
Doron Rabinovici, Ulrich Speck, Natan Sznaider (Hg.):
Neuer Antisemitismus
Eine globale Debatte
edition Suhrkamp 2004
Euro 12,50
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Von Zeesen bis Beirut:
Nationalsozialismus und Antisemitismus in der arabischen
Welt
Von Matthias Küntzel
"Höre!", sagt der Rabbi zu einem jungen Juden. "Wir
haben von oben einen Auftrag erhalten. Wir brauchen für das ungesäuerte
Brot am Passahfest das Blut eines Christenkindes." In der nächsten Szene
wird ein verängstigter Junge aus der Nachbarschaft herbeigezerrt. Dann
fährt die Kamera auf das Kind zu und in Großaufnahme sieht man, wie ihm
die Kehle durchschnitten wird. Das Blut spritzt aus der Wunde und strömt
in ein Metallbecken.
Der Satellitenkanal Al-Manar, der dies ausstrahlte, wird
von der islamistischen Hizbollah ("Partei Gottes") betrieben. Die
blutrünstige Szene ist Bestandteil einer neunundzwanzigteiligen Serie
namens Al-Shatat ("Diaspora"), die Al-Manar mit Unterstützung syrischer
Regierungsstellen produziert und während des Ramadan 2003 erstmals
gesendet hat. Folge für Folge wird hier das Phantasma der jüdischen
Weltverschwörung kolportiert: Juden hätten Tod und Verderben über die
Menschheit gebracht, Juden hätten beide Weltkriege ausgelöst, Juden
hätten die Chemiewaffen erfunden und Hiroshima und Nagasaki mit
Atombomben zerstört.
Mit 300 Festangestellten ist dieser Sender der nach
Al-Djazeera wirkungsvollste in der arabisch-islamischen Welt. Zehn
Millionen Menschen empfangen täglich das rund um die Uhr aus Beirut
ausgestrahlte Programm. Al-Manar ("das Leuchtfeuer") ist die erste und
bisher einzige satellitengestützte TV-Station, die Objektivität nicht
einmal vortäuscht, sondern sich als globale Plattform des Islamismus
versteht. Ihre Beliebtheit verdankt sie zahllosen Videoclips, die mit
inspirierender Graphik und mitreißender Musik für Selbstmordattentate
werben. Al-Manar "drängt nicht nur auf Terrorakte gegen Israel, sondern
inspiriert sie, rechtfertigt sie und feiert sie". (1)
Und dennoch: Drei Monate nach Ausstrahlung der
Al-Shatat-Serie veranstalteten die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und
das "Forschungsinstitut" der Hizbollah eine gemeinsame Tagung in Beirut.
Titel: "Die Islamische Welt und Europa: Vom Dialog zur Übereinkunft".
Ebenso bemerkenswert wie das Bündnis zwischen den think tanks einer
deutschen Regierungspartei und einer islamistischen Terrororganisation
war die Tagesordnung dieser Konferenz: Der Topos "Besatzung und
Widerstand" stand auf dem Programm, nicht aber die antisemitische
Agitation von Al-Manar. (2)
Solch unbekümmerte Haltung gegenüber dem islamistischen
Judenhass ist kennzeichnend für den deutschen Diskurs: Während der
Antisemitismus eines MdB Hohmann öffentliche Empörung provoziert, wird
derselbe Antisemitismus, sofern Muslime ihn artikulieren, als
vermeintlicher Reflex auf den Nahost-Konflikt verharmlost oder ganz
ignoriert. Bis heute schließt dieses Schweigen über den islamischen
Antisemitismus das Schweigen über dessen Wurzeln im Nationalsozialismus
mit ein. Oder haben Sie schon jemals von dem Kurzwellensender Zeesen
gehört?
In Zeesen, einem Ort mit 4.000 Einwohnern im Süden
Berlins, stand einst der leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt.
Seit 1939 sendete er täglich sein arabischsprachiges Programm. Von allen
fremdsprachigen Redaktionen hatte die Orient-Redaktion "absoluten
Vorrang. Sie sendete für Araber, Türken, Perser und Inder und brachte es
auf rund achtzig Mitarbeiter, freiberufliche Sprecher und Übersetzer
eingeschlossen." (3) Kein anderer Sender
erfreute sich zwischen 1939 und 1945, als man in der arabischen Welt dem
Radio vorzugsweise auf öffentlichen Plätzen oder in Basaren und
Kaffeehäusern lauschte, einer größeren Beliebtheit als der Nazi-Sender
aus Zeesen. Hier wurden antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit
Zitaten aus dem Koran und arabischen Musikbeiträgen vermischt. Die
Alliierten des Zweiten Weltkriegs wurden als von "Juden" abhängige
Mächte gezeichnet und den Zuhörern das Bild von den "Vereinten Jüdischen
Nationen" eingetrichtert. Gleichzeitig wurden Juden als die schlimmsten
Feinde des Islam attackiert: "Der Jude war seit Mohammeds Zeiten nie ein
Freund der Moslems. Der Jude ist der Feind, und ihn zu töten erfreut
Gott." (4) Heute ist es der Hizbollah-Sender
Al-Manar, der eben diese Botschaft per Satellit verbreitet. Durch welche
geschichtlichen Bezüge sind der Kurzwellensender aus Zeesen und die
Fernsehstation von Beirut verknüpft?
Hakenkreuze in Palästina
Programmhöhepunkte bei Radio Zeesen waren die
Djihad-Aufrufe der damals populärsten Figur in der arabisch-islamischen
Welt, des Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini (1895–1974). Seit 1941
lebte dieser in Berlin und beaufsichtigte die arabischen
Rundfunkausstrahlungen aus Zeesen, Athen und Rom. (5)
Niemand beförderte den Judenhass unter Muslimen erfolgreicher als der
Mufti. Die europäische Verantwortung hierfür ist evident, war
el-Husseini doch eine von europäischen Mächten eingesetzte und
geförderte Instanz: Es waren die Briten, die ihn 1920 wegen
Aufstachelung zum Judenhass erst zu einer zehnjährigen Haft
verurteilten, dann amnestierten und 1921 gegen den Mehrheitswillen der
Palästinenser in sein Amt als Mufti brachten. Es waren die Deutschen,
die ihn zwischen 1937 und 1945 für seine Dienste bezahlten. Und es waren
die Franzosen, die 1946 dem international als Nazi-Kriegsverbrecher
gesuchten Mufti die Flucht nach Ägypten und die Fortsetzung seiner
Politik ermöglichten. (6)
Niemand prägte zugleich die Frühgeschichte des
Nahostkonflikts maßgeblicher als der Mufti, der als Präsident des
Muslimischen Oberrats nicht nur die höchste religiöse Autorität, sondern
zugleich die Zentralfigur des palästinensischen Nationalismus war. Es
gab in den Dreißigerjahren zahllose arabische Nationalisten, die in
Nazi-Deutschland einen antibritischen Bundesgenossen sahen, ohne sich um
den Charakter des Hitlerregimes zu kümmern. Beim Mufti sah es anders
aus: Er kannte den Charakter des Regimes und fühlte sich gerade deshalb
zu ihm hingezogen.
Schon im Frühjahr 1933 versicherte er dem deutschen
Konsul in Jerusalem, dass "die Muslime innerhalb und außerhalb
Palästinas das neue Regime in Deutschland willkommen heißen und die
Ausweitung einer faschistischen und antidemokratischen Staatsführung auf
andere Länder erhoffen"(7). Die
Jugendorganisation der vom Mufti gegründeten Partei firmierte zeitweilig
als Nazi scouts und richtete sich mit Einheitshemd und Koppel am Vorbild
der Hitlerjugend aus. Während der palästinensischen Aufstandsbewegung
von 1936 bis 1939 fungierte das Hakenkreuz als Erkennungssymbol: Häufig
wurden arabische Flugzettel und Mauerinschriften damit verziert,
arabische Kinder hießen sich mit dem "deutschen Gruß" willkommen und bei
Feiern aus Anlass von Mohammeds Geburtstag wurden gar massenweise
deutsche Fahnen und Hitlerbilder gezeigt. Wer in jenen Jahren durch die
aufständischen Gebiete Palästinas fahren musste, befestigte an seinem
Fahrzeug ein Hakenkreuz, um vor den Überfällen arabischer Freischärler
geschützt zu sein. (8)
Diese Parteinahme war den Nazis bis zum Sommer 1937
jedoch unangenehm. Höflich, aber bestimmt lehnte Berlin die arabischen
Angebote zur Zusammenarbeit ab. Einerseits hatte Hitler schon in "Mein
Kampf" die "rassische Minderwertigkeit" der Araber postuliert und ihrem
"Heiligen Krieg" eine höhnische Absage erteilt. (9)
Andererseits war man sorgsam darauf bedacht, das britische Appeasement
gegenüber Berlin durch Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten nicht
vorzeitig zu gefährden, zumal der Mittelmeerraum in den
Zuständigkeitsbereich des italienischen Partners fiel.
