Kibbuznik, Schuhmacher, Gesangslehrer und Dichter:
Simon Kronberg in Palästina
(1934-1947)
Von Armin A. Wallas
An Bord des Dampfers 'Jerusalem' fuhr der Schriftsteller und
zionistische Jugendführer Simon Kronberg im Oktober 1934 mit einer
Gruppe jüdischer Jugendlicher nach Palästina. Mit der Fahrt von Berlin
über Triest nach Haifa trat er die Flucht vor der
nationalsozialistischen Judenverfolgung an, vor allem aber bedeutete ihm
die Rückkehr in das Land der Väter die Erfüllung seiner zionistischen
Sehnsucht.
Palästina betrachtete er nicht als Land des Exils, sondern als Ort der
Hoffnung, an dem ein neues, von Verfolgung und Unterdrückung freies
jüdisches Leben, ein eigener jüdischer Staat verwirklicht werden sollte.
Am 15. Oktober landete Kronberg im Hafen von Haifa, erleichtert darüber,
Hitler-Deutschland verlassen zu haben, und erfüllt von der Zuversicht,
am Aufbau der neuen jüdischen Gemeinschaft mitwirken zu können; ein
wenig getrübt wurde die Euphorie des Aufbruchs jedoch durch die
Tatsache, daß er seine (nichtjüdische) Ehefrau Herta und Sohn Peter in
Berlin zurücklassen mußte. In Berlin blieb auch ein Großteil seiner
literarischen Manuskripte zurück, die zu den aussagekräftigsten und
sprachmächtigsten Texten des Spätexpressionismus zählen, von denen zu
seinen Lebzeiten aber nur ein geringer Teil veröffentlicht wurde.1
Mit seiner Alijah [Aufstieg], der Einwanderung in das jahrhundertelange
Sehnsuchtsland der Diaspora-Juden fand Kronberg nicht nur Schutz vor
Verfolgung, sondern er erhielt nun die Möglichkeit, sein literarisches
Wirken in den Dienst der zionistischen Idee und des Aufbaus eines sozial
gerechten jüdischen Gemeinwesens zu stellen. Wenn auch so manche
Hoffnungen Kronbergs enttäuscht wurden und seine - Chiffren jüdischen
Lebens von der biblischen Zeit bis in die Gegenwart entwerfenden -
Dramen keinen Widerhall fanden und unveröffentlicht blieben, so konnte
er doch durch seine volksbildnerischen Initiativen als Gesangslehrer und
Chorleiter wichtige Impulse zur Integration der aus dem deutschen
Sprachraum eingewanderten Juden in die palästinensische Gesellschaft
setzen.
Geboren wurde Simon Kronberg 1891 in Wien als Sohn
galizischer Zuwanderer.2 Seine Kindheit und Jugend verbrachte
er in einer von ostjüdischer Frömmigkeit und kleinbürgerlicher Enge
geprägten Atmosphäre, aus der er 1913 ausgebrochen ist, um in der
Gartenstadt Hellerau bei Dresden die von Emile Jaques-Dalcroze geleitete
'Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus' zu besuchen. Im September 1914
übersiedelte er nach Düsseldorf, nahm Schauspielunterricht an der
'Hochschule für Bühnenkunst' des Düsseldorfer Schauspielhauses, beendete
diesen Unterricht aber bereits nach wenigen Monaten wegen Differenzen
mit den Lehrern, ließ sich privat zum Phonetiklehrer ausbilden und
begann mit ersten literarischen Versuchen. Die Unentschlossenheit,
welchen künstlerischen Beruf er ergreifen sollte, führte ihn 1915 nach
Berlin, die Metropole des literarischen und künstlerischen
Expressionismus. Unter dem Eindruck des Phänomens der Großstadt mit
ihren dissoziierenden Eindrücken, ihrem Lebenstempo, ihrer pulsierenden
Dynamik, aber auch mit ihren bedrohlichen, die Auflösung des Subjekts
beschleunigenden Aspekten steigerte sich die literarische Produktivität
Kronbergs. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen 1916/17 in einem
der führenden Organe des Expressionismus, der von Franz Pfemfert
herausgegebenen Wochenschrift
Die Aktion. 1919/20 fand er Kontakt zu dem Kreis um die von Wolf
Przygode herausgegebene Zeitschrift Die Dichtung, in der Gedichte
und Aufzeichnungen Kronbergs sowie sein Drama Schimen in der Stille
(1923) veröffentlicht wurden. 1921 erschien im 'Verlag der Dichtung'
Gustav Kiepenheuer (Potsdam) Kronbergs einzige Buchveröffentlichung, der
Prosaband Chamlam, der die Identitätssuche eines jungen Juden
beschreibt, der sich in den Straßen der Stadt wie in einem "Garten der
Zersplitterung"3 erlebt und sich auf die Suche nach Gott
begibt. Die Vision des Sabbath und der Güte Gottes, die am Ende des
Buches imaginiert wird, ist jedoch erst auf der Grundlage einer
mehrfachen Brechung möglich: wie sein alter ego Chamlam - der
'Dummkopf', so die selbstironische Übersetzung - suchte Kronberg einen
neuen Zugang zur jüdischen Tradition, indem er Elemente der
traditionellen Lebenswelt (Vater, Lied, Lehrhaus), aus der er selbst
ausgebrochen war, mit der Erkenntnis von der Dissoziation von Ich und
Welt, Sprache und Realität konfrontiert, und es ihm so gelingt, zu einer
Neuinterpretation der jüdischen Identität vorzudringen. Der
Vielschichtigkeit der thematisierten Identitätsproblematik entsprechend
setzt sich die Irritation des Lesers im Bereich der Form fort, die von
einer kunstvollen Verschachtelung lyrischer, epischer und
reflektierender Passagen, dem Wechsel der Erzählperspektive und der
Spiralstruktur der Handlungsführung geprägt ist.
Zu Beginn der zwanziger Jahre fand Kronberg Anschluß an die
zionistische Bewegung, in deren Dienst er fortan seine literarische
Tätigkeit stellte. Besonders engagiert wirkte er an den Aktivitäten der
jüdischen Jugendbewegung mit: er gehörte als Jugendführer und Chorleiter
dem 'Jung-Jüdischen Wanderbund' an, veranstaltete Feste und führte mit
Mitgliedern des Bundes eigene dramatische Werke auf. Der 1925 mit dem
'Brith Haolim' [Bund der Aufsteigenden] fusionierte 'Jung-Jüdische
Wanderbund' wurde im Februar 1933 mit dem Jugendbund 'Kadima' [Vorwärts]
unter dem Namen 'Habonim Noar Chaluzi' [Bauleute] vereinigt; im November
1933 schloß sich der Bund 'Noar Haoved' ebenfalls an Habonim an.4
Als Jugendführer des Bundes 'Habonim Noar Chaluzi Noar Haoved' nahm
Kronberg an der Hachscharah, den Vorbereitungskursen für die
Übersiedlung nach Palästina, auf Gut Winkel teil und übersiedelte in
dieser Funktion schließlich nach Palästina. Zudem betätigte sich
Kronberg in dem von Gershon Melber (1910-1985) in Berlin mitbegründeten
'Arbeitskreis jüdischer Jugendgruppen'. Aufschluß über die pädagogischen
Ideale dieser Gruppierung gibt ein unter dem Titel Von der
Grenadierstraße zum Arbeitskreis veröffentlichter autobiographischer
Text Melbers, der ebenfalls 1934 nach Palästina übersiedelt ist, als
Jugendführer im Kinderdorf Ben Schemen und in der Jugendalijah-Arbeit
tätig war und später als Jurist gewirkt hat: "Vom Vater also lernte ich
vom Geiste des 'Gässls', der in seinen Händen ruhte, und so erwarb ich
ihn und übertrug ihn, so weit es in meinen Händen lag, an den
Arbeitskreis. Und so schließt sich dieser Kreis, darin Erzählung nach
Erzählung, die alle den gemeinsamen Stempel tragen: Liebe den Menschen."5
Auf ähnliche Weise wie Melber versuchte auch Kronberg, chassidische
Spiritualität und jüdisch-religiöse Geistigkeit mit
zionistisch-sozialistischem Engagement zu vereinen. Als Medium seines
Wirkens verwendete er hierbei das jüdische Lied, dessen Schönheit ihm
von seinem Vater erschlossen worden war, und in dem er das Fundament
einer geistig-emotionalen Gemeinschaftsbildung erblickte. Welchen
Eindruck Kronberg auf seine um vieles jüngeren Zuhörer ausgeübt hat,
vermittelt ein Bericht von Jakow Kohl: "Aber in der Minute da er den
Mund auftut - und singt - einen jüdischen Niggun, ein Lied oder eine
Phantasie oder irgendeine andere Melodie - in dem selben Augenblick
unser Herz erwärmte sich für ihn - und er verwandelte uns zu einer
Einheit, einer Gruppe - und wir haben nur noch einen Wunsch mit ihm
zusammen zu singen."6 Und Esther Barta ergänzt: "Ich war noch
in der Schule, als ich durch Gerschon Melber und Alfred Kohl in den
turbulenten 30er Jahren Schimon kennenlernte. Er entwickelte sich
schnell zu einer zentralen Persoenlichkeit im kulturellen Bereich.
Begeistert nahm ich teil am gemeinsamen Singen juedischer Buende im
Chor, in dem er unsere Beziehung zur jiddischen und hebraeischen
Sprache, zum Chassidismus und zum Judentum vertiefte. Ich erinnere mich
besonders an eine Vorstellung, die Schimon inszenierte und die im
Lehrervereinshaus, Berlin, stattfand. Das Publikum wurde in einer
lebendigen und faszinierenden Darstellung durch die dramatischen
Ereignisse der juedischen Geschichte seit der Zerstoerung des Tempels
und die Vertreibung der Juden in die Diaspora gefuehrt. Ueber diese
dunkle Epoche hinweg wies er in einem eindrucksvollen Finale auf die
Loesung, die Gruendung eines juedischen Staates hin. Die Mittel denen er
sich bediente waren hinreissend, ueberzeugend, dramatisch."7
Seiner sozialistischen Gesinnung entsprechend bewarb sich
Kronberg mit seiner späteren Frau Jael und seinem Freund Jakow (Alfred)
Kohl, die ihn auch auf der Fahrt nach Palästina begleitet hatten, um die
Aufnahme in einen Kibbuz. Der 'Habonim'-Jugendbund hatte sich 1933 der
Kibbuzbewegung 'Hakibbuz Hameuchad' angeschlossen, die der 1919
gegründeten sozialistischen Arbeiterpartei 'Achduth Haawoda'
[Arbeitsgemeinschaft] nahestand. Die Kibbuzbewegung ist Ausdruck des
Strebens der jüdischen Jugendbewegung nach der Schaffung einer
klassenlosen Gesellschaft im Kleinen, die nicht durch staatliche
Direktive, sondern durch die auf freiwilliger Basis erfolgte Errichtung
von Gemeinschaftssiedlungen verwirklicht werden sollte. Die Grundlage
der Kibbuz-Ideologie bildete die Verbindung von landwirtschaftlicher
Arbeit zur Kolonisierung und Urbarmachung des Landes mit dem Aufbau
eines genossenschaftlichen, egalitären, auf Privatbesitz verzichtenden
Gemeinschaftslebens. Yitzhak Tabenkin, der Ideologe der 'Hakibbuz
Hameuchad'-Bewegung, bringt die Ziele der ursprünglichen Kibbuz-Idee
folgendermaßen zum Ausdruck: "The kvutza was the result of
everything that the Jewish worker did in Palestine: in the conquest of
work in town and country, in the conquest of the soil, the need for the
kvutza always appeared; for we were alone and powerless, divorced from
our parents and our environment, and face to face with the difficulties
of life - the search for employment, illness, and so forth... The
conquest of work turned the individual to the kvutza from his
very first day."8
Und über die Integration der aus Deutschland eingewanderten Olim
[Aufsteigende = Neueinwanderer] schreibt er: "Wir nehmen als unser Ziel
zentral geleitete und gemischte Kibbuzim, keine totale Aufteilung, aber
auch keine Isolierung - eine gemischte Wirtschaft, eine gemischte
Gesellschaft und Vereinigung zwischen den Alteingesessenen (Vatikim) und
den Neuen."9
Im Sinne dieser Leitlinie wurde den deutschen Einwanderern
nicht erlaubt, eigene Kibbuzim zu gründen, sondern es wurde ihnen
nahegelegt, sich in bereits bestehende Siedlungen einzugliedern (eine
Ausnahme bildete eine Siedlungseinheit in Gedera, die von
'Habonim'-Mitgliedern gegründet wurde). Simon Kronberg trat gemeinsam
mit seiner späteren Frau Jael in den 1932 gegründeten, in der Nähe von
Chedera gelegenen Kibbuz Givat Chajim ein; benannt war dieser Kibbuz zu
Ehren des 1933 ermordeten zionistischen Arbeiterführers Viktor Chajim
Arlosoroff (1899-1933), dem Kronberg sein letztes in Berlin entstandenes
Drama gewidmet hat, einen Sprechchor, der die Geschichte des Volkes
Israel von der biblischen Zeit über die Diaspora und das Entstehen der
zionistischen Idee bis zum Aufbau des jüdischen Gemeinwesens in
Palästina erzählt.10 Wie sehr sich Kronberg mit den Idealen
der Kibbuzbewegung identifiziert hat, geht aus einer Notiz hervor, die
er zu seinem 45. Geburtstag verfaßt hat:
"Fast zwei Jahre im Kibbuz. Einer, der aus Deutschland nach
Erez Jisrael kam. Von dort wegfuhr in Gesellschaft von jungen Menschen.
Ein Mann über 40 Jahre alt. Entscheidende Erziehungsjahre in
Deutschland, über 20 Jahre dort, mit nur gelegentlichem Zurücktasten
nach Wien, der Geburtsstadt.
Überzeugt von der Notwendigkeit eines Lebensumbaus:
Rückwandlung zum jüdischen Menschen. Der Glaube an die gesellschaftliche
Kraft des Kibbuz (neue Lebensform), der Glaube an die Kraft der ehemals
heimischen Erde, Luft, Wasser, der Elemente Palästinas. Kristallisiert
sich zur Aufgabe für Palästina: Erziehungsarbeit im Kreis der jungen
Menschen 1) zurück zu denen, die noch in der Vorbereitung für Erez in
Berlin leben - 2) hin zu denen, die schon in Pal[ästina]. sind.
