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Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hg.),
Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost
Beerenverlag 2005
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Zweimal Heimat:
Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost
Die Einwanderung der deutschen Juden nach Palästina ist mit einem Paradox verbunden. Während man die deutschen Juden "zu Hause", also in Deutschland, als das Paradebeispiel für assimiliertes Judentum schlechthin betrachtete, hielt man sie nach der Emigration, in Eretz Israel, für schwer integrierbar...

Von einer hebräischen Studiobühne zum Nationaltheater:
Die Transformation von Habima in Berlin

Von Shelly Zer-Zion

Habima kam erstmalig im September 1926 nach Berlin. In Berlin erwartete man die Ankunft von Habima mit Ungeduld. Ein Bericht in der zionistischen Zeitung Jüdische Rundschau bezeugt diese Tendenz:

"Überzeugender als es tausend Propagandaschriften [...] vermöchten, lehrt das klingende hebräische Wort in den Habima-Aufführungen, dass die hebräische Sprache lebt. Dadurch wird für den bewussten Juden jede Aufführung der Habima nicht nur zum künstlerischen, sondern auch zum nationalen Erlebnis."(1)

Habima, ein zionistisches, auf Hebräisch spielendes Theater, erregte von Anfang an Interesse in den zionistischen Kreisen. Diese Tatsache allein ist jedoch nicht ausreichend, um die ausgezeichnete Aufnahme von Habima in Berlin zu erklären. In diesem Aufsatz möchte ich mich auf die "deutsche Periode" von Habima konzentrieren und klären, welcher Art die Beziehungen waren, die zwischen dem Theater, dem Publikum und den jüdisch-deutschen Intellektuellen geknüpft wurden. Meiner Meinung nach spielten die Begegnungen von Habima mit den Intellektuellen und den jüdisch-deutschen  Theaterleuten eine entscheidende Rolle in ihrer Kanonisierung als zentrales jüdisches Theater. Sie führten zur kulturellen Formung des Theaters als panjüdisches zionistisches Symbol. Darüber hinaus führte das Zusammentreffen der Theaterleute und der deutschen Intellektuellen zu einer organisierten Geldsammlung, welche die regelmäßige künstlerische Tätigkeit der Theatergruppe ermöglichte.

Einer der wesentlichen Gründe für das starke Interesse an Habima in Berlin liegt darin, dass Habima mit dem Moskauer Künstlertheater auftrat. Das russische Theater und speziell das Moskauer Künstlertheater war der deutschen Theaterszene nicht fremd. Das Moskauer Künstlertheater von Stanislavski besuchte Deutschland zum ersten Mal schon im Jahre 1905/6 und erlangte große künstlerische Anerkennung. Im Jahre 1922 trat das erste Enselmble des "Moskauer Künstlertheaters", zu dessen Mitgliedern Michail Tschechow, Alexei Diki und Evgeny Vachtangov gehörten, in Berlin auf. Kurze Zeit später trat in Berlin das Kammertheater von Tairow (2) auf, und im Sommer 1923 kam das dritte Ensemble des "Moskauer Künstlertheaters", das mit Vachtangov identifiziert wurde, auf seiner Tournee nach Berlin. Das Berliner Publikum kannte seine Werke und wartete mit Neugier darauf, seine Arbeit mit Habima zu sehen.

Außer der Zusammenarbeit mit Vachtangov war Habima ein Theater von Juden aus Osteuropa, das die osteuropäische jüdische kulturelle Tradition auf faszinierende Weise behandelte. Die Renaissance der jüdischen Kultur in Deutschland, hauptsächlich nach der deutschen Besetzung Polens im Ersten Weltkrieg, zeigte sich darin, dass sich die jüdisch-deutschen Intellektuellen mit der osteuropäischen jüdischen Kultur beschäftigten. Martin Buber stand am Anfang dieser Entwicklung im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit der Veröffentlichung von Sammlungen chassidischer Geschichten.(3) Im Laufe der 20er Jahre veröffentlichten weitere jüdisch-deutsche Schriftsteller, wie Arnold Zweig, Sammy Gronemann und Alfred Döblin, Bücher zum Thema der Begegnung mit den Juden Osteuropas, mit Bezug auf deren Erfahrungen in der Zeit des Krieges.(4) Die Aufführungen von Habima, die sich bewusst mit dieser kulturellen Tradition beschäftigten, boten eine Antwort auf ein tiefes Interesse dieser Intellektuellen und ihrer Leserschaft.

