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Fremder Feind, so nah – Begegnungen mit Palästinensern und Israelis

„Nur wenn wir das Leid des Anderen anerkennen, kann es eine Verständigung geben“. So der jüdisch-israelische Psychologe Dan Bar-On, der das Modell des „Storytelling“ entwickelte, um Konfliktpartner einander näher zu bringen. Dabei gehe es darum, durch das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte und das aufmerksame Zuhören bei den Erzählungen des Anderen zu einem eigenen inneren Dialog mit der verfeindeten Gegenseite zu kommen und Anteile des eigenen Ich im Anderen wiederzufinden. Die von Dan Bar-On in drei Jahrzehnten initiierten Gespräche zwischen Juden und Deutschen, Israelis und Palästinensern sind hierfür beispielgebend…

Von Susanne Beischer

Zuletzt hat Dan Bar-On seine Friedensarbeit ausgeweitet. In einem über drei Jahre angelegten Seminar, das von der Körber-Stiftung in Hamburg veranstaltet wurde, gab er seine Instrumente für Dialogarbeit an Teilnehmer aus aller Welt weiter. Im September 2008 starb Dan Bar-On kurz vor seinem 70. Lebensjahr an seinem Krebsleiden.

Bei diesem Seminar „Storytelling in Conflicts“ assistierte ihm die Islamwissenschaftlerin, Autorin und ehemalige Vorständlerin des deutsch-israelischen Arbeitskreises für Frieden in Nahost (diAk) (www.diak.org) Alexandra Senfft. Seit 1991 war sie mit dem in Beer Sheva lehrenden Psychologie-Professor freundschaftlich verbunden. Damals arbeitete sie für das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge in den Besetzten Palästinensischen Gebieten und lernte Dan Bar-On kennen, als er sich trotz der prekären Sicherheitslage nach Gaza begab, um dort Dialogpartner zu sprechen.

Dan Bar-On hat Alexandra Senfft bei der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte, die sie in ihrem 2007 erschienenen Buch „Schweigen tut weh“ für eine breite Öffentlichkeit aufschrieb, fürsorglich beraten und  begleitet. Als Enkelin eines Naziverbrechers warf sie mit der Biographie ihrer Mutter einen transgenerationalen Blick auf die Folgen des Nationalsozialismus sowie auf die familiäre und gesellschaftliche Dynamik in der Generation ihrer Mutter.

Aus der Zusammenarbeit mit Dan Bar-On ist nun ein weiteres Buch von Alexandra Senfft hervorgegangen, in dem sie sich mit unterschiedlichen Dialogebenen zwischen Palästinensern, Israelis und Juden sowie Deutschen beschäftigt. Im Fokus ihrer Berichte steht das, was Bar-On als das „Spannungsdreieck“ – Palästinenser, Juden/Israelis, Deutsche ­- bezeichnet hatte. Mit ihrem intellektuellen und beruflichen Hintergrund begab sich Alexandra Senfft auf den Weg nach Israel, in die Besetzten Gebiete, nach London und Berlin, um mit Menschen zu sprechen, die sich für eine Verständigung mit dem feindlichen Gegenüber einsetzen. Sie begegnete Personen, die sich von der physisch und psychisch erlebbaren Mauer nicht davon abhalten lassen, den Kontakt zur anderen Seite zu suchen und die sich weigern, die Menschen auf der politisch anderen Seite als Feinde zu dämonisieren. Im Nahen Osten bedeutet das meist, sich vom Mainstream ihrer jeweiligen Gesellschaften zu entfernen und sich permanenten verbalen – manchmal sogar physischen – Angriffen auszusetzen.

Auf diese Reise nimmt Alexandra Senfft die Leser mit, gibt tiefe Einblicke in die berührenden Lebensgeschichten ihrer Gesprächspartner, die von Brüchigkeit und Verwundungen erzählen, aber auch von Kraft und Hoffnung auf Veränderung. Eingebettet hat die sachkundige Autorin diese Geschichten in politisch-historische Fakten, die das komplexe Geschehen im Nahen Osten verständlicher machen.

In den Begegnungen mit dem Palästinenser Khaled Abu Awwad und dem Israeli Rami Elhanan, die beide im Verein verwaister Eltern (Parents Circle) mitwirken, offenbart sich eine Freundschaft zweier Männer, die durch ihre tiefe Trauer um den Bruder und die Tochter miteinander verbunden sind. Rache werde sein Kind nicht zurückbringen, so Rami Elhanan. Den Mord an seiner 14-jährigen Tochter werde er niemals vergeben. Die einzige Alternative zur Gewalt sei für ihn der Dialog mit den Palästinensern. Es gehe ihm darum, „mit dem Trauma und dem Schmerz leben zu können, damit das Leid nicht von Generation zu Generation weitergereicht wird und immer neues Unheil schafft“. Das sagt ein Mann, dessen Vater seine Familie im Holocaust verloren hatte.

