Kevin Vennemann:
Mara Kogoj
Suhrkamp Verlag 2007
Euro 16,80
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Im Angesicht der Sprachlosigkeit:
Nahe Jedenew
"Wir atmen nicht" beginnt der Roman "Nahe
Jedenew" von Kevin Vennemann: Anna und ihre Zwillingsschwester, die
Wir-Erzählerin, kauern in ihrem Baumhaus, das zum Spielen noch nicht
taugt, weil Dach und Tür fehlen, das nun aber als Versteck vor Mördern
dienen muss...
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Kevin Vennemann lehrt, was Schreiben sein
kann:
Mara Kogoj
Von Katrin Schuster
Die Geschichte
vom Peršmanhof wird selten nur erzählt, selbst das Mahnmal, das an den
Überfall des Partisanenstützpunktes am südlichen Rand Österreichs durch
ein SS-Bataillon erinnerte, wurde kaum sechs Jahre nach seiner
Errichtung von unbekannten Tätern gesprengt und im öffentlichen Raum nie
wieder rekonstruiert.
11 Mitglieder der Kärntner slowenischen Minderheit wurden im April 1945 auf
dem Kärntner Anwesen erfordert, 7 von ihnen Kinder. Dass nicht die Nazis,
sondern die Partisanen selbst diese Tat verübten, behaupteten schon zu jener
Zeit und behaupten auch heute noch recht viele Einwohner des Bundeslandes,
die naturgemäß im gleichen Atemzug jeden Verdacht des Revanchismus´ weit von
sich weisen.
Nun gedenkt der kaum dreißigjährige, in Wien und Berlin lebende
Schriftsteller Kevin Vennemann der Geschichte des Peršmanhofes – wobei es
ihm nicht um eine Wahrheit geht, sondern vielmehr um Varianten und
Rhetoriken der Erinnerung.
Vennemann lässt reden: Bei einer Befragung Klagenfurter Bürger zum Thema
"Heimat" lernen die beiden Interviewer Mara Kogoj und Tone Lebonja Ludwig
Pflügler kennen, der während der Gespräche mal schweigt, ein ander Mal dann
mit Umwegen und verteidigend seine Einstellung gegenüber den slowenischen
"Aggressoren" und der Notwendigkeit des "Abwehrkampfes" erläutert. Weit über
die veranschlagte Zeit treffen sich die beiden mit dem "Heimattreuen", vor
allem Tone kann nicht aufhören, Pflügler zuzuhören. Mara dagegen scheint
anfangs wie unbeteiligt, mehrere Monate lang erscheint sie gar nicht erst.
Ihren Namen hat der Roman zum Titel, ein biografischer Verdacht soll da
genährt werden, denn Kogoj hieß auch eine der beiden Familien, die auf dem
Peršmanhof wohnten, drei Kinder überlebten damals. Ob Mara eine Nachfahrin
ist, lässt sie absichtsvoll offen, denn "was würde das bedeuten. Dass
niemand außer mir das Recht besitzen müsse und könne und dürfe oder ein
Gefühl der Notwendig-, Dringlichkeit, in dieser Sache zu sprechen, ein
solches Sprechen in einem solchen Fall: eine Einmischung wäre oder zumindest
eine Anmaßung, zumeist beides zugleich."
Anders Tone: Er kennt Pflügler aus Kindertagen, erklärt das Mara auch,
nachdem sie sich sorgt, ob Zuhören und Zustimmen sich noch unterscheiden
ließen und Pflügler nicht längst die Fäden in der Hand halte.
Spricht zu Beginn noch Tone allein, schaltet sich folglich plötzlich Mara
als Ich-Erzählerin ein, mitten im Satz wechselt Vennemann von der einen zu
der anderen Rede; überhaupt passt er die Sprache mutig seinem Gegenstand an:
die eigenwillige Interpunktion macht aufmerksam auf ihre Unzulänglichkeiten
und die Mittel, die ihr dennoch zu eigen sind, um das Umkreisen des
Unsagbaren wenigstens anzuzeigen. Denn darum geht es Vennemann wie Mara
Kogoj, "was wir tun: nichts anderes als sprechen lernen, wir lernen
sprechen". In der letzten Sitzung muss Pflügler endlich schweigen und
seinerseits zuhören, denn Tone Lebonja erzählt seine Version. Maras
Erinnerung dagegen bleibt außen vor ebenso wie Pflüglers letztes Geständnis.
"Es
gibt so etwas wie Stille nicht, Lebonja. Das kann es gar nicht, keine
Stille. Etwas geschieht immer, das einen Klang erzeugt", lauten die
zentralen Sätze dieses Romans. Mara wiederholt sie mehrmals, erdacht jedoch
hat sie der Autor. Und damit eine der klügsten und zudem schönsten
Weisheiten über das Reden, das Schweigen, das Aufzeichnen und die Historie
gefunden. So lehrt uns Kevin Vennemann nicht nur das Sprechen, sondern
vielmehr, was Schreiben sein kann, ja, sein muss – Weltvertonung,
Erinnerungsschatten, Bewusstseinslust und Wörterdrang: "Mara Kogoj" ist
Literatur in ihrer hervorragendsten wie bedeutsamsten Form.
hagalil.com
28-03-07 |