Anklage Vatermord:
Ein Kaddisch für Halsmann
Von Martin Pollack
"Illustrierte Neue Welt", Wien
Okt. / Nov. 1991
Mit mehr als sechzig
Jahren Verspätung wurde der Kopf von Mordok Halsmann im
jüdischen Friedhof Innsbruck seinen Gebeinen beigesetzt.
Damit gewinnt die Tiroler Geschichte ein Stück Pietät
zurück, die im sogenannten "Österreichischen Dreyfus-Prozeß"
1928 unterging.
In aller Stille versammelte
sich am 8. August 1991 in der jüdischen Abteilung des
Innsbrucker Westfriedhofes eine kleine Gesellschaft,
vorwiegend bestehend aus dem Vorstand der israelitischen
Kultusgemeinde Innsbruck, um einen traurigen Umstand der
Innsbrucker Chronik zu beenden. Es wurde der Kopf des aus
Riga stammenden Zahnarztes Dr. Mordok Halsmann beigesetzt,
der als makabres "Beweisstück" in einem fragwürdigen
Indizienprozeß Ende der zwanziger Jahre mißbraucht worden
war.
1928 begaben sich Vater
Mordok und Sohn Philipp Halsmann im Tiroler Zillertal auf
eine Bergwanderung, auf der Halsmann senior - wahrscheinlich
durch einen Schlag auf den Kopf - umkam. Dieser Vorfall löst
einen Vatermordprozeß aus, an dem sich die Tiroler
Bevölkerung erhitzte.
Philipp, damals
dreiundzwanzigjähriger Student an der Technischen Hochschule
Dresden, wurde zum Sinnbild des jüdischen Übeltäters
gestempelt, von dessen Schuld besonders die
deutschorientierte Studentenschaften überzeugt waren. Als
Hauptbeweisstück diente in der Verhandlung der Kopf des
Verstorbenen, den die Gerichtsmedizin dem Leichnam
abgetrennt und präpariert hatte.
Als das Urteil 10 Jahre
Kerker wegen Mordes lautete, protestierten vier Innsbrucker
Universitätsprofessoren heftig, da sie an der Schuld des
Angeklagten zweifelten.
Sie beklagten tiefgreifende
Mängel in der Beweisaufnahme und das Fehlen eines plausiblen
Tatmotivs. Ihren Bemühungen um die Freisprechung von Philipp
Halsmann schlossen sich Persönlichkeiten wie Sigmund Freud,
Thomas Mann, Albert Einstein und der französische Minister
Painleve an. Doch die prominenten Interventionen in Form von
psychologischen Gutachten und Votationen in Briefen und
Zeitungen lieferten den rechten Kreisen nur einen
neuerlichen Beweis für die jüdische Weltverschwörung.
Gegen die vier
Halsmann-freundlichen Professoren fanden
Protest-Veranstaltungen statt und die NSDAP rief auf
Plakaten zum "Kampf gegen die jüdischen Bedrücker" auf.
Nach Berufung gegen den
Schuldspruch wegen Mordes stellte das zweite Urteil - vier
Jahre Gefängnis wegen Totschlags - keine Seite zufrieden.
Diese Strafe verbüßte Philip Halsmann jedoch nur zur Hälfte,
da er 1930 begnadigt und ins Ausland abgeschoben wurde. Um
den entstandenen Anschein der Kompensation eines Fehlurteils
zu verwischen, trieb die Finanzprokuratur die gesamten
Kosten des Strafverfahrens und der Untersuchungshaft zuvor
von Halsmann ein.
Dem Albtraum entkommen,
emigrierte Philipp Halsmann über Paris in die USA, wo er als
Photograph bei dem Magazin "Life" durch sein Portraits
weltberühmt wurde.
Die einzige Erinnerung an
den Tiroler Dreyfus-Prozeß schwamm weiterhin darnach im
Konservierungsbad der Innsbrucker Gerichtsmedizin, bis
Wissenschaftsminister Busek auf Anregung des Journalisten
Dr. Hans Haider hinfuhr und um die Beerdigung des Hauptes
von Mordok Halsmann bat.
Dank persönlicher Bemühungen
des Rektors der Universität Innsbruck, Prof. Dr. Rainer
Sprung, waren die letzten Hindernisse rechtlicher Natur bald
geklärt.
Nach sechs Jahrzehnten
darf Dr. Mordok Halsmann doch noch gemäß den jüdischen
Gesetzen seine letzte Ruhe finden.
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