1)
klar. 2) weil die Sage umging: dieses Pal[ästina]. besitze kraft der
Erde, Wasser, Luft - der Elemente / die Menschen dort jedoch noch kein
Organ dafür. Es fehle dort an Kräften die imstande seien, diese
Metamorphose zu klarem Leben zu bringen. Man käme hin, ordne sich ein,
lerne hebräisch... jede Äußerung jedoch des inneren Lebens sei abwegig
von Neuschaffung, Jüdischkeit - siehe Gesang, Musik, Fest, Feier,
Schabbath, Gang, Tanz."11
Die
"Rückwandlung zum jüdischen Menschen", die Kronberg als Ziel der Alijah
nennt, beruht auf einer Zusammenführung der Ideen des Sozialismus mit
der Geistigkeit der jüdischen Religion, wie sie sich in religiösen
Festen und in Liedern zum Ausdruck bringt. Sein Bemühen, religiöse
Elemente im Kibbuzleben zu verankern, brachte ihn jedoch in Konflikt zu
den laizistisch-sozialistisch ausgerichteten Gruppierungen. Wie sehr
sich Kronberg darum bemühte, die zionistischen Pioniere zu einer
Rückbesinnung auf ihre jüdischen Ursprünge zu veranlassen, dokumentiert
eine Ansprache, in der er die Erneuerung des hebräischen Liedes, die
Einbindung in die orientalische Musiktradition und die Abkehr von der
europäischen Musikauffassung fordert:
"Der jüdische mensch (soweit er schon existiert) hungert
regelrecht nach seiner ihm gemäßen musik, die ihm nicht nur ausdruck
ist, die ihn wachsen und reif werden lassen kann... Ich weiß, daß diese
musik gelebt hat, ich weiß, daß sie jetzt noch (in Fetzen) lebt, ich
gehe lieber mit einem solchen Fetzen an mir, als daß ich fremde schöne
kleider anziehe. Mein Vater lebte sein jüdisches leben aus dieser musik
(die ihm ein schönes, ganzes kleid war). Er wärmte damit sich und
mich - nach Jahren des Protestes mußte ich diese wärme an mir gewahr
werden und daraus eine aufgabe für mich entdecken. Diese Fetzen (diese
blühenden farben) liegen im Niggun. Hier ist der ganze abendländische
Verstand ausgeschaltet, der zerstreuen lassen könnte. Hier redet die
Sprache, die geformte Musik meines vaters und seiner väter rein
zu mir. Ich höre sie wieder in liedern, volks- und kunstliedern
jüdischer musiker, die nichts anderes tun, als dieser sprache wieder
erlauben, tönend zu werden, wach zu werden. [...] Und damit, scheint
mir, ist ein weg zu musik gefunden, der dem chawer des kibbuz
entspricht..."12
In
einem Pessach im Kibbuz betitelten, vermutlich 1937/38
entstandenen Kurzdrama thematisiert Kronberg die Frage nach dem Sinn der
jüdischen Feste in der Gegenwart.13 Für einen Teil der
Kibbuzniks, die Kronberg auf die Bühne stellt, haben die jüdischen
Festtage ihre Bedeutung verloren, an deren Stelle der Erste Mai als
internationaler Feiertag der Arbeiterschaft getreten ist, für andere
jedoch stellen sie unverzichtbare Elemente der Tradition dar, die
erklären, "warum wir immer noch ein Teil eines jüdischen Volkes sind"
(S. 127). Am Beispiel des Pessachfestes, das die Erinnerung an den
Auszug des Volkes Israel aus Ägypten wachhält, beschreibt Kronberg die
identitätsbildende Funktion der religiösen Tradition und die
beispielgebende, auf höhere Ziele weisende Wirkung der
gemeinschaftlichen Erinnerungsarbeit. So antwortet eine Frau auf die
Aufforderung eines Kibbuzniks, "endlich Schluß zu machen mit dem alten
Kram" (S. 126), mit dem Hinweis auf die fortdauernde Aktualität des in
Erinnerung Gerufenen: "Wenn aber dieser alte Kram unserem Menschen zur
Besinnung verhilft, daß erst dort, wo sein Egoismus aufhört, das Lernen
anfängt: wer ist das, dieser Nebenmensch?... dann bin ich für diesen
alten Kram. [...] Zum Beispiel für Pessach! Die Zeit, in der wir leben,
lehrt, daß nur der Mensch nicht absinkt in den Dreck, der ständig im
Bewußtsein trägt, und von Zeit zu Zeit von dort hervorholt und erzählt:
wie mühsam man aus Sklaverei zur Freiheit zieht. Nur der von uns, der
weiß, daß immer möglich ist, was einmal möglich war, verzweifelt nicht
vor dieser Gegenwart. Er lernt von diesem Früher den Gebrauch für unser
Morgen." (S. 127) Wie Kronberg in einer Ansprache ausgeführt hat,
versteht er Pessach als Feier der Erinnerung, die die Juden daran mahnt,
dem Gebot des Jiskor, der Bewahrung des Gedächtnisses zu folgen:
"In
dieser Nacht wird uns allen klar, dass wir aufgehört haben, Symbole der
Eile, der Knechtschaft, des Herrentums zu beachten. [...] Daraus lernen
wir, dass es nötig ist, die Erinnerung zu hüten. Sie allein bewahrt uns
davor, Hunde zu werden, Sklaven des Vorübergehenden zu werden, den
Knochen über alles in der Welt zu lieben. [...] Wir sind gesegnet mit
der Erinnerung. Erinnern wir uns! Und wenn ihr mich fragt: warum gerade
in dieser Nacht? So will ich Euch antworten: in allen Nächten!!!
In dieser Nacht besonders, denn in dieser Nacht wurden wir aus
hündischen Sklaven in Egypten Juden mit einer Aufgabe. Erinnern wir
uns..."14
Das
religiöse Fest initiiert den Prozeß kollektiven Erinnerns, der den
Widerstandswillen und das Zusammengehörigkeitsgefühl des Volkes
bestärkt.
Die Pessachfeier belebt die Erinnerung an die Befreiung aus
der Sklaverei in Ägypten und an den Beginn der Geschichte des Volkes
Israel. Der Sinn der Feier liegt jedoch nicht nur darin, ein nationales
Identifikationsbild zu konstruieren, sondern auch in der hautnah
(wieder-)erlebten Präsenz des symbolischen Geschehens. Ausgehend von den
Figuren der Pessach-Haggadah aktualisiert Kronberg im Drama Pessach
im Kibbuz
die biblische Geschichte, indem er sie in die Gegenwart versetzt: die
Rolle des verfolgten jüdischen Volkes übernimmt ein Flüchtling aus
Deutschland, der um Aufnahme in die Kibbuzgemeinschaft gebeten hat,
während jener Kibbuznik, der aus Nützlichkeitserwägungen gegen die
Integration des Flüchtlings gestimmt und die jüdischen Feste als "alten
Kram" bezeichnet hat, "mit den Emblemen des Hitler, Schnurrbart und
Hakenkreuz" (S. 129), behängt wird. Das weitere Geschehen spielt sich in
Form einer Pantomime ab: Hitler verfolgt den mit einem "großen gelben
Fleck" stigmatisierten Flüchtling, der einen Geldsack mit sich trägt,
der ihm aber im Laufen hinderlich ist und den er schließlich Hitler vor
die Füße wirft: "Während Hitler ihn aufnimmt, nimmt der Flüchtling einen
Anlauf und überspringt mit einem mächtigen Satz das Meer. Er landet bei
der Menge. Hitler will ihm, mit dem Sack voll Geld im Arm, nach, und
fällt ins Meer, wo er ertrinkt." (S. 129) In der symbolischen Handlung
des Dramas wiederholt sich die biblische Geschichte von der Rettung des
Volkes Israel (dargestellt durch den Flüchtling) und der Vernichtung des
Pharaos (bzw. Hitlers). Zugleich drückt sich darin die Warnung Kronbergs
vor einer Verengung der Ideale der Kibbuzbewegung auf eine bloß
zweckrational- und nützlichkeitsorientierte Arbeitsethik aus.15
Mit dem Drama
Pessach im Kibbuz hat Kronberg ein Lehrstück geschaffen, das die
Vereinbarkeit der religiösen Tradition des Judentums mit den Ideen des
Sozialismus zum Inhalt hat und zugleich zur Solidarität mit den aus
Hitler-Deutschland geflüchteten Juden aufruft. Die Aktualität des
Pessachfestes manifestiert sich für Kronberg darin, daß es Maßstäbe des
verantwortungsbewußten Handelns setzt und auf der Identifikation mit den
Unterdrückten und Verfolgten, deren Freiheitswillen es stärkt, beruht.
Wegen seiner schwächlichen körperlichen Konstitution wurde
Kronberg im Kibbuz nicht zur Feldarbeit eingeteilt, sondern erhielt eine
Beschäftigung als Schuhmacher. Aus den Erinnerungen seines Freundes
Jakow Kohl geht hervor, daß das Kibbuzleben "auf der einen Seite gut"
für Kronberg war, "denn so brauchte er nicht seine Kräfte verschwenden
um das tägliche Brot zu verdienen - aber auf der anderen Seite: Kronberg
war kein Mensch für die Kommune - Kronberg war immer ein 'Einzelgänger',
ein ganz besonderer und ein in sich abgeschlossener, der nur ausstrahlen
konnte: Freude am Leben, Dank an Himmel (Schicksal) daß ein neuer Tag da
war, eine neue Stunde des Erlebens -".16 Und über seine
Tätigkeit in der Schusterwerkstatt des Kibbuz schreibt Kohl: "Ich
erinnere mich an jenen Tag, da ich von meinem Arbeitsplatz ins
Kibbuzlager geschickt wurde - und plötzlich [...] hörte ich Gesang und
Gelächter [...] - Es waren einige Chawerim da, die einen besonderen
Grund hatten zu feiern: Schimon hatte an diesem Tage das erste Mal ein
Paar Schuhe gemacht mit seinen eigenen Händen - und ohne Hilfe. Er war
mächtig stolz, daß er dem Kibbuz zu nutzen sein konnte - trotz seines
hohen Alters. Nicht wenige Chawerim nannten ihn: 'Hans Sachs, den
singenden Schuster'..."17 Eine besondere Vorliebe Kronbergs
galt - wie schon während seiner Zeit in der jüdischen Jugendbewegung in
Deutschland - dem Singen, vor allem dem Gemeinschaftsgesang, wie sich
Pinda Schefa, ein Gründungsmitglied des Kibbuz Givat Chajim, erinnert:
"Er war schwächlicher Natur und wurde wohl deshalb zu keiner physisch
schweren Arbeit eingeteilt, also als Schusterlehrling. Dort, vielleicht
im Takte des Hammers, summte er seine Lieder und ich nehme an, dass ihm
das Singen wohler tat, als das Klopfen des Hammers. In seiner und
unserer Freizeit wurde viel gesungen (so auch in anderen Sprachen), aber
soweit ich mich erinnere, sangen wir mit Schimon nur in hebräisch.
Allerdings war diese Gruppe oder Kreis fast nur von Leuten aus
westeuropäischen Jugendbewegungen besucht."18
Ergänzend hierzu berichtet Chanan Cohen: "Da in meinem Kibbuz viele aus
dem deutschen Kultur-Kreis kamen, ist es natürlich, dass Simon bald
unseren Chor leitete. Es war ein Vergnügen, unter seiner Leitung zu
singen. Er lernte die hebräische Sprache schnell und wir waren sehr
zufrieden mit seinem Repertoire. [...] So wie wir Alle war auch er ein
richtiger Pionier."19 Wie sich Kronberg selbst gesehen hat,
kann man der unveröffentlichten Prosaskizze Panoptikum entnehmen,
die in Form mehrerer Einzelporträts einen Querschnitt durch die
Kibbuzgemeinschaft wiedergibt; in diesem Text, der vermutlich als
Couplet vorgetragen wurde, findet man unter der Überschrift 'Schimon'
auch ein ironisches Selbstporträt des Autors: "Eine Abart von der wir
hoffen, dass sie nicht alle Tage vorkommt. Geboren im Bau mit weissen
Haaren, entweder er singt oder er schreit. Gefährlich unlogisch: schmale
Brust und starke Lungen. Wer ihn mag, mag ihn ohne nachzudenken. Wer ihn
hasst, hasst ihn ohne nachzudenken. Ein Phonetiker. Er kann Dich auftun
wie ein Buch und darin lesen, er kann Dich vergessen wie eine Ader an
seinem Herzen. Möge Erez ihn zu einem Bau segnen."20
Während seines zweijährigen Aufenthalts in Givat Chajim
schrieb Kronberg unter anderem den Sprechchor Wien 1936, der von
Mitgliedern des Kibbuz in verteilten Rollen aufgeführt wurde.21
Mit diesem Stück, das aus einer Collage von zeitgeschichtlichen
Ereignissen, Bezugnahmen auf historische Personen und Zitaten
zusammengesetzt ist, ruft Kronberg die Arbeiterschaft Palästinas zur
Solidarität mit dem Kampf der österreichischen Arbeiter gegen die
Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und ihrem Widerstand gegen
die austrofaschistische Diktatur auf. Das Stück steht in der Tradition
des proletarischen Sprechchors, einer dramatischen Gattung, die im
'Roten Wien' der Zwischenkriegszeit besondere Wertschätzung genoß. Ziel
des Sprechchors ist es, Ausdruck kollektiver Gesinnung zu sein und
"einen Massenchor nicht nur zur Rezitation, sondern zur Verkörperung
eines Kunstwerkes zu erziehen": "Dazu kommt, daß es der modernen Jugend
nicht genügt, nur Publikum zu sein. Sie hat das Bedürfnis, ihre Gefühle
selbsttätig auszudrücken, sich selber darzustellen. Menschen, deren
Verlangen es ist, gemeinsam zu kämpfen, gemeinsam zu spielen, gemeinsam
das Leben zu gestalten, haben ein tiefes Verlangen, dieses
Gemeinschaftserlebnis im Kunstwerk wiederzugeben."22 Verteilt
auf zirka 200 Sprechrollen erzählt Kronbergs Stück die Geschichte vom
Kampf der österreichischen Sozialdemokratie gegen die reaktionären
Mächte. In schlagwortartiger, auf prägnante Aussagen reduzierter Form
werden markante Ereignisse der jüngsten österreichischen Geschichte
verlebendigt; im Mittelpunkt steht dabei der im Februar 1934
durchgeführte bewaffnete Aufstand des Republikanischen Schutzbundes
gegen die autoritäre Regierung von Bundeskanzler Dollfuß. Detailgenau
beschreibt Kronberg die Stationen des Kampfes bis zur brutalen
Niederschlagung des Aufstands durch Militär, Polizei und Heimwehr und
schließlich die standgerichtliche Hinrichtung der Arbeiterführer. Als
den "eigentliche[n] / Sieg der Staatsorgane" bezeichnet er das
Ausbleiben des Generalstreiks: "Der Generalstreik wird nicht
durchgeführt!!! Eisenbahner streiken nicht! Zeitungen streiken nicht! In
vielen Bezirken wird gearbeitet!" (S. 119) Als fiktionales Element fügt
Kronberg die Gestalten von Pierre Léon und Cornelia Thornwell aus Upton
Sinclairs Roman Boston in den Sprechchor ein, deren Aussagen er
als Kontrapunkt zu dem wiedergegebenen historischen Geschehen einsetzt.
Pierre Léons Rede proklamiert die Notwendigkeit des revolutionären
Kampfes gegen die kapitalistische Gesellschaft und liefert die
ideologische Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt im Widerstand
gegen die Unmenschlichkeit: "Wir wissen, daß Kapitalismus ein
Weltgemetzel nach dem anderen bedeutet! Und zwar unvermeidlich. [...]
Die kommunistische Anschauung wurde einmal so definiert: Nie zur Gewalt
greifen, bevor man nicht genügend Gewaltmittel zur Verfügung hat. Das
höfliche sozialistische Programm muß erst noch demonstrieren, wie man
zentimeterweise einen Tiger umbringt!" (S. 123)
Durch die gemeinschaftliche Aufführung dieses Stückes
sollten die Mitglieder des Kibbuz auf unmittelbare Weise mit dem Kampf
und dem tragischen Scheitern der österreichischen Arbeiter konfrontiert
werden. Indem die Grenze von Akteuren und Zuhörern aufgehoben wird,
werden die Darsteller zu Miterlebenden. Jeder einzelne Sprecher ist
zugleich handelnde Person des dramatisch erzählten Geschehens und
Adressat der mitgeteilten Inhalte. Kronbergs Ziel ist es, einen Beitrag
zur ideologischen und emotionalen Solidarisierung der palästinensischen
Chawerim [Genossen] mit dem internationalen Kampf der Arbeiterbewegung
gegen den Faschismus zu leisten. Im Jahre 1936, als der Sprechchor
geschrieben und aufgeführt wurde, sollte nach Überzeugung Kronbergs der
"Schrei der Freunde aus einem Winkel dieser Welt, in dem wir die Bezirke
kennen..." (S. 111), nochmals vernommen werden - in einem Jahr, in dem
dieser Kampf nichts an Aktualität verloren, sondern noch an Bedeutung
gewonnen hat. Die Erinnerung an die Geschehnisse in Wien sollte den
Widerstandswillen stärken, dem immer bedrohlicheren Vordringen des
Faschismus (ungenannt verbirgt sich hierin auch ein Hinweis auf den
Spanischen Bürgerkrieg) Einhalt zu gebieten: "Im Jahre
neunzehnhundertsechsunddreißig lebe ich! Im Jahre
neunzehnhundertsechsunddreißig höre ich das Brüllen aus allen Ländern
dieser Welt!" (S. 124) Der aus knappen, parataktisch aneinandergereihten
Ausrufsätzen konzipierte Sprechchor sollte die Kibbuzmitglieder
aufrütteln und sie am Beispiel der bürgerkriegsmäßigen Kampfhandlungen
in Österreich, von wo zahlreiche Chawerim des Kibbuz Givat Chajim
zugewandert waren, mit unmittelbarer Wucht mit den sozialen und
politischen Kämpfen in Europa konfrontieren. Zugleich provoziert
Kronberg die Zuhörer/Akteure zu einer diskursiven Auseinandersetzung
über die Möglichkeiten einer Bekämpfung des Faschismus, wenn er
unterschiedliche Rezeptionsweisen - von der isolationistischen
Selbstbeschränkung ("Haben wir nicht genug eigene Sorgen? / Nicht genug
eigene Kämpfe") über das unbeteiligte Beobachten ("Wir lesen von dem
Kampf in den Zeitungen. / [...] / Es rührt uns das Wort nur zum Reden
und sonst zu nichts") bis zur engagiert solidarischen Haltung ("Dann
kümmert der Kampf jeden Arbeiter in der Welt!! / [...] / Wir steigern
unser Leben durch diesen Kampf"; S. 121) - miteinander konfrontiert.