Erst im Juni 1937 revidierte Berlin diesen Kurs.
Auslöser war der Vorschlag der britischen Peel-Kommission, das
Mandatsgebiet Palästina in einen kleineren jüdischen und einen größeren
muslimisch-arabischen Staat aufzuteilen. Die "Bildung eines Judenstaates
... liegt nicht im deutschen Interesse", konterte umgehend der
Reichsminister des Auswärtigen, Konstantin von Neurath, da dieser eine
"zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis für das internationale Judentum
schaffen würde. Es besteht daher ein deutsches Interesse an Stärkung des
Arabertums als Gegengewicht gegen etwaigen solchen Machtzuwachs des
Judentums." (10)
Stärkung der Araber gegen die Juden: Zwar verfolgte
Berlin, um London nicht zu verprellen, den neuen Kurs zunächst nur auf
leisen Sohlen, doch das Ausmaß der jetzt in Gang gesetzten Aktivitäten
war imposant. Studenten aus arabischen Ländern erhielten deutsche
Stipendien, Firmen heuerten arabische Auszubildende an, arabische
Parteiführer wurden zu Nürnberger Parteitagen und Armeeführer zu
Wehrmachtmanövern eingeladen. In Berlin wurde ein "Arabischer Klub" als
Zentrum der Palästina-Agitation und des arabisch-sprachigen
Rundfunkbetriebs etabliert. (11)
Unter Führung des Reichsministeriums für Volksaufklärung
und Propaganda intensivierte das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB), dessen
regionales Hauptquartier in Jerusalem schon 1936 einen arabischen Dienst
gegründet hatte, seine nachrichtendienstliche Tätigkeit. Dr. Franz
Reichert, DNB-Leiter in Jerusalem, der nicht nur beste Beziehungen zum
Mufti, sondern auch zur arabischen Presse unterhielt, bestach
Journalisten und brachte abtrünnige Zeitungen mit gut finanzierten
Anzeige-Aufträgen auf Kurs.
Im September 1937 traten zwei Mitarbeiter des Judenreferats im
Sicherheitsdienst (SD) der SS, darunter Adolf Eichmann, eine mehrwöchige
Erkundungsfahrt in den Nahen und Mittleren Osten an. Es folgten
ausgedehnte Reisen des Führers der Hitler-Jugend, Baldur von Schirach,
sowie des Chefs der Abwehr, Wilhelm Canaris. Im April 1939 hielt sich
schließlich auch der Leiter des Orient-Referats im Auswärtigen Amt, Otto
von Hentig, in Palästina und Ägypten auf. Dieser Aktivismus blieb nicht
ohne Resultat: Von Schirach stiftete das Geld für den Aufbau eines
"Arabischen Klubs" in Damaskus, in dem deutsche Nazis Rekruten für die
Aufstandsbewegung des Mufti trainierten, und Canaris überzog die Region
mit einem Spionagenetz. (12)
Die größte Wirksamkeit aber entfaltete das arabische Programm aus Zeesen,
"unser Fernkampfgeschütz im Äther", wie Goebbels es nannte. Es nahm
seinen regulären Betrieb am 25. April 1939 auf und sendete täglich ab
17.45 Uhr Berliner Zeit. (13) Hier wurden
alle Araber verhöhnt, die mit Zionisten auch nur verhandeln wollten.
"Der Sprecher von Radio Berlin bezeichnete [den jordanischen König] Amir
Abdallah regelmäßig als 'Rabbi Abdallah'", berichtete der spätere
BBC-Journalist Nevill Barbour. "Es war nicht gerade leicht, die
Nazipropaganda über die jüdische Heimstätte in Palästina zu kontern." (14)
Doch Radio Zeesen war auch deshalb kaum zu schlagen, weil es hemmungslos
antiwestliche Ressentiments mobilisierte: Mit seiner Hinwendung zur
arabischen Welt hatte Berlin das antimodernistische Potenzial des Islam
entdeckt.
Der Antisemitismus des Mufti
Nicht nur Heinrich Himmler schwärmte von der "weltanschaulichen
Verbundenheit" zwischen Nationalsozialismus und Islam; er führte den
Begriff der "Muselgermanen" ein. (15) Auch
Amin el-Husseini wies auf das "Parallel-Laufen" der Ideale der Muslime
und Deutschen hin und definierte die Berührungspunkte folgendermaßen: 1.
Monotheismus – Einheit der Führung. 2. Die ordnende Macht – Gehorsam und
Disziplin. 3. Der Kampf und die Ehre, im Kampf zu fallen. 3. Die
Gemeinschaft. 4. Familie und Nachwuchs. 5. Verherrlichung der Arbeit und
des Schaffens. 6. Das Verhältnis zu den Juden – "In der Bekämpfung des
Judentums nähern sich der Islam und der N.S. einander sehr." (16)
Doch gerade der letztgenannte Punkt verstand sich nicht von selbst: Der
rassistisch motivierte Antisemitismus und das Phantasma von der
jüdischen Weltverschwörung waren europäischen Ursprungs und dem
ursprünglichen Judenbild des Islam fremd. Nur in der Christuslegende
erscheinen Juden als eine tödliche und mächtige Instanz, die es
angeblich gar fertig brachten, Gottes einzigen Sohn zu töten.
Ganz anders der Islam. Ihm zufolge haben nicht die Juden den Propheten
ermordet, sondern der Prophet die Juden: Mohammed hatte alle jüdischen
Stämme aus Medina in den Jahren 623 bis 627 versklavt, vertrieben oder
getötet. Deshalb tauchten die charakteristischen Züge des christlichen
Antisemitismus in der muslimischen Welt nicht auf: "Es gab keine Ängste
vor einer jüdischen Verschwörung und Vorherrschaft, keine Anklagen wegen
diabolischer Bösartigkeit, Juden wurden nicht beschuldigt, Brunnen zu
vergiften oder die Pest zu verbreiten." (17)
Stattdessen begegnete man den Juden mit Verachtung oder mit
herablassender Duldung. Diese kulturelle Prägung ließ die Vorstellung,
ausgerechnet Juden könnten eine permanente Gefahr für die Muslime und
die Welt bedeuten, absurd erscheinen.
Umso kraftvoller musste diese Wahnidee der arabisch-islamischen Welt
eingehämmert werden. Für ihre Verbreitung war der Konflikt über
Einwanderung und Landerwerb in Palästina nicht die Ursache, sondern
lediglich eine Gelegenheit. Von einer "uralten Feindschaft" handelte
beispielsweise die Broschüre über "Islam und Judentum", die die Nazis an
die muslimischen Angehörigen der aus Bosniaken rekrutierten SS-Division
"Handschar" verteilten. Über Radio Zeesen wurde der Topos des "ewig
feindseligen Juden" in immer neuen Variationen beschworen. Typisch etwa
die Rede, die der Mufti im November 1943 hielt: "Dieses Volk ist der
Feind der Araber und des Islam seit dessen Bestehen. Der Heilige Koran
hat diese alte Feindschaft in den folgenden Worten ausgesprochen: 'Du
wirst finden, dass die den Gläubigen am feindlichsten Gesinnten die
Juden sind.' Sie versuchten, den verehrungswürdigen Propheten zu
vergiften, leisteten ihm Widerstand, waren ihm feindlich gesonnen und
intrigierten gegen ihn. Dies war vor mehr als 1300 Jahren der Fall. Seit
jener Zeit haben sie nicht aufgehört, gegen die Araber und Mohammedaner
ihre Intrigen zu spinnen." (18) So wurde aus
den unterlegenen Zeitgenossen Mohammeds eine ewige Bedrohung für alle
Muslime konstruiert.
