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Hans Lamm: „Und ich lebe wieder an der Isar“

Am 8. Juni wäre Hans Lamm, eine der bedeutendsten jüdischen Persönlichkeiten der Nachkriegszeit in Deutschland, 95 Jahre alt geworden.

Eine neue grundlegende Biografie zeichnet seinen Weg nach und lässt dabei sowohl Hans Lamm selbst, als auch viele seiner Freunde, Verwandten und Kollegen zu Wort kommen, wodurch ein anschauliches und kurzweiliges Buch entstanden ist, das nicht nur jedem zu empfehlen ist, der die Person Hans Lamm genauer kennen lernen möchte, sondern auch die wesentlichen Fragen jüdischen Lebens in Deutschland im 20. Jahrhundert eindrucksvoll behandelt.

Von Andrea Livnat

Die Autorin Andrea Sinn hat den schriftlichen Nachlass von Hans Lamm, der im Stadtarchiv München lagert, aufgearbeitet, persönliche Dokumente, Korrespondenzen, Manuskripte und gedruckte Artikel dienten ihr so als Grundlage für ihre Biografie. Die Darstellung nimmt vor allem die Fragen nach Exil und Rückkehr in den Blick, anderes, wie etwa das Privatleben Hans Lamms, musste aufgrund von Umfang und Quellenlage aussen vor bleiben, was jedoch der Gesamtdarstellung keineswegs negativ anlastet.

Charlotte Knobloch schreibt in ihrem Geleitwort: „Während viele von uns zunächst nur unfreiwillig hier waren und ihren Platz in der deutschen Gesellschaft erst noch finden mussten, hatte er sich bereits entschieden: München war seine Heimat und sie sollte es bleiben.“ Tatsächlich hat es Hans Lamm seit Ende des Krieges zurück in seine Heimatstadt gezogen, was jedoch keine so einfache Entscheidung war, wie die Autorin nachweist.

Hans Lamm wurde am 8. Juni 1913 geboren. Seine Eltern Ignaz und Martha Lamm erzogen ihn und seinen fünf Jahre älteren Bruder Heinrich sowohl jüdisch, wie auch in bayerischer Tradition. Der Vater hatte eine Metallschmelze und zählte zu den königlichen Hoflieferanten. Im Hause Lamm wurde Orthodoxie praktiziert, die dennoch offen der Umgebung gegenüber war: „Man interessierte sich für die deutsche Literatur, war kulturbewusst und verspürte gleichermassen eine enge Verbundenheit zur bayerischen Tradition. Dieser Lebensstil war für viele emanzipierte, aber dennoch orthodox lebende jüdische Familien im Kaiserreich und der Weimarer Republik charakteristisch.“ Später, Mitte der 30er Jahre, wandten sich beide Lamm-Brüder einhergehend mit Fragen der Identität und nach dem Wesen des Judentums von der Orthodoxie ab.

Bis 1933 veränderten drei Dinge das Leben von Hans Lamm. Die Wirtschaftskrise von 1929 zog zwar nicht den kompletten Bankrott des Geschäfts der Familie nach sich, bedingte jedoch merkliche Einschränkungen und Veränderungen im Alltag der Familie, die bis dahin durchaus wohlhabend war. Etwa zur selben Zeit erkrankte die Mutter Martha Lamm schwer, diagnostiziert wurde „irgendeine Form der Psychose“. Martha Lamm wurde in eine Heil- und Pflegeanstalt überwiesen und verstarb dort kurz darauf. Was genau der Grund war, wurde nie geklärt und beschäftigte Hans Lamm noch viele Jahre. Ab 1932 studierte Hans Lamm Jura und Zeitungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er musste das Studium allerdings nach drei Semestern wegen der Rassenpolitik der Nazis abbrechen und arbeitete seitdem als freier Journalist für jüdische Zeitungen.

An München erinnert sich Lamm als gemütliche Stadt, wo sich die Münchner Juden „sauwohl“ gefühlt haben, es hätte keine „bestialisch-bösen wahnwitzigen Antisemitismus“ gegeben, sondern einen „gemütlichen“. Nichtsdestotrotz entschloss sich Hans Lamm zur Emigration nach Amerika. Am 30. Juni 1938 erhielt er die Erlaubnis zur Ausreise und verliess kurz darauf Deutschland.

Beide Brüder Lamm gingen nach Kansas City, wo ein Onkel lebte. Hans Lamm arbeitete zunächst als Hausmeistergehilfe und es dauerte einige Zeit, bis er auch für die amerikanisch-jüdische Presse schreiben konnte. Schliesslich studierte er Soziologie an der University of Kansas City. Wie gut er sich in Amerika einlebte, zeigt ein Brief an Lamms Freund Schalom Ben Chorin, in dem er schrieb, dass es ihm mittlerweile schwer fällt, auf deutsch zu korrespondieren. Aber trotzdem verfolgte er stets die Ereignisse in Deutschland und seit Kriegsende wollte er zurück. Über die Gründe sagte Hans Lamm selbst: „Wie weit es sublimiertes Heimweh, wie weit es der Wunsch, den befreiten Juden (die zu Zehntausenden ausgemergelt aus den Konzentrationslagern Ost- und Mitteleuropas quollen) behilflich zu sein und wie weit es die journalistische Neugier war, bei historischem Geschehen ‚dabei zu sein‘, das sei dahingestellt.“

