Im Jahr 2001 brachte der Unrast-
Verlag ein Buch des Autorengespannes Holger Schatz und Andrea Woeldike
unter dem oben genannten Titel heraus. Das Werk ist keine leichte Kost.
Ausgehend von einer historischen Reflexion des deutschen
Arbeitsbegriffs, wird die Konstruktion einer "raffenden, jüdischen
Nicht- Arbeit" in der deutschen Geschichte dargestellt.
Die Schrift der beiden Autoren ist
sehr anspruchsvoll, eine gewisse Vertrautheit des Lesers mit der
"Frankfurter Schule" und dem Marxismus ist sicherlich von Vorteil, um
mit den Inhalten des Buches fertig zu werden.
Luther und der Antisemitismus
Die Autoren verdeutlichen klar,
warum sich der Kriegsverbrecher Julius Streicher 1946 in Nürnberg häufig
mit Zitaten von Martin Luther verteidigte. Luther, der sich selbst als
deutschen Patrioten bezeichnete, kämpfte gegen die Vorherrschaft des
römischen Papstes, sah die deutschen Ideale vom "welschem" Gedankengut
unterdrückt und das "deutsche Geld und Gut" durch den schmarotzenden und
wucherischen Juden bedroht. Luther betrachtete die Juden als
"schmarotzende Schicht", die der "ehrlichen deutschen Arbeit"
entgegenstünden. Er propagierte das Lob der abstrakten Arbeit im
"irdischen Jammertal" als spezielle deutsche Tugend. Ihm würde der
parasitäre Fremde und sein Erfolg gegenüberstehen. Der Fremde, der
Erfolg und das Geld wurde in der Person des Juden festgemacht. Der
Schweiß wurde heilig gesprochen, die Arbeit an sich verherrlicht.
Luther entwarf ein Konzept der
Zwangsarbeit für Juden, war aber zugleich skeptisch bezüglich des
Erfolgs, da er der Meinung war, dass "sie keine Arbeit gewohnt seien".
Deshalb plädierte Luther für die Vertreibung der Juden. Er schrieb: "daß
man ihre Synagoge oder ihre Schule mit Feuer anstecke". Luther war in
der Tat derjenige, der den christlichen Antijudaismus in rassistischen
Antisemitismus umzuwandeln begann.
Das Konstrukt der "deutschen Arbeit"
im Gegensatz zum "raffenden jüdischen Wesen" spielte hierbei eine
entscheidende Rolle. Das Lob der Arbeit um der Arbeit willen war ein
zentrales Moment in der geistesgeschichtlichen Entwicklung der deutschen
Nation. Dies stand im Gegensatz zu Ländern in denen der Calvinismus den
Eintritt in die Moderne begleitete. Der Calvinismus sprach sich nicht
gegen den Erfolg einzelner Menschen aus. Der erfolgreiche Bürger wurde
weder religiös noch rassistisch attackiert. In Deutschland hingegen
wurde das Lob des Schweißes gesungen und ein Gotteslohn in Aussicht
gestellt. Die aristokratische Obrigkeit gab die gottgewollte Macht ab.
Die "deutsche Arbeit" und die
modernen Produktionsverhältnisse
Bekanntlich wurde das bis heute
herrschende Wirtschaftssystem wesentlich durch die napoleonische
Eroberung Deutschlands angeschoben. Der "Code Civil" oder "Code
Napoleon" ist die Grundlage des geltenden Bürgerlichen Gesetzbuches.
Auch nach der Niederlage der napoleonischen Truppen war die feudale
Produktionsweise in Deutschland nicht mehr herstellbar.
Das kapitalistische System setzte
sich historisch verzögert in Deutschland durch. Es entstanden die
modernen Klassen und mit ihr der Kampf gegeneinander. Der Kapitalismus
ist ein schwer zu durchschauendes Wirtschaftssystem. Das System kennt
Krisen und entfremdet das Produkt dem Produzenten. Der mittelalterliche
Handwerker hatte zu seinem Produkt ein sehr konkretes Verhältnis, zudem
meinte er den Wirtschaftskreislauf zu durchschauen. Die bescheidene
Existenz der alten Zünfte und des Bauernstandes war gesichert.
Die moderne Produktionsweise stellt
das Produkt dem Produzenten entgegen. Es entstehen Wirtschaftskrisen,
nicht weil die Gesellschaft tatsächlich arm ist, sondern weil sie
scheinbar zu reich ist. Ein Ausdruck dafür sind die periodisch
wiederkehrenden Überproduktionskrisen. Der Kapitalismus erscheint,
oberflächlich betrachtet, als Geldwirtschaft. In Wirklichkeit hat das
Geld nur die Funktion, das allgemeine Äquivalent für die produzierten
Werte abzugeben. Der entscheidende Gegensatz zwischen gesellschaftlicher
Produktion und privatkapitalistischer Aneignung tritt nicht automatisch
zu tage. Hier ist der Ansatzpunkt für antisemitische Demagogie und für
das Konstrukt der "deutschen Arbeit". Sämtliche Widrigkeiten der neuen
Produktionsweise wurden mit dem Geld in Verbindung gebracht. Das System
wird nicht von seinem Wesen her, sondern in seiner Erscheinung abstrakt
wahrgenommen.