Indem Kronberg durch den appellativen Charakter seines Dramas eine
persönliche Stellungnahme jedes einzelnen Mitspielers und/oder Zuhörers
herausfordert, gelingt es ihm, seine Botschaft von der Notwendigkeit der
internationalen Solidarität im antifaschistischen Kampf auf ebenso
wirksame wie differenzierte Weise zu vermitteln.
Der Sprechchor Wien 1936 verdeutlicht das Engagement
Kronbergs für die Ziele der Arbeiterbewegung und seine Identifikation
mit der sozialistischen Idee. Sein Bestreben richtete sich jedoch vor
allem darauf, die Utopie von der Schaffung einer sozial gerechten Welt,
wie sie der Sozialismus vertrat, mit einer Erneuerung und zeitgemäßen
Adaptierung der religiösen Traditionen des Judentums zu kombinieren. Mit
einer solchen Konzeption, wie er sie etwa im dramatischen Text
Pessach im Kibbuz
vertreten hat, konnte er sich jedoch in dem weitgehend areligiös
ausgerichteten Kibbuzleben nur schwer durchsetzen, weshalb er den Kibbuz
nach zwei Jahren verließ und sich in Haifa niederließ. Als einen der
wichtigsten Gründe für Kronbergs Verlassen des Kibbuz nennt Reuwen
Kalisch, Chawer des Kibbuz Givat Chajim, das von ihm beklagte Fehlen der
religiösen Bindung innerhalb der Kibbuzgemeinschaft: "Schimon Kronberg
hat sich eigentlich nie an das Kibbuzleben assimiliert. So war er 1)
gegen die körperliche Arbeit in der israelischen Sommerhitze und 2)
gegen die Verletzung des Sabbates durch Wanderungen in der Umgebung.
Letzteres hielt er für 'unjüdisch', desgleichen Gartenarbeit nach
8stündiger Feldarbeit."23 Zudem war Kronbergs Begabung als
Gesangsleiter bekannt geworden, so daß er immer häufiger von anderen
Kibbuzim und Siedlungen eingeladen wurde, Feste zu leiten und Chöre zu
dirigieren. Ein Angebot der Histadruth (Gewerkschaft), in ihrem Auftrag
den Gemeinschaftsgesang in Palästina zu pflegen, veranlaßte ihn
schließlich, Givat Chajim zu verlassen. Allerdings erhielt er von der
Histadruth nicht die in Aussicht gestellte feste Anstellung, sondern
mußte sich als freischaffender Künstler seinen Lebensunterhalt
verdienen. Im März 1937 übersiedelte Kronberg nach Haifa, wo er im Haus
Feingold am Karmelberg (Hadar Ha-Karmel) wohnte; später bezog er eine
Wohnung in der Sea Road Nr. 124, Western Carmel. 1938 heiratete er seine
Lebensgefährtin Jael. In den folgenden Jahren war er hauptsächlich als
Chorleiter und Gesangslehrer tätig; neben dieser anstrengenden
beruflichen Arbeit, die ihn auf ständigen Reisen durch das Land führte,
schrieb er Lyrik, Prosatexte und mehrere Dramen, von deren Existenz
jedoch noch wenige seiner Bekannten etwas wußten.
***
Über Kronbergs Tätigkeit als Chorleiter geben Berichte von
Zeitzeugen Aufschluß; die wichtigste Quelle für diese Zeitspanne sind
jedoch die Briefe, die er 1946/47 an seine in Berlin zurückgebliebene
und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Salzburg übersiedelte zweite Frau
Herta und seinen Sohn Peter geschrieben hat und in denen er ausführlich
seine Lebenssituation, seine Nöte, Hoffnungen und Identitätskonflikte
beschreibt. Zumeist kam Kronberg erst spät nachts von anstrengenden
Busfahrten nach Hause oder mußte in den Siedlungen übernachten, wo er
Chöre leitete und Feste veranstaltete. Den Ablauf eines solchen Festes
beschreibt er in einem Brief an seinen Sohn:
"Chorfeste sind Zusammenkünfte der Chormitglieder bei
bestimmten festlichen Gelegenheiten (fröhliche Feier- oder Gedenktage)
bei denen die Chormitglieder, einzelne oder als Chor sich vortragend
betätigen und die im Tanzen ausschwingen (Grammophon, Radio, Kapelle).
Manche sind bescheiden (siehe Grammophon) einige ganz großen Ausmaßes.
So kam ich heute von so einer Gedenkfeier (8tes Jahresfest des Chors
einer Siedlung ehemaliger Deutscher in Pal[ästina].). Sie begann (in
einem großen Kinosaal mit Bühne) mit einer Ansprache Deines Vaters,
wurde fortgesetzt mit dem Vortrag dreier Chorlieder (Dirigent Dein
Vater) und gipfelte in zwei Bühnenstücken, von denen das zweite eine
Operette war. (Dein Vater war begeisterter Zuhörer.) Darnach Tanz mit
guter Jazzkapelle, Bar etc. Dieses Jahresfest ist schon von lokaler
Berühmtheit [...]. Es war ein großer Erfolg und wurde 3x (an 3 Abenden)
gegeben."24
Vermutlich handelt es sich bei dieser Beschreibung um das
Jahresfest des Chors der 1934 von deutschen Juden gegründeten, an der
Mittelmeerküste nördlich von Akko gelegenen Siedlung Nahariya25,
über das wir weitere Aufschlüsse aus den Erinnerungen von Fritz Wolf
erhalten: "Es gab, ungefaehr um die Jahre des zweiten Weltkriegs herum,
einen 'Nahariya-Chor' mittlerer Qualitaet und Groesse, dessen Leiter er
[Kronberg] war. Das Repertoire bestand in einfachen mehrstimmigen
Chorliedern israelischer, aber auch 'klassisch-romantischer'
Komponisten, alle in Ivrith (Hebraeisch) gesungen. Jedes Jahr
veranstaltete dieser Chor ein Chorfest. Dabei kamen weniger die Lieder
des Chors als die Sketchs und Chansons einiger musikalisch und
dichterisch recht begabter Chormitglieder zum Vortrag. Diese Chorfeste,
bei denen Schimon Kronberg freilich stark in den Hintergrund trat, waren
sehr beliebt und gut besucht. Die Sprache war, von den 'offiziellen'
Liedern abgesehen, ausschliesslich deutsch, denn die Chormitglieder
waren in der ueberwiegenden Mehrzahl deutsche Einwanderer, wie
ueberhaupt Nahariya eine Gruendung deutscher mittelstaendischer Juden
war."26
Kronberg war unermüdlich als Volksbildner, Gesangslehrer
und Chorleiter tätig. Außer seinen zahlreichen Aktivitäten und
Auftritten in den Siedlungen gab er Privatunterricht für Gesangsschüler27,
war auch in Heimen und an Schulen tätig (Schulgesang und
Festveranstaltungen) und brachte Schülern die Lieder der jüdischen Feste
bei, etwa des Schawuot-Festes (Fest der Ernte und der Erinnerung an die
Offenbarung am Sinai): "die Kinder trugen Blumenkränze, und brachten
ihre Fruchtgaben in Körben, klassenweise, jede Klasse mit einem eigenen
Lied, das die ganze Gesellschaft wiederholte. Es ist ein sacrales und
nationales Fest diese Erste-Frucht-Weihe, ein Fest der fruchtbringenden
Erde."28
Die Aufgabe, "den Menschen Fröhlichkeit zu bringen", bereitete Kronberg
zwar Genugtuung, war jedoch mit großer Anspannung und der Notwendigkeit
zu ständiger geistiger Konzentration und psychischer Ausgeglichenheit
verbunden, wobei es darauf ankam, immer wieder aufs neue Menschen zu
gemeinschaftlichem Singen zu inspirieren. Das hauptsächliche
Betätigungsfeld Kronbergs war der Gemeinschaftsgesang (schira bezibbur,
community singing):
"Für viele Stunden Warten, Autobusfahrt, Warten (quasi in
einem luftleeren Raum des Wartens), ist dann der Augenblick, an dem die
Arbeit zu Ende ist und ich entspannt auf das Vehicel warte, das mich
zurückbringt, die Belohnung. Ein Vortragender, ein Solist haben es
leicht. Sie absolvieren ihre Sache, gut, schlecht - fertig. Ich aber muß
mit einem Instrument arbeiten, das ich mir erst stimmen muß, auf dem ich
- meist gegen seinen Willen, gute Töne hervorbringen muß, ein
Instrument, daß [sic!] ich erst im Augenblick, da meine Arbeit beginnt,
kennen lerne - und das immer wieder verschieden von allen anderen ist,
die ich bisher kennen gelernt habe. Meine Reputation verlangt, daß ich
immer wieder Erfolg habe. Mein Ruf bestätigt den Erfolg. So wurde diese
Arbeit, einmal angefangen, Sporn zu ständiger Konzentration,
Willensanstrengung. Psychologie der Masse, intuitives Erfassen der
Mittel, mit denen die Trägheit der mit Feiertag beladenen Menschen zu
besiegen ist und ein angeborenes Talent für diese Arbeit, bringen den
Erfolg."29
Welch große Wirkung von Kronbergs Persönlichkeit und seinem
Gemeinschaftsgesang ausgegangen ist, bestätigen Berichte von
Mitwirkenden seiner Aufführungen: "Seine Stärke war 'Schira bezibur' was
übersetzt heisst Gesang mit dem Publikum. Wer kam sang mit und viele
wurden so zum Mitsingen gebracht" (Hannah und Benjamin Jeremias)30;
"Damals wurde in Haifa ein Gemeinschaftssingen veranstaltet, und zwar
jeden Dienstag abend von 8-10 Uhr in einem Saal, genannt 'Beitenu' in
der Hechalutzstr. Shimon Kronberg hat das geleitet. Wir haben jede Woche
ein neues Lied gelernt. Er hat das so hervorragend geleitet, mit viel
Schwung und Humor, und er wurde von allen geliebt" (Miriam Lion)31;
"Ich [...] habe aber fast alles vergessen, ausser wie er vor uns stand,
und uns die ersten hebraeischen Lieder beibrachte. Gross, [...]
weisshaarig und Brille, voll Bewegung und Begeisterung. Er kam auch hier
in den Kibbuz Alonim. [...] Ich singe die Lieder noch und brachte sie
meinen Kindern und Enkeln bei. Erzähle auch von Simon, wie er in einem
komischen Hebraeisch uns erklaerte was die Lieder meinten" (Sabine
Lindenbaum)32; "Er versammelte eine Anzahl Arbeiter, schrieb
ihnen den Text des neuzuerlernenden Liedes auf eine Tafel auf [...] und
sang ihnen dann das neue Lied mit seiner kräftigen Stimme vor, dabei auf
jede instrumentale Begleitung verzichtend. So sang er, den weissen Kopf
zurückgeworfen, mit ewig offenem Hemdkragen und den leuchtend-spottenden
graublauen Augen und schon nach wenigen Augenblicken sangen alle, die am
Beginn so skeptisch dreingeschaut hatten, freudig mit" (Ard Feder)33;
"Und er mit seinem chassidischen Gesang reißt uns mit - Er ist es der
singt, der begeistert, der lehrt, der bewegt. [...] Er war der Mensch,
der dich bei den Haaren gezogen hat und nicht mehr los ließ - bis du du
selber sein wirst. Dein Kopf fing an zu zittern. Dein Herz war
mitbewegt. [...] Und doch [...] sah ich, Schimon hält irgend etwas
zurück das nur ihm gehörte - und kein zweiter kann es verstehen - oder
du folgst ihm in eine zweite, höhere Welt. Wir kannten Schimon nur von
seinem Singen. - Wir kannten ihn nicht als Dichter oder Schriftsteller"
(Alfred Moses).34
Bei seinen volksbildnerischen Initiativen kamen Kronberg
seine Ausbildung zum Phonetiklehrer und die Teilnahme an den Heinrich
Jacoby-Gesangskursen, die er 1925 bis 1928 in Berlin besucht hatte,
zugute. Heinrich Jacoby (1889-1964), der von 1924 bis zu seiner 1933
erfolgten Emigration in die Schweiz musikalische Arbeitsgemeinschaften
in Berlin geleitet hat, an denen nicht nur Musiker, sondern auch
Schauspieler, Künstler und Pädagogen teilgenommen haben, schöpfte seine
Ideen wie Kronberg aus dem Studium der Methode der 'rhythmischen
Gymnastik' von Emile Jaques-Dalcroze, an dessen Bildungsanstalt in
Hellerau er unterrichtet hatte. In Weiterentwicklung dieser Methode
entwarf Jacoby die Idee der "schöpferischen Musikerziehung", die darauf
beruht, "das ursprünglich Schöpferische" im Menschen zu beleben, um "die
Hemmungen, die den Menschen 'unmusikalisch' erscheinen lassen", zu
überwinden und "die Entwicklung des Selbstvertrauens" und der
'Selbsttätigkeit' zu fördern.35 In Kronbergs Konzeption des
Gemeinschaftsgesangs flossen Anregungen aus Jacobys Musikpädagogik
ebenso ein wie Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit als Phonetiker:
Kronberg absolvierte 1914/15 bei Hedwig Peuchen in Düsseldorf eine
Ausbildung zum Phonetiklehrer; in dieser Funktion erteilte er
Privatstunden, hielt Vorträge an Schulen und befaßte sich mit dem
Problem einer Zusammenführung von Phonetik, rhythmischer Gymnastik und
Schauspielkunst: "Studium der Laute, verbunden mit Schulung des Körpers.
Da keine Übung für sich allein gilt, sondern vom Triumvirat Körper,
Stimme, Sprache die Bänder zieht, kann auch keine phonetische Übung ohne
stimmtechnische, ohne gestenbildende Anweisung vor sich gehen; so wird
jede phonetische Übung in Rhythmus, in Atemweg und -Einteilung, in
begleitender Geste ihre bestimmten Richtmaße haben."36
Ergänzend dazu entwickelte er in seinem Tagebuch die Idee zu einer
"rhythmischen Gymnastik der Sprache", die den Sprechakt als
Ausgangspunkt zur Gestaltung eines Sprach-Kunstwerks begreift.37
Auf synkretistische Weise konzipierte Kronberg in späteren
Jahren aus all diesen Einflüssen, Bildungserlebnissen und eigenständigen
Fortentwicklungen seine Version von 'schira bezibbur'. Die Anregung zum
Selbstsingen hat für Kronberg eine über die Musikpädagogik
hinausführende Bedeutung: Zunächst sollte durch das Selbstsingen - die
Ideen Heinrich Jacobys aufgreifend - das 'Selbstvertrauen' gestärkt
werden.38
In erster Linie jedoch verstand er den Gesang als primäres Ausdrucksmittel
des jüdischen Menschen: durch die Aktivierung jedes einzelnen zum
Mitsingen sollte der Anschluß an die ursprüngliche jüdische
Musikauffassung gefunden werden, die auf der Improvisationsfähigkeit des
Sängers und auf der Überwindung der Scheidung in Vortragende und Zuhörer
beruht: "Darum ist die Freude der menschen in Haifa, der poalim, mit
denen ich singe, echt und richtig: sie dürfen endlich selber singen, sie
brauchen nicht bloß zu genießen. In diesem Zusammenhang wird
verständlich, warum ich gegen vierstimmigkeit bin, gegen Orchester bin,
gegen Notenlernen bin, warum ich lieber lange damit warte, lieber das
Ohr sich zu sich entwickeln lasse, die eigene stimme dem menschen
vertraut werden lasse -".39 In einem Brief an Elieser
Lubrani, dem er den Vorschlag unterbreitete, 'schira bezibbur' im
Jerusalemer Rundfunk zu senden, bezeichnet er den gemeinschaftlichen
Gesang als identitätsbildendes Medium, das "etwas in unser Leben
hinüberrettet, was einmal Eigentum einer jüdischen Gemeinschaft war: die
Möglichkeit zur Freude, nicht ausgelöst von Einem und hingenommen von
der Menge (üblicher Konzert- und Vortragsbetrieb) sondern aufgebaut aus
Selbstarbeit der vielen Einzelnen, gemeinsam zu einem bestimmten Ziel
(diesmal - nicht zufällig - das gemeinsame Erlernen eines hebräischen
Liedes oder Nigguns)."40
Eine Stärkung des Selbstvertrauens durch Lied und Fest bedeutete für
Kronberg die Voraussetzung zur Herausbildung des 'neuen jüdischen
Menschen':
"und der junge jüdische mensch wird aufgerufen:
alles was war, die grösse, die stärke, die hoffnung hat für
diesen jungen jüdischen menschen nur dann einen sinn, wenn es von neuem
erarbeitet wird: er nimmt in gross gaglow einen spaten zur hand,
verbrüdert sich mit einem stück erde, lernt das gespräch mit der erde in
gemeinschaft mit andren jungen jüdischen menschen [...]