Dem Mufti war der Rekurs auf das 7. Jahrhundert auch aus einem zweiten
Grund gerade recht: Sein Judenhass war eine Kampfansage an den "Einbruch
liberalistischer Ideen" in die Welt des Islam. Ägypten hatte sich seit
Beginn des 20. Jahrhunderts der Moderne geöffnet, die Türkei ersetzte in
den Zwanzigerjahren das Kalifat durch das Leitbild Kemal Atatürks, und
auch Reza Khan forcierte die Säkularisierung des Iran. Dieser
Reformströmung des Islam ließ der Mufti in seinem Machtbereich nicht den
geringsten Raum. Er sah in Jerusalem den Kristallisationskern der
"Wiedergeburt des Islam" und in Palästina das Zentrum, von dem aus der
Widerstand gegen Juden und die Moderne seinen Anfang nehmen sollte. "Das
Kino, das Theater und einige schamlose Zeitungen ... kommen wie Nattern
in unsere Häuser und Höfe, wo sie die Moral töten und die Grundlagen der
Gemeinschaft zerstören", rief er 1935 auf einer Konferenz islamischer
Religionsgelehrter aus und stellte die vermeintlichen Urheber dieser
Entwicklung bloß: "Die Juden haben hier ihre Sitten und Gebräuche
verbreitet, die im Gegensatz zu unserer Religion und unserer ganzen
Lebensweise stehen. ... Die jüdischen Mädchen, die in kurzen Hosen
herumlaufen, demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße Anwesenheit."
(19)
Unermüdlich nutzte el-Husseini sein Amt, um den Antizionismus zu
islamisieren und den Hass auf Juden religiös zu motivieren. Wer sich
seinen Vorgaben nicht beugte, wurde in den Freitagsgebeten der Moscheen
namentlich denunziert, von den Riten der Heirat und der Beerdigung
ausgeschlossen oder körperlich bedroht. Diese Ausrichtung vollzog der
Mufti in Verbindung mit seinem damals prominentesten Bundesgenossen, dem
islamischen Fundamentalisten Izz al-Din al-Qassam, der den
Selbstmordbomber-Einheiten der Hamas als Namensgeber dient. Als erster
Scheich der Neuzeit hatte al-Qassam seit 1931 in der Umgebung von Haifa
eine Bewegung geformt, die die Ideologie der devoten Rückkehr zum
Ur-Islam des 7. Jahrhunderts mit der Praxis des Djihad-Aufstands gegen
die Ungläubigen verband. (20)
Die 1936 beginnenden Unruhen, die als "Arabischer Aufstand" in die
Geschichte eingegangen sind, waren das erste Experimentierfeld der sich
formierenden islamistischen Ideologie. Hier kamen erstmals jene
Terrorpraktiken zur Anwendung, denen sich später auch Muslime in
Algerien, Afghanistan oder dem Iran ausgesetzt sahen.
Keimzelle des Islamismus
Der "Arabische Aufstand", der sich etappenweise bis zu Beginn des Zweiten
Weltkriegs hinzog, begann im April 1936 als Streikbewegung gegen
jüdische Einwanderung und britische Herrschaft. (21)
Die zweite Phase nahm im Herbst 1937, nach Veröffentlichung des
Peel-Plans zur Teilung Palästinas, ihren Lauf. In sie schaltete sich die
deutschen Außenpolitik maßgeblich ein: "Der Mufti selbst gab zu, dass es
seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel
möglich war, den Aufstand in Palästina durchzuführen. Von Anfang an
stellte er hohe finanzielle Forderungen, denen die Nazis in sehr großem
Maße nachkamen." (22)
Von nun an wurde der Charakter dieser Unruhen vom Mufti und den Anhängern
von Scheich al-Qassam bestimmt: Brachial führten sie in den von Juden
und Briten "befreiten" Zonen neue Kleiderordnungen und Scharia-Gerichte
ein und liquidierten "unislamische" Abweichler in großer Zahl.
Bewundernd berichtete 1943 ein deutscher Biograf des Mufti über die
Erschießung palästinensischer Araber, die sich mit der Weigerung, die
Kaffiyah zu tragen, dem Zwang zur Unterordnung widersetzten. (23)
Nicht minder drakonisch wurden arabische Christinnen und alle anderen
Frauen zur Verschleierung gezwungen.
Gleichzeitig nahm man neben Juden und Briten besonders die Palästinenser
ins Visier, die den Ausgleich mit dem Zionismus und der Mandatsmacht
suchten und den Peel-Plan unterstützten. "Menschen, die Land an Juden
verkauften .... oder moderate politische Ansichten hegten und deren
Nationalismus man als unterentwickelt verdächtigte, ... wurden nicht
immer sofort getötet; manchmal wurden sie gekidnappt und in den
Gebirgsabschnitten unter die Kontrolle der Rebellen gestellt", berichtet
Porath. "Dort warf man sie in Gruben, die mit Schlangen und Skorpionen
versetzt waren. Falls die Opfer nach mehreren Tagen in dieser Grube noch
lebten, wurden sie vor eines der Rebellengerichte gebracht ... und
normalerweise zum Tod oder, als spezielle Form der Rechtsprechung, zu
massiver Auspeitschung verurteilt. Der Terror war so massiv, dass
niemand, einschließlich der Religionsgelehrten und Priester, es wagte,
ordentliche Bestattungen durchzuführen." (24)
Im Herbst 1938 erreichten diese Unruhen ihren Höhepunkt. Etwa 10.000
Kämpfer (darunter 3.000 Berufssöldner) standen nunmehr im Solde
el-Husseinis. Die wichtigsten Kommandeure gehörten zum Kreis der
"Qassamiten", während der Mufti den "Aufstand" von Beirut aus leitete. (25)
Dr. Reichert vom Deutschen Nachrichtenbüro traf mehrfach mit
Repräsentanten der Aufstandsbewegung zusammen und stellte wiederholt
heraus, "dass aufgrund von Zusagen des Dritten Reiches an Hadj Amin
El-Husseini die arabischen Nationalisten bald über genügend finanzielle
Mittel zur Fortsetzung ihrer Rebellion verfügen." (26)
Warum wollten die Nazis die Unruhen in die Länge ziehen? Den wichtigsten
Grund formulierte Alfred Rosenberg, der Leiter des Außenpolitischen Amts
der NSDAP. "Je länger der Brand in Palästina anhält", prophezeite er im
Dezember 1938, "umso mehr festigen sich die Widerstände gegen das
jüdische Gewaltregime in allen arabischen Staaten und darüber hinaus
auch in den anderen moslemischen Ländern." (27)
In der Tat! Erst die Kämpfe in Palästina machten beispielsweise die 1928
gegründete Keimzelle des Islamismus, die ägyptische Moslembruderschaft,
zu jener einflussreichen Organisation, aus deren Reihen später nicht nur
die Hamas, sondern auch Osama bin Ladens "Islamische Weltfront für den
Djihad gegen Juden und Kreuzfahrer" hervorgegangen ist. Während die
ägyptische Muslimbruderschaft 1936 noch 800 Mitglieder zählte, waren es
1938 bereits 200.000. In der Zwischenzeit fand nur eine einzige Kampagne
statt: Die Mobilisierung für den vom Mufti geführten Aufstand in
Palästina. (28)
Islamismus und NS
Bis 1936 konnte von Antisemitismus in Ägypten keine Rede sein. Juden
wurden in der Bevölkerung geschätzt und waren in Wirtschaft und Politik
einflussreich. Auf taube Ohren stießen deshalb die antijüdischen
Pamphlete, die die Kairoer Ortsgruppe der NSDAP zu verbreiten suchte.
1933 empfahl diese in einem Brief an Berlin, von weiteren Flugblättern
und Broschüren abzusehen und besser dort anzusetzen, wo "wirkliche
Interessengegensätze zwischen Arabern und Juden bestehen: Palästina. Der
dortige Gegensatz zwischen Arabern und Juden muss nach Ägypten
verpflanzt werden." (29)
Drei Jahre später war es dann soweit. Im Mai 1936 rief die
Moslembruderschaft, unmittelbar nach Beginn der palästinensischen
Revolte, zum Boykott aller jüdischen Geschäfte in Ägypten auf. In
Moscheen und Betrieben verbreitete sie das Gerücht, dass Juden und
Briten die heiligen Stätten in Jerusalem zerstörten. Weitere
Falschmeldungen über Hunderte getöteter arabischer Frauen und Kinder
machten die Runde.