Das Repertoire von Habima war dem Berliner Publikum größtenteils bekannt. Die berühmteste Aufführung des Theaters war Der Dybuk von Anski in der Inszenierung von Vachtangov aus dem Jahre 1922. Das Stück wurde zum ersten Mal in seiner jiddischen Originalfassung während einer Tournee des Jüdischen Künstlertheaters in Berlin im Jahre 1921/22 aufgeführt. Diese Theatertruppe, die Teil der Wilnaer Truppe war, führte das Stück in der naturalistischen Inszenierung von David Hermann auf. Die zionistischen Kreise blieben in ihrer Meinung über den Beitrag dieser jiddischen Theatertruppe gespalten, ihre Ankunft wurde jedoch zu einem wirklichen Ereignis im jüdischen Berlin. Alfred Kerr, Alfred Döblin und Joseph Roth berichteten ausführlich über ihre Tätigkeit. Aufgrund des Erfolges von Der Dybuk wurde das Stück im Laufe der Jahre 1921 bis 1922 ins Deutsche übersetzt und in zwei verschiedenen Versionen aufgeführt.(5) Das Stück wurde auch im Jahre 1926 von Berthold Viertel in Berlin aufgeführt.(6)

Der Dybuk war kein Einzelfall. Der Golem von Halper Leivick, der von Vershilov inszeniert wurde, war dem deutschen Publikum auch bekannt. Der Mythos des Golem wurde in einer Reihe von literarischen Werken auf Deutsch bearbeitet. Dieser Mythos erhielt auch eine populäre Bearbeitung in einer Reihe von drei Filmen unter der Regie von Paul Wegener. Der letzte, Der Golem: Wie er in die Welt kam, wurde auf dem Galaabend anlässlich der festlichen Eröffnung des UFA Palastes am Zoo aufgeführt.(7) Auch wenn die Aufführung von Habima auf dem Poem von Leivick basierte, von dem der Film Wegeners abwich, so hatte das Deutsch sprechende Publikum doch keine Schwierigkeiten, der besonderen, dem Mythos von Habima gegebenen Interpretation zu folgen.

Die Geschichte der dritten Aufführung von Habima, Jakobs Traum von Richard Beer-Hofmann, war etwas anders. Jakobs Traum war die erste Aufführung von Habima, die auf einem Text von einem jüdisch-deutschen Schriftsteller beruhte. Richard Beer-Hofmann war ein Dichter und Theaterautor aus Wien, der in den zionistischen und intellektuellen Kreisen seiner Stadt aktiv war. Das Stück war zum ersten Mal von Max Reinhard, einem Freund Beer-Hofmanns, im Jahre 1919 in Berlin aufgeführt worden.(8) Dieses bekannte Stück erregte viel Interesse und bewirkte, dass Beer-Hofmann und Max Reinhardt persönlich die Vorstellungen von Habima besuchten. Beide waren von der Aufführung tief beeindruckt.(9) Obwohl die Aufführungen von Habima auf Hebräisch gegeben wurden und Habima eine zionistische Ideologie vertrat, schuf sie ein jüdisch-europäisches Theater von hoher Qualität, das dem unter den Juden Deutschlands verbreiteten kulturellen Kode sehr gut entsprach.

Die Beziehung zwischen Habima und den Juden Deutschlands wurde besonders intensiv, nachdem Habima im Herbst 1927 von einer Tournee in den Vereinigten Staaten nach Berlin zurückkehrte. Während der Tournee machte das Theater die schwerste seiner Krisen durch. Die Tournee war ein Misserfolg und die Versprechen, bei der großen, dort lebenden jüdischen Bevölkerung Gewinne erzielen zu können, wurden nicht erfüllt. Darüber hinaus erschöpfte sich das Repertoire der Aufführungen aus Moskau mit der Zeit und die Mitglieder der Truppe standen dem unklaren Schicksal ratlos gegenüber. Diese Zweifel hinterließen auch bei den Ensemblemitgliedern ihre Spuren. Nachum Zemach, der Gründer der Truppe, und seine Vertrauten sowie die übrigen Habima-Mitglieder, die mit seiner Form der Leitung nicht einverstanden waren, überwarfen sich und die Truppe spaltete sich auf.

