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Michael Warschawski:
An der Grenze
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer
Vorwort von Moshe Zuckermann
Broschur, 256 Seiten, mit 25 S-W-Fotos,
Euro 19,90

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Autobiografischer Rückblick:
Israelische Grenzgänger

Von Roland Kaufhold

Das Spektrum der israelischen Friedensbewegung ist - wie auch das politische Spektrum Israels insgesamt - , von einer für den Außenstehenden verwirrenden Breite und Widersprüchlichkeit. Unsere eigenen politischen Erfahrungen erscheinen mir als recht ungeeignet, dieser Widersprüchlichkeit gerecht zu werden. Zu unvereinbar sind die hiesigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit denen Israels.

Die Gefahr projektiven Abreagierens, einer die historische Tragik verleugnenden Parteinahme für eine Seite dieses historisch gewachsenen, ungelösten israelisch-palästinensischen Konfliktes ist offenkundig. Und doch, so möchte man hinzufügen, sollten wir uns der Verantwortung für den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht entziehen, ist dieser doch maßgeblich durch unsere nationalsozialistische Vergangenheit in seiner destruktiven Dynamik verschärft worden. Dieser 100jährige Konflikt ist nicht kurzfristig lösbar sondern eine dauerhafte Auseinandersetzung, die uns noch sehr lange  begleiten wird.

Michael Warschawski, in Israel unter dem Pseudonym "Mikado" weithin bekannt, gehört zu ihren profiliertesten, inhaltlich kompromisslosesten Vertretern der israelischen Linken – die in der israelischen Öffentlichkeit, insbesondere seit dem Scheitern von Oslo sowie dem Ausbruch der 2. Intifada, kaum noch wahrgenommen wird. In "An der Grenze" ermöglicht Warschawski in einem spannenden autobiografischen Rückblick einen faszinierenden Einblick in die wechselvolle Geschichte der israelischen Linken, welche er seit 35 Jahren als politischer "Grenzgänger" zwischen den erstarrten gesellschaftlichen Fronten in entscheidender Weise geprägt hat.

Sein Buch erschien 2002 in der französischsprachigen Originalausgabe und wurde in Frankreich mehrfach von Tageszeitungen mit Preisen ausgezeichnet.

Der Publikationsort verweist auf Warschawskis Biografie: 1949 als Sohn eines orthodoxen Großrabbiners in Straßburg geboren, ging er 1965 nach Israel – nicht als Zionist, sondern um seine Talmudstudien fortzusetzen. Wenn er anfangs auch noch nicht politisch motiviert war, so könnte sich die Position seines Vaters, der bereits sehr früh die Besatzung der Westbank kritisierte, als haltgebend ausgewirkt haben: "Jede Besatzung ist vom Übel und verdirbt die Moral derer, die sich daran beteiligen; laß uns den Himmel bitten, daß diese hier so schnell wie möglich zu Ende ist" (S. 40) sagte er im Juni 1967 zu seinem Sohn, unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg.

Von 1967 - 1971 studierte Warschawski in Jerusalem Philosophie und engagierte sich bereits früh in entschiedener Weise gegen die nationalstaatliche Konstruktion seines Landes, gegen die Besatzung der Palästinensergebiete, für eine israelisch-palästinensische Verständigung. Sein mit zahlreichen Photos belebtes Buch ist eine eindrucksvolle Analyse der israelischen Gesellschaft wie auch ein Dokument seines 35jährigen Engagements. Dieses führte ihn über die mythenumrungene Gruppierung der "Matzpen" – eine marxistische Gruppierung, die 1962 aus der kommunistischen Partei Israels ausgeschlossen wurde – zur Gründung von Yesh Gvul (1982) sowie des Alternativen, israelisch-palästinensischen Informationszentrums in Jerusalem (AIC) (1984); schließlich zur radikalen Friedensgruppierung Gush Shalom. 1989 trug ihm sein Engagement eine Verurteilung zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe ein, deren Hintergründe im Buch detailliert dargeboten werden.

Seinen Aktivismus als Israeli beschreibt Warschawski folgendermaßen: "Als guter Hebräer sehe ich mich als dreifachen Grenzgänger: ich "schmuggle" Werte wie Brüderlichkeit, Solidarität und praktizierte Koexistenz, eine Koexistenz auf der Basis von gegenseitiger Achtung, Gleichheit und Zusammenarbeit herüber und hinüber; ich überquere die Grenzen; und ich übertrete, breche die Tabus, die uns soweit bringen, uns an eine chauvinistisch definierte Identität zu klammern und darin zu verkümmern." (S. 19)

Dieses durch seine tiefe jüdische Identität geprägte Buch ist ein sehr konsequentes Dokument seines Versuches, sowohl die inneren psychischen als auch die gesellschaftlichen und kulturellen Grenzen immer wieder zu durchbrechen - und dennoch immer wieder die Perspektive eines Außenstehenden, eines scheinbar Unbeteiligten einzunehmen. In Anlehnung an den Soziologen Georg Simmel beschreibt er den Prozess seiner Identitätsfindung als israelischer Jude: "Ich verabscheue den Stammesgeist und habe es immer wieder abgelehnt, mich in Clan-Grenzen einsperren zu lassen. (...) Sicherlich bin ich Israeli, aber zugleich bewahre ich mir eifersüchtig meinen Anteil Diaspora-Judentum, der mir einen immer wieder distanzierten Blick auf meine eigene Gesellschaft ermöglicht." (S. 20)

Warschawski zeichnet die Phasen der gescheiterten Verständigungsversuche zwischen Israelis und Palästinensern nach, die aber dennoch zu einer schrittweisen gesellschaftlichen Akzeptanz seiner ursprünglich äußerst randständigen Positionen führte.

In seiner Einleitung formuliert der Autor ein nüchternes, zugleich bitteres Resümee der Geschichte Israels: "Ironie der Geschichte: Der Zionismus, der die Mauern des Ghettos einreißen wollte, hat das größte Ghetto der jüdischen Geschichte hervorgebracht, ein waffenstarrendes Ghetto, zwar imstande, sein Territorium ständig auszuweiten, aber dennoch ein Ghetto, auf sich selbst beschränkt und überzeugt, außerhalb seiner Mauern herrsche der Dschungel, wo eine von Grund auf und unheilbar antisemitische Welt kein anderes Ziel habe, als die jüdische Existenz zu vernichten, im Nahen Osten und in der ganzen Welt." (S. 13)

Kurz nach dem Erscheinen dieses Werkes ist mit dem Buch "Mit Höllentempo. Die Krise der israelischen Gesellschaft"(124 S.) eine weitere Publikation Warschawskis auf deutsch vorgelegt worden. Eine vertiefende Einsicht in den Alltag der palästinensischen Gebiete ermöglichen die Bücher "Gaza: Tage und Nächte in einem besetzten Land" (2003) sowie "Bericht aus Ramallah. Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet" (2004) der in Ramallah lebenden israelischen Journalistin Amira Hass. Die Bücher enthalten eine Auswahl ihrer über 500 in "Haaretz" publizierten Zeitungsberichte über palästinensische Themen. Sie hat auch das Vorwort zu dem soeben von Yehudit Kirstein Keshet (2007) herausgegebenen "Checkpoint Watch. Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina" verfasst, welches ebenfalls im Verlag Nautilus erschienen ist.

Diese Rezension erscheint demnächst in der Zeitschrift "psychosozial". Nachdruck mit freundlicher Erlaubnis des Psychosozial-Verlags, Gießen.

hagalil.com 17-01-08











 

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