und
kommt dann, körperlich müde, seelisch erfrischt
mit
dem tonfall des alten vaters: niggun vom feld
ein
neuer jüdischer mensch! er lebt!
diskutiert er dann, lernt er dann, so lernt
er von seinem eigenen leben.
und
nach dem diskutieren, nach dem lernen muss er
singen und tanzen!!
wo
bleibt die rolle des erwachsenen in diesem spiel?
der
erwachsene soll die worte lernen und lernen sie mit inbrunst zu
sprechen, sie zu dem jugendlichen zu sprechen: du lebst! mit dir will
ich ein mensch sein, will es jüdisch sein!"41
Wenngleich ihm der Gemeinschaftsgesang mit den arbeitenden
Menschen der Kibbuzim und Siedlungen Freude und innerliche Befriedigung
bereitet hat, strengte ihn diese Tätigkeit sehr an, so daß ihm zu wenig
Zeit für seine literarische Arbeit blieb. Die Unzufriedenheit mit dieser
Situation ("ich wünsche - statt mit Kreti und Pleti zu singen - in Ruh
gelassen zu werden")42 wurde durch die ständige Unsicherheit
in seiner Position als freischaffender Künstler noch verstärkt: "dabei
muß ich ständig in den Auto-Bussen unterwegs sein, zwischendurch meine
Arbeit machen, die viel Ähnlichkeit mit Schwer-Athletik hat; naß durch
und durch muß ich dann wieder in den Autobus, dessen Fenster - natürlich
- alle offen sind, um wundervollen Durchzug zu gewähren - während sich
alle freuen, sitz ich ängstlich da, bemüht, die kühle Luft von meinen
empfindlichen Stimmorganen fernzuhalten [...]. Einige Institutionen, für
die ich arbeite, gewähren mir bezahlten Urlaub - die anderen denken
nicht daran: und ich bin doch ein freier Künstler, frei, jede Arbeit
abweisen zu können, frei, nicht essen zu müssen, wenn ich nicht will."43
Und an anderer Stelle schreibt er: "Ich hab einen freien Beruf - da kann
man nichts machen. Jeder, der will, kann kommen und mich zur Arbeit
anfordern. Ich kann zwar jedesmal, theoretisch, nein sagen; praktisch
muß ich froh sein, Geld verdienen zu können. Ich träume von einer Zeit,
die mir erlaubt, meinen Tag, Abend und die Nacht nach eigenem Ermessen
auszufüllen. Dazu gehört ein Arbeitsraum, nur ein Arbeitsraum.
Daneben ein Schlafraum. Essen, wann ich will. Schlafen, wann ich will.
So wenig wie möglich unter Menschen gehen."44 Seine unsichere
materielle Lage - ohne festes Gehalt und Sozialversicherung - und
ständiger Schlafmangel, da er oft erst spätabends von den Ausfahrten
zurückkehrte und ihm die literarische Arbeit nur in der Nacht möglich
war, belastete ihn ebenso wie ein tiefempfundenes Gefühl der Einsamkeit:
"Wenn man Dich fragt, was für eine Arbeit das ist, könntest Du
antworten: er macht andere Menschen fröhlich. Der Mann singt und macht
alle mitsingen und so, daß sie große Löffel Fröhlichkeit schlucken.
[...] Dabei ist die Reaktion unausbleiblich; ich bin ein einsamer
Mensch, ein eingebildeter Narr, oft böse mit Worten, ohne Freunde,
empfindlich oft und das so stark, daß ich zu Zeiten es nicht ertrage,
mit anderen Menschen (und sei es nur einer) im gleichen Raum zu sein.
Hunderten Menschen gegenüber werde ich zu einem guten Instrument.
Einem gegenüber zu einem äußerst empfindlichen."45
Trotz seiner ärmlichen Verhältnisse unterstützte Kronberg
seine in Berlin lebenden Familienangehörigen, sandte ihnen
Gebrauchsgegenstände und Bücher und bemühte sich darum, daß sie mit
Care-Paketen aus den USA versorgt wurden. In einem Brief an Herta
Kronberg entwarf er ein - wenn auch selbstironisch formuliertes -
Selbstporträt, das die äußere Not, gegen die er ständig anzukämpfen
hatte, und die beschwerlichen Umstände seiner Lebensverhältnisse
besonders drastisch wiedergibt:
"Ein paar Mal habe ich Dir angedeutet, daß ich, im
Gegensatz zu allen Menschen, mit denen ich bei der Arbeit oder sonst
zusammenkomme, wie ein heruntergekommener, oder besser wie ein nicht
hinaufgekommener Künstler (lies Vagabund) aussehe. Manchmal bietet mir
einer abgelegte zerrissene Schuhe an [...], dann andere einen von
Herrschaften abgelegten Anzug eines feisten Mannes (der schon einmal von
dieser Herrschaft gewendet worden ist) (ich ließ ihn von einem kleinen
Schneider halbwegs auf mein Maß zurückschneidern, stöhnte ob des Geldes
und trug ihn). Einmal kaufte ich von einer Frau, deren Mann gestorben
war, 2 Hemden, billig; ein einziges Mal -, ich war der vielen alten
Schuhe vor zwei Jahren müde geworden - kaufte ich mir ein Paar Stiefel.
Ich habe mir noch nie - solange ich in Pal[ästina]. bin - ein Paar
Socken, Unterhosen gekauft, von Anzügen gar nicht zu reden. Nur so
billige Khakihosen und Blusen, die hab ich gekauft. Man kann (man
muß nicht) hier so herumgehen. Ich habe keine gesellschaftlichen
Verpflichtungen, das Wetter ist dementsprechend. Zwar, ich muß Dir
gestehen: ich bin manchmal... müde. Ich weiß genau, wie schön es ist und
nützlich und Eindruck schindend (auf andere Menschen) und Nerven
sparend, gut angezogen zu sein. Vergiß nicht, ich bin fast immer
unterwegs [...]. Ich werde 56 Jahre und versuche, mich auszulachen. Ich
habe zwar den Krieg nicht verloren, auch keine gute Existenz eingebüßt.
Ich bin ein harter Arbeiter geworden. Das Leben ist hier immer teurer
geworden. Ich wage es nicht, Geld auszugeben (für mich.) Ich gehe
monatelang herum, ohne mir die Haare schneiden zu lassen. [...] Dieses
Leben lebe ich jetzt 13 Jahre."46
Als
seine 'eigentliche' Arbeit empfand Kronberg die Fortsetzung seines
literarischen Schaffens. Er litt darunter, daß ihm für das Schreiben
seiner Gedichte und Dramen allzu wenig Zeit blieb: "Nur, wenn ich abends
am Schreibtisch sitze und bedenke, wie die Zeit mir abgeht (und die
Kraft), in Ruhe meine eigene Arbeit zu leisten und die Anderen Andere
sein zu lassen, dabei sie zu verhindern, sich um mich zu kümmern - dann
empört es sich in mir - bis ich mich selbst auslache und am nächsten Tag
von vorne anfange mit der Fron."47 Außer dem Zeitmangel
bedrückte ihn der Boykott der deutschen Sprache, die im Palästina der
dreißiger und vierziger Jahre als verpönte Sprache, als Sprache Hitlers
und der Judenverfolgung galt, weshalb er keine Chance sah,
Veröffentlichungsmöglichkeiten und Publikum für seine Werke zu finden:
"Daneben läuft die Arbeit des - in deutscher Sprache Dichtenden. Das
bedeutet in einem Land, das von der deutschen Sprache nicht viel wissen
will, eine Komödie - und ich bin der Wurschtl darin. Vielleicht wird es
in den nächsten Jahren, wenn die Grenzen um die Länder, die deutsch
sprechen, nicht so hermetisch verschlossen sein werden, anders, besser.
Ich habe wenigstens nie gehungert."48 Doch auch innerhalb der
kleinen Kreise, die über das literarische Schaffen Kronbergs Bescheid
wußten, fand er nur wenig Widerhall, da Sprache und Form seiner vom
literarischen Expressionismus beeinflußten Texte auf wenig Verständnis
stießen. Kronberg verstand sich als "einer [...], dessen Talent gegen
die herrschende Strömung sich äußert"49, und dessen Werke als
"zu 'modern'" gelten50: "Wenn ich draußen Erfolg haben werde,
werden die hier in Palästina nachhinken. Meine Art zu arbeiten, schreckt
sie einstweilen. Sie sind es nicht gewöhnt, daß einer seine eigene Form
wahrt. Weicht die nur wenig von der der Heerstraße ab, schreien sie: das
versteht das Publikum nicht."51 Behaftet mit dem "Stempel des
Außenseiters"52, konnte sich Kronberg zwar nur schwer in das
entbehrungsreiche palästinensische Leben einordnen, er identifizierte
sich jedoch voll und ganz mit dem Aufbauwerk des jüdischen Staates und
mit "Arbeit und
Mühen und Erfolg der Gesamtheit", zu denen er selbst durch
seine erzieherischen und künstlerischen Leistungen Wesentliches
beigetragen hat: "Ursprung dieser Arbeit, dieser Mühen und dieses
Erfolgs ist zutiefst verankertes Gefühl für 'Frieden' (der übliche Gruß
ist hier 'Frieden'.) Mir scheint, nur so ist alles hier bei uns zu
begreifen,
alles, auch Schlimmes (wo gibt es das nicht). [...] das, was heute am
Worte 'Jude' zu ehren ist, ist das Leid und der Wille zum
dennoch leben."53
In Haifa gehörte Kronberg einem privaten Künstlerkreis an,
der sich 'Mittwoch-Abend-Gesellschaft' nannte, dessen Protokolle von ihm
geführt wurden und dem unter anderem der Regisseur Ard Feder und die
Pianistin Gertie Reiner angehörten.54 In diesem Kreis fand er
ein - wenn auch kleines - Publikum, dem er seine literarischen Werke
vortragen konnte. An die Atmosphäre dieser Abende erinnert sich Ard
Feder:
"Nur im engsten Freundeskreis konnte er sich mit seinem
schmetternden Lachen aus dem Absurden seiner Doppelexistenz befreien.
Sie wird ihn mehr Kräfte gekostet haben als er sich ansehen liess, denn
er litt auch noch unter dem starken inneren Druck des Bewusstseins ein
deutschschreibender Dichter in einem jüdischen Land zu sein - man
bedenke, es waren die Kriegsjahre! [...] Der überherrschende Eindruck,
den er machte, war der eines vitalen, lebefreudigen ja fast
lebemännisch-gewandten Menschen, ein Bild, das eigentlich nicht ganz zu
seinen Dichtungen passte und das ich als einen Teil seiner nach aussen
hin schauspielerischen Natur erkennen lernte. Er las uns seine Gedichte
und Dramen, sobald er sie auf seiner altmodischen Schreibmaschine in der
Endfassung niedergelegt hatte, gern und sehr plastisch vor. Die Entwürfe
behielt er sich übrigens, weil er davon überzeugt war, dass sie 'noch
einmal Geld aufbringen würden' wie er sehr ernst - oder war auch das nur
Spott? - meinte."55
***
In
dem 1937/38 entstandenen und am 26. April 1938 abgeschlossenen
vieraktigen Drama Ehud. Ein Richter in Israel56 setzte
Kronberg - transponiert in die symbolische Sprache des Mythos - dem
zionistischen Aufbauwerk ein literarisches Denkmal, das zugleich als
Gründungsmythos des Staates Israel und als prophetische Mahnung vor
einer realpolitischen Verengung der zionistischen Ideale interpretiert
werden könnte. Das Drama thematisiert den Kampf des Richters Ehud gegen
den Moabiterkönig Eglon, der im dritten Buch der Richter (Richter
3, 12-30) beschrieben wird. Ehud war es gelungen, die Moabiter, die
Jericho erobert und die Israeliten achtzehn Jahre lang zu
Tributzahlungen gezwungen hatten, hinter den Jordan zurückzuwerfen; die
endgültige Besiegung der Moabiter gelang jedoch erst König David. Der
biblische Bericht war für Kronberg lediglich als Ideenmaterial von
Interesse, das ihm Gelegenheit bot, eine Vision vom Kampf des Volkes
Israel gegen Fremdherrschaft und für soziale Gerechtigkeit in machtvolle
Bilder umzusetzen. Er zeichnet den in der Bibel als Linkshänder
beschriebenen Ehud, der die Waffe mit beiden Händen gebrauchen konnte,
als stummen, verkrüppelten, von den Bürgern verachteten Außenseiter,
dessen Befreiungstat in eine Sozialrevolution mündet. In den Notizen zum
Entwurf des Schauspiels, das er als "drama eines volkes, dem ein fremdes
auf dem nacken sitzt", bezeichnet, entwirft Kronberg eine detaillierte
Charakterstudie des Helden:
"ehud
[...], der der mutter entläuft, dem haß, der verachtung, der angst - der
dieser aus allem diesem gemischten liebe dieser mutter entläuft (hin zu
der einsamkeit, dem vorherbestimmten platz), der abgott der kinder, der
jungfrauen, der heldenträumenden geschöpfe / ehud, dessen nabel von der
schnur träumt und ihr das mysterium andichtet: der brücke zur
unendlichen ruh, der stufe zum nachhausekommen / der schweigende - denn
welche sprache drückte wohl all dies aus? [...] er ist wie einer, der
aus großem jammer stumm und ohne weite sicht geblieben ist: so einer,
eingeschlossen in ungerechtigkeit hat keinen raum für seine mutter, für
den nebenmenschen, für das volk - er sieht nur sich, ist wie ein stein,
der rollen muß auf einer schiefen ebene - und wehe dem, der ihn dabei
behindern will. der sinn? vielleicht ist das der sinn dieses lebens, zu
fallen und zu schlagen, was erschlagen werden soll - ein werkzeug gottes
der die bitterkeit erschuf und diese seinem menschen schenkte - oh
auserwählter ehud! der aufenthalt, der mord, dieses erschlagen, diese
tat, die ihm, dem von geburt elenden fallenden mitgeboren war, hält ihn
nur kurz auf - verändert ihn nicht, den fallenden, er tut, und fällt,
weiter, tiefer, immer wieder - denn da ihn gott erst nach dem tode
umschafft, hat er den jammer solange er lebt und trägt ihn fallend."57
Ehud ist die paradigmatische Figur eines Ausgegrenzten.
Körperlich verkrüppelt staut sich in ihm der Haß auf eine Gesellschaft,
die ihn ausgestoßen hat. Er flieht die Menschen und zieht sich in die
Abgeschiedenheit zurück; als letzte Konsequenz seiner sozialen
Verweigerung verzichtet er auf die Sprache: er ersetzt Sprache durch
Tat, Kommunikation durch Handeln, Diskussion durch Gewalt: "Ehud, Sohn
des Jair! Das schöne wilde Tier. Das sich Absondernde. Der stumme Mund
in Israel. Von Gott getroffen von Geburt. Seine Mutter schreit noch
heute in Erinnerung. Man sagt, daß Kinder ihn lieben, Alte ihn
fürchten." (S. 143) Die Rolle des prophetischen Verkünders, der den
Taten Ehuds Stimme verleiht, übernimmt der vom Volk als 'Bettler',
'Mahner' und 'Narr' bezeichnete Prophet Chasán. Mit der Namensgebung
dieser Gestalt verweist Kronberg auf die Hauptfigur seines zwischen 1916
und 1920 entstandenen Prosazyklus Chasán, der einen Mittler
zwischen Gott und den Menschen, zwischen Transzendenz und Immanenz
verkörpert.58 Der Name Chasán leitet sich von der Bezeichnung
des Vorsängers (Vorbeters) in der Synagoge ab; im Mittelalter übte der
Chasán, der die Gemeinde beim Gebet vertritt, häufig die doppelte
Funktion eines Sängers und Dichters aus, der eigene Dichtungen verfaßt
und zum Vortrag gebracht hat.59
In der Gestalt des Dichter-Sängers, der seine Dichtung als
Gottesverkündigung versteht, fand Kronberg das Symbol einer imaginativen
Selbstinterpretation, die ihm die Möglichkeit bot, Chiffren der
jüdischen Identitätssuche zu entwerfen. Im Drama Ehud tritt
Chasán als Begleiter und Verkünder Ehuds auf, der den Krüppel als 'Licht
für Israel' preist und dessen künftige Befreiungstat prophezeit. Chasán,
der bereits bei der Geburt Ehuds als ekstatischer Tänzer anwesend war,
verkündet der Mutter Ehuds und dem Volk Israel die 'frohe Botschaft' (S.