Im November 1945 brach er schliesslich mit einer Delegation der AJCon (American Jewish Conference) nach Deutschland auf, um über die dortige Lage zu berichten. Im Anschluss verbrachte er noch einige Zeit in München, vor allem um zwischen den Juden aus den DP-Camps der Umgebung und der neu gegründeten jüdischen Gemeinde zu vermitteln. Im Anschluss war Hans Lamm als Gerichtsdolmetscher bei den Nürnberger Prozesses tätig und promovierte schliesslich nach 1949 bei Hans Joachim Schoeps in Erlangen in Religionsgeschichte, „Über die innere und äussere Entwicklung der deutschen Judentums im Dritten Reich“.

In jenen Jahren sass Hans Lamm zwischen den Welten fest, einerseits war er amerikanischer Staatsbürger und hatte sich dort sehr gut eingelebt, andererseits war Deutschland noch immer seine Heimat. Doch er zögerte zunächst zurückzukehren, nicht zuletzt wegen der Einstellung der Deutschen, ihrer „Unfähigkeit oder mangelnde(m) Wille, nach dem Zusammenbruch Geist und Leben in Frieden, Freiheit und Rechtlichkeit zu erneuern“. Doch es gelang ihm auch nicht, eine geeignete Stelle zu finden, eine Bewerbung beim Münchner Institut für Zeitgeschichte scheiterte ebenso wie jene um die Geschäftsführung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. So kehrte er also zunächst in die USA zurück.

Erst 1955 kam Lamm wieder nach Deutschland, als er eine Stelle als Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland erhielt. Daneben schrieb er für die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland. Zwei Jahre später gründete Lamm ein jüdisches Verlagsunternehmen, den Ner-Tamid-Verlag. Das erste Buch des Verlages, der Sammelband „Von Juden in München“, war bereits nach wenigen Monaten vergriffen, es folgten zahlreiche weitere Werke. 1960 stieg als weiterer Gesellschafter Shlomo Lewin ein. Schon 1962 kam es zum Überwürfnis und Lamm stieg aus dem Ner-Tamid-Verlag aus, der bis 1980 von Lewin weiter existierte. In diesem Jahr wurden Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke Opfer eines Doppelmordanschlags der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann, ein Hinweis, der im Buch leider fehlt.

Im Oktober 1961 kam Hans Lamm nach München, zunächst für eine befristete Stelle bei der Münchner Volkshochschule, die schliesslich in eine feste Anstellung bis zu seiner Pension 1978 in verschiedenen Abteilungen überging. Auch danach war Hans Lamm noch in beratender Funktion für die MVHS tätig und unterrichtete ausserdem auch an anderen Orten, wie z.B. dem Münchner Presselehrinstitut. Daneben schrieb er viel für verschiedene Zeitungen und verfasste Beiträge für den Bayerischen Rundfunk.

Eines der wichtigsten Anliegen von Hans Lamm war die christlich jüdische Verständigung, was nicht nur in seiner journalistischen Arbeit zum Ausdruck kommt, sondern auch in der Tatsache, dass er sich in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit engagierte und seit 1967 in deren Kuratorium vertreten war.

Im März 1970 wurde Lamm zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gewählt, ein Amt, das er bis zum seinem Tod am 23. April 1985 führte. Für die jüdische Gemeinde war dies eine Entscheidung hin zur Öffnung, wie sich Ellen Presser, die heutige Leiterin des IKG Kulturzentrums erinnert: „Man lebte sehr abgeschottet und da war Hans Lamm eine Aussenseiterfigur. Denn er war ein deutscher Jude und er hatte keine Hemmungen, sich mit seinem Gegenüber auf Augenhöhe auseinanderzusetzen, nachdem er erstmal die Entscheidung getroffen hatte, nach Deutschland zurückzukehren.“

Tatsächlich hatte Hans Lamm in seiner Funktion als Präsident der IKG noch viele Auseinandersetzungen zu führen. Seine Rückkehr scheint er jedoch nicht bereut zu haben. Seine Verbundenheit mit der bayerischen Hauptstadt betonte auch Schalom Ben Chorin in seinem Nachruf, nach dem Tod des langjährigen Freundes: „Hans Lamm war ein bewusster Jude und nicht minder bewusster Weltbürger, und doch waren die Wurzeln seiner Existenz tief eingesenkt in den Boden seiner Geburtsstadt München.“

Das Buch bildet den Auftakt der Reihe „Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern“, herausgegeben von Michael Brenner und Andreas Heusler.

Andrea Sinn:
„Und ich lebe wieder an der Isar“
Exil und Rückkehr des Münchner Juden Hans Lamm

Mit einem Geleitwort von Charlotte Knobloch
Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern Band 1
R. Oldenbourg Verlag München 2008
237 S., ISBN 3486583956
Euro 24,80
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