Zemach und zwei Drittel der Mitglieder blieben in New York, während der Rest verstört und ohne Geld nach Berlin zurückkehrte. In dieser Zeit organisierte sich die wirtschaftliche und intellektuelle Elite der Juden Deutschlands, um dem Theater zu helfen. Es wurde ein "Freundeskreis" gegründet, der sich eine geordnete Finanzierung des Theaters zum Ziel setzte, um dessen Tätigkeit zu ermöglichen. So entstand das mit der finanziellen Leitung beauftragte Sekretariat von Habima.

Wie wurde der Freundeskreis von Habima gegründet und wer initiierte ihn? Margot Klausner, die organisatorische Leiterin des Truppe, begann am 26. Dezember 1927 ein Habima-Tagebuch zu schreiben. Sie beschreibt den Besuch der Habima-Mitglieder in ihrem Haus, zusammen mit einem wohlhabenden jüdisch-deutschen Kreis, dem Wilfried Israel, Lola Hahn-Warburg, Charlotte Hahn und Jehoschua Bernstätter angehörten. Später berichtete sie, dass am 30. Dezember 1927 das Sekretariat von Habima im Hause von Sammy Gronemann gegründet wurde. Es ist nicht anzunehmen, dass Klausner, eine wohlhabende, junge Frau, die Gründung des Sekretariats und des Freundeskreises ohne Hilfe initiierte. In den Kreisen des deutschen Zionismus gab es eine Reihe von Organisationen, welche die jüdische Kultur fördern und die jüdisch-deutsche Öffentlichkeit mit der jüdisch-osteuropäischen Kultur bekannt machen wollten. Sammy Gronemann, ein auf die Vertretung von Künstlern spezialisierter Rechtsanwalt, Schriftsteller und zionistischer Aktivist, war die treibende Kraft hinter diesen Organisationen. Er war aktiv an der Einladung des Jüdischen Künstlertheaters nach Berlin im Jahre 1921 und auch an dem missglückten Versuch beteiligt gewesen, eine philanthropische Organisation zur Unterstützung des Theaters zu gründen. Die Organisation zur Förderung der jüdischen Musik, Juval, gab im Jahre 1926 anlässlich des ersten Besuchs von Habima in Berlin (10) ein Konzert, und es kann angenommen werden, dass die Einnahmen des Konzertes dem Theater übergeben wurden. Es ist wahrscheinlich, dass auf Grundlage derartiger Initiativen schließlich der Freundeskreis von Habima gegründet wurde.

Der Freundeskreis wollte Habima zu einem zionistischen Symbol machen. Die erste Tätigkeit des Freundeskreises bestand darin, die Fahrt der Habima-Mitglieder nach Palästina zu finanzieren. Mit der Reise sollten sie ihre Berufung als zionistisches Theater verwirklichen können. Die Theaterleute hingegen waren sich in ihrem Wunsch, nach Palästina zu fahren, nicht einig. Klausner schreibt:

"Und da kommt Prudkin zu uns und fragt, fast grob, ob wir, der Vorstand, auch für das Geld für die Rückfahrt gesorgt hätten. Sein Tonfall stieß mich zurück und ich antwortete ihm, dass alles organisiert sei und was ihn dazu treibe, wieder in dieser Sache Nachforschungen anzustellen. Anfangs antwortete er zurückhaltend, aber zum Schluss brach er wütend aus: Wir sollten uns hinsichtlich ihrer Niederlassung in Palästina keine Illusionen machen! Auch jetzt noch wollten viele von ihnen nicht dorthin fahren - sie wollten nach Russland oder zumindest nach Europa zurückkehren." (11)

Prudkin sprach sicherlich nicht für die gesamte Truppe, aber es besteht kein Zweifel daran, dass die zionistische Verwirklichung, die in den Augen der Mitglieder des Freundeskreises ein bedeutender Beitrag zur Entwicklung von Habima war, nicht die geheimen Wünsche aller Truppenmitglieder widerspiegelte.

Das nächste Projekt des Freundeskreises war die Organisation der Feier zum zehnjährigen Bestehen von Habima 1928. Anlässlich der Zehnjahresfeier wurden zwei Broschüren über Habima auf Deutsch herausgegeben, die sich an das jüdisch-deutsche Publikum wandten. 1929 folgte die zweite Auflage. Diese Broschüren beschrieben die Geschichte von Habima: Sie zeigten Fotografien der Schauspieler und waren dazu bestimmt, den Freundeskreis zu erweitern. Bernhard Diebold, Theaterkritiker der Frankfurter Zeitung, schrieb in einer der Broschüren:

