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Wilhelm Reich und der Nationalsozialismus

Ernest Jones hat in seiner dreibändigen Freud-Biografie auch den tragisch-kämpferischen linken Psychoanalytiker Wilhelm Reich erwähnt. Mit einem Ziel: Diesen aus der Geschichte der Psychoanalyse auszuschließen. Über den Luzern-Kongress der Psychoanalytiker im Jahr 1934 bemerkte er: „An diesem Kongreß trat Wilhelm Reich aus der Vereinigung aus. Freud hatte anfänglich eine hohe Meinung über ihn gehabt; durch Reichs politischen Fanatismus war es jedoch zwischen ihnen sowohl persönlich als auch wissenschaftlich zu einer Entfremdung gekommen“…

Von Roland Kaufhold

Wilhelm Reich, der 1957 im amerikanischen Exil im Gefängnis verstarb, blieb lange vergessen. Die sogenannte 68er-Bewegung ,entdeckte‘ ihn wieder, jedoch nur in einer verkürzten, interessengeleiteten Weise. Ab Mitte der 90er Jahre wurde Reich immer wieder diskutiert.

Nun hat der Psychoanalysehistoriker Andreas Peglau eine umfassende, beeindruckend recherchierte Studie über Reichs tragisches Schicksal – dieser wurde 1933/34 sowohl von den Psychoanalytikern als auch von den Kommunisten herausgeworfen – vorgelegt. Hauptinteresse Peglaus ist es, das Wechselgeflecht zwischen der Verbandspolitik der organisierten Psychoanalytiker und der Politik zu analysieren.

Andreas Peglau hat hierin eine Vielzahl von neuen Materialien eingearbeitet, die er in jahrelanger Recherche entdeckt hat. Eine wirkliche Pionierleistung.

Peglau zeichnet minutiös nach, in welcher Kontinuität Wilhelm Reich vor dem Nationalsozialismus warnte: „Der einzige Psychoanalytiker, der seine Kollegen öffentlich davor warnte, sich mit dem NS-Staat einzulassen, war Wilhelm Reich“, bemerkt er.

Peglau geht der Frage nach, welche psychoanalytischen Autoren und Schriften wegen ihres Gehaltes konkret verboten oder sogar verbrannt wurden, und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Einzig die Schriften von Siegfried Bernfeld, von Anna und Sigmund Freud und Wilhelm Reich wurden 1933 nachweislich verbrannt. Nur ein kleinerer Teil analytischer Publikationen wurde überhaupt verboten.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden – ausgehend von der vorherrschenden Selbstidealisierung als „verfolgte, widerständige Wissenschaft“ – Forschungen zum Thema, inwieweit Psychoanalytiker vor oder zumindest kurz nach der „Machtergreifung“ Hitlers zum Nationalsozialismus geforscht bzw. publiziert haben: „In psychoanalytischen Publikationen habe ich nur zwei inhaltlich identische Stellen gefunden, die belegen, dass der Nationalsozialismus noch vor seiner „Machtergreifung“ thematisiert wurde – und zwar von Wilhelm Reich“. Es gab ansonsten so gut wie keine deutschsprachigen Beiträge, in denen die bedrohliche politische Entwicklung sowie die Verfolgung der Juden auch nur angerissen wurden. Auch in amerikanischen Zeitschriften fand Peglau bis 1941 nahezu keinerlei Beiträge hierzu. Auch keine Aufsätze, in denen das Wort „Faschismus“ mit offener Kritik verbunden, erwähnt, geschweige denn gegen die Vertreibung der Juden protestiert wurde.

Anregend sind Peglaus Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption von Reichs Schriften, insbesondere seiner „Massenpsychologie des Faschismus“. Anfang der 1930er Jahre engagierte er sich auch innerhalb der KP, nicht nur schreibend sondern z.B. auch als Ordner bei Demonstrationen. Es müssen ihm früh Zweifel gekommen sein. So beschrieb er in seiner „Massenpsychologie“ Gemeinsamkeiten zwischen den Aufmärschen der SA und der Kommunisten: „Sie unterschieden sich in Haltung, Ausdruck und Gesang nicht von den kommunistischen Rotfrontkämpferabteilungen.“ Dies kam bei den Kommunisten nicht gut an. 1933 wurde Reich ausgeschlossen. Sein Buch „bedeutet objektiv eine so ernsthafte Untergrabung der Lehren der kommunistischen Propaganda, dass man es als konterrevolutionär bezeichnen muss“, hieß es. Jahre später sollte Reich hierzu im Rückblick bemerken: „Ich begriff nicht, wie ich so lange dieser Partei hatte angehören können.“ Seine Isolation nahm zu. Dänemark und Norwegen waren Zwischenstationen, im August 1939 kam er in den USA an.

Reichs doppelter Rauswurf war zweifelsohne eine traumatische Erfahrung für einen Menschen, dessen Mutter sich das Leben nahm, als er zwölf Jahre alt war und dessen Vater starb, als er 17 war. Freud blieb für ihn eine idealisierte Person – selbst nach seinem Rauswurf durch Freud höchstpersönlich. Es gab nur sehr wenig Menschen, die ihn noch verstanden, ihn noch unterstützten. Einer seiner Bezugspersonen im Exil war Willy Brandt.

In weiteren Kapiteln beschreibt Peglau Reichs weiteren Lebensweg in den USA, bis hin zu seinem tragischen Tod im amerikanischen Gefängnis. Wesentliche Aspekte aus Reichs Werk sowie dessen Rezeption werden umfänglich thematisiert.

Peglaus Werk bildet eine Fundgrube für weiterführende Forschungen.

Andreas Peglau: Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Gießen (Psychosozial Verlag), 635 S., 44,90 Euro, Bestellen?

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