Es bleibt aber nicht bei der
Abstraktion, sondern dem Ganzen wird Fleisch und Blut gegeben. Der Jude
wird hinter dem Geld vermutet und es werden "parasitäre" jüdische
Finanzmachenschaften hinter dem nicht verstandenen Kapitalismus
ausgemacht. Im vorletzten Jahrhundert wurden wilde Attacken gegen das
Haus Rothschild geführt. Der Handel, der Wucher und der "Schacher"
wurden als angebliches Wesen des Kapitalismus ausgemacht und mit dem
Juden in Verbindung gebracht. Dem wurde die "ehrliche deutsche Arbeit"
gegenübergestellt. Dieser Diskurs war rassistisch und ignorierte
naturgemäß den Gegensatz Kapital- Arbeit.
In das Paket der "deutschen Arbeit"
wurde der schaffende deutsche Kapitalist und der schaffende deutsche
Werktätige zusammengebündelt. Das Gegenvolk war der Jude in Gestalt des
Händlers, aber auch in Gestalt des Sozialisten, später des Bolschewiken.
Holger Schatz und Andrea Woeldike bringen in ihrer Schrift jede Menge
Belege für die damals weit verbreitete Gemütslage in Deutschland.
Professoren, Theoretiker und Politiker bedienten den "Wahn deutscher
Arbeit". Einer der meist gelesenen deutschen Romane war Freytags Buch
"Soll und Haben", erschienen im Jahr 1855. Eingeleitet wird der Roman
mit dem Satz "Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in
seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit".
Die positive Gestalt im Roman, die
sich für das Firmenglück aufopfert, ist der deutsche Anton Wolfahrt. Er
fühlt sich stets dem Gemeinwohl verpflichtet und kennt keinen Egoismus:
"Wir alle, die wir hier sitzen und stehen, sind Arbeiter aus einem
Geschäft, daß nicht uns gehört und jeder von uns verrichtet seine Arbeit
in deutscher Weise. Keinem von uns fällt es ein, zu denken, so und so
viele Taler erhalte ich von der Firma. Unsere Arbeit erfreut uns und
erfüllt uns mit Stolz." Der Jude Itzig Veitel als negativer Gegenpart
erhält die Attribute egoistisch, faul, lasterhaft, betrügerisch,
unehrlich und kriminell. Dieser Veitel hat gegenüber seinem Arbeitgeber
keinerlei Loyalität und versucht ihm stets zu seinem eigenen Nutzen zu
hintergehen. Der liberale Gustav Freytag, an sich ein entschiedener
Gegner des politischen Antisemitismus, konstruiert geradezu ein Muster
des stereotypisierten Bildes vom Juden. Mit Freytags Roman wurden ganze
Generationen in Deutschland groß. Objektiv macht er den Juden zum
materialistischen Sozialisten, der keine Pflicht gegenüber dem höheren
Ganzen kennt. Die Pflicht gegenüber dem Ganzen ist die hingebungsvolle
deutsche Arbeit. Der Gegner der "deutschen Arbeit" ist der "jüdisch-
bolschewistisch- plutokratische Materialismus".
Hitler brauchte tatsächlich nichts
neues zu erfinden, er bediente den "deutschen Arbeitswahn". Der Nazismus
organisierte die Vorurteile des deutschen Kleinbürgers und den
Selbsthaß, bezogen auf die entfremdete Arbeit, innerhalb der
Arbeiterschaft. Konzentrationslager hatten die Aufschrift "Arbeit macht
frei" und die Nazidemagogie schmeichelte der "deutschen Arbeit". Das
vermeintlich "nicht- arbeitende" Gegenvolk, die Juden, wurden der
Vernichtung durch Arbeit und Gas zugeführt.
Die Kontinuität "deutscher
Arbeit" nach 1945
Die beiden Autoren untersuchen in
ihrem Buch den ideologischen Inhalt, deutscher Arbeit nach der
Niederlage des Nazismus. Zunächst hatte die Arbeit in der
Trümmerlandschaft nach 1945 nicht nur die Funktion, die Trümmer beiseite
zu räumen, sondern sich auch jegliches Nachdenken über die Schoa zu
ersparen. Das Arbeitsethos als "deutscher Wert" wurde annähernd bruchlos
fortgesetzt. Der rassistische
und antisemitische Konsens in weiten Teilen der Gesellschaft macht den
"tanzenden und singenden" Schwarzafrikaner heute zu jemandem, der dem
deutschen Arbeitsethos entgegensteht. Zunehmend wird in der aktuellen
Debatte die Arbeit an sich wieder als Wert reklamiert und es wird an die
"anspruchslose deutsche Arbeit" appelliert, um aus der Krise
herauszukommen. Nach wie vor ist der Antisemitismus weitverbreitet, er
taucht als "Antikapitalismus" in der aktuellen Debatte auf. Bestimmte
"Linke" sehen ihren Widerpart im "heimatlosen unproduktiven
internationalen Finanzkapital", der traditionelle Rechte ergänzt:
"Dahinter verbirgt sich die US- Ostküste" und der offene Nazi
entschlüsselt dann diese Chiffre.
Nur im letzten Kapitel hat das Buch eindeutige Schwächen. Es geht im
Rahmen der "postfordistischen Gesellschaft" von einer langsamen Abnahme
des Antisemitismus in Deutschland aus. Diese These ist nicht haltbar und
sollte bei der bevorstehenden Zweitausgabe des Buches kritisch
überarbeitet werden.
Der Wahn deutscher Arbeit:
Eine
folgenreiche antisemitische Projektion
Kaum eine andere Frage ist in Deutschland und Österreich
derart verdrängt worden, wie die nach dem Ausmaß der Verantwortung eines
Großteils der Bevölkerung für den Antisemitismus vor und während des
Nationalsozialismus...
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