"Diese Ursprache des geistlichen Abendlandes, die erste Offenbarung des ehemals neuen einen monotheistischen Gottes, der das vielzüngige Geschwätz der Götzengötter mit dem Einklang seiner Stimme überdröhnte - diese Sprache, in der der alleinige Gott mit den Erzvätern haderte und Bündnisse schloss - diese ururalte Sprache lebt noch. Das ist das Wunder der Habima."(12)

Er beschrieb Habima weiter als ein geistig-religiöses Theater, das im Gegensatz zum modernen, deutschen bürgerlichen Theater stehe:

"Wir zitieren allabendlich: 'Welch Schauspiel, aber, auch, ein Schauspiel nur!' Die Habima kennt diesen Sinn von Schauspiel nicht. Sie spielt den 'Dybuk', den 'Golem', den 'Ewigen Juden'. Sie spielt nicht den holden Schein der Kunst, sondern das eigene Sein, erlöst in Kunst." (13)

Aus diesen Beschreibungen lässt sich ersehen, dass Diebold die allgemeine, für Buber und seinen Kreis charakteristische Tendenz in der Darstellung der Juden Osteuropas weiterführt. Sie sahen in dem osteuropäischen Juden ein fremdes, reines und geistiges Vorbild für die Existenz des ganzen Juden, im Gegensatz zu der Existenz der Juden Deutschlands, die als "nicht-jüdische Juden" angesehen wurden. Nach Mendes-Flohr zeigt sich darin die orientalistische Denkweise der Juden Deutschlands gegenüber ihren Brüdern aus dem Osten.(14)

Die Tendenz der "Orientalisierung" von Habima herrschte auch in der Beschreibung ihrer Produktionen vor. Diebold beschrieb ausführlich die drei "osteuropäischen" Produktionen des Theaters: Der Dybuk, Der Golem und Der ewige Jude, und ließ die bekannte deutsche und daher unexotische Produktion Jakobs Traum trotz ihrer guten Aufnahme in Deutschland außer Acht. Ebenso betonte Diebold die enge Verbindung von Habima mit Stanislavski und Vachtangov und spielte dabei mit der Achtung, die diese russischen Kunstschaffenden genossen.

Eine weitere Broschüre, von Klausner verfasst und redigiert, wurde im Jahre 1928 und in einer weiteren Auflage, mit kleinen Änderungen, ungefähr ein Jahr später veröffentlicht.(15) Ähnlich wie Diebold beschrieb auch Klausner die Geschichte von Habima in Moskau ausführlich. Darüber hinaus widmete sie dem Aufenthalt von Habima in Palästina viel Platz. Sie berichtete über den warmen Empfang, den die Mitglieder von Haohel Habima bei ihrer Ankunft in Tel Aviv bereiteten, und das bewegende Treffen mit dem Stadtvorstand. Endlich würden die Habima-Mitglieder, so Klausner, vor einem Publikum auftreten, das ihre Sprache spreche und die Nuancen ihrer Werke verstünde. Endlich kehrten die Habima-Mitglieder zu den orientalischen Märkten und den biblischen Landschaften zurück, die schon lange in ihren Werken und Seelen bestünden. Aber die Habima-Mitglieder selbst fühlten sich dennoch nicht gleich zu Hause. Erst nachdem Habima zum Gilboa fuhr, auf einer Freibühne im Kibbuz Beit Alpha auftrat und ihre Mitglieder mit den Siedlern bis zur Morgendämmerung tanzten, erst dann fühlten sie sich seelisch mit dem Ort verbunden. Klausner führt mit Befriedigung an, dass von den 150.000 Bewohnern des jüdischen Jischuws 70.000 die Aufführungen von Habima gesehen hatten. In der Broschüre sind viele Fotogranen von Habima in Palästina wiedergegeben.

Die Habima-Mitglieder weigerten sich, nach ihrem ersten Besuch in Palästina wohnhaft zu werden und kehrten nach Europa zurück, nachdem sich das Potential des lokalen Publikums erschöpft hatte. Klausner beschrieb den Besuch in Palästina dennoch als eine Rückkehr in die Heimat und als Verwirklichung der zionistischen Berufung der Truppe. Aus der Broschüre geht hervor, das die Unterstützung der Truppe gleichbedeutend ist mit der konkreten Unterstützung des Aufbaus Palästinas.(16)