Nach der Veröffentlichung des Peel-Plans verschärfte sich die antijüdische
Agitation. Auf gewalttätigen Studentendemonstrationen in Kairo,
Alexandria und Tanta wurden Rufe laut wie "Nieder mit den Juden", "Juden
raus aus Ägypten und Palästina". In der Zeitschrift der Bruderschaft,
Al-Nadhir, wurde eine Kolumne namens "Die Gefährlichkeit der Juden von
Ägypten" eingerichtet. Darin wurden die Namen und Adressen von jüdischen
Geschäftsinhabern und Besitzern angeblich jüdischer Zeitungen aus aller
Welt veröffentlicht und alles Böse – vom Kommunismus bis zum Bordell –
auf die "jüdische Gefahr" zurückgeführt. Im September 1938 erließ die
Bruderschaft den Aufruf, nur noch in islamischen Ländern gefertigte
Produkte zu tragen und zu verzehren und sich in allen Teilen Ägyptens
für den Djihad zur Verteidigung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zur
Verfügung zu stellen. (30)
Begeistert berichtete Giselher Wirsing, ein führender Journalist des
Dritten Reiches, von den Stoßwellen, die das "politische
Erdbebenzentrum" Palästina in Ägypten hinterließ. Zufrieden konstatierte
der Nazi-Journalist "eine ausgesprochene Rückwendung zu den religiösen
Überlieferungen des Islams" und "eine scharfe Gegnerschaft gegen den
westlerischen Liberalismus. ... Die neue Entwicklung in Ägypten ...
zeigt, wie stark diese Theokratie sich nach der Überwindung des ersten
liberalistischen Ansturms wieder zu beleben vermag." Theokratie statt
Demokratie, Salafismus statt Liberalismus: die Linie dieses SS-Manns
liegt auf der Hand. (31)
Bevorzugt wurde nun auch in Ägypten der aufkeimende Islamismus mit
Nazi-Geldern unterstützt. Aus Dokumenten, die man in der Wohnung des
Direktors des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo, Wilhelm Stellbogen,
sicherstellte, geht hervor, "dass die Muslimbruderschaft vor Oktober
1939 Subventionen vom DNB erhielt. Stellbogen war am Transfer dieser
Gelder an die Bruderschaft beteiligt, deren Summe beträchtlich höher lag
als die Beträge, die anderen antibritischen Aktivisten angeboten
wurden", berichtet Brynjar Lia in seiner Monographie über die
Moslembruderschaft. "Diese Geldtransfers scheinen von Hadj Amin
el-Husseini und einigen seiner palästinensischen Kontaktpersonen in
Kairo ... koordiniert worden zu sein." (32)
Die Zuwendungen gestatteten es der Muslimbruderschaft, eine
Druckwerkstatt mit 24 Beschäftigten zu etablieren und modernste
Propagandamittel einzusetzen. Unter dem Titel "Feuer und Zerstörung in
Palästina" wurde beispielsweise eine 80-seitige Broschüre mit fünfzig
Fotos über angebliche Gewalt- und Folterakte erstellt und in mehreren
zehntausend Exemplaren unter die Leute gebracht.
Zwar ließen sich die Muslimbrüder auch die Hilfe deutscher Offiziere beim
Aufbau ihrer Militärorganisation gefallen und kollaborierten im Zweiten
Weltkrieg mit Rommels Armee. Bewundert haben sie die Nazis aber nicht.
Für Hassan al-Banna, den Gründer und das Oberhaupt der Muslimbrüder, kam
die Anerkennung eines nicht muslimischen Führers nicht in Frage. Was sie
an Deutschland schätzten, führten die Muslimbrüder auf die Übernahme
islamischer Prinzipien durch die Nazis zurück, "zum Beispiel die
zurückhaltende Kleidung, die Ermutigung zur frühen Heirat, der starke
Patriotismus und der mililitärische Djihad-Geist". (33)
So brachten die Jahre 1936 bis 1939 den Islamismus als antisemitische und
antimodernistische Massenbewegung hervor. Bis 1936 waren die moderaten
arabischen Kräfte, die den Zionismus begrüßten oder doch zumindest
tolerierten, noch in keiner Weise marginalisiert. Dies änderte sich,
nachdem die Nazis ihr Gewicht in die Waagschale der Islamisten geworfen
hatten. Sie stachelten die Unruhen in Palästina erfolgreich an und
trugen somit dazu bei, das antijüdische Feindbild nach Ägypten zu
verpflanzen. Die islamistische Massenmobilisierung wurde finanziell und
ideologisch von Radio Zeesen und anderen Propagandaträgern unterstützt.
Auch deshalb setzte sich im arabischen Teil der islamischen Welt nicht
der aufgeklärte Modernismus eines Kemal Atatürk, sondern der Islamismus
und Antisemitismus eines Hassan al-Banna durch. (34)
Der Kurzwellensender von Zeesen erweist sich im Rückblick als die
Schnittstelle, die die antisemitische Weltanschauung in die arabische
Welt transferierte und den frühen arabischen Islamismus mit dem späten
Nationalsozialismus verband. Radio Zeesen stellte seinen Betrieb im
April 1945 ein. Seine Frequenzen des Hasses breiteten sich aber erst von
nun an in der arabischen Welt wirklich aus.
Naziideologie und arabische Welt
Dem 8. Mai 1945 folgte eine zweifache Teilung der Welt. Die Spaltung in
politökonomische Systeme ist als Kalter Krieg bekannt. Die zweite Kluft,
die der Kalte Krieg nur überdeckte, hat mit dem Fortleben
nationalsozialistischen Gedankenguts zu tun. In ihrem Bericht über den
1961 geführten Prozess gegen Adolf Eichmann gab Hannah Arendt den Blick
auf diesen Abgrund frei: "Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo
und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr
Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht zu Ende geführt’ habe; eine
Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen
kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen
wurde, dass 'im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine
jüdische Siedlung überflogen und bombardiert' hätte." (35)
Dasselbe Bedauern und den Herzenswunsch, endlich alle Juden vernichtet
zu sehen, formulierte der Kolumnist der zweitgrößten, staatlich
kontrollierten ägyptischen Tageszeitung, Al Akhbar, im April 2002:
"Hinsichtlich des Schwindels mit dem Holocaust haben viele französische
Studien bewiesen, dass dies nichts als Fabrikation, Lüge und Betrug ist.
Ich aber beschwere mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten Grund
meines Herzens: "Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder, wenn es doch
nur wirklich geschehen wäre, sodass die Welt ohne ihr [der Juden] Übel
und ihre Sünde erleichtert aufseufzen könnte." (36)
Die Logik ist klar: Der Jude ist das Übel der Welt, das vernichtet werden
muss. Deshalb gehört Israel von der Landkarte radiert. Und deshalb ist
die Shoah kein Vergehen, sondern ein fehlgeschlagener Versuch, dem man
eine erfolgreichere Wiederholung wünscht. Dämonisierung der Juden,
Legitimierung des Holocaust und Liquidierung Israels: drei Seiten eines
ideologische Dreiecks, das sich nicht hält, wenn auch nur eine der drei
Seiten fehlt. Warum fand nach 1945 dieser Wahn-Sinn in der arabischen
Welt sein seither wirkungsmächtigstes Exil?
