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Kevin Vennemann:
Nahe Jedenew
Suhrkamp Verlag  Frankfurt a.M. 2005
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Kevin Vennemann lehrt, was Schreiben sein kann:
Mara Kogoj

Die Geschichte vom Peršmanhof wird selten nur erzählt, selbst das Mahnmal, das an den Überfall des Partisanenstützpunktes am südlichen Rand Österreichs durch ein SS-Bataillon erinnerte, wurde kaum sechs Jahre nach seiner Errichtung von unbekannten Tätern gesprengt und im öffentlichen Raum nie wieder rekonstruiert...

Im Angesicht der Sprachlosigkeit:
Nahe Jedenew

Von Katrin Schuster

"Wir atmen nicht" beginnt der Roman "Nahe Jedenew" von Kevin Vennemann: Anna und ihre Zwillingsschwester, die Wir-Erzählerin, kauern in ihrem Baumhaus, das zum Spielen noch nicht taugt, weil Dach und Tür fehlen, das nun aber als Versteck vor Mördern dienen muss.

Alle anderen aus ihrer Familie sind tot, weil die polnischen Bauern das glückliche Zusammenleben grund- und skrupellos dem deutschen Albtraum von der reinen Rasse opfern. Der Leichnam von Marian, dem älteren Bruder der Zwillinge, liegt auf der Zufahrt zum Hof, der Körper Antoninas, seiner eben Angetrauten, und der ihres Babys treiben im Teich, die Leiche des kleinen Sohns der Köchin drapieren die Barbaren später im Feld, auf dass die Mädchen ihn dort entdecken.

Denn statt fort und fort zu fliehen, verharren die beiden zu Stille und Bewegungslosigkeit verdammt im Baumhaus, das sich in Sicht- und Hörweite ihres Wohnhauses befindet, und besichtigen den Verlust von Heimat und Familie: "Wir sehen die Soldaten in sauberen Uniformen in unserem Garten umhergehen ... wir sehen die Jedenewer Bauern auf dem schmalen Holzsteg sitzen, der im Garten hinterm Haus auf den Teich hinterm Haus hinausführt ... wir sehen Antoninas helles Kleid in der Mitte des Teichs treiben, wir sehen weg."

Von Beginn an vermischen sich die Bilder von jetzt und von vorher, die Vergangenheit drängt sich hinein in die Gegenwart. Während sie das Heute beobachten, memorieren die Zwillingsschwester das Früher; einzelne Gesten, Taten, Sätze leiten jeweils das Mäandern der Erinnerung ein.

So erschließt sich im Sog dieses unhaltbaren Erzählflusses: Noch zur Hochzeitsfeier bringen die Bauern so viele Gaben, dass diese kaum mehr Platz finden, kaum einen Monat später sind sie nur mehr Bedrohung. "Sie kommen" lautet der Satz, der immer wieder fällt und Auftakt ist für die ebenfalls stetig wiederkehrende Szene der Vertreibung der Familie vom Hof. Zunächst verstecken sich diejenigen, die zumindest dieses erste Pogrom überleben, auf einer Lichtung im Maisfeld, die beiden Mädchen dann, als allein sie noch übrig sind, in dem Baumhaus.

Das alles erzählt der Autor in einem Tonfall, der durch seine scheinbare Gleichgültigkeit immer wieder im besten Sinne irritiert. Keine gefühligen oder moralischen Gesten – die kleinen Verschiebungen der Wörter sind es, die den Leser stocken machen, während die Sätze zugleich weiter eilen.

So schreibt Vennemann mit drängendem Takt und einer dennoch sentimentalen Melodie gegen Starre und Verlust an. Und macht "Nahe Jedenew" damit zu einem eindrucksvollen Dokument eines ebenso kraftvollen wie ohnmächtigen Wiederholens des Vergangenen. Im Angesicht der Sprachlosigkeit erzählt die Erzählerin schließlich um ihr Leben.

Erst im letzten Kapitel wird aus ihrem omnipräsenten "wir" ein "ich". Doch das Subjekt ist in solchen Zeiten längst verloren. "Ich atme nicht", lautet also der letzte Satz. Dann schweigt dieser atemraubende Roman.

hagalil.com 02-07-06











 

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