Ein weiterer Aspekt der Organisation des Freundeskreises bestand in der Schaffung eines Literatursalons Habima, der sich aus führenden jüdisch-deutschen Intellektuellen und Künstlern zusammensetzte. In der Broschüre aus dem Jahre 1929 wurde eine Liste der Mitglieder des Freundeskreises veröffentlicht. Unter unter anderem wurden hier die Regisseure Viktor Barnowsky, Leopold Jeßner und Max Reinhardt, die Schauspieler Elisabeth Bergner und Ernst Deutsch, der Theaterkritiker Bernhard Diebold, die Schriftsteller Martin Buber, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Sammy Gronemann, Walter Hasenclever, Franz Werfel und Arnold Zweig und der Verleger Samuel Fischer genannt. Die Veröffentlichung der Namen dieser Gruppe hervorragender Intellektueller, die Habima anerkannten, trug viel zu dessen Entwicklung zu einer zentralen Kulturinstitution im Leben der deutschen Juden und in der modernen Kultur überhaupt bei.

Am 14. Oktober 1928 fand in Berlin ein Bankett zum zehnjährigen Jubiläum von Habima statt, während die Truppe sich zur selben Zeit in Palästina aufhielt. An der Konferenz nahmen einige der prominentesten Mitglieder des Freundeskreises teil, wie Wilfried Israel, Alfred Kerr und Leopold Jeßner. Ihre Worte auf diesem Bankett geben einen Begriff von der Art der Kanonisierung, die sie Habima verliehen:

"Alfred Kerr las seine enthusiastische Kritik der 'Habima' vor und setzte sich gleichfalls für die Förderung der Sache ein. Zum Schluss sprach Intendant Jeßner, der auf den Zusammenhang zwischen politischem Leben und Theater hinwies und der Hoffnung Ausdruck gab, dass die 'Habima', wenn sie aus Erez Jisroel zurückkehrt, etwas von dem starken, lebendigen, aggressiven Geist des palästinensischen Judentums mitbringt, so dass sie nicht nur bodenständig ist im Sinne der alten 'Chumoschim-Welt', sondern auch aktuell." (17)

Dies war nicht das einzige Ereignis. Im November 1929 erzählte Klausner von einem Literatursalon, den sie in ihrem Haus aufgenommen hatte, und der mehr als 200 Personen umfasste. An diesem Treffen nahmen wichtige Künstler und Intellektuelle teil, unter ihnen Martin Buber, Arthur Holitscher, Arnold Zweig, Haim Nachman Bialik, der Architekt Oskar Kaufmann und andere. Jeder von ihnen maß Habima eine andere Bestimmung zu. Aus dieser Diskussion kann man das tiefe Interesse ersehen, dass diese Intellektuellen für das Schicksal des Theaters zeigten, obwohl viele von ihnen keine Zionisten waren.(18) Im Anschluss an diesen Abend schrieb Martin Buber sogar einen Artikel über Habima.(19) Einen der Höhepunkte des intellektuellen Interesses an Habima kann man im Besuch der Schauspielerin Hanna Rovina im Hause des hochgeschätzten jüdisch-deutschen Philosophen Franz Rosenzweig einige Tage vor seinem Tod sehen. Rovina führte Rosenzweig Ausschnitte aus ihren Rollen vor, und zum Zeichen des Dankes schrieb ihr Rosenzweig ein Gedicht, in dem er sie die "Urahnin hebräischen Trauerspiels" nannte.(20)

Worin bestand die Anziehungskraft von Habima für diese bekannten Namen? Die energische Öffentlichkeitsarbeit Klausners reicht nicht aus, um dieses Phänomen zu erklären. Peter Marx analysierte das jüdisch-deutsche intellektuelle Gespräch um das Thema der Juden im Theater. Er behauptete, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Theater als Instrument zur Förderung der Assimilation angesehen wurde, dies sich aber in den 20er Jahren änderte. Der ansteigende Antisemitismus und die Erschütterung der Stellung der Juden in der deutschen Gesellschaft führten sie zur Suche und zur Ausbildung einer jüdischen Identität. Mit ihr wollten sie sich im Theater und durch jüdische Kunstschaffende auseinandersetzen.(21) Diese Erklärung wirft auch Licht auf die Anziehung, die Habima auf diese Intellektuellen ausübte. Sie machten Habima zu einem authentischen Symbol der jüdischen Renaissance - einer Renaissance, die nicht in der osteuropäischen Vergangenheit schwelgte, sondern eine bedeutungsvolle, moderne Option einer jüdischen Existenz vorstellte.

