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Psychotherapie: Die Traumata der Kinder von Holocaust-Überlebenden

Die Auswirkungen der Retraumatisierung von Kindern von Überlebenden des Holocaust, die durch unbewusste Identifizierung das Trauma der Eltern übernommen haben, werden von mehreren Autoren aus psychotherapeutischer Perspektive erörtert…

So stellt die israelische Psychoanalytikerin Ilany Kogan in „Vermitteltes und reales Trauma in der Psychoanalyse von Kindern von Holocaust-Überlebenden“ die These auf, dass das analytische Durcharbeiten des realen Traumas eine Abschwächung des vermittelten Traumas in der inneren psychischen Realität bewirkt und Trauerprozesse in Gang setzt, die eine Bewältigung des realen und des vermittelten Traumas ermöglichen. Zur Illustration werden Fallbeispiele angeführt.

Die zweite Generation der Holocaust-Opfer

So haben die Patientinnen und Patienten, deren Geschichten Ilany Kogan in ihrem Buch „Der stumme Schrei der Kinder“ erzählt, eines gemeinsam: Sie sind Kinder von Überlebenden des Holocaust. Ihre Wahrnehmung der Gegenwart ist geprägt durch eine Vergangenheit, die nicht ihre eigene ist. Von einem Zwang geleitet, der ihnen selbst unerklärlich ist, tun sie Dinge, die, wie sich im analytischen Prozess allmählich herausstellt, aufs Engste mit der Geschichte ihrer Eltern verbunden sind.

Um das Verhältnis von Realität und Fantasie so beherrschen zu lernen, dass mithilfe der Analytikerin die Entstehung eines neuen, gefestigten Selbst und die Erfahrung von Glück, Liebe und intakten Beziehungen möglich ist, müssen die Patientinnen und Patienten die fast unzugänglichen Geschichten der Eltern und Verwandten, die den Holocaust überlebt haben, aufklären.

Ilany Kogan gelingt es auf eindrucksvolle Weise und mit grosser Intensität, diesen Prozess nachvollziehbar zu machen und darzustellen, welche verheerenden Folgen der Holocaust langfristig zeigt. Sie lebt als Psychoanalytikerin und klinische Psychologin in Israel. Neben ihrer freien Praxis ist sie als Lehrbeauftragte und Supervisorin am "Department of Psychotherapy" an der "Medical School" der Universität Tel Aviv beschäftigt. Sie ist Vorstandsmitglied der "International Study Group for Trauma, Violence and Genocide", die ihren Sitz am Hamburger Institut für Sozialforschung hat, und im Beirat des "Fritz-Bauer-Instituts — Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust" in Frankfurt am Main. Als Vortragende und Supervisorin klinischer Arbeit wird sie an vielen Orten im In- und Ausland geschätzt.

Auch Yolanda Gampel befasst sich mit der transgenerationellen Weitergabe seelischer Zerstörung an die „Kinder der Schoah„.

Für sie ist es problematisch, wenn die Katastrophe der Schoah als Vergangenheit, die endgültig Geschichte geworden ist, bezeichnet wird. Da scheinbar nichts mehr auf das Geschehen hinweist, will man endlich einen Schlussstrich ziehen und zur Tagesordnung übergehen. Dabei prägt die Extremform gesellschaftlicher Gewalt, der Krieg, weiterhin das Leben. Gerade die Schoah, deren Auswirkungen virulent bleiben, hat das Verständnis von Geschichte ausgehebelt. "Radioaktiven Rückständen" gleich verbreitet sich ihre diffuse Schadwirkung über Zeit und Raum, in Gegenwart und Vergangenheit.

Durch die Shoah ausgelöste Traumata bleiben nicht nur in Psyche und Körper der Überlebenden präsent, sie können auch an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. Die Autorin berichtet von Kindern und Enkeln, die Symptome wie Absencen, Schlaflosigkeit, Atembeschwerden, Phobien, Depressionen und Zwangsneurosen entwickeln, um den Eltern und Grosseltern die Notwendigkeit zu signalisieren, sich mit ihrer verdrängten Geschichte auseinanderzusetzen.

Yolanda Gampel wurde in Buenos Aires geboren. Seit Ausbruch der ersten Intifada arbeitet sie in einer israelisch-palästinensischen Initiative für geistige Gesundheit, durch die Angehörige von Psychoberufen beider Seiten im Wege der professionellen Kooperation mehr Verständnis füreinander entwickeln konnten. Das Vorwort schrieb Janine Chasseguet-Smirgel.

In dem in „Flucht vor dem Selbstsein“ vorgestellten Fallbeispiel geht es um einen Patienten, der an seine Mutter und ihre durch die Gewalt des Holocaust geprägte Vergangenheit so gebunden blieb, dass er weder ihren Suizid noch den späteren Suizid seines Sohnes betrauern konnte, sondern stattdessen versuchte, die analytischen Grenzen niederzureissen, um in dem ersehnten Einssein mit der Analytikerin die inzestuöse Beziehung zu seiner Mutter wiederzubeleben.

Dabei wurde die Analytikerin unmittelbar zum Objekt von Grenzverletzungen. Diese gewaltförmigen Inszenierungen konfrontierten die Analytikerin mit der ungeheuren zerstörerischen Wut dieses Patienten. Gleichzeitig wurde sie rasch zum Objekt seiner alles bestimmenden Sehnsucht, eine verschmelzende Einheit und ein Einssein mit seiner Mutter wiederzufinden. Die dunkle Seite dieser Sehnsucht bildete eine pervers strukturierte sado-masochistische Sexualität und eine mörderische Aggression, die alles, was sich diesem Wunsch in den Weg stellte, entweder verleugnen oder beseitigen wollte.
Die Analytikerin fühlte sich in ein Drama eingesponnen, dessen bestimmende Macht erst nachliess, als es ihr durch die Analyse ihrer Gegenübertragung gelang, die massive mörderische Wut, die sich gegen sie richtete, als Ausdruck infantil unbewusster Phantasien und Wünsche zu erkennen, die den Patienten aber in der Realität nicht zum Mörder machen würden – eine Einsicht, die sie selbst von der Angst befreite, sie oder andere könnten zum Opfer der Gewalt werden, und wiederum dem Patienten das Gefühl vermittelte, dass sie auf der Seite seines eigenen fragilen und bedrohten Selbst stand.

Solche ungewöhnlichen Behandlungsverläufe sind immer dann zu erwarten, wenn die Grenzen des analytischen Settings und seine Regeln angegriffen oder massiv verletzt werden. Wir wissen heute durch die Fortschritte psychoanalytischer Forschung, dass sich in solchen Grenzverletzungen frühe konflikthafte und defiziente Entwicklungsverläufe artikulieren, für die dann die analytische Beziehung selbst zum Austragungsort und oft auch zum Kampfplatz wird. Die analytische Distanz, die ansonsten eine reflektierende Metaposition sichert, ist hier während der Analysestunden vielfach bedroht oder auch phasenweise nicht mehr gegeben, und es bedarf einer steten Selbstanalyse, um die eigenen analytisch professionellen Fähigkeiten aufrechtzuerhalten und den analytischen Rahmen vor dem Entgleisen zu schützen.