135) von der Auserwähltheit des Knaben: "Ehud! Gesegnet und erwählt vor
allen Kindern in Israel!" (S. 138) Chasán ist der Bote des Retters, der
Israel befreien wird; in ihrer Funktion verhalten sich Chasán und Ehud
zueinander wie das (antizipierende) Wort und die Tat. So heißt es in
Kronbergs Vorstudien: "was ist ihm schon dieser chasán: ein
aufgefangener laut, ein erhaltenes wort, ein verstandener satz - ein
anfang in diesem immer wieder neubeginnenden leben. er hört, versteht,
tut, geht -".60 Für den in räumlicher und psychischer
Isolation - abgeschieden von den Menschen und eingesponnen in seine
eigene (Traum-)Wirklichkeit - lebenden Ehud sind das Wirken und die
Worte Chasáns lediglich als auslösendes Moment von Bedeutung; größere
Wirkung entfaltet jedoch die nach außen gerichtete propagandistische
Tätigkeit Chasáns, die das Volk zum Widerstand gegen die Fremdherrschaft
aufruft.
Die Worte Chasáns und die Taten Ehuds finden vor allem
unter den Außenseitern der Gesellschaft - den Bettlern, Besitzlosen,
Krüppeln, Schwachen, Entrechteten und Unterdrückten - Anhängerschaft,
während sich die Bürger mit der Fremdherrschaft arrangieren und den
"Frieden um jeden Preis" (S. 141) wünschen. Für jene Szenen, die die
Haltung des Volkes wiedergeben, verwendet Kronberg die Form des
Sprechchors, die eine größere, für die Haltung des Kollektivs
repräsentative Anzahl von Sprechern zu Wort kommen läßt. In den
Wortmeldungen der Bürger und Soldaten spiegelt sich die Furcht vor
Veränderung, die kleinbürgerliche Sehnsucht nach einem Leben in
Bequemlichkeit und die selbstgefällige Zufriedenheit der Kollaborateure
wider: "Hat man uns nicht oft genug erzählt, der Sinn des Lebens sei der
Frieden, sei Arbeit, Essen, Kinderkriegen?!" (S. 150) In den Vorstudien
des Dramas beschreibt Kronberg das Verhalten der Israeliten, die sich
mit dem behaglichen Leben unter der moabitischen Okkupation arrangiert
haben, so: "man war daran gewöhnt: abgaben an moab, opfer für moabs
götter, übermut der feistgewordenen moabiter, verweichlichung der
israeliten durch 80 jahre frieden, verführung, schwächung der israeliten
durch moabs frauen, (außerachtlassen) vergessen aller eigenen werte und
einrichtungen."61
Das Volk ist - durch Vergreisung und Kontakte mit moabitischen Frauen -
vom Verlust seiner Identität bedroht. In dieser Situation soll die Tat
Ehuds die Befreiung und die Erneuerung des Volkes ermöglichen. Ehud ist
jedoch nicht als heroische Befreiungsgestalt, sondern als ambivalenter
Held gezeichnet: Seine Tat, die Ermordung des Moabiterkönigs Eglon und
die Vertreibung des moabitischen Heeres, löst eine nationale Euphorie
des jüdischen Volkes aus und führt in der Folge zu einer
Sozialrevolution. Da sich der Richter Ehud nach der Ausführung seiner
Tat wieder in die Einsamkeit zurückzieht, bleibt die Herrschaft der
alten (bürgerlichen) Eliten zunächst unangetastet. Erst die Verurteilung
zweier Bettler, der "einzigen in Israel, die Ehud suchten, nach ihm
schrien" (S. 163), die von den Bürgern wegen ihrer als subversiv
eingeschätzten, die bürgerliche Ordnung störenden Suche nach Ehud
gesteinigt werden sollten, ruft den Richter zurück, um sein
Befreiungswerk durch eine soziale Revolution zu vollenden: "Vor den
Steinen bückte er sich zur Erde und ergriff einen Stein. Und wog ihn in
der Hand. Und nach ihm bückten die beiden Alten sich zur Erde. Und jeder
von ihnen nahm einen Stein. Als wäre das ein Zeichen und verabredet,
kamen aus dem Volk die Zerlumpten, die Bettler hervor und jeder von
ihnen nahm einen Stein. Ehud warf den ersten Stein. Da schrien die
Entrechteten, es schrien die Armen und warfen die Steine und
steinigten... die ehrenwerten Bürger Israels!, die Richter sein wollten
gegen Gott! Als die Edlen in Israel erschlagen am Boden lagen, ging
Ehud, so wie er gekommen war, dorthin, woher er gekommen war. Chasán war
nicht mehr zu sehen. Seitdem sucht ganz Israel nach dieser Spur von
Gott, nach seinem Richter Ehud!" (S. 163f.) Wenngleich sich Kronberg der
Ambivalenz und Einseitigkeit in Charakter und Verhalten Ehuds bewußt
ist, sympathisiert er mit den 'Zerlumpten' und 'Bettlern', die die
'Edlen' steinigen und die lebensfeindliche bürgerliche Ordnung stürzen.
Somit denkt er den biblischen Bericht, der mit der Vertreibung der
Moabiter und der knappen Mitteilung einer darauffolgenden
achtzigjährigen Friedenszeit endet, weiter und verknüpft das Geschehen
der Vorzeit mit einer aktuellen sozialkritischen Aussage.
Kronberg verwendet die biblische Geschichte als Spiegel, in
dem er seine Interpretation von der gegenwärtigen Situation des
Judentums, seiner Chancen und Gefährdungen wiedergibt. Imaginäre
Assoziationslinien von der Frühgeschichte zur Gegenwart durchziehen das
gesamte Drama: so etwa verweist die Schilderung des von Trägheit und
Indolenz geprägten Lebens der Israeliten unter der moabitischen
Herrschaft (die Kronberg, um die Drastik seiner Darstellung zu
verstärken, von der in der Bibel erwähnten achtzehnjährigen Dauer auf
achtzig Jahre erhöht) ebenso auf das fremdbestimmte Leben der Juden in
der Diaspora wie auf die Situation der zionistischen Pioniere unter der
britischen Mandatsverwaltung in Palästina; im Wunsch der Bürger nach
einem 'Frieden um jeden Preis' verbirgt sich die Kritik an der
Appeasement-Politik Großbritanniens gegenüber Hitler-Deutschland; die
satirische, den Topos der Schlachtbeschreibung ins Lächerliche
verzerrende Darstellung der Kampfunlust, Feigheit und des Wankelmuts des
Volkes, das seine Ideale und Hoffnungen auf Kosten der Bequemlichkeit
opfert und dem jeweils Siegreichen zujubelt, beinhaltet - abgesehen von
der prinzipiellen, massenpsychologisch motivierten Bedeutung dieser
Aussage - eine Kritik am Verhalten der herrschenden Eliten in Palästina.
Mit der Dramatisierung der Ehud-Geschichte richtet Kronberg einen Appell
an die jüdischen Bewohner Palästinas, der sie an die Notwendigkeit
erinnern sollte, im Kampf um die Erringung der nationalen
Selbständigkeit den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit nicht außer acht
zu lassen. Kronbergs Engagement für die Benachteiligten der Gesellschaft
und seine Verachtung für das nützlichkeitsorientierte,
menschenverachtende Verhalten der 'ehrenwerten Bürger' verdichtet sich
in der Vision von der Vernichtung der 'Edlen' durch den Aufstand der
Entrechteten, mit der er das Drama schließt. Der von einem
Schuhmachermeister gesprochene Schlußsatz des Dramas: "Sie werden lange
Zeit kein Unrecht tun!" (S. 164), bringt jedoch die skeptische Haltung
des Autors zum Ausdruck, daß jede Revolution nur eine kurzfristige
Erneuerung initiiert und vor ihrer Verflachung bewahrt werden müsse,
indem das soziale Engagement beständig wachgehalten wird. Ehud, der
Kämpfer gegen Moab und Held der Ausgestoßenen, wird so zu einer
Symbolfigur im Kampf gegen Ungerechtigkeit. In Form einer
Weiterentwicklung biblischer Urbilder solidarisiert sich Kronberg mit
den Bestrebungen der zionistisch-sozialistischen Pioniere in Palästina
und versucht gleichzeitig, diesen Bestrebungen eine an religiösen,
nationalen und sozialen Idealen ausgerichtete Neuorientierung zu geben.
Kronbergs Schauspiel Ehud, das Partei ergreift für das (auch von
der sozialistischen Dogmatik bekämpfte) sogenannte 'Lumpenproletariat',
ist ebenso ein soziales Lehrstück wie ein jüdisches Nationaldrama, das
eine mythische Deutung des zionistischen Aufbauwerks in Palästina
beinhaltet.
Am Tag seines 50. Geburtstags, dem 26. Juni 1941,
vollendete Kronberg das dreiaktige Drama Nittel (Blinde Nacht),
das die Tragik und das Scheitern der Assimilation wie auch die
Wirksamkeitsmechanismen der antisemitischen Agitation beschreibt.62
Das Wort 'Nittel' ist ein volkstümlicher Ausdruck für den Weihnachtsabend,
der vermutlich aus einer Verballhornung von 'dies natalis' (Tag der
Geburt) entstanden ist. Im Mittelalter war es den Juden verboten, an den
Weihnachtsfeiertagen die Straßen zu betreten und die Schulen und
Synagogen zu besuchen, weshalb das Wort 'Nittel' als Abkürzung von 'Nit
Jiden toren (= dürfen) lernen' interpretiert wurde. In Osteuropa
bezeichneten die Juden den Weihnachtsabend als 'Blinde Nacht',
"wahrscheinlich weil an diesem Abend das Licht des Toralernens nicht
leuchtet". Allerdings wurde den Juden die Unterbrechung des
Thorastudiums von der christlichen Bevölkerung als Bosheit ausgelegt, da
ein Aberglaube besagte, "daß Jesus nur Ruhe habe, wenn die J[uden].
'lernten'".63 Über die Intention dieses Dramas, das ihm
besonders wichtig war, schreibt Kronberg in einem Brief an seine -
liebevoll 'Mammi' genannte - Ex-Frau Herta: "Das ist ein
Weihnachtsgedanke: einer Jüdin wurde ein Kind geboren. Der Jude Jesus
wurde unentwegt, immer gekreuzigt. Er wurde davon nicht schöner. Im Bild
des Messias geistert er wie ein stets unwillkommener Bettler, als
Dichter verschrien, durch die Völker und Länder. Mammi, ich schicke Dir
zu Weihnachten ein Weihnachtsstück von mir 'NITL' (so heißt bei den
Juden die Nacht vor Weihnachten). Den Juden war in dieser Nacht das
Lernen (das Beschäftigen mit der Lehre) verboten. Wahrscheinlich hatten
sie gerade in dieser Nacht am meisten zu fürchten und durften sich
deshalb im Lernen nicht vergessen. Ich wüßte keinen, dem ich zu
Weihnachten so gerne schenkte, wie Dir. Daß es diesmal ein Stück von
mir, dieses Stück ist, mag Dir sagen, wie wichtig ich dieses
halte. Hoffentlich liebst Du es."64 Und in einem Brief an
seinen Sohn ergänzte er - unter Hinweis auf die mangelnde Anerkennung
seiner Arbeiten: "Ich bin neugierig, was Du zu dieser Arbeit sagen
wirst. Ich glaube nicht, daß es einen objektiven Maßstab gibt, mit dem
man messen kann. Dieselbe Arbeit kann von einem gepriesen, vom anderen
verhöhnt, vom dritten nicht verstanden werden. Jeder von ihnen glaubt an
sein Urteil. Somit ist eine Arbeit, besonders eine, die mit der
gesicherten Form bricht, etwas Neues darstellt, so auf Glück oder auf
Liebe angewiesen wie ein Mensch. Manchmal braucht es ein ganzes Leben,
bis einer (ein Maßgebender) ausruft: das ist gut, obgleich es neu ist!
Und dann plappern viele nach."65
Das Drama hat die Entstehung und den Ablauf eines Pogroms
zum Inhalt. In einem breit angelegten Sittenbild analysiert Kronberg die
Mechanismen der antisemitischen Indoktrinierung: Die Angst der
ländlichen Bevölkerung vor den bösen Dämonen der 'wilden Jagd', die zur
Weihnachtszeit ihr Unwesen treiben sollen, findet ein Ventil im Haß auf
'die Juden', die mit 'Teufeln' und 'Geistern' gleichgesetzt werden.
Aufgehetzt von zwei 'Vorübergehenden' und unterstützt vom Ortspfarrer
ermordet die Menge den einzigen Juden des Dorfes und setzt dessen Haus
in Brand. 'Der Jude' wird zum Sündenbock für selbstverschuldete Fehler
und zum Aggressionsobjekt, in das die von Staat und Kirche in
Unwissenheit und Abhängigkeit gehaltene Bevölkerung ihre irrationalen
Ängste, sexuellen Phantasien und abergläubischen Vorstellungen
projiziert. Ausgelöst wird die Massenhysterie durch die bevorstehende
Geburt eines Kindes: Christine, der Gebärenden, wird vom Pfarrer
vorgeworfen, gesündigt zu haben, da sich ihr Kind vor der Geburt des
Heilands zur Welt dränge und Jesus nicht den Vortritt lassen wolle. Der
Pfarrer droht ihr: "Bete! Daß es sich verkrieche in deinen Leib und
nicht geboren werde, bevor..." (S. 175), und die abergläubische Hebamme
verläßt in panischer Furcht vor Dämonen das Haus. Frida, Christines
Schwester, motiviert ihre Judenfeindschaft aus ihrem Männerhaß und ihren
sexuellen Frustrationen, da es ihr nicht möglich ist, in die Nachfolge
der Gottesmutter Maria zu treten und als Jungfrau zu gebären: "Sie
durfte ja doch auch ein Kind gebären ohne Mann. [...] In diesen Nächten
des Advent geht es mir wie einer Schwangeren. Es zieht in Brust und
Beinen. Und ich fühle solche Lust in mir." (S. 178f.) Während der
Judenhaß der Hebamme als Konsequenz ihrer abergläubisch-bigotten
Verblendung erklärt wird, ist der Antisemitismus Fridas ein Produkt
ihrer überhitzten Sexualphantasien und -ängste, die sich in Form einer
Schwangerschaftspsychose und des von der christlichen Madonnenverehrung
abgeleiteten Ekels vor der Körperlichkeit äußern. Zum
schuldig-unschuldigen Handlanger der aufgehetzten Menge, der schließlich
das Haus des Juden Konrad anzündet, wird Christines Ehemann Georg, der
von seiner Frau ausgesandt wird, geweihte Kräuter zu entzünden, um ihr
die Geburt zu erleichtern: "Die Erde ist erfroren und die Menschen sind
wie Eis. Georg, du sollst mir helfen. Man muß ein Feuer machen! Nimm die
Kräuter da oben in dem Schrank." (S. 177f.) Georg, der in seinem Schmerz
und seiner Verzweiflung die ihn umgebende Realität nicht mehr wahrnimmt,
ist für die Pogromisten das ideale Werkzeug zur Ausführung ihrer Tat. In
mythischer Monumentalität wird das Drama jedoch von den Gestalten der
beiden 'Vorübergehenden' beherrscht, die als Agitatoren von Ort zu Ort
ziehen, um den latenten Antisemitismus der christlichen Bevölkerung zu
wecken und judenfeindliche Ausschreitungen zu provozieren: "Wir gehen
vorüber. Sie schlafen. Wir rufen: Jud! Jud! Sie fragen, obs brennt. Wir
zünden ein Feuer an. Ha! Wie sie aus den Betten laufen, die Schuster und
Schneider! Du zählst an deinen Fingern ab. Sie zählen mit. Erstens: im
Namen Gottes gehen wir vorüber. Sie sagen: Vorübergehende. Zweitens: vor
des Juden Haus. Sie merken auf, die Schuster und Schneider, und merken
des Juden Haus. Drittens: wenn an diesem Ort zu Tod geboren wird...
[...] Der Jud hat schuld!" (S. 171)
Das zweite Handlungsfeld des Dramas beschreibt die Tragik
der Assimilation, die Kronberg am Beispiel des mit einer Christin
verheirateten Juden Konrad darstellt, der sich im Vertrauen auf die
Vernunft und die Liberalisierung der Gesellschaft in trügerischer
Sicherheit fühlt und die Gefahr eines Rückfalls in atavistische Formen
des Judenhasses so lange ignoriert, bis es zu spät ist. Für Konrad ist
der Antisemitismus ein Relikt aus überwundenen Zeiten, "einer Zeit, in
der ich nicht mehr bin" (S. 174), von dessen Auswirkungen er sich nicht
bedroht fühlt: "Soll ich den Spuk um Jude, Nichtjude ernsthaft nehmen?