Welchen Einfluss hatte die jüdisch-deutsche Aktivität für Habima auf das Theater und auf seine künstlerischen Horizonte? Entgegen aller Erwartung mündete die Begegnung der Habima-Mitglieder mit den Juden Deutschlands nicht in einer Öffnung des Theaters zur jüdisch-deutschen Kultur. Im Gegenteil: Habima verschloss sich immer mehr in ihrem osteuropäisch-russisch-zionistischen Renommee, weil gerade dies ihr unter den Juden Deutschlands den Weg zur Hegemonie im mitteleuropäischen Theaters bereitete. Der jüdisch-deutsche Kreis, mit dem die Habima-Mitglieder in Kontakt kamen, suchte eine andere, von der jüdisch-deutschen verschiedene jüdische Identität. Traditionell wurde der osteuropäische Jude als authentischer Jude angesehen, der in einer inhaltsreichen, alten jüdischen Kultur lebt. Die Beziehung der Habima-Mitglieder zum Moskauer Künstlertheater, zur zionistischen Bewegung und zur hebräischen Sprache verstärkte ihre Identität als authentische, erneuernde und zugleich verwurzelte jüdische Identität, die aus dem in Mysterien gehüllten Osteuropa kommt. Die Anziehungskraft dieser exotischen jüdischen Identität war groß für die Juden Deutschlands. Die Habima-Mitglieder erkannten schnell, dass der Schlüssel zu ihrem Erfolg gerade in der Aufrechterhaltung dieser Identität lag, die sie als exotisch und anders konstituierte. Um ihren Erfolg zu festigen, mussten sie diese Identität pflegen und vertiefen und die Beschäftigung mit den Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen ihnen und den Juden Deutschlands verschleiern und vermindern.

Im Jahre 1930 wurden zwei Uraufführungen in Berlin herausgebracht: Die zwölfte Nacht von Shakespeare, in der Inszenierung von Michail Tschechow, und Uriel Acosta von Karl Gutzkow, in der Inszenierung von Alexander Granovski. Diese zwei Produktionen spiegelten eine zögernde und vorsichtige Bezugnahme auf die jüdisch-deutsche Kultur wider, die für eine jüdische Identität an der Seite einer tiefen Identifikation mit dem deutschen und europäischen Ethos der Aufklärung eintrat. Shakespeare galt als einer der kanonischen Schriftsteller im Korpus der deutschen Aurklärung (22), und die Beschäftigung mit ihm war ein erster Versuch von Habima, sich mit einem Werk dieser Art auseinanderzusetzen. Uriel Acosta wurde von Gutzkow verfasst, einem der herausragendsten Vertreter des Jungen Deutschland am Vorabend der Revolution von 1848. Das Stück wurde als Aufruf zum Liberalismus und zur Freiheit des Denkens aufgefasst und drückte den Geist der deutschen Aufklärung aus. Es wurde im Jahre 1881 zum ersten Mal ins Jiddische übersetzt und entwickelte sich schnell zu einem der Eckpfeiler der osteuropäischen jüdischen "Aufklärung". (23)

Trotz des Liebäugeins mit der Kultur der jüdisch-deutschen Aufklärung wollten die Habima-Mitglieder die sowjetische Tradition in ihren Produktionen bewahren und wandten sich an zwei russische Regisseure: Michail Tschechow, einen Schauspieler des Moskauer Künstlertheaters, und Alexander Granovski, den Gründer und ausscheidenden Regisseur von Goset. Diese zwei Aufführungen blieben Versuche, einen neuen Weg zu suchen, den Habima allerdings nicht weiter verfolgte.

Der starke Einfluss der jüdisch-deutschen Kultur auf Habima kam gerade im Laufe der 30er Jahre zum Ausdruck, nachdem sich die Truppe in Palästina niedergelassen hatte. Von 1933 an brachte Habima eine Reihe von historischen und aktuellen Stücken heraus, die sich mit dem Schicksal der Juden Deutschlands in den 30er Jahren beschäftigten, wie Jud Süß nach dem Roman von Lion Feuchtwanger in der Inszenierung von Zvi Friedland (1933), Professor Manheim von Friedrich Wolf in der Inszenierung von Leopold Lindtberg (1934), Die Marranen von Max Zweig in der Inszenierung von Friedland (1938) und andere. Diese Aufführungen stellen die Gestalt des assimilierenden Juden in den Mittelpunkt, der sich in seine nicht-jüdische Umwelt integrieren und von ihr akzeptiert werden möchte und auf diesem Altar seine jüdische Identität opfert. In jeder dieser Aufführungen entdeckt der sich assimilierende Jude, dass er sein Leben in einer Lüge lebt. Er wird gezwungen, sich mit seiner jüdischen Identität auseinander zusetzen, nachdem ihm bewusst geworden ist, dass die nicht-jüdische Umgebung ihn abweist. Diese Auffassung von Habima bezeugt, dass die Truppe die jüdisch-deutsche Kultur vollkommen zurückwies und sie als Anbiederung und Selbstverneinung ansah.