Die bekannte israelische Journalistin Amira Hass, die jahrelang in Gaza lebte und nun aus Ramallah für die linksliberale israelische Tageszeitung Ha’aretz berichtet, erzählt der befreundeten Interviewerin kritisch über die aktuell spürbaren Folgen der Besatzung und die alltäglichen Repressionen, die die Menschen auf der anderen Seite des Konflikts erleben müssen. „Dialog ist für mich ein leeres Wort – ebenso wie Frieden oder Versöhnung. Diese Begriffe sind in den letzten 15 Jahren inflationär und sinnentlernt gebraucht worden“ betont Amira Hass. „Ein Dialog  ist es nur, wenn es Grundlage und Ziel des Gesprächs ist, die Besatzung zu beenden.“ Dafür setzt sie sich seit vielen Jahren vehement ein.

Nicht immer verlaufen Begegnungen zweier Dialogpartner harmonisch. So möchte der in Haifa lebende Uri Bloch gemeinsam mit dem Beduinen Jamal Alkirnawi im Negev eine Dialoggruppe leiten. Stereotype Vorurteile erweisen sich manchmal als schwer überwindliche Hürden im Dialog mit dem „Fremden“.

Die in Tel Aviv lebende ältere Dame Dalia Golomb, die sich wöchentlich mit ihrer MachsomWatch-Gruppe (israelische Frauen, die an den Checkpoints die Militäraktionen beobachten) in die Besetzten Gebiete begibt, verbindet eine Freundschaft mit der Palästinenserin Rawda Sliman, einer Schauspielerin aus Haifa, die in dem Theaterstück „Dritte Generation“ mitspielt. Das in Berlin uraufgeführte Theaterstück mit deutschen, israelischen und palästinensischen Schauspielern zeigt auf der Bühne, wie Vergangenes in die Gegenwart wirkt – auch dies ein Thema in Senffts Buch.

Alexandra Senfft  porträtiert außerdem den im Londoner Exil lebenden palästinensischen Schriftsteller Samir el-Youssef, sowie den Israeli Yizhar Be’er und die Palästinenserin Lily Feidy, die sich beide für eine demokratische und faire Medienerstattung engagieren, sowie Ari Rath, der die israelischen Medien prägte und Ron Pundak, der als Verhandler im Oslo-Friedensprozess fungierte, um noch einige der sehr verschiedenen Persönlichkeiten zu nennen.

Die tiefgreifenden Erfahrungen mit dem dialogischen Zugang zum Verständnis Anderer und ihre hohe Empathiefähigkeit haben Alexandra Senfft ermöglicht, ihre Interviewpartner zu sehr persönlichen Erzählungen und Bekenntnissen zu ermutigen. Ihre eigene familiäre Geschichte, die allen Interviewpartnern bekannt ist, bleibt dabei als einer von mehreren Resonanzräumen dezent im Hintergrund und führt zu keinem Zeitpunkt zu einer Polarisierung ihrer inneren Haltung. Die hohe Differenziertheit, ihre sensible, respektvolle Weise, mit dem Erzählten umzugehen, lässt erahnen, welche ermutigende Wirkung das Storytelling auf Konfliktpartner haben kann.

Die gelungenen schwarz-weiß Porträts einiger Interviewpartner, aufgenommen von dem in England lebenden, bekannten Fotografen Judah Passow, ergänzen die von der Autorin erzeugten inneren Bilder durch die visuelle Dimension. In  den Fotos ist es dem Fotografen gelungen, jene Züge der Interviewpartner festzuhalten, die ihren erzählten Geschichten einen authentischen Ausdruck verleihen. Alexandra Senfft und Judah Passow scheinen in der Wahrnehmung der ihnen sich anvertrauenden Menschen ein hohes Maß an Übereinstimmung erlebt zu haben.

„Fremder Feind, so nah“ ist ein Buch über Dialogfähigkeit, Abbau von Stereotypien und Feindbildern, ein Buch über einige der vielen Menschen, die wider einer dämonisierenden, separierenden Politik den Kontakt zur anderen Seite suchen.

So wie Khaled Abu Awwad sagt: „Wenn Israelis und Palästinenser Frieden wollen, müssten sie sich auf zwei Ebenen begegnen – auf der individuellen und auf der kollektiven.“ Bei einem Dialog gelte es zunächst sich persönlich wahrzunehmen, nicht als „der Israeli“ und „der Palästinenser“.

Alexandra Senfft: Fremder Feind, so nah. Begegnungen mit Palästinensern und Israelis. edition Körber-Stiftung, Hamburg 2009, 334 Seiten, 20 €, Bestellen?

Literatur:

Alexandra Senfft: Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte. Claassen Verlag. Berlin 2007. 351 Seiten, 19.95 €   Taschenbuch 2008. 10,30 €
Dan Bar-On: Erzähl Dein Leben. Meine Wege zur Dialogarbeit und politischen Verständigung. edition Körber-Stiftung, Hamburg 2004, 259 Seiten, 14,00 €

Die Rezension erschien bereits auf der Webseite der diAk: www.diak.org. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.