Bist du mir weniger nah, weil du nicht Jüdin bist? Wollte ich dich je
bekehren? Oder spürtest du, daß ich mit dieser Etikette Jude jemals
großtat vor dir? Wußten wir denn überhaupt um diese Zweiheit, bevor die
Schreier auf den Gassen dich daran mahnten?" (S. 173) Im Gegensatz zu
Konrad, der unbeirrt an seiner liberal-humanistischen Überzeugung
festhält und judenfeindlichen Äußerungen mit skeptischer Ironie
begegnet, setzt sich Lisa, seine christliche Frau, offensiv gegen den
Antisemitismus zur Wehr.66
Sie weist Konrad darauf hin, daß er von seiner Umgebung 'als Jude'
angefeindet und diskriminiert wird und warnt ihn vor der immer
bedrohlicher werdenden antisemitischen Agitation: "Und aus den Fenstern
lachen sie und aus den Haustoren toben sie: die Juden sind an allem
schuld. Sie schmieren es an die Türen. Und wo ein Aussatz ist, da steht
geschrieben: Jud! Und wo ein Lehrhaus ist, da lehren sie: der Jud! Der
Pfarrer predigt es. Die Kinder lallen es. Die Klugen düngen es mit
Klugheit. Die Dummen renten davon und füllen sich das Maul damit. In den
Tagen des Advent und gar in dieser letzten Nacht vor Weihnacht wird
daraus Legende, und sie lesen, einer vom christlichen Herzen des zweiten
ab, die Losung: Juden zu töten, um damit die Geburt des Heilands zu
bereiten." (S. 174)
Als Gegenbild zu dem Assimilanten Konrad verkörpert sein
Freund Daniel, der ihn in der Nacht vor Weihnachten besucht, die
Geistigkeit und die Lebensfülle eines Judentums, das in seiner Tradition
verwurzelt geblieben ist. Die Unterschiedlichkeit der Lebenskonzepte
äußert sich etwa in folgendem Gespräch:
"Daniel
[...] Unter Freunden essen, bewegt zu danken vorher und zu danken nachher.
Da verwandelt sich die Speise in mehr als Speise.
Lisa
Auch Konrad ist ein Jude. Doch verfiel er nie darauf, so biblisch davon zu
erzählen.
Konrad
Ich hör es trotzdem gern. Es kommt aus einer Fülle, die uns verloren
ging..." (S. 182f.)
Der
Dank für die Speise, die mehr ist als Speise, verweist darauf, daß für
die jüdische Religion der Akt der Nahrungsaufnahme auch eine symbolische
Handlung bedeutet, die die Einheit von Körper und Geist, irdischer und
transzendenter Welt zum Ausdruck bringt: "Der Tisch [...] soll uns
lehren, daß wir essen, um zu leben, und wir leben, um im Dienst des
Allerhöchsten zu wirken. [...] Die Losung heißt Heiligung. Heilighaltung
des Lebens. Auch der Nahrung. Vor allem der Nahrung. Und darüber hinaus
von allem, was der Mensch mit dem Tier gemeinsam hat."67 Bei
seinen alltäglichen Handlungen wie auch in seiner Sprache schöpft Daniel
aus einer spirituellen Fülle, die dem Assimilanten Konrad
verlorengegangen ist. Daniel bekennt sich zu seiner Herkunft und seiner
Identität als Jude; sein Name assoziiert den Propheten Daniel, der zur
Zeit der babylonischen Gefangenschaft dem Judentum treu geblieben war
und in seinen Traumvisionen die Ankunft des Gottesreiches prophezeit
hat. Daniel könnte somit als "Urbild des in der Verbannung lebenden
Juden", als "Sohn des Leides" interpretiert werden.68
Kronberg vereinigt in der Figur des wandernden Juden Daniel Züge des
biblischen Propheten (in der Anspielung auf die babylonische
Gefangenschaft verbirgt sich ein Hinweis auf die Diaspora der Gegenwart)
mit der Gestalt Ahasvers, des unbehausten, zu ständiger Flucht
getriebenen und leidenden Juden. Daniel-Ahasver ist ein ewiger Zeuge des
Unrechts, das Christen an Juden verüben. Zugleich ist er für Kronberg
eine Identifikationsfigur, die die Juden zur Bewahrung ihrer religiösen
Tradition mahnen und sie davor bewahren soll, sich den Verlockungen und
den Gefahren der Assimilation auszusetzen.
In einer Nebenhandlung führt Kronberg drei unterschiedliche
Juden in das dramatische Geschehen ein, die auf der Flucht vor der
antisemitische Hetzlieder brüllenden Menge zusammentreffen und der
alleingelassenen Christine bei der Geburt ihres Kindes helfen. Während
die Christen ihren Ängsten und Wahnvorstellungen nachjagen und Christine
in ihren Schmerzen und Seelenqualen zurücklassen, leisten die Juden
rasche und konkrete Hilfe. Die drei Juden, ein Kräftiger ("Kraft in
Israel"), ein Dünner ("die Zähigkeit im Stamm") und ein Dicker ("ein
General der Freude") (S. 201), sind Symbolfiguren für die von der
antisemitischen Klischeebildung negierte Divergenz des jüdischen Volkes.
Bei all ihrer individuellen Unterschiedlichkeit ist den drei Juden das
Schicksal der Verfolgung gemeinsam - sie sind es "gewohnt", "von Ort zu
Ort zu laufen, das will heißen: von Jude zu Jude, und noch dies: von
Zerstreuung zu Zerstreuung..." (S. 191) Als Grund ihrer Verfolgung
erkennen sie den irrationalen Haß ihrer christlichen Umgebung, die durch
die Aggression gegen die zum 'Sündenbock' erklärten Juden von ihren
eigenen unbewältigten Konflikten abzulenken versucht: "Sie sammeln ihre
Furcht im Namen 'Jud'. Alles, was sie ängstigt, liegt darin." (S. 191)
Im Drama Nittel (Blinde Nacht) entwirft Kronberg eine
massenpsychologische Deutung des Antisemitismus und bringt zugleich
unterschiedliche Formen des jüdischen Reagierens auf diese Bedrohung zur
Diskussion. Die Spannweite der Judenfeindschaft reicht von der
kalkulierten Agitation der beiden 'Vorübergehenden' bis zur
Affekthandlung der abergläubischen, von der Kirche durch das Schreckbild
von der Sündhaftigkeit des Lebens disziplinierten und in Furcht
gehaltenen Masse. In der Reaktion der Juden wiederum spiegelt sich der
Wunsch nach der Aufhebung ethnischer und religiöser Abgrenzungen
(Konrad) ebenso wider wie der Versuch, der antisemitischen Anfeindung
die Bewahrung und Stärkung der eigenen jüdischen Identität
entgegenzusetzen (Daniel). Bedingt durch die zeitgeschichtlichen
Erfahrungen war das Assimilationskonzept für Kronberg illusionär
geworden: mit der Ermordung Konrads wird auch dessen
liberal-humanistisches Ideal gewaltsam zerbrochen, während die
'Vorübergehenden' ihren Weg fortsetzen, um Haß und Gewalt in die Welt zu
tragen. Kronberg zeigt die Brutalität der antisemitischen Demagogie und
die irrationalen Mechanismen ihrer Wirksamkeit, ohne sich der utopischen
Hoffnung hinzugeben, daß diese Situation ohne eine grundlegende Änderung
im Bereich von Erziehung, Mentalität und sozialen Verhältnissen
überwunden werden könne. Das Drama endet resignativ, es enthält jedoch
die Botschaft an die Juden, an ihrer Religion und am Bewußtsein ihrer
Besonderheit auch in Zeiten der Verfolgung festzuhalten.
1942 entstand das dreiaktige Drama Der Tod im Hafen,
das die Bombenexplosion auf einem mit illegalen Einwanderern besetzten
Schiff im Hafen von Haifa behandelt.69 Die Idee zu diesem
Drama bezog Kronberg aus einem Geschehen, zu dessen Zeuge er im November
1940 geworden war: Im Zuge der restriktiven Einwanderungspolitik der
britischen Mandatsmacht war einer Gruppe von 3500 jüdischen Flüchtlingen
aus Hitler-Deutschland, die unter vielen Strapazen auf dem Schiffsweg
von Wien über die Donau und das Schwarze Meer nach Palästina gelangt
waren, die Einreise verweigert worden. Die Flüchtlinge wurden auf das
requirierte Passagierschiff 'Patria' verlegt und sollten in das
britische Internierungslager auf der Insel Mauritius verlegt werden. Um
dies zu verhindern, verübte die zionistische Untergrundorganisation
'Hagana' unter der Leitung von Eliyahu Golomb und Shaul Avigur am frühen
Morgen des 25. November 1940 einen Bombenanschlag auf die 'Patria', der
das Schiff manövrierunfähig machen sollte, aber so großen Schaden
anrichtete, daß es innerhalb kurzer Zeit sank und 267 Menschen in den
Tod riß. Die Verwundeten wurden in die Krankenhäuser von Haifa
eingeliefert und die Überlebenden im Lager Atlit interniert. In einem
zeitgenössischen Bericht über die Katastrophe heißt es: "Die
Hafenpolizei, Hafenarbeiter bemühten sich nur um die eine, im Augenblick
wichtigste Aufgabe: alles zu tun, um soviel Menschen wie möglich zu
retten. Private Boote von Juden und Arabern zogen die Menschen aus dem
Wasser, australische Soldaten haben mit einer nicht müde werdenden
Ausdauer im Laufschritt stundenlang Bahren mit Leichtverwundeten und
insbesondere Frauen, die Schockwirkungen erlitten haben, zu der
Erste-Hilfe-Station gebracht. [...] Unter vielen herrschte Verzweiflung,
da sie ihre nächsten Angehörigen suchten. All ihr Gepäck war
verlorengegangen, ihre Kleidung war durchnäßt. [...] Die
außergewöhnliche Hilfsbereitschaft der jüdischen Bevölkerung ermöglichte
es, daß am Abend, als die Menschen nach Atlit fuhren, zumindest jeder,
wenn auch nicht ausreichend, so doch notdürftig bekleidet war."
Schließlich gelang es Chaim Weizmann, dem Präsidenten der Zionistischen
Weltorganisation, nach einer Intervention beim britischen
Premierminister Winston Churchill, eine Aufenthaltsbewilligung für die
'Patria'-Überlebenden zu erwirken; die Passagiere eines weiteren
Flüchtlingsschiffes, der 'Atlantic', die ebenfalls auf die 'Patria'
verlegt hätten werden sollen, wurden jedoch gewaltsam nach Mauritius
gebracht. Der 'Patria'-Konflikt machte auch die Auffassungsunterschiede
innerhalb der zionistischen Bewegung zur Frage der illegalen
Einwanderung deutlich: "Es ging um prinzipielle Fragen wie die Rolle
einer aktivistischen Politik als Ausdruck des jüdischen Widerstandes
gegen die britische Politik und die Bedeutung der illegalen Einwanderung
während der Kriegszeit."70
Mit Ausnahme des ostjüdischen Ehepaares Jaakow und Leah
tragen die Personen in Kronbergs Drama keine Eigennamen, sondern
fungieren als typisierte Vertreter kollektiver Ideen und Haltungen.
Kronberg adaptiert das für die expressionistische Dramatik
charakteristische Stilmittel der Typisierung, wodurch es ihm gelingt,
das Schicksal der handelnden Personen - denen er Namen wie 'Betender',
'Verheirateter', 'Zwei Abgebrühte', 'Zwei Leichenfledderer',
'Bedächtiger', 'Toller', 'Mutter des toten Kindes', 'Vier Herren im
Café' etc. gibt - als anonymes und kollektives, mithin austauschbares zu
interpretieren. Die Handlung folgt in ihren Grundzügen dem Ablauf der
'Patria'-Katastrophe. Im Drama wird die Bombe von der 'Mutter des toten
Kindes', die die Erlaubnis erhalten hatte, zum Begräbnis ihres Kindes an
Land zu gehen, unwissend in einem Paket auf das Schiff gebracht und von
einer Gruppe von Passagieren, der die beiden 'Leichenfledderer', der
'Bedächtige', der 'Tolle' und zwei 'Ältere Männer' angehören, zur
Explosion gebracht. Abgesehen von einigen geringfügigen Veränderungen
entspricht diese Episode dem Ablauf der historischen Ereignisse: die
Bombe wurde von Munya Mardor, einem als Hafenarbeiter verkleideten
'Hagana'-Mitglied, an Bord gebracht, von mitwissenden Passagieren in
Empfang genommen und von Hans Wendel, der beim Versuch, Ertrinkende zu
retten, selbst umgekommen ist, gezündet. In der Autobiographie Mardors
heißt es: "Die Einwanderer auf dem Schiff hatten Taten gefordert und
machten ihre diesbezüglichen Gefühle unmißverständlich klar. [...]
Anfangs konnten wir nicht begreifen, wie durch eine so kleine Bombe ein
so großes Loch in die metallene Wand eines so großen Schiffes gerissen
werden konnte. Wir hatten jeden Grund zu der Annahme gehabt, daß die
'Patria' in einem guten Zustand sei. Es stellte sich jedoch heraus, daß,
obwohl kein altes Schiff, sie äußerst vernachlässigt war, sodaß eine
kleine Sprengladung den verhängnisvollen Schaden bewirkte.
Metallplatten, deren Nieten vollkommen verrostet waren, waren durch die
Explosion aus der Schiffswand herausgerissen worden, und durch ein
großes Loch [...] strömten große Mengen Wasser herein, wodurch das
Schiff sofort Schlagseite bekam und sank."71
Der erste Akt des Dramas Der Tod im Hafen spielt mit
Ausnahme der Einleitungsszene auf dem Flüchtlingsschiff, das - der
Regieanweisung Kronbergs zufolge - im Längsschnitt auf die Bühne
gestellt wird: "aufgeteilt in Kabinen, die nur dann beleuchtet werden,
wenn die Menschen darin in das Geschehen eingreifen. Hat das Geschehen
in zwei oder mehreren Kabinen zueinander unmittelbare Beziehung, bleiben
diese Kabinen zu gleicher Zeit beleuchtet." (S. 208) Der Blick in die
Kabinen führt ein Panoptikum von Lebensschicksalen vor, die von
existentieller Not, Verzweiflung, Trauer und Lebenszuversicht, aber auch
von Habgier und Egoismus beherrscht sind. In Anspielung an die
literarisch-künstlerische Tradition des Totentanzes gibt Kronberg einen
Querschnitt durch das Sozialpanorama und die existentielle
Befindlichkeit der Flüchtlinge wieder: man sieht Eltern, die um den Tod
ihres Kindes trauern, Jugendliche, die durch die Verfolgung ihr
Selbstwertgefühl verloren haben und dem 'jüdischen Selbsthaß'
unterliegen, Menschen, die nüchtern ihren Vorteil berechnen, solche, die
- wie der 'Betende' - ihre letzte Hoffnung auf Palästina als "einzige[n]
Ort auf dieser Welt, wo Brüder auf uns warten" (S. 210), richten, und
solche, die alles daransetzen, die jüdische Bevölkerung Palästinas zum
Protest gegen die Deportation der Flüchtlinge aufzurufen.
Der zweite Akt und der Großteil des dritten Akts spielen im
Hafen von Haifa und schildern die Reaktion der Bevölkerung auf die
Katastrophe. Beispielhaft vertreten die 'Vier Herren im Café' die von
Kronberg in satirisch-verzerrter Form karikierte Haltung der Einwohner.
Während die zeitgenössischen Quellen von der großen Hilfsbereitschaft
der Bevölkerung zu berichten wissen, läßt Kronberg nur wenige Personen
seines Dramas - den 'Dritten Herrn', eine 'Alte Frau' und eine 'Junge
Dame', die unter den Überlebenden nach ihrer Mutter sucht - eine
solidarische Haltung mit den Flüchtlingen äußern. Anhand der Figur des
'Vierten Herrn' gestaltet er eine an Karl Kraus gemahnende,
apokalyptische Züge annehmende satirische Kritik an der Korrumpierung
des Gewissens durch die Presse. Der 'Vierte Herr', der darauf hofft, daß
seine unter den Passagieren befindliche Ehefrau ertrunken ist, um sein
bequemes Leben nicht zu stören, nimmt die Wirklichkeit nur durch den
Filter des gedruckten Wortes, vermittelt durch die Schlagzeilen und
manipuliert durch die machtkonforme Interpretation der Zeitung wahr.