Paradoxerweise kann man gerade in der kritischen und negierenden Auffassung von Habima den Juden Deutschlands gegenüber einen Ausdruck des tiefen Einflusses des jüdisch-deutschen Freundeskreises auf die Selbstauffassung der Habima-Mitglieder sehen. Die Juden Deutschlands sahen in den Habima-Mitgliedern Juden mit einer authentischen Identität, die ein jüdisches Werk sui generis schufen. Die Auffassung des "authentischen Juden" widersprach ihrer eigenen Selbstauffassung als Juden-Deutsche, die mit der deutschen Kultur verbunden und Teil von ihr waren. Gerade darum bildete Habima einen so wichtigen Anziehungspunkt für sie. Die Habima-Mitglieder verinnerlichten diese Auffassung und pflegten ihre Selbstauffassung als hebräisch-russische Kunstschaffende mit einer ausgebildeten Identität, der gegenüber die jüdisch-deutsche kulturelle Möglichkeit negativ und als Irrtum angesehen wurde.

Vor diesem Hintergrund pflegten die Habima-Mitglieder ihr jüdisch-russisches Image und vermieden es, namhafte deutsche Juden mit Einflussmöglichkeiten in ihre Reihen aufzunehmen. Im Laufe der 30er Jahre kamen zwei wichtige deutsch-jüdische Regisseure zu Habima: Leopold Jeßner und Leopold Lindberg. Lindberg inszenierte in den Jahren 1934/35 vier Aufführungen mit Habima und Jeßner im Jahre 1936 zwei. Beide wurden von Habima nicht aufgenommen und verließen danach Palästina. Deutsch-jüdische Schauspieler wurden überhaupt nicht in die Reihen von Habima aufgenommen. Die Bühnenbildner Meron Sima und Shalom Sebba sowie der Dramaturg Max Brod fanden zwar ihren Platz bei Habima (24), sie hatten aber keinen großen Einfluss. Die Beziehungen zwischen Habima und Margot Klausner brachen im Jahre 1936 ab, und sie verließ das Sekretariat des Theaters.

Zum Abschluss sei bemerkt, dass dieser Aufsatz ein kompliziertes Beziehungsmuster zwischen Habima und dem jüdisch-deutschen Freundeskreis aufzeigt. Habima kam als jüdisch-zionistisch-russisches Theater nach Berlin. Die Aufführungen des Theaters entwarfen eine moderne jüdische Identität und wurden gemäß den im mittel- und osteuropäischen Theater akzeptierten ästhetischen Regeln geschaffen. Dabei war es ein organisatorisch instabiles Theater, das sich mitten in einer Krise befand. Die Begegnung mit den Juden Deutschlands trug viel zur Festigung des Theaters bei. Die Juden Deutschlands, die ein wirkliches Interesse an deutsch-jüdischen und osteuropäischen Werken zeigten, unterstützten Habima und drückten dabei gleichzeitig auch ihre persönliche Verpflichtung gegenüber der Förderung der jüdischen Kultur aus.

Sie halfen Habima, sich finanziell zu etablieren und bauten es als zentrales jüdisches Theater auf. Auf diese Weise halfen sie ihm aus der schweren Krise heraus, in der es sich befunden hatte. Trotz der gemeinsamen Interessen der beiden Gruppen, die moderne jüdische Kultur überhaupt und die jüdische Kunst im besonderen zu fördern, war die Begegnung zwischen Habima und dem jüdisch-deutschen Kreis voller gegenseitiger Projektionen. Sie spiegelte eine objektive Wirklichkeit und langjährige kulturelle Konstruktionen wider.

Die Juden Osteuropas wurden von den Juden Deutschlands als authentische Juden angesehen, im Gegensatz zu ihrer eigenen, mangelhaften jüdischen Identität. Die Habima-Mitglieder verinnerlichten ihr eigenes authentisches Selbstbildnis und hüteten sich davor, einen jüdisch-deutschen Einfluss anzunehmen, den sie als nicht-jüdisch und als Anbiederung an die deutsche Kultur auffassten.