Hier kommt erneut der Mufti ins Spiel. Offen und im Wissen um Auschwitz
propagierte er die Shoah. "Deutschland", erklärte er 1943, habe sich
"entschlossen, für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden,
die ihr Unheil in der Welt beilegen wird." (37)
Nach 1945 blieb der Nimbus des Mufti dennoch intakt. Zwar war er für die
Gräuel der muslimischen SS-Division in Bosnien ebenso persönlich
verantwortlich wie für die Tötung von Tausenden jüdischen Kindern im
Holocaust. (38) Dennoch verzichteten die USA
und Großbritannien, um es sich mit der arabischen Welt nicht zu
verderben, auf seine Strafverfolgung, während Frankreich, in dessen
Gewahrsam sich el-Husseini seit 1945 befand, ihn laufen ließ. Als die
Schlagzeilen der Weltpresse am 10. Juni 1946 die "Flucht" des Mufti aus
Frankreich verkündeten, "wurden die arabischen Viertel von Jerusalem und
die arabischen Städte und Dörfer in Palästina mit Girlanden und Flaggen
geschmückt und überall das Porträt des großen Mannes gezeigt". (39)
Indem die Alliierten den Mufti amnestierten, wurde sein Antisemitismus
rehabilitiert. Mehr noch: Die Araber sahen in der Straflosigkeit des
Mufti "nicht nur eine Schwäche der Europäer, sondern auch Absolution für
geschehene und kommende Ereignisse", bemerkte 1947 Simon Wiesenthal. Nun
begann die pro-nationalsozialistische Vergangenheit "eine Quelle des
Stolzes, nicht der Scham" zu werden. (40)
Die entgegengesetzten Sichtweisen auf den Holocaust prallten erstmals im
November 1947 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen aufeinander.
Auf der einen Seite diejenigen, für die die Shoah eine Tatsache und
Katastrophe war, weswegen sie sich für die Teilung Palästinas und die
Gründung Israels einsetzten. (41) Auf der
anderen Seite diejenigen, für die der UN-Beschluss ein weiterer Beweis
"jüdischer Weltverschwörung" war. Zu ihnen gehörte der Führer der
Muslimbrüder, Hassan al-Banna, der den UN-Plan als ein "internationales
Komplott" attackierte, "ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und
den Briten unter dem Einfluss des Zionismus", sowie der erneut zum
palästinensischen Wortführer avancierte Amin el-Husseini. Statt
Palästina in zwei Staaten zu teilen, sollten "die Araber ... gemeinsam
über die Juden herfallen und sie vernichten, sobald sich die britischen
Streitkräfte [aus Palästina] zurückgezogen hätten." (42)
Kein arabischer Staatschef fand den Mut, dem populären Führer der
Palästinenser zu widersprechen. So bereiteten der Zynismus des Westens,
der den Mufti 1946 unbehelligt ließ, und der Opportunismus der Araber
einer der fatalsten Weichenstellungen des 20. Jahrhunderts den Weg: Als
Israel am 14. Mai 1948 gegründet wurde, überschritten die Armeen
Ägyptens, Transjordaniens, des Irak, Syriens und des Libanon die Grenzen
Palästinas. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Abd al-Rahman
Azzam, der zuvor noch vertraulich erklärt hatte, dass er die Teilung
Palästinas für die einzig vernünftige Lösung halte, vollzog nun den
Schulterschluss mit dem Mufti: "Dieser Krieg", rief er am Tag des
arabischen Angriffs, "wird ein Vernichtungskrieg sein." (43)
Zwar ging der neue Staat aus diesem Krieg, der 6.000 Israelis das Leben
kostete, als Sieger hervor. Der Antisemitismus erreichte jedoch eine
neue Dimension. Gamal Abdel Nasser, dessen Putsch von 1952 eine Folge
der arabischen Niederlage war, verbreitete die Zentralschrift des
europäischen Antisemitismus, Die Protokolle der Weisen von Zion,
in der arabischen Welt. Darüber hinaus setzte Nasser viele der zahllosen
Naziverbrecher, die sich ihrer Bestrafung durch Flucht nach Ägypten
entzogen hatten, da ein, wo sie Profis waren – in der antijüdischen
Propaganda. (44)
Erst als auch Nassers Feldzug gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967
kläglich gescheitert war, wurde der zuvor geschürte Hass auf Juden
islamistisch radikalisiert. Nassers antijüdische Propaganda war mit
einer Neigung für die angenehmen Seiten des Lebens noch einhergegangen.
Jetzt aber wurde der Antisemitismus mit dem Hass der Islamisten auf
Sinnlichkeit und Lebensfreude vermischt und - in Anknüpfung an den 30
Jahre zuvor in Palästina initiierten Djihad - als religiöser Widerstand
gegen alle "Verderber der Welt" popularisiert. Jetzt "entdeckte" man,
dass nicht nur alles Jüdische böse, sondern alles "Böse" jüdisch sei. So
erklärt das wichtigste Manifest des islamischen Antisemitismus, der von
dem Muslimbruder Sayyid Qutb verfasste Essay "Unser Kampf mit den Juden"
– der mit der Hilfe Saudi-Arabiens nach 1967 millionenfache Verbreitung
in allen islamischen Ländern erfuhr – unter Anspielung auf Karl Marx,
Sigmund Freund und Emile Durkheim die Juden für den weltweiten
moralischen und sexuellen Verfall verantwortlich: "Hinter der Doktrin
des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der
animalistischen Sexualität steckte ein Jude; und hinter der Zerstörung
der Familie und der Erschütterung der heiligen gesellschaftlichen
Beziehungen steckte ebenfalls ein Jude." (45)
Jetzt erklärte man Palästina zum heiligen islamische Gebiet (Dar
al-Islam), in welchem Juden nicht einmal ein Dorf regieren dürften, und
Israels Vernichtung zu einer religiösen Pflicht. Jetzt breitete sich
ungehindert intellektuelle Verwüstung aus: Man begann, Juden in
Anlehnung an Koranverse als "Schweine" und "Affen" verächtlich zu machen
und bot als wissenschaftliche Erkenntnis die Behauptung feil, dass das
Verzehren von nicht-jüdischem Blut ein religiöser Ritus der Juden sei. (46)
Die größten Opfer dieser islamistischen Wendung waren die Muslime
selbst. Mit dem "Kampf gegen Verderber" ist die Unterdrückung eigener
sinnlicher Bedürfnisse gemeint und mit der Rückkehr zu den "heiligen
gesellschaftlichen Beziehungen" die Unterjochung der Frau.
Eine weitere Steigerung wurde 1982 erreicht, als die Hizbollah damit
begann, Menschen systematisch als Bomben einzusetzen. Der Hass auf Juden
war nun größer als die Furcht vor dem Tod; die Ideologie der Vernichtung
schlug in die Praxis der Zerfetzung beliebiger Juden um. Wann immer die
Möglichkeit einer friedlichen Lösung am Horizont erschien, wurde sie im
Blut suizidaler Massenmorde ertränkt. Die erste große
Selbstmordbomber-Serie begann in Palästina 1993/94, als der Osloer
Friedensprozess gerade in Gang gekommen war. Sie wurde im Oktober 2000
wieder aufgenommen, nachdem sich Israel aus dem Libanon zurückgezogen
und der palästinensischen Seite in Camp David die bis dahin
weitreichendsten Zugeständnisse gemacht hatte. (47)
Islamischer Antisemitismus und Europäische Union
Von Zeesen bis Beirut: Die internationale Medienkampagne gegen die Juden,
die vor 60 Jahren mit einem "Fernkampfgeschütz im Äther" (Goebbels)
begann, wird heute als Nahkampfanleitung per Satellit fortgesetzt. Je
blutiger die Massaker in Israel und Palästina, desto höher die
Einschaltquote für Al-Manar und desto erfolgreicher die antisemitische
Mobilisierung in der arabisch-islamischen Welt, die wiederum den
Blutzoll im Nahostkonflikt weiter zu erhöhen verspricht. Diese
Eskalationsstrategie ist keine Reaktion auf eine bestimmte israelische
Politik. Was immer die israelische Regierung unternimmt, wird einer
Sichtweise untergeordnet, die den jüdischen Staat als Repräsentanz des
Bösen auszulöschen sucht.
Das Böse aber ist "der Jude" selbst: In Windeseile ging beispielsweise im
September 2001 die von der Hizbollah ausgedachte und von Al-Manar
gesendete Legende um die Welt, der zufolge 4.000 Juden am 11. September
nach einer Warnung des Mossad nicht an ihren Arbeitsplätzen im World
Trade Center erschienen seien. Millionenfach wurde dieser
"I-hate-you"-Virus per Internet und Satellit in alle Erdteile
proliferiert. Welches Bild vom "Juden" wird hier gemalt? Erstens wird
unterstellt, dass der Mossad, um der arabischen Sache zu schaden,
tausendfach über Leichen geht. Zweitens wird suggeriert, dass sich jeder
Jude außerhalb Israels der Anweisung aus Tel Aviv unterwirft. Drittens
wird der eigene Vernichtungswille auf die Opfer projiziert: Kaltblütig
lieferten demnach die Juden in New York ihre nichtjüdischen Kollegen zu
Tausenden dem Tode aus. Konsequent wurde hier Goebbels’ Regel, dass eine
Lüge nur ungeheuerlich genug sein muss, um geglaubt zu werden,
umgesetzt. Schon ihre globale Verbreitung und Akzeptanz markiert eine
Zäsur: Über Nacht wurde das Konstrukt der jüdischen Weltverschwörung als
zentrales Deutungsmuster eines weltweit beachteten Ereignisses
popularisiert. Wenn es "heute mehr Antisemiten und mehr Antisemitismus
als je auf der Welt" gibt, wie Alain Finkielkraut konstatiert, dann auch
wegen Al Manar. (48)
In Europa wird dieser Sender, der seine Unkosten unter anderem mit
Werbeeinlagen von Maggi, Henkel und Milka deckt, über den
Satellitenbetreiber Eutelsat und dessen Satellit Hotbird 4 ausgestrahlt.
(49) Nach Schätzungen der Tageszeitung
"Liberation" können allein in Frankreich 2,6 Millionen Haushalte den
Kanal empfangen, der sich seit dem 11. September auch in arabischen
Vierteln in Deutschland wachsender Beliebtheit erfreut. In Frankreich
löste die Ausstrahlung der 29-teiligen Serie Al-Shatat immerhin Proteste
aus. Dort drängt Premierminister Raffarin, der sich Auszüge dieser Serie
vorspielen ließ, auf eine Änderung der Mediengesetze, um die
Ausstrahlung des Senders künftig zu verhindern. (50)
In Deutschland ist von solchen Schritten nichts bekannt. Als im Februar
2004 der Präsident von Eutelsat mit Vertretern der französischen
Aufsichtsbehörden zusammentraf, um über Maßnahmen der Abgrenzung von
Al-Manar zu beraten, hockten in Beirut die Friedrich-Ebert-Stiftung mit
den Al Manar- Betreibern zusammen; nicht jedoch um sich abzugrenzen,
sondern um einen "Wandel durch Annäherung zu ermöglichen", wie die FES
in einer Pressemitteilung schrieb. "Wir hoffen, dass die
Konferenzteilnehmer eine Art permanentes Komitee einrichten, das solch
einen Dialog zwischen Islamisten und Europäern fördert", erklärte ein
Vertreter der Friedrich Ebert Stiftung im Vorfeld der Konferenz. (51)
Von Zeesen bis Beirut: Warum hatten sich im Jahr 2002 die antisemitischen
Gotteskrieger mit ihrer Konferenzidee ausgerechnet an Berlin gewandt?
Die Antwort ist kein Geheimnis. Deutlich genug schwärmte Udo Steinbach,
der Leiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, von der
"Nachwirkung jener Sympathie, die Deutschland traditionell in der
gesamten Region entgegengebracht wird." (52)
Das ideologische Fundament dieser Sympathie wurde maßgeblich von Radio
Zeesen und der pro-deutschen Orientierung des Mufti gestärkt. Knüpft
deutsche Außenpolitik an diese "Sympathie" heute an?
Um eine klare Antwort auf diese Frage drückt man sich im Auswärtigen Amt
herum. Stattdessen wird mit doppelter Zunge gesprochen: In der
westlichen Welt pflegt zwar jeder Berliner Diplomat Zweifel an der
Aufrichtigkeit der bundesdeutschen NS-"Aufarbeitung" eilfertig
zurückzuweisen. In der arabischen Welt aber hat noch kein Berliner
Außenpolitiker die dort virulenten Nazi-Sympathien auch nur kritisiert.
Stattdessen werden diese beflissen hofiert und das Fortleben eines
nationalsozialistisch inspirierten Antisemitismus verständnisvoll
akzeptiert. Auf dieser Janusköpfigkeit beruht die deutsche Außenpolitik
im Nahen und Mittleren Osten, und sie fährt damit nicht schlecht. Udo
Steinbach: "Die Bundesrepublik wird im Nahen Osten weithin als künftige
Großmacht" und "als ein Akteur gesehen, der ein Gegengewicht gegen eine
allzu dominante amerikanische Machtausübung bilden kann." (53)
Für diesen Status nimmt man den Beifall für Bruder Hitler offenkundig in
Kauf.
In Beirut waren es nicht Horst Mahler und seine Freunde, sondern erklärte
Gegner des Faschismus, die mit der Hizbollah und ihrem stellvertretenden
Generalsekretär, Scheich Naeem Qasim, zusammenkamen. (54)
Schon die Thematisierung des nazistischen Antisemitismus hätte der
Kooperation jede Grundlage entzogen. Stattdessen probierte man den
"Wandel durch Annäherung" über Themen, die deutschen und arabischen
Traditionsbeständen gleichermaßen eigen sind: "Neo-Kolonialismus oder
,wohlwollende Hegemonie’?", "Widerstand und Besatzung",
"Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in einer globalisierten Welt".
Die Ausflucht aber, die man nach der Konferenz von Beirut gebrauchte, um
den Abgrund zwischen subjektivem "Gutmenschentum" und objektiver
Terror-Aufwertung zu überbrücken, heißt Israel. Sharon, so redete man
sich und den Kritikern der Konferenz ein, sei das Problem, auf das die
Hizbollah reagiere. (55) Nun kann zwar auch
die Politik der israelischen Regierung (wie die Politik jeder anderen
Regierung) Unzufriedenheit und Kritik auslösen. Niemals aber verschafft
sie Gewissheiten Plausibilität, wie denen, dass Washington von Jerusalem
aus regiert und die Passah-Speise mit dem Blut geschlachteter
Christenkinder zubereitet werde. Wer dennoch glaubt, in Israel den
Sündenbock für islamistische Gewalt gefunden zu haben, lenkt nicht nur
von den Zielsetzungen des Islamismus und deren nationalsozialistischen
Bestandteilen ab, sondern knüpft mit dieser neuen
"Der-Jud-ist-schuld"-Zuschreibung an uralte Muster des europäischen
Antisemitismus an.
Der Jude sei das Übel der Welt, erklärt heute das islamistische Progamm im
Einklang mit jenem früheren aus Zeesen. Die Frage, ob deutsche
Außenpolitik das Fortleben dieser Tradition hofieren oder ob sie damit
brechen will, lässt verschwommene Antworten auf Dauer nicht zu. Schon
der Verzicht auf Klarheit ist gleichbedeutend mit Komplizenschaft. (56)
Oder in den Worten Leon Poliakovs: "Wer den Antisemitismus in seiner
primitiven und elementaren Form nicht anprangert, und zwar gerade
deshalb nicht, weil er primitiv und elementar ist, der muss sich die
Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den Antisemiten in aller Welt
ein Zeichen heimlichen Einverständnisses gibt." (57)
Ich bedanke mich für Anregung und Kritik bei Rosi Wittenhagen, Gabi
Gumbel, Ulrike Becker und Frank Behn.
Aus: "Neuer
Antisemitismus? Eine globale Debatte". Herausgegeben von Doron
Rabinovici, Ulrich Speck und Natan Sznaider, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt/M. 2004. Mit Beiträgen von Omer Bartov, Dan Diner, Daniel
Jonah Goldhagen, Alain Finkielkraut, Thomas Haury, Jeffrey Herf, Andrei
S. Markovits, Robert Wistrich und anderen.
Bestellen?
Anmerkungen:
(1) Avi Jorisch, Al-Manar: Hizbullah TV, in: Middle East
Quarterly, Winter 2004, sowie Lisbeth Rausing, Frequenzen des Hasses.
Wie die Hisbollah ihre Mordpropaganda nach Europa trägt, in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ), 13. März 2004.
(2) Weitere Veranstalter der vom 17. bis 19. Februar
2004 durchgeführten Konferenz waren neben der FES und dem Consultive
Center for Studies und Documentation der Hizbollah das Deutsche
Orient-Institut Beirut und das Centre for the Study of Islam der
University of Birmingham. Vgl. Pressemitteilung der FES vom 23. Februar
2004.
(3) Werner Schwipps, Wortschlacht im Äther, in: Deutsche
Welle (Hg.), Wortschlacht im Äther. Der deutsche Auslandsrundfunk im
Zweiten Weltkrieg, Berlin 1971, S. 58.
(4) Seth Arsenian, Wartime Propaganda in the Middle
East, in: The Middle East Journal, Oct. 1948, Vol. II, No. 4, S. 421;
Robert Melka, The Axis and the Arab Middle East: 1930-1945, University
of Minnesota 1966, S. 47f; Heinz Tillmann, Deutschlands Araberpolitik im
Zweiten Weltkrieg, Berlin/Ost 1965, S.83f.; Arsenian und Melka zufolge
setzte das arabische Programm aus Zeesen schon Anfang 1938 ein.
(5) Nicholas Bethell, Das Palästina-Dreieck. Juden und
Araber im Kampf um das britische Mandat 1935 bis 1948, Frankfurt/M.,
1979, S. 240. Nach Bethell war er "der Leiter" jener Rundfunkprogramme,
während Hurewitz zufolge der Mufti einer der Direktoren des "Arabischen
Büro" in Berlin war, das unter der Oberaufsicht des
Goebbels-Ministeriums für die Vorbereitung und die Sendung der
arabischen Programme die Verantwortung trug. Vgl. J.C. Hurewitz, The
Struggle for Palestine, New York 1951, S. 154.
(6) Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem, Amin
el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988, S. 251f.
(7) Yehuda Porath, The Palestinian Arab National
Movement. From Riots to Rebellion, Vol. II, 1929-1939, London 1977, S.
76.
(8) Ralf Balke, Die Landesgruppe der NSDAP in Palästina,
Diss., Düsseldorf 1997, S. 214 und 216; Tillmann, a.a.O., S. 78; Francis
R. Nicosia, The Third Reich and the Palestine Question, Austin 1985, p.
98; sowie Iwo Jordan, Araberaufstand. Erlebnisse und Dokumente aus
Palästina, Wien-Leizpig 1943, S. 3 und 97. Jordan hat ein
arabisch-palästinensisches Flugblatt mit Hakenkreuzen als Faksimile
dokumentiert.
(9) Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1934, S. 747.
(10) Tillmann, a.a.O., S. 66. Für das antijüdische
Projekt erschien Italien nicht zuverlässig genug. Schließlich sei dessen
Ablehnung des Peel-Plans, so das Auswärtige Amt, "weniger von
antisemitischer Animosität bestimmt als von der Furcht, England könnte
die Gründung eines jüdischen Staat in Palästina zur Plattform seiner
Mittelmeer-Politik machen." Vgl. Melka, a.a.O., S. 70f.
(11) Melka, a.a.O., S. 53.
(12) J.C. Hurewitz, a.a.O., S. 87, Balke, a.a.O., S.
204, Melka, a.a.O., S. 48ff, Michael Cohen, Retreat from the Mandate,
New York 1978, S. 58, Lukasz Hirszowicz, The Third Reich and the Arab
East, London 1966, S. 54.
(13) Information von Gerhard Damm (dm2awd), Zeesen.
(14) Nevill Barbour, Broadcasting to the Arab World.
Arabic Transmissions from the B.B.C. and Other Non-Arab Stations, in:
Middle East Journal, Vol. V, Winter 1951, S. 65.
(15) Klaus Gensicke, a.a.O., S. 171.
(16) Vortrag des Mufti vor den Imamen der Bosniaken
SS-Division, zit. nach Gensicke, a.a.O., S. 207.
(17) Vgl. Bernard Lewis, "Treibt sie ins Meer!". Die
Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt /M. 1987, S. 137ff.
(18) Die Mufti-Rede zum Jahrestag der Balfour-Erklärung
ist dokumentiert in: Gerhard Höpp, Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden,
Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil, 1940-1945, S. 192ff.
Das Koran-Zitat stammt aus dem 82. Vers der 5. Sure. Die Broschüre
"Islam und Judentum" findet sich bei Thomas Casagrande, Die
Volksdeutsche SS-Division "Prinz Eugen", Frankfurt/M. 2003, S. 333.
(19) Uri M. Kupferschmidt, The Supreme Muslim Council.
Islam under the British Mandate for Palestine, Leiden 1987, S. 249f. und
S. 252.
(20) Siehe zu Izz al-Din al-Qassam: Porath, a.a.O., S.
133ff. Im November 1935 wurde al-Qassam als erstes Opfer des von ihm
propagierten Todeskults in einem Scharmützel mit Briten getötet und
fortan als "Märtyrer" verehrt.
(21) David Thomas Schiller, Palästinenser zwischen
Terrorismus und Diplomatie, München 1982, S. 123ff.
(22) So Klaus Gensicke in seiner grundlegenden
Mufti-Studie, a.a.O., S. 233f. Die genauesten Darstellungen des
"Arabischen Aufstands" finden sich bei Schiller, a.a.O. sowie bei
Porath, a.a.O.
(23) Kurt Fischer-Weth, Amin al-Husseini. Großmufti von
Palästina, Berlin 1943, S. 83. Wie die von Arafat auch heute noch
genutzte Kaffiyah später als "Palet-Tuch" zum Ausweis und Symbol
"progressiven" Denkens werden konnte, ist eine eigenständige
Untersuchung wert.
(24) Porath, a.a.O., S. 250.
(25) Porath, a.a.O., S. 183ff. Nach dem gescheiterten
britischen Versuch, el-Husseini im Juli 1937 zu verhaften, flüchtete
dieser im Oktober nach Beirut und setzte mit einigen hundert Getreuen,
die ihm gefolgt waren, die Aufstandsleitung von hier aus fort. Vgl.
Melka, a.a.O., S. 106ff; Cohen a.a.O., S. 59.
(26) Noch im Mai 1939 berichteten britische Stellen,
dass "die Agenten des DNB gegenwärtig eine intensive Propagandakampagne
in Palästina für eine Wiederbelebung der Rebellion in Verbindung mit
Husseini-Kreisen durchführen." DNB-Vertreter hätten erklärt, "dass
ungeheure Geldmittel für die Verlängerung der Rebellion zur Verfügung
ständen und dass Maschinengewehre für die Rebellen ins Land gebracht
worden sind." Balke, a.a.O., S. 205 und 207.
(27) Alfred Rosenberg, Die Judenfrage im Weltkampf, in:
ders., Tradition und Gegenwart, Reden und Aufsätze 1936-1940, Blut und
Ehre, IV. Band, München 1943, S. 208.
(28) Abd Al-Fattah Muhammad El-Awaisi, The Muslim
Brothers and the Palestine Question 1928 -1947, London 1998, p. 98.
Siehe zur Verbindung zwischen dem Islamismus der Dreißigerjahre und dem
Islamismus der Gegenwart: Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass,
Freiburg 2002.
(29) Gudrun Krämer, Minderheit, Millet, Nation? Die
Juden in Ägypten 1914-1952, Wiesbaden 1982, S. 278. Seit 1926 hatte
Alfred Hess, der Bruder des späteren Hitler-Stellvertreters, die
Landesgruppe der NSDAP in Ägypten aufgebaut. Vgl. Küntzel, S. 26f.
(30) Krämer, a.a.O., S. 290ff; El-Awaisi, a.a.O., S.
39, 70ff, 92; Porath, S. 199. Zu den Widerständen, auf die diese
Kampagne zunächst selbst noch in klerikalen Kreisen stieß: Küntzel,
a.a.O., S. 30ff.
(31) Giselher Wirsing, Engländer Juden Araber in
Palästina, 5. umgearbeitete Auflage, Leipzig 1942, S. 136f. Wirsing
hatte 1936 und 1939 Ägypten und Palästina im Auftrag der SS bereist.
Vgl. Otto Köhler, Unheimliche Publizisten, München 1995, S. 290ff. Als
salafistisch (as-salaf as-salih = die frommen Altvorderen) wird die
Orientierung am Frühislam des 7. Jahrhunderts bezeichnet, wie sie Hassan
al-Banna und Izz al-Din al-Qassam propagierten.
(32) Brynjar Lia, The Society of the Muslim Brothers in
Egypt, Reading 1988, S. 175. Der britische Geheimdienstoffizier Seth
Arsenian, bestätigt diese Information: "Nazi-Agenten finanzierten
subversive Gruppen wie z.B. .... die Moslembrüder in Ägypten, damit sie
Propaganda gegen die Briten in Palästina machen." Vgl. Arsenian, a.a.O.,
S. 425.
(33) Lia, a.a.O., S. 80 und 180. Die Darstellung der
beidseitigen Kontakte im Zweiten Weltkrieg würde den Rahmen dieser
Darstellung sprengen. Siehe hierzu u.a. John W. Eppler, Rommel ruft
Kairo, Gütersloh 1959, S. 165.
(34) Siehe über die moderaten Tendenzen Küntzel,
a.a.O., S. 15f., S. 24ff., S. 41ff., S. 54ff. Dass der Antimodernismus
der Islamisten nicht automatisch mit dem identifikatorischen
"Der-Jude-ist-unser-Unglück"- Phantasma verknüpft sein muss, zeigt das
Beispiel der islamistischen Bewegung, die sich zeitgleich zu den
Muslimbrüdern in Südasien formierte. Der Inspirator dieser Bewegung,
Sayyid Abu-I-Ala Maududi, war zwar antiliberal und antifeministisch
orientiert, die antijüdische Verschwörungstheorien blieben ihm jedoch
fremd. Vgl. Martin Riexinger, Allahs Kader, in: taz-Magazin, 24. Januar
2004.
(35) Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München
1986, S. 81.
(36) Zit. nach The Middle East Media Research Institute
(MEMRI), Bericht Nr. 375, 3. Mai 2002. Siehe zur Holocaust-Leugung als
Bestandteil des arabischen Alltagsbewusstseins: Küntzel, a.a.O., S. 51f
und 116f.
(37) Rede zum Jahrestag der Balfour-Erklärung, 2.
11.1943, zit. nach Höpp, a.a.O., S. 197.
(38) Erfolgreich verhinderte 1943 der Mufti die
Umsetzung der Beschlüsse der Regierungen Rumäniens, Bulgariens und
Ungarns, die jeweils einigen tausend jüdischen Kindern die Ausreise nach
Palästina gestatten wollten. Man solle sie, verlangte der Mufti,
stattdessen dorthin "schicken, wo sie unter starker Kontrolle stehen,
z.B. nach Polen." Vgl. Höpp, a.a.O., S. 164.
(39) Daphne Trevor, Under The White Paper, Jerusalem
1948, S. 206f., sowie Gensicke, a.a.O., S. 251ff. und Küntzel, a.a.O.,
S. 48f. und 146f.
(40) So Lewis, a.a.O., S. 191, sowie Simon Wiesenthal,
Großmufti – der Großagent der Achse, Wien 1947, S. 2.
(41) Am 29. November 1947 beschloss die
UN-Vollversammlung, Palästina in einen jüdischen Staat (56 Prozent des
Mandatsgebiets für 500.000 Juden und 500.000 Araber) und einen
arabischen Staat (43 Prozent des Gebiets für 750.000 Araber und 10.000
Juden) zu teilen und Jerusalem unter internationale Verwaltung zu
stellen.
(42) El-Awaisi, a.a.O., S. 195, und Bethell, a.a.O., S.
381.
(43) Küntzel, a.a.O., S. 56. 1948, nachdem el-Husseini
zum Vorsitzenden der Muslimbrüder in Palästina und zum Stellvertreter
al-Bannas gekürt worden war, schrieb "The Magazin of the Year": "Jeder
zehnte Araber ist ein Anhänger des Mufti, weshalb es unklug ist, Haj
Amin in der Öffentlichkeit zu kritisieren." Vgl. Gensicke, a.a.O., S.
143. Diesem Kalkül folgte auch der ägyptische Premier, Sidqi Pasha, der
anfangs mit dem Teilungsplan sympathisierte. Dessen instrumentelle
Vernunft, die uns heute wie das Relikt aus einer längst vergangenen
Epoche erscheint, dokumentierte 1947 der zuständige Vertreter der Jewish
Agency für die Arabische Welt, Eliyahu Sasson: Sidqi Pasha habe
"wiederholt betont, dass er ein Geschäftsmann ist. Er ist weder
pro-jüdisch, noch pro-arabisch. Ihm geht es um das Wohl Ägyptens. Wenn
dieses Wohlergehen eine jüdisch-arabische Verständigung gebiete, dann
sei es so." Zit. nach Michael Doran, Pan-Arabism before Nasser, New York
1999, S. 99f.
(44) Küntzel, a.a.O., S. 70f.
(45) Qutbs Text wurde 1950 verfasst, konnte sich aber
in der Phase der blutigen Verfolgung der Muslimbrüder durch Nasser, der
auch der 1966 hingerichtete Qutb zum Opfer fiel, nicht durchsetzen. Vgl.
Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations: A Muslim
Fundamentalist Speaks on the Jews, in: Michael Curtis (ed.),
Antisemitism in the Contemporary World, London 1986, S. 99ff.
(46) Diese Behauptung findet sich z.B. in dem
Standardwerk über "Das Volk Israels im Koran und in der Sunna", das der
heute renommierteste sunnitische Geistliche und Großscheich der
Al-Azhar-Universität von Kairo, Mohammed Tantawi, als Doktorarbeit
eingereicht und 1968/69 veröffentlicht hat. Vgl. Wolfgang Driesch,
Islam, Judentum und Israel, Hamburg 2003, S. 53 und 74. Dieser
Bestseller wurde zuletzt 1997 aufgelegt.
(47) Joseph Croitoru, Der Märtyrer als Waffe, Wien
2003, S. 165ff.
(48) Antisemitismus im Wandel. Ein Gespräch mit Alain
Finkielkraut, in: FAZ, 12. November 2003.
(49) Jorisch, a.a.O. Im Gegensatz zu ihren europäischen
Konkurrenten beendeten nach einer Protestkampagne der Los Angeles Times
US-amerikanische Firmen wie Pepsi, Coke und Western Union ihr Engagement
bei Al-Manar. Vgl. Jorisch, a.a.O.
(50) Rausing, a.a.O.
(51) Christian Henderson, Conference aims take heads
out of the sand, in: Daily Star, 18. Februar 2004. Markus Bickel, Reden
und reden lassen, in: taz, 24. Februar 2004. In die Planung und
Auswertung dieser Konferenz war die Bundesregierung involviert. Dies
belegt ein Schreiben des ersten außenpolitischen Beraters von
Bundeskanzler Schröder, Bernd Mützelburg, vom 6. April 2004 an das Simon
Wiesenthal Centre in Paris. Man habe mit dieser Konferenz das Ziel
verfolgt, "die Fähigkeit des politischen Islam zum Dialog zu erkunden",
so Mützelburg. Die Bundesregierung sei jedoch zu dem Schluss gekommen,
dass sie in Beirut ihr Ziel, "zu einem echten und kritischen Dialog mit
Mitgliedern des politischen Islam beizutragen", noch nicht erreicht
habe. (SWC-Pressemitteilung vom 14. April 2004)
(52) Udo Steinbach, Der Nahe Osten in der deutschen
Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/98, S. 27.
(53) Steinbach, a.a.O.
(54) Zu den Teilnehmen gehörten der
SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Zöpel (von 1999 bis 2002
Staatsminister im Auswärtigen Amt, heute Sprecher des "Gesprächskreises
Naher und Mittlerer Osten" der SPD-Bundestagsfraktion), Michael Lüders
und Helga Baumgarten (Nahost-Experten), Volker Perthes (Stiftung
Wissenschaft und Politik) , Andrä Gärber (Friedrich Ebert Stiftung),
Manfred Kropp (Deutsches Orient-Institut Beirut) und Friedemann Büttner
(FU Berlin).
(55) "In den von Israel besetzten Gebieten", erklärte
etwa der prominenteste deutsche Teilnehmer der Beiruter Konferenz,
Christoph Zöpel, "wird täglich Gewalt angewendet", weshalb auch die
Hizbollah darüber nachdenke, "wie die Situation durch den Einsatz von
Gewalt verändert werden kann." Vgl. "Die Hiszbollah ist eine Kraft unter
vielen", Interview mit Christoph Zöpel, in: Jungle World, 25. Februar
2004. Siehe über den Zusammenhang zwischen dem islamischen
Antisemitismus und der Politik Israels: Matthias Küntzel, Früchte des
Wahns, unter:
www.matthiaskuentzel.de
(56) So Omer Bartov im vorliegenden Band, S.
(57) Leon Poliakov, Vom Antizionismus zum
Antisemitismus. Freiburg 1992, S. 104.
hagalil.com
22-10-04 |