- Bücher – nicht nur zum Judentum - https://buecher.hagalil.com -

„Vielleicht gar schön“

Deutsch-jüdische Literatur und die Universitätsstadt Halle an der Saale…

Von Ramona Ambs

„In Frankfurt, wo ich wohne, ist das Wort Jude der unzertrennliche Schatten aller Begebenheiten, aller Verhältnisse, aller Gespräche, jeder Lust und jeder Verdrießlichkeit. Stellt ein jüdischer Handelsmann seine Zahlungen ein, so machen die Gerichte bekannt: Die jüdische Handlung N.N. habe ihre Zahlungen eingestellt (…) Stiehlt ein Jude und man fragt nach dem Diebe, so heißt es: ein Jude war`s. Zeichnet sich ein Jude durch Art und Bildung aus, dann sagen die Spötter: er bleibt doch ein Jude, und die Gutgesinnten sprechen: er mache seiner Nation große Ehre“, schrieb Ludwig Börne 1821.

Untrennbar mit diesem „jüdischen“ Schatten verbunden, fühlte sich bereits fünzg Jahre früher Isaschar Falkensohn Behr. 1772 veröffentlichte er seinen Gedichtband: „Gedichte von einem polnischen Juden“. Im Vorwort und in Briefen erläutert er, weshalb er glaubt, seine jüdische Herkunft erwähnen zu müssen: „Was hilfts dem Büchlein, daß sein Verfasser ein polnischer Jude ist? Denkt und fühlt der polnische Jude nicht wie ein Mensch? frag ich selber(…)aber: Erregen nicht die Worte: „polnische Jude“, in der Seele das Bild eines Mannes, schwarz vermummt, das Gesicht verwachsen, die Blicke finster, und rauh die Stimme? Wird die angewöhnte missverstandene Frömmigkeit einiger Leserinnen, das Bild nicht gräßlicher malen, als es meine armen Landesleute wirklich sind? Und wird dieses lebhafte Bild meinen Liedern nicht nachtheilig seyn?“ Die Verzweiflung über diese Zuschreibung beantwortet Behr in einem Gedicht:

Ihr Zärtlichen
Kein falsches Bild!
Ihr müsst mich sehn,
Ich bin nicht wild,
vielleicht gar schön!

Voll Sehnsucht bickt,
Mein Augenpaar,
Und Puder schmückt
Mein Lockenhaar!

Mein Bart ist glatt,
Und glätter hat
Ich sag es kühn,
Kein Jüngling ihn!

Mein Rock ist grün,
Und ziemlich schön,
Ihr solltet ihn
Nur einmal sehn:
Ihr wärt mir hold
Denn ihn schmückt Gold!

Ihr Zärtlichen,
Kein falsches Bild!
Ihr müßt mich sehn,
Ich bin nicht wild,
Vielleicht gar schön!

Doch die Erwähnung seiner jüdischen Herkunft wird ihm literarisch zum Verhängnis. Kein geringerer als J. W. Goethe rezensiert den Band: „Es ist recht löblich ein polnischer Jude zu seyn, der Handelschaft entsagen, sich den Musen weihen, deutsch lernen, Liederchen ründen; wenn man aber in allem zusammen nicht mehr leistet als ein Christlicher Etudiant en belles Lettres auch, so ist es, däucht uns, übel gethan, mit seiner Judenschaft ein Aufsehn zu machen.“ In Goethes Mißfallen an der Offenlegung von Behrs Herkunft schwingt eine höchst problematische Haltung mit: wenn ein Jude nun schon mitmischen mag im deutschen Kulturbetrieb, so möge er gefälligst Außergewöhnliches, oder zumindest Besseres leisten als seine deutschen christlichen Kollegen. Behrs Kampf gegen das „falsche Bild“ wendet sich also fatalerweise gegen ihn. Man kann jedoch davon ausgehen, dass wenn Behr seine Herkunft verschwiegen hätte, ihm dieser Umstand möglicherweise ebenso zum Vorwurf gemacht worden wäre. Denn wie Börne feststellte: das Jüdische ist ein untrennbarer Schatten und der Kampf gegen das „falsche Bild“ in den Köpfen der Menschen ein aussichtsloses Unterfangen….

„Kein falsches Bild“ nennt Ingeborg von Lips denn auch ihren Band, in dem diese deutsch-jüdische Begebenheit genauer nachzulesen ist. Und nicht nur diese. „Hala ad Salam“, so die orientalisch klingende, lateinische Bezeichnung für die Stadt Halle an der Saale, ist Dreh und Angelpunkt des Buches. Halle wurde nach 1694 zum Sehnsuchts- und Zufluchtsort für zahlreiche junge jüdische Studenten, nicht nur, weil die Universität als eine der wenigen galt, an der man auch als Jude den viel begehrten Dr.med. erwerben konnte, sondern ebenso, weil sich in der Stadt viele Vertreter der Aufklärung zusammenfanden. Und so zogen auch viele jüdische Köpfe aus ganz Europa in die Stadt. Oder wurden von ihr geprägt.

Davon zeugen viele literarische Werke, von Heinrich Heines „Zu Halle auf dem Markt“ über Texte von Wolfenstein, Kisch und vielen weiteren. Eine wunderbare Wiederentdeckung ist Kurt Bauchwitz, alias Roy C. Baytes, von dem ein bisher unveröffentlichter Text aus dem Jahr 1942 aus New York in dem Buch zu finden ist. Und auch wenn in diesem Band alles um die Stadt Halle kreist, so ist es dennoch eine abslout gelungene Darstellung von deutsch-jüdischer Beziehung insgesamt. Die literarischen Kostproben machen in ihrer Zusammenstellung einfach viel Freude.

Ingeborg von Lips, „Kein falsches Bild“. Deutsch-jüdische Literatur und eine Universitätsstadt, Mitteldeutscher Verlag 2011,ISBN: 978-3-89812-806-3,9,90 €, Bestellen?