Während der 'Dritte Herr' durch das Fenster des Kaffeehauses beobachtet,
wie Soldaten die Menschenmenge mit Bajonetten auseinandertreiben,
antwortet der 'Vierte Herr', ohne von seiner Zeitung aufzublicken: "Ich
aber will in Ruhe meine Zeitung lesen. In einer Zeitung werden Sie nie
finden ein 'ich weiß nicht'. Da steht gedruckt: 'ich weiß'!" (S. 228) In
den Aussagen des 'Vierten Herrn', der seine Kommunikationsfähigkeit
verloren hat und dessen Sprache zu einem aus Phrasen und Klischees
zusammengesetzten Surrogat, zum Wirklichkeitsersatz eines nichtgelebten
Lebens reduziert ist, fokussiert Kronberg seine Kritik an der seiner
Meinung nach unzureichenden Solidarität der Juden Palästinas mit den
Verfolgten und Vertriebenen: "Lassen Sie uns endlich hier in Ruh! Nur
keine Revolutionen im heiligen Lande! Hier herrscht Ordnung!" (S. 230);
"Ich frage Sie: muß jeder verlorene Sohn gleich festlich empfangen
werden? Zum Teufel mit denen! Warum sind sie nicht früher gekommen? Der
Platz ist besetzt! [...] Denn die Obrigkeit ist streng und gerecht!: Geh
ein Haus weiter, mein Söhnchen! Hier ist alles voll!" (S. 238) Der
selbst erst vor kurzem in das Land eingewanderte 'Vierte Herr' übernimmt
die fremdenfeindliche Ideologie eines eingesessenen Bürgers, der
fürchtet, durch die Neueinwanderer in seiner behaglichen Ruhe und
ökonomischen Saturiertheit gestört zu werden. Eine solche
Lebenseinstellung entspricht der Haltung der Bürger in Kronbergs
biblischem Drama Ehud, deren lebensfeindliche, auf materiellem
Wohlstand und Menschenverachtung aufgebaute Ordnung durch eine
Sozialrevolution hinweggefegt wird.
Zwei Passagiere des Flüchtlingsschiffes, Jaakow und Leah,
werden aus der namenlosen Masse herausgehoben: Durch die Namensgebung
wird das ostjüdische Ehepaar mit dem Erzvater Jakob, dem Enkel Abrahams
und Sohn Isaaks, und seiner ersten Frau Leah, der Tochter Labans und
Urbild der jüdischen Mutter, assoziiert. Diese beiden Figuren
repräsentieren die Tradition des Judentums (Verwendung der jiddischen
und hebräischen Sprache, Gebet, Religiosität) und die Bewahrung der
jüdischen Identität, wodurch sie von den übrigen (durch die Typisierung
ihrer Individualität entkleideten) Protagonisten abgegrenzt sind, die
als Vertreter von Indifferentismus, Areligiosität, jüdischem Selbsthaß,
Eigennutz oder palästinensischer Selbstgenügsamkeit vorgestellt werden.
Durch ihre Sprache und die Aura ihrer in der Tradition verwurzelten
Persönlichkeit heben sich Jaakow und Leah von der Masse ab: ihre Sprache
ist von einer biblischen Bildhaftigkeit geprägt, die irdisches Geschehen
als Symbol für die göttliche Weltordnung deutet und einen geheimen
Zusammenhang von Immanenz und Transzendenz herstellt. In den Ostjuden
verkörpert sich für Kronberg, der selbst von galizischen Einwanderern in
Wien abstammte, der lebendige Kontakt mit der jüdischen Überlieferung.
So etwa konfrontiert er im Essay Der jüdische Mensch das
Verhalten der West- und Ostjuden in Palästina und bekennt sich zu seiner
Sympathie für die ostjüdische Spiritualität, von der er aber fürchtet,
daß sie aufgrund der praktischen Anfordernisse des zionistischen
Aufbauwerks und der sozialistischen Ausrichtung der Pioniere auch von
den Ostjuden selbst immer stärker an den Rand gedrängt wird:
"Daneben sprechen die Ostjuden hebräisch und jiddisch,
hebräisch und russisch, hebräisch und rumänisch. Und wenn sie sich nicht
vorsehen, lebt in diesem sprechen (unbewußt) ein stück lebendiger
jüdischer gasse - wehe, wenn man mit dem finger darauf zeigt! [...] Sie
lächeln überheblich. Sie sind doch längst diesem milieu entwachsen, sie
sind längst palästinisiert, längst aus dem ei gekrochen, längst
erwachsen = marxistisch glattgeplättet, klargedacht, hebräisch-versiert.
Gefühl des herzens, blüte des chassidismus, märchen, hoffnung,
erzählung, mystik - alles längst zum alten eisen geworfen... das ist
nichts für 'unsere menschen'. Für unsere menschen ist klarheit,
verstand, logik, iwrith, arbeitergeist, proletarische einheitsfront.
Zugeschüttet ist der schmale aufblitz in die gegend jüdischer mensch. Wo
ist er? -"72
Im
Drama Der Tod im Hafen erfährt die Leidensgeschichte und die
trotz aller Verfolgung ungebrochene Gotteszuversicht des Volkes Israel
in den Worten und Gebeten Jaakows eine Interpretation von prophetischer
Dimension: "Der Mensch... wie zerbrochene Scherbe, dorrendes Gras,
welkende Blume, vergehender Schatten... [...] Juden auf der Flucht...
[...] Wie nah bin ich dir, Gott! Ich klage im Namen dieser Juden. Höre,
Gott! Die sich die Obrigkeit hier nennen... selber wie zerbrochene
Scherbe, warum zerbrechen sie uns Juden? Selber wie dorrendes Gras,
warum zertreten sie uns Juden? [...] Aus der Tiefe rufe ich Erbarmen von
dir, Obrigkeit der Welt, und der Beschluß ist wie Schatten, verwehender
Wind..." (S. 224f.) Nach seiner Rettung vom sinkenden Schiff irrt
Jaakow, "behängt mit eiligst zusammengesuchten Kleidungsstücken, die ihn
zu einer grotesken Figur machen", durch Haifa und trägt vor den
unverständig zuhörenden Kaffeehausbesuchern eine visionäre, in
gleichnishaft-apokalyptischen Bildern erzählte Ansprache vor, die - halb
Gebet, halb Anklage an Gott - die Trauer über die massenhafte Ermordung
der Juden in der Shoah mit der Zuversicht auf den jüdischen
Widerstandswillen verbindet und in die Hoffnung auf den Aufbau eines
neuen Lebens in Palästina mündet: "Öffne Deine Augen und sieh unsere
Verwüstung. [...] Schone Dein Volk und gib nicht Dein Erbteil der
Schande. Warum soll man unter den Völkern sprechen: wo ist denn ihr
Gott? [...] Zu Hohn und Spott sind wir geworden. Man achtet uns wie die
Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden zum Erschlagen, zum
Verderben, zu Schmerz und zu Schmach. [...] Wir sind ermüdet und haben
keine Ruh. [...] Behüte den Rest des einigen Volkes! [...] Wir sind
umhergeschweift nach den vier Enden der Erde. Heilung fanden wir nicht.
Nun sind wir zurückgekehrt zu Dir beschämten Angesichts, Dich zu suchen,
Gott, in der Zeit unserer Not." (S. 229ff.)73
Im dritten Akt beschreibt Kronberg eine Gerichtsszene, die
in einem "Lager abseits der Stadt" (gemeint ist das britische
Internierungslager Atlit) spielt und in deren Verlauf sich die
überlebenden Attentäter Rechenschaft über ihre Schuld an der Katastrophe
geben. In ihren Wortmeldungen kommen die unterschiedlichen Erwartungen
zur Sprache, die die Protagonisten mit ihrer Einwanderung nach Palästina
verbinden und die von der opportunistisch-zynischen Haltung der beiden
'Leichenfledderer' bis zum ernsthaften Bemühen um ein Wiederanknüpfen an
die jüdische Tradition reichen. Für den 'Ersten älteren Mann' sind die
Juden in Palästina vor die Notwendigkeit gestellt, zu den Ursprüngen
ihrer Herkunft zurückzufinden, um die durch Diaspora und Assimilation
verursachten Fehlentwicklungen zu überwinden. Der Sprecher beklagt die
Sinnlosigkeit einer Existenz, die durch den Zwang zur Assimilation
jegliche Orientierung verloren hat: "'Juden', immer wieder suchte ich
den Sinn dazu [...]. Was ist das: ein Jude?! Wo das greifbar ist? An mir
nicht. Und an dir nicht. [...] Kommt aber einer... [...] Und schreit:
Jud, ja, und du sagst: ich? und er sagt: ja, und du fragst: warum? und
er: Jud! und du bist beschmiert mit Dreck, und du sagst: Jud? und er
schreit: Sau!... und du beginnst zu suchen nach dem Sinn von Jud, und wo
es greifbar wäre... Und du findest nichts, nichts, nichts!" (S. 243) Der
'Erste ältere Mann' beklagt die Identitätskrise der assimilierten Juden,
die durch die nationalsozialistische Rassenpolitik auf ihre jüdische
Herkunft, der sie zum Teil gleichgültig gegenübergestanden waren oder
die sie zum Teil sogar abgelehnt hatten, zurückgeworfen wurden und sich
einem existentiellen Vakuum ausgeliefert sahen, da sie ihr Judesein
nicht als selbstgewählte Identität, sondern als aufgezwungenes Stigma
erlebten. In der Gerichtsszene des Dramas Der Tod im Hafen wird
das Lebenskonzept der Assimilation ebenso als schuldhaft bezeichnet wie
die Reaktionsweise des 'Trotzjudentums', das seine Selbstdefinition auf
die Abwehr des Antisemitismus reduziert ('Toller': "Sie rufen 'Jud', und
ich bin es aus Trotz, und könnte jeden von ihnen schädigen und immer
wieder schädigen!"; S. 244), und das Verhalten der Gleichgültigen
('Erster Leichenfledderer': "Ruft mich einer 'Jud' und hat Vergnügen
daran, laß ihn! Wird er mir lästig, fahre ich davon"; S. 244). Als
Orientierungsmodell, das den Juden der Galuth bei der Wiederfindung
ihrer verlorengegangenen Identität als Vorbild dienen könnte, faßt der
'Erste ältere Mann' die Verankerung in der jüdischen Religiosität auf,
wie sie teilweise in der Figur des 'Betenden', vor allem aber von
Jaakow, dem Paradigma des frommen Juden, verkörpert wird: "der eine,
jüngere... war er mit dem Beten fertig, war er wieder so wie ich und du,
nicht mehr zu greifen, nichts Besonderes mehr, nicht Jude mehr! Der
andere, Alte, aber blieb in jedem Augenblick, nichtbetend, betend, immer
ein Besonderes, das ihn entfernt hielt von dir und von mir, verbunden
mit etwas, das mehr ist als du und ich... ein Jude! [...] Wie ist er von
uns verschieden! Ruf ihn 'Jud', du rufst ihn richtig! Und ruf uns mit
diesem Namen... Und dieses ohne Sinn, und dieses ohne Würde macht den
Haß, macht schuldig!" (S. 244)
Der zweite Teil des dritten Aktes spielt wiederum in Haifa,
wo der 'Dritte Herr' im Kaffeehaus von der 'Schuld' der Juden spricht,
die die religiöse und solidarische Grundlage ihres Gemeinschaftslebens
verloren haben: "Es gab eine Zeit, da kamen im Unglück die Menschen
zusammen, um einer vom anderen Trost zu fordern und zu geben. Dabei
wurden sie zum Volk, erkannten Gott und fanden Frieden. [...] Es gab
eine Zeit, da konnten die Juden Buße tun. Lag ein Unrecht in der Luft...
[...] trat einer aus dem Volke, der Gott als den obersten Richter
erkannt, vor die Menge [...] und er geißelte sich... [...] Und bekannte
vor allem Volk die Schuld..." (S. 249f.) Stellvertretend für das Volk
tritt nun Jaakow in die Rolle des gottesgläubigen Büßers. Während der
Lärm verstummt und das Leben im Kaffeehaus nur noch pantomimisch, "wie
im Traum" vor sich geht, bis es völlig erstarrt, spricht Jaakow in einer
visionären Sequenz das Bußgebet (S. 250ff.). Die Textelemente dieser
Rede entnahm Kronberg aus folgenden Gebeten: Schacharit [Morgenzeit] von
Jom Kippur (Morgengebet des höchsten jüdischen Feiertags), Selicha
[Verzeihung] von Jom Kippur (Bußgebet mit der Bitte um Vergebung der
Sünden) und der Überleitung zur Keduscha [Heiligung; Gotteshuldigung]
von Rosch-ha-schana. Rosch-ha-schana, das jüdische Neujahrsfest, das am
ersten Tag des Monats Tischri mit dem Blasen des Schofars eingeleitet
und als 'Tag des Gedenkens' sowie als 'Tag des Gerichts' begangen wird,
bildet den Auftakt zur Bußzeit, die ihren Höhepunkt im Jom Kippur am 10.
Tischri findet. Jom Kippur, der 'Versöhnungstag', ist der heiligste Tag
des jüdischen Jahres, an dem "durch aufrichtige Reue und Läuterung [...]
die Verzeihung der Sünden und die Versöhnung mit Gott" sowie die
"Erneuerung des religiös-sittlichen Lebens" bewirkt werden soll.74
Mit der Rezitation von Rosch-ha-schana- und Jom Kippur-Gebeten bringt
Jaakow sein tiefempfundenes, religiös motiviertes Bedürfnis zu einem
Sühne- und Schuldbekenntnis zum Ausdruck. Der Deutung Kronbergs zufolge
lag die Schuld des jüdischen Volkes im Verlust der ursprünglichen
Einheit von Religion und Volk.
Das Drama endet mit einer satirisch-makabren Szene, in der
der 'Vierte Herr' vom personifizierten 'Tod' die Nachricht vom Sterben
seiner Frau in Empfang nimmt; gefolgt wird diese Szene von einer Collage
von Stimmen aus dem Publikum, die das Wrack des gesunkenen Schiffes
betrachten und von einer - dem Titel des Dramas eine allegorische
Deutung gebenden - 'Starken Stimme' übertönt werden, die eine Anklage
gegen die Gleichgültigkeit der Menschen formuliert: "Kreaturen! [...]
Liebe ist auf Dinge des ICH verrieben. [...] Sie essen. Sie schlafen.
Sie warten auf alles. Der Tod kommt an. Mißmutig! Nebenbei nur arbeitet
sein Mund. Er speit die Bearbeiteten ins Meer. Das Schiff verfault. Der
Tod sieht nicht hin." (S. 255f.) Indem Kronberg das zögernde Verhalten
der jüdischen Behörden und die stellenweise vorhandene fremdenfeindliche
Stimmung unter der Bevölkerung ins Zentrum seiner Kritik stellt, die
restriktive Einwanderungspolitik Großbritanniens jedoch nur am Rande
erwähnt, folgt er der politischen Linie der zionistischen
Arbeiterbewegung, die sich im Gegensatz zu den rechtsgerichteten
Revisionisten nur zögernd zu einer antibritischen Haltung entschlossen
hat. Das Schwergewicht seiner Zeitkritik liegt jedoch auf der
prophetischen Ermahnung zu einer religiösen Neubesinnung des Judentums.
Der vor der nationalsozialistischen Verfolgung aus Osteuropa nach
Palästina geflüchtete Jude Jaakow ist für Kronberg die Symbolfigur für
das Entstehen einer erneuerten und geläuterten jüdischen Gemeinschaft,
die nach einer zeitgemäßen Interpretation ihrer religiösen Traditionen
sucht. Die Besonderheit der jüdischen Identität ist für Kronberg in der
Verknüpfung des religiösen Bekenntnisses mit dem Bewußtsein der
ethnischen Zusammengehörigkeit begründet, die auf der Erkenntnis von der
Einheit des Irdisch-Materiellen und des Transzendent-Göttlichen beruht.
In seinen letzten Lebensjahren befaßte sich Kronberg mit
dem Plan, Filmdrehbücher zu schreiben, und verfaßte die beiden Komödien
Mamma (beendet am 7. Juli 1944) und Gänse (beendet im Juni
1945). Das zunächst unter dem Titel Komödie der Familie Schiff
konzipierte Drama Mamma75 ist eine satirische Kritik an
der kleinbürgerlichen Mentalität europäischer Einwanderer in Palästina.
