- Bücher – nicht nur zum Judentum - https://buecher.hagalil.com -

Ordnung und Vernichtung

Ganz normale Männer als willige Mörder – Die Polizei im NS-Terrorsystem…

„Ich konnte deutlich sehen, wie die Menschen in der Synagoge an den Fenstern hochstiegen, um auf irgendeine Art und Weise aus dem brennenden Gebäude zu entfliehen. Das war aber gar nicht möglich, weil sie sofort abgeknallt wurden“, erinnert sich ein Zeuge an den Einsatz des Kölner Polizeibataillons 309 in Bialystok, bei dem über 800 Juden verbrannten beziehungsweise erschossen wurden.

Die Einheit war am 27. Juni 1941 in die Stadt eingerückt, um für „Sicherheit und Ordnung“ zu sorgen. Polizisten trieben die Bewohner des jüdischen Wohnviertels in die Synagoge; wer sich wehrte, wurde auf der Stelle erschossen – selbst Kinder! Nach dem Einsatz wurden mehrere Polizeibeamte für die erfolgreiche „Säuberung“ der Stadt mit Orden ausgezeichnet.

Jahrzehntelang galten die uniformierte Schutzpolizei und Gendarmerie als unschuldige und pflichtbewusste Beamte, die auch im Krieg ihren schweren Dienst zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den besetzten Gebieten ableisteten. Die Realität sah allerdings anders aus: Obwohl die Männer der Ordnungspolizei nicht zur ideologischen NS-Elite zählten, waren sie Teil des Vernichtungsapparates und haben sich vergleichbarer Verbrechen wie die berüchtigten Einsatzgruppen schuldig gemacht.


Exekution von Juden in Lubny, © Deutsches Historisches Museum

Erst die akribische Studie des US-Historikers Christopher Browning über das Hamburger Polizeibataillon 101 dokumentierte Anfang der 1990er Jahre erstmals das blutige Handwerk der Polizei im Zweiten Weltkrieg. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion wurde sie ein wichtiger und aktiver Teil in dem als sogenannter Weltanschauungskrieg bezeichnetes rassisch-ideologisches Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten. Ab Sommer 1941 waren bis zu 40 Polizeiregimenter und nahezu 300 Polizeibataillone von einer jüdischen Gemeinde zur nächsten gezogen, um sie alle auszulöschen.


Einsatz in Polen: aus dem Fotoalbum eines Angehörigen des Reserve-Polizeibataillons München, © Deutsches Historisches Museum

Obwohl es immer wieder Versuche gab, die Geschichte der „Völkermordkohorten“, wie der US-Historiker Daniel Goldhagen die Polizeieinheiten nennt, öffentlich zu machen und die Mörder zur Verantwortung zu ziehen, war an dem Bild des braven Schutzmannes nicht zu kratzen. Nach dem Motto: Was damals Recht war, kann doch heute kein Unrecht sein, wurden nahezu alle Beamte, die an grausamen Verbrechen beteilig waren, nach 1945 wieder in den aktiven Dienst übernommen. Manche von ihnen legten steile Karrieren hin und brachten es zu Polizeipräsidenten oder in einem Fall zur Leitung des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz.

Nur wenige, wie der Kriminalsekretär Alfred Aedtner, der ab 1959 für die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen“ arbeitete, versuchten Polizeikollegen für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Doch das System von Kameradschaft, Lüge und „Gedächtnisverlust“ funktionierte bestens: „Aufgrund des offensichtlich aufgeschreckten und gut informierten Polizeiapparats blieben unsere Aktivitäten, wie Ausforschung und Anberaumung von Vernehmungsterminen, nicht verborgen. Wo wir auch hinkamen, alle wussten Bescheid“, stellte Aedtner resignierend fest. Das Ergebnis: Nahezu alle mutmaßlichen Mörder sind friedlich in ihren Betten gestorben.

Einen ausführlichen Überblick über die Rolle der Ordnungsmacht im NS-Staat gibt der Ausstellungskatalog „Ordnung und Vernichtung“, der auf über 300 Seiten mit historischen Fotos, bedrückenden Zitaten, aussagekräftigen Dokumenten und informativen Essays den ganz normalen Polizeialltag während des Nationalsozialismus beschreibt. Etwas irritierend erscheint jedoch das Vorwort des hessischen Innenministers Boris Rhein: „Nach mehr als 60 Jahren war es aus meiner Sicht an der Zeit, sich mit der Polizeigeschichte im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.“ Warum erst jetzt, Herr Minister? – jgt

Florin Dierl/Mariana Hausleitner/Martin Hölzl/Andreas Mix (Hg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011, 24,80 €, Bestellen?

Die gleichnamige Ausstellung ist noch bis zum 28. August 2011 im Deutschen Historischen Museum, Berlin zu sehen.