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Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren

Argumentieren ist eine fundamentale Tätigkeit des Menschen: Er versucht, mit den Mitteln der Sprache seine Mitmenschen für seine Position, seine Thesen, zu gewinnen. Manchmal gelingt das, oft misslingt es; aber selbst in Fällen, wo der Misserfolg von vorneherein abzusehen ist und die historische Erfahrung die argumentierende Auseinandersetzung als hoffnungslos erscheinen lässt – in den großen ideologischen oder religiösen Kontroversen, finden sich immer wieder Versuche dazu. Hinweise auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist, sozusagen…

Wie ist das noch zu begreifen? Es ist die Absicht dieses Buches, nach Bereitstellung der nötigen methodischen Mittel ein wenig Licht in diese logisch dunkle Ecke zu werfen.

Vorwort von Hubert Schleichert zu seinem Buch: „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren: Anleitung zum subversiven Denken

Eine Untersuchung über das Argumentieren wird dem Leser kaum etwas völlig Neues bringen – jedermann argumentiert ja tagtäglich. Eine solche Untersuchung kann nur Strukturen und Eigentümlichkeiten von Argumentationen deutlicher zu Bewusstsein bringen, den kritischen Blick schärfen und – leider – auch einige Illusionen über die Macht von Argumentationen zerstören.

Jeder Mensch hat irgendwelche Grundprinzipien des Denkens und Handelns, die sich nicht mehr aus vorangehenden Prinzipien ableiten lassen, und die, logisch gesehen, „ideologisch“ sind; das ist normal, und die Auseinandersetzung damit ist nicht unbedingt brisant. Die Sache ändert sich, wenn eine Ideologie fanatisch wird und beginnt, die Welt zu tyrannisieren. Es kommt dann zu den religiösen, rassischen, ideologischen oder ethnischen „Säuberungen“. Dies ist der Punkt, an dem nach einer aufklärerischen Gegenbewegung gerufen wird; aber sie hätte schon viel früher einsetzen müssen. Zwischen einer scheinbar harmlosen Ideologie und ihren gar nicht harmlosen, radikalen Anwendungen lassen sich keine klaren Grenzen ziehen. Deshalb muß die Aufklärung an der Wurzel des Übels ansetzen. Es rächt sich, wenn man den Glauben an Hexen und Zauberer respektiert und zugleich hofft, dass niemand diesen Glauben „missbrauchen“ oder „radikal“ interpretieren, d. h. auf die Jagd nach Hexen und Teufeln gehen wird.

Die Untersuchung der Argumentationsformen bei ideologischen Konflikten ist zugleich eine Untersuchung über die Methoden der Aufklärung. Obwohl das vorliegende Buch bezüglich dieser Methoden zu eher ernüchternden Ergebnissen gelangt, ist es keineswegs pessimistisch.

Das Buch hat zwei Teile; der erste behandelt Argumentationen, die von einer gesicherten oder jedenfalls im Augenblick nicht weiter strittigen Basis ausgehen können. Der zweite Teil untersucht Argumentationen, bei denen gerade die Basis selbst strittig ist. Letzteres ist die typische Form der Auseinandersetzung mit Ideologien. Wir werden diesen Fall anhand eines extremen Beispielmaterials diskutieren, nämlich des religiösen Fanatismus, seiner Befürworter und seiner Gegner. Dieses, dem Bewohner des seinerzeit christlichen Abendlandes noch ein wenig bekannte, hierselbst aber gegenwärtig nicht brennende Beispielmaterial ermöglicht es, die methodischen Probleme besonders deutlich herauszuarbeiten. Alles, was dabei an methodischen Einsichten gewonnen werden kann, lässt sich auf andere ideologische Auseinandersetzungen übertragen. Der religiöse Fanatismus ist für eine theoretische Analyse besonders gut geeignet, denn bei ihm ging bzw. geht es (zumindest angeblich) nur um die ewige Seligkeit. In anderen Fällen, z. B. beim nationalistischen Fanatismus, sind die Verhältnisse leider erheblich komplizierter: Hier stehen nicht bloß metaphysische, sondern auch sehr irdische Fragen zur Diskussion. Dieses Buch ist also keine Anleitung zur oder Durchführung von Religionskritik. Die Religion dient unseren Überlegungen nur als Beispiel. Dass keine Ideologie, Religion oder Institution ein Monopol auf Unmenschlichkeit und Fanatismus hat, versteht sich im übrigen leider von selbst. Diese Pest befällt Fromme wie Gottlose.

Überirdische Konflikte sind durch eine aufklärerische Analyse leichter zu entschärfen als irdische, machtpolitische; wenn zwei Nationalitäten um dasselbe Stück Land streiten, wird auch die scharfsinnigste Analyse ihrer Argumente (so wertvoll diese Analyse auch sein mag) nicht viel zur Konfliktlösung beitragen. Es ist ein Nebenzweck dieses Buches, allfällige Illusionen darüber zu zerstören.

Wer sich eine Sammlung von Rezepten für ein garantiert wirkungsvolles Argumentieren erwartet, wird enttäuscht werden. Die Analyse von Argumentationen liefert immer wieder die Einsicht, dass so gut wie jede Argumentationsfigur mutatis mutandis von Befürwortern wie von Gegnern einer These benützt werden kann. Ein Argument, das eine Doktrin in den Augen des Kritikers der vernichtenden Lächerlichkeit preisgibt, wird von einem Anhänger derselben Doktrin ganz anders bewertet: als dummes Missverstehen dieser Doktrin etwa, oder als Lästerung. Man braucht aus dieser normalen menschlichen Situation keine nihilistischen Folgerungen zu ziehen; man sollte aber daraus lernen, dass Argumente so differenziert wie nur möglich benützt werden sollten und dass man seines Erfolges nie zu sicher sein darf, auch dann nicht, wenn man überzeugt ist, Wahrheit, Menschlichkeit oder Toleranz auf seiner Seite zu haben.