Kronberg verlegt das Geschehen in die Zukunft und stellt dar, wie die
nach Palästina gelangte Familie Schiff nach Ende des Zweiten Weltkriegs
in ihre ungarische Heimat fährt, aber sehr bald wieder - enttäuscht und
gedemütigt von der ungebrochenen Virulenz des Antisemitismus - nach
Palästina zurückkehrt. Dieses Handlungselement verbindet Kronberg mit
der Kritik am kleinbürgerlichen Eigentumsbegriff. Die von der Mutter der
Familie Schiff angestrebte 'Million' - als Chiffre für das
Privateigentum - wird von Kronberg als zerstörerisches Element des
jüdischen Gemeinwesens aufgefaßt. Insgesamt jedoch scheitert Kronberg
bei seinem Bestreben, zwei so divergierende Problembereiche wie
Emigration und Antisemitismus auf der einen und den Konflikt zwischen
dem erstrebten Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft und den
privaten Eigentumsinteressen auf der anderen Seite zusammenzuführen und
daraus eine Komödie zu verfertigen. Zum einen läuft die komödienhafte
Darstellung Gefahr, die Tragik der nationalsozialistischen
Judenverfolgung zu verharmlosen, zum anderen bedient sich der Dramatiker
unangemessener und mißverständlicher Darstellungsmittel wie etwa der
Verwendung einer karikierenden 'mauschelnden' Redeweise, die er etlichen
jüdischen Protagonisten seiner Komödie in den Mund legt. Aus diesem
Grunde wurde er in seinen Bekanntenkreisen, denen er die Komödie
vortrug, mit dem Vorwurf konfrontiert, 'jüdischen Selbsthaß' zu
praktizieren: "Den Leuten hier war sie [die Komödie Mamma,
A.d.V.] zu 'sauer', zu antijüdisch, einer schrieb mir sogar von
'Selbsthaß'. Was kann man tun? Dabei ist alles darin aus dem vollen,
untersten Leben geschöpft, wie es sich neben dem der Hoffnung
breitmacht."76 Noch deutlicher heißt es im letzten Brief
Kronbergs, den er wenige Tage vor seinem Tod an Herta schrieb: "Ich bin
neugierig, was Du zu 'Mamma' sagen wirst. Dieses Patent-Frauenzimmer hat
meine größte Hochachtung. Merkt man das? Ob ich wohl eine Aufführung
dieser Komödie erlebe? Hier bestimmt nicht. Sie können nicht umhin, die
Qualität des Stückes anzuerkennen - jedoch der Stoff ist ihnen hier zu
'antisemitisch'! (wörtlich bekam ich das zu hören); sie wagen die
Aufführung nicht. Was kannste da machen? Einer sprach sogar von
'Selbsthaß'. Diese Leute könnten einen fröhlich machen, wenn sie nicht
Typen dieser (meiner) Zeit wären, mit denen ich gezwungen bin (noch) zu
leben."77
Im Unterschied zu den übrigen Dramen, die Kronberg in
Palästina verfaßt hat, enthält die Komödie Gänse78
keinen Hinweis auf die jüdische Problematik, sondern kritisiert die
Verlogenheit der bürgerlichen Ehe. Mit der Darstellung eines
triebbesessenen, 'der Baron' genannten Ur-Mannes, der die Frauen einer
Kleinstadt zum Ausbruch aus ihren spießigen Ehe-Gefängnissen veranlaßt,
zeichnet Kronberg eine don-juanhafte Gestalt, die die Flucht in die
Sexualität zur Betäubung ihres Lebensekels benützt und letztlich die
Sinnlosigkeit ihres Treibens erkennt. Die Komödie decouvriert die
Entfremdungsmechanismen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und
denunziert die auf ihren Warencharakter reduzierte Ehe als ein
prostitutionsähnliches Herrschafts- und Triebverhältnis.79 -
Trotz der aktuellen Themenwahl und ihren neue Wege weisenden
Besonderheiten in Aufbau und sprachlicher Gestaltung fanden die Dramen
Simon Kronbergs nur wenig Echo und blieben - bedingt durch den Boykott
der deutschen Sprache in Palästina, die restaurative Kulturpolitik im
Nachkriegsdeutschland und Nachkriegsösterreich sowie durch den frühen
Tod des Dichters - ungedruckt und unaufgeführt. Kronbergs Dramen sind
Zeugnisse des individuellen und kollektiven Ringens um die jüdische
Identität; in ihrer formalen Ausarbeitung verknüpft sich die - immer
wieder von visionären Sequenzen durchbrochene - realistische Darstellung
der Figurenkonstellation und ihrer Konflikte mit der suggestiven, auf
Verdichtung, Wiederholung, rhythmisierter Sprechweise und komprimierter
Syntax beruhenden Sprachgestaltung des Expressionismus. Die geringe
Wirkung seines Schaffens verursachte ein sarkastisch geäußertes Gefühl
bitterer Enttäuschung, das in Kronbergs Briefen ständig wiederkehrt: "Am
7. Juli 1944 hatte ich eine Komödie zu Ende geschrieben: 'Mamma' [...].
Jetzt liegt sie schon 3 Jahre in meinem Schreibtisch und wartet. Ich
habe Zeit. Dann ist da noch eine Komödie: Gänse. Auch die wartet. Dann
ist da noch ein Drama: 'Der Tod im Hafen'. Wartet. Und das, das Du
kennst 'Nitl'. Auch das wartet. Hübsch? Schadet nichts. Eines Tages
werden sie es mir aus den Händen reißen. Und wenn nicht, umso schlimmer
für sie. Wenn ich überlege, mit wie komischen Glückszufällen alles
Wertvolle im Leben eines Künstlers zur Anerkennung kommt (wenn es
dazu kommt) rege ich mich nicht auf. Wenn die Dame 'Glück' will, ich bin
bereit. Auch gegen viel Geld hab ich nichts."80 Kronberg, der
sich eingehend für das kulturelle Leben im Nachkriegsösterreich
interessierte81, wünschte sich besonders, daß seine Dramen in
Österreich aufgeführt werden82
- sein Wunsch blieb jedoch unerfüllt.
Kronberg verfaßte in Palästina nicht nur Dramen, sondern
setzte auch seine epische und lyrische Produktion fort. Es entstanden
Kurzgeschichten und Erzählungen mit Titeln wie David bändigt die
wilden Tiere und weiß es nicht (1942), Der menschliche Wäger
(1944),
Der Koffer, Tur-Simon oder Wüstenwind83,
der Monolog Leah, die lyrische Prosa Der verlorene Sohn
und zahlreiche Gedichte. Im Mittelpunkt seines Interesses stand das
Motiv des 'verlorenen Sohnes', in dem er nicht nur eine Chiffre für
seinen persönlichen Lebensweg, der ihn über den Umweg eines Ausbruchs
aus der traditionellen jüdischen Lebenswelt zur Neuentdeckung des
jüdischen Erbes (unter anderem in Form der Jugendbewegung, des Zionismus
und des Chorgesangs) geführt hatte, sondern vor allem ein Symbol für die
aktuelle Situation des Judentums fand. In der 1944 entstandenen
lyrischen Prosa
Der verlorene Sohn84 beschreibt er das Haus des Vaters als
eine Stätte der Furcht, in das der Sohn mit ambivalenten Gefühlen
zurückkehrt, in dem er erneut von Furcht erfaßt und von seinen
Geschwistern zurückgestoßen wird und schließlich Erlösung im Gebet
findet. Für Karl Otten verbirgt sich in diesem Text eine verschlüsselte
Selbstinterpretation Kronbergs: "Der Dichter ist sich klar über sein
Los: ausgeschlossen, ausgestossen aus der Gemeinschaft der Familie wie
der Mensch ganz allgemein, muss er den Weg des zur Einsamkeit Verdammten
inmitten der Lachenden, Jungen, Daseinstrunkenen zu Ende gehen."85
Der 'verlorene Sohn' ist ein Paradigma des Ausgestoßenen, zu ständiger
Suche Getriebenen, der sich zwar nach Geborgenheit und Ruhe sehnt, diese
aber niemals finden kann. Erst im Gebet - dem Symbol für die
Wiederfindung seiner religiösen Identität - lernt er seine Furcht zu
überwinden; doch auch diese Lösung ist für Kronberg nur eine vorläufige,
deren utopische Dimension in der Schlußpassage des Textes relativiert
wird:
"Er
ging, das Geheimnis des Windes ergründen. Sein Woher und Wohin.
Und
wurde selber wie Wind, wovor sie die Mauern erbauen.
Und
wurde selber Geheimnis, von dem sie die Lettern aushauen:
DER
VERLORENE SOHN!" (S. 329)
Im
Schicksal des 'verlorenen Sohnes' spiegelt sich sowohl die
Identitätskrise des Judentums zwischen Assimilation und Zionismus wider,
als auch die Ambivalenz des Dichters, der sich der Herausforderung
bewußt ist, daß ihm erst der Bruch mit der Tradition den Zugang zu einer
selbstgewählten Identität ermöglicht. Diese Identität findet er zwar in
einer Rückkehr zu dieser Tradition, von der er sich zunächst abgewandt
hatte, die er nun jedoch gefiltert und gebrochen durch seine
persönlichen Leidens- und Dissoziationserfahrungen sowie ein immanentes
Bewußtsein des Ausgeschlossenseins erkundet.86 Der 'verlorene
Sohn', der in das Vaterhaus zurückkehrt, um es sogleich wieder zu
verlassen, und auszieht, "das Geheimnis des Windes [zu] ergründen", ist
ein Urbild des Exilierten. Im Bild des Windes verdichtet Kronberg die
jüdische Geschichte der Diaspora, die er bereits in der 1923
veröffentlichten Prosaskizze Der Jude unter Zuhilfenahme der
Wind-Metapher beschrieben hat: "Wind der Winde findet seinen letzten
Ort."87
Ein weiterer Beleg dafür, daß Kronberg das Motiv des
'verlorenen Sohnes' als kollektive Chiffre der jüdischen Identität
aufgefaßt hat, findet sich im Gedicht Jom Kippur (1941): "Ein
Tag, an dem die verlorenen Söhne / und ohne einander zu nennen / in den
Straßen der Städte / Einzelne / lächeln, als litten sie voreinander und
im Geheimen / Strafe, und das ist Alleinsein."88 Kronberg
interpretiert die Feier des 'Versöhnungstages' als Suche der von
existentieller Einsamkeit gepeinigten 'verlorenen Söhne' nach dem
'Vater', der hier als Symbol für das religiöse Judentum aufgefaßt wird.
Das Gedicht konfrontiert die Haltung dreier Einzelpersonen miteinander,
von denen nur derjenige Eingang in das Haus des Vaters findet, der den
Egoismus überwindet, auf die 'Worte' als Hilfsmittel einer auf den
Intellekt beschränkt bleibenden Identitätssuche verzichtet und die
Einheit seines Selbst wiedergefunden hat. In einem programmatisch Der
Jude
betitelten Gedicht, das im März 1946 unter dem Eindruck der Shoah
entstanden ist, vergleicht Kronberg das Judentum mit einem Baum, dessen
Wurzeln im Himmel verankert sind und der somit als Symbol für den
Zusammenhang der irdischen und jenseitigen Welt gedeutet werden könnte;
zugleich verweist dieses Symbol darauf, daß das materielle Leben seine
Kraft aus der Spiritualität bezieht. Mit dieser Deutung assoziiert
Kronberg den Mythos des Lebens- bzw. Weltenbaumes, der in zahlreichen
Mythologien (Indien, Naher Osten, Afrika, Europa etc.) als umgekehrt
wachsender Baum dargestellt wird (indischer Ashvattha-Baum, iranischer
Himmelsbaum Haru, indo-iranischer Haoma- oder Somabaum, germanischer
Weltenbaum Yggdrasil etc.). Der Baum gilt als Symbol des Lebens, der
Vitalität, der Fruchtbarkeit und der Unsterblichkeit.89
Kronberg adaptiert das Motiv des Weltenbaums, um darauf hinzuweisen, daß
im Schicksal des jüdischen Volkes "Himmel und Erde miteinander vereint"
sind90: "Aus allen Wäldern dieser Welt ein Baum / trägt seine
Krone erdwärts wie im Traum. / [...] / Die Wurzel, mächtig, greift in
Himmel ein / genährt im Paradies mit Gottes Wein. / Der sickert tief im
Stamm zu den Erstickten. / Im Grabe grünen, blühen die Erquickten. -"91
In einem Brief aus dem Jahre 1946 schreibt Kronberg, daß am Worte 'Jude'
"das Leid und der Wille zum dennoch leben" zu ehren sei92;
diese Aussage klingt wie eine Interpretation des im selben Jahr
entstandenen Gedichts Der Jude, das die "individuelle und
kollektive Not" der Zeit zur Sprache bringt: "Im Schatten der Schoa
stülpt der Expressionist noch einmal alle Naturlyrik um und verneigt
sich in jüdischer Erlösungssehnsucht vor den Toten seines Volkes."93
Auf ebenso subtile wie ausdrucksstarke Weise chiffriert Kronberg seine
Trauer über die Ermordeten im Bild des mythischen Weltenbaumes, dessen
Erlösungskraft bis zu den Opfern der Shoah dringen soll - ein Bild, in
dem sich seine leise Hoffnung ausdrückt, daß sich die Lebenskraft des
Judentums stärker als Verfolgung und Vernichtung erweisen wird.
Einen weiteren zentralen Motivkomplex im Spätwerk Simon
Kronbergs bildet die Thematisierung der Liebessehnsucht und die
Konstruktion eines mütterlich-liebenden Frauenbildes. In den vierziger
Jahren entstand der Monolog Leah, der aus der Perspektive der
ersten Gemahlin des biblischen Patriarchen Jakob erzählt wird und eine
ergreifende Klage über Liebesverlust und Liebesmangel enthält.94
Leah richtet einen imaginären Monolog an ihre Schwester Rachel, der sie
ihr Leid klagt; sie fühlt sich von Jakob, der sich in Rachel verliebt
hat, vernachlässigt und beschuldigt die Schwester, sie um ihr Glück
betrogen zu haben: "Du flammst nur dich. / Ich aber asche. / [...] /
Eingebrochen in mein Herz ist Rachel, leer ist mein Herz. / Eingedrungen
in meinen Kopf ist Rachel, wüst ist mein Kopf. / Eingefallen in mein
Licht ist Rachel, verwittert ist mein Licht" (S. 321f.). Rachel wird mit
dem Attribut der 'Flamme', der erotischen Attraktivität und sexuellen
Aktivität, versehen, Leah mit jenem der 'Asche', des Leidens bzw. der
zurückgehaltenen Energie. In der Erzählung von den beiden Gemahlinnen
des Jakob fand Kronberg eine Motivkonstellation vor, die ihm
Versatzstücke zur Ausgestaltung seines ambivalente Züge tragenden
Frauenbildes bereitstellte: Im Unterschied zur christlichen
Dichotomisierung der Frau in die vergeistigte, auf Mutterschaft fixierte
Gestalt der 'Madonna' und die auf ihre Sexualität reduzierte Figur der
'Hure' betont die jüdische Tradition, wie sie etwa in der Geschichte von
Rachel und Leah repräsentiert wird, den Doppelaspekt der Frau als
Geliebte und Mutter. Kronbergs Frauenfiguren stellen Sinnbilder der
mütterlichen Frau dar; in ihnen verbinden sich autobiographische Aspekte
(Kronberg, der sich als Knabe von seiner Mutter vernachlässigt fühlte,
suchte in seinen Frauenbeziehungen stets aufs neue das 'Mütterliche')95
mit Elementen der jüdischen Überlieferung. Kronbergs Idealvorstellung
war es, die von Leah und Rachel symbolisierten Bereiche, Mutterschaft
und Sexualität, zu vereinen; so etwa betont er im Monolog Leah
die Sehnsucht der vernachlässigten Frau und Mutter, zur sexuellen
Erfüllung zu gelangen. Karl Otten interpretiert Kronbergs Frauenideal
so: "In der Beschwörung Gottes um Gnade in der Liebe, im Monolog 'Leah',
wird die tragische Sehnsucht des Dichters nach der 'Mütterlichen', der
Geliebten, die zugleich die Rolle der Mutter spielt, Gestalt und Musik.
[...] Erst beide Schwestern, Leah und Rahel, in einer Gestalt vereint,
würden den Traum des Dichters zur Wirklichkeit werden lassen."96
In einem seiner letzten Gedichte, Am Morgen (entstanden am 5.
Oktober 1947), faßt Kronberg noch einmal seine in der Spannung von
Realität und Irrealität sich vollziehende Liebessuche zusammen: "Bist du
fröhlich, Liebste... / [...] / Träumte ich dich nicht? / Du Traum!"97
Simon Kronberg war voll von Plänen und literarischen
Einfällen, als er am 1. November 1947 an einem Schlaganfall starb, den
er an einer Busstation erlitt, als er von einer Gesangsveranstaltung
nach Hause fahren wollte98; wenige Tage nach seinem Tod
beging seine Frau Jael Selbstmord. Einen seiner letzten Glücksmomente
erlebte er bei einem Gemeinschaftsgesang in einer landwirtschaftlichen
Siedlung, an dem mehr als 200 junge, begeisterte Menschen teilnahmen:
"Dabei muß ich mich so konzentrