef Shaked: Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse,  Psychosozial Verlag 2011, 456 S., 39,90 Euro, Bestellen?

  1. Siehe auch: Roland Kaufhold (2012): Jugendbewegt. Der Zionist, Reformpädagoge und Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld, Jüdische Allgemeine, 30.08.2012, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13876/highlight/kaufhold []
  2. Bettina Reiter (2008): Es waren doch nur Gutachten, Die Presse.com, 5.9.2008: http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/411984/Es-waren-doch-nur-Gutachten; Weitere Dokumente zur Caruso-Debatte finden sich auf http://www.zptp.eu./home.php?act=showmain&V_PRIMARY=62&ka=56&su=62&lang=1. Die Red. hat dort zahlreiche Dokumente zu Caruso und NS zusammen gestellt. []
  3. Verena Mayer (2006): Die Gesetze der Seele. In den Fußstapfen des großen Meisters: Der Psychoanalytiker Josef Shaked, das Freud-Jahr und die Abgründe der Stadt Wien. Der Tagesspiegel, 24.4.2006. http://www.tagesspiegel.de/zeitung/die-gesetze-der-seele/704388.html []
  4. www.peacecamp.blogger.de; http://www.hagalil.com/archiv/2005/04/peacecamp.htm; http://www.youtube.com/watch?v=zIzFY-n61Nk; http://www.hagalil.com/archiv/2004/11/peacecamp.htm;  http://www.youtube.com/watch?v=QaymgNOqRfY []