April 1943/kwiecien 1943:
"Auschwitz war eine deutsche Erfindung"
Ein deutsch-polnisches Buch
dokumentiert den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 anhand der Geschichten
Überlebender. Zur Präsentation des Bandes dikutierten Polen und Deutsche
über die Tragödie der Schoah und die Verantwortung dafür
Von Jan Süselbeck, taz
vom 23.04.04
Am 19. April 1943 wurde das Warschauer Ghetto
"liquidiert". Die letzten 60.000 Bewohner wussten, dass man sie in den
Gaskammern der Vernichtungslager ermorden wollte - genauso wie alle anderen
Juden, die man vor ihnen deportiert hatte. Als die Deutschen und ihre
Hilfstruppen in das ummauerte Ghetto marschierten, versuchten die Verfolgten
unter Einsatz ihres Lebens ein Zeichen dafür zu setzen, dass sie sich selbst
unter unvorstellbar schweren Bedingungen gegen ihre Peiniger zu wehren
wussten. Fast alle Aufständischen kamen dabei um.
Nun ist in einer - in dieser Form bisher einzigartigen -
Kooperation des Berliner Verbrecher Verlags und des Warschauer Verlags
Wydawnictwo Jaworski ein zweisprachiger Band erschienen, der sich aus
verschiedenen Perspektiven mit diesem Ereigniss befasst. Das Buch
dokumentiert eine Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Ghettoaufstands,
die vergangenes Jahr im Rathaus Schöneberg stattfand. Die "gruppe offene
rechnungen", das Berliner Bündnis gegen IG Farben und der Verband der
jüdischen Kriegsveteranen und -versehrten Polens hatten damals zu
entsprechenden Gesprächsrunden geladen. Äußerst bewegend waren die Berichte
jüdischer Überlebender des Aufstands, die nun im Buch nachzulesen sind.
Am Mittwochabend wurde der Band im Polnischen Institut
Berlin vorgestellt. Einige der letztjährigen Gäste diskutierten dabei über
das aktuelle deutsch-polnische Verhältnis und das Problem des virulenten
Antisemitismus in beiden Ländern.
Der polnische Botschaftsrat für Berlin, Jan Rydel, begann
mit einem ungewöhnlich offenen Grußwort. Die "Tragödie der Schoah" sei im
heutigen Polen durch die "offene und ehrliche Selbstbefragung" nach dem
berüchtigten Jedwabner Pogrom vom 10. Juli 1941 zu einer "zentralen
ethischen und intellektuellen Frage" geworden. Nach dem Einmarsch der
Deutschen hatten die polnischen Bewohner Jedwabnes ihre jüdischen
Mitbewohner gefoltert und ermordet. Die daran anknüpfende Debatte um das
lange verdrängte Thema des polnischen Antisemitismus werde mittlerweile
nicht nur an den Unis und in der Politik, sondern auch in den Familien
geführt, erklärte Rydel. Selbstkritisch räumte er ein, die Polen seien "noch
nicht so auf Correctness trainiert", weswegen es in der nationalen Debatte
auch immer noch viele "Misstöne" gebe.
Hier knüpfte die Gesprächsrunde an. Ludwik Krasucki,
Vorsitzender des Verbandes der jüdischen Kriegsveteranen und -versehrten aus
Polen, und Marian Turski, Vorsitzender des Jüdisch-Historischen Instituts
Warschau, zeichneten ein differenziertes Bild der letztjährigen polnischen
Antisemitismusdebatte. Krasucki betonte, der "alte Antisemitismus" in Polen
wese zwar fort, doch verglichen mit dem Rest Europas sei die Situation doch
vergleichsweise ruhig.
Jörg Rensmann von der "gruppe offene rechnungen" erinnerte
in dem Zusammenhang daran, dass in Deutschland mittlerweile 65 Prozent der
Befragten angeben, sie hielten Israel für die größte Bedrohung des
Weltfriedens. Alexander Brenner von der Jüdischen Gemeinde brachte die
Diskussion über das Phänomen wohlfeiler deutscher Projektionen, die eigene
manifeste Probleme mit dem Antisemitismus gerne benachbarten Ländern
anlasteten, auf die griffige Formel: "Der Antisemitismus ist sicher keine
deutsche Erfindung, aber Auschwitz war es." Dies gerate bei vielen deutschen
Politikern in ihren geschichtsrevisionistischen Äußerungen leider zusehends
in Vergessenheit.
Schließlich stellte der ehemals im KZ Stutthof inhaftierte
Krasucki klar, dass auch die Forderungen deutscher Vertriebener an Polen,
man möge ihnen endlich "Entschädigungen" und "Wiedergutmachung" leisten,
eine perfide Geschichtsverdrehung darstellten. Man solle doch "um Gottes
willen die Reihenfolge der Verbrechen" nicht aus den Augen verlieren. Er
habe größtes Verständnis für die Leiden deutscher vergewaltigter Frauen und
deutscher Flüchtlinge. Doch dann denke er an die 36 Mitglieder seiner
Familie, deren Problem es nicht gewesen sei, dass sie "ein neues Leben ohne
Porzellanteller beginnen mussten", sondern dass sie in den Gaskammern der
Deutschen ermordet wurden. Der nun vorliegende Band mag helfen, die
Erinnerung daran nicht verblassen zu lassen.
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