Leseprobe aus:
Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hg.),
Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost
Beerenverlag 2005
Euro 25,00
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© Beerenverlag

Anmerkungen:
(1) "Habima in Berlin", in: Jüdische Rundschau, 29.9.1926, S. 343.
(2) Michaela Böhmig, Das russische Theater in Berlin 1919-1933, München 1990.
(3) Steven Aschheim und Michael Brenner behandeln diese Entwicklung ausführlich. Siehe: Steven Aschheim, Brothers and Strangers, Madison und London 1982; Michael Brenner, The Renaissance ofJewish Culture in the Weimar Germany, New-Haven und London 1996.
(4) Sammy Gronemann, Hawdoloh und Zapfenstreich, Bonn 1924,1984; Arnold Zweig, Das ostjüdische Antlitz, Wiesbaden (1920) 1988; Alfred Döblin, Reise in Polen, Olten/Freiburg i. Br. 1926,1968.
(5) Siehe: S. Anski, Der Dybuk. Dramatische Legende in 4 Akten. Aus dem Jüdischen übersetzt von Arno Nadel, Berlin 1921, und: An-Ski, Zwischen zwei Welten (Der Dybuk). Dramatische Legende in vier Akten. Einzige, autorisierte Übersetzung von Rosa Nossig, mit einer Einleitung von Jacob Heinsdorf, Berlin und Wien 1922.
(6) Delphine Bechtel, The Yiddish Theatre and its Impact on the German and Austrian Stage, in: Jeanette Malkin and Freddie Rokem (Hrsg.), Jews and the Emergency of Modern German Theatre, Madison [Forthcoming].
(7) Noah Isenberg, Between Redemption and Doom, Lincoln und London 1999.
(8) Anton Mayer, Richard Beer-Hofmann und das Wien des Fin de Siede, Wien 1993.
(9) Jizchak Normann (Hrsg.), Bühnenanfang - Nachum Zemach, Gründer von Habima in der Idee und der Tat, Jerusalem 1966.
(10) Habima Konzert, in: Jüdische Rundschau, 5.11.1926.
(11) Margot Klausner, Das Habima-Tagebuch, Tel Aviv 1971, S. 24 (Hebr.).
(12) Bernhard Diebold, Habima - Hebräisches Theater. (Berlin: Heinrich Keller), 1928, S. 5.
(13) Ebd., S. 8.
(14) Paul Mendes-Flohr, Fin-de-Siecle Orientalism, the Ostjuden and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Studies in Contemporary Judaism, No. 1, 1984, S. 96-139.
(15) In den von Klausner redigierten Broschüren ist kein Veröffentlichungsjahr angegeben. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Broschüren kann aus dem Erscheinen von Fotografien von Produktionen in einer der Broschüren berechnet werden, die Habima während ihres Aufenthalts in Palästina im Jahre 1928 schuf. Siehe: Habima - Zum zehnjährigen Jubiläum herausgegeben vom Kreis der Freunde der Habima, Frankfurt a. M. ohne Jahr; Habima - Herausgegeben vom Kreis der Freunde der Habima, Berlin ohne Jahr.
(16) Ebd.
(17) Habima-Bankett, in: Jüdische Rundschau, 16.10.1928.
(18) Klausner, Das Habima-Tagehuch, S. 10.
(19) Martin Buber, Greif nach der Welt, Habimah!, in: Jüdische Rundschau, 10.12.1929.
(20) Edith Rosenzweig (Hrsg.), Franz Rosenzweig, Briefe, Berlin 1935, S. 633.
(21) Peter W. Marx, Die Bretter, die eine fremde Welt bedeuten,... Theater als Ort kulturelle Selbstreflexion im jüdischen Diskurs zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Christopher Balme, Erika Fischer-Lichte und Stephan Grätzel (Hrsg.), Theater als Paradigma der Moderne?, Tübingen und Basel 2003, S. 277-288.
(22) Simon Williams, Shakespeare on the German Stage 1586-1914, Cambridge und New York 1990.
(23) Dalia Kaufmann, Uriel Acosta von Karl Gutzkow auf der jüdischen Bühne (1881-1922), in: Mordechai Altschuler (Hrsg.), Das jüdische Theater in der Sowjetunion, Jerusalem 1996, S. 205-224 (Hebr.).
(24) Joav Gelber, Neue Heimat - Die Einwanderung der Juden Mitteleuropas und ihre Integration 1933-1948, Jerusalem 1990.

hagalil.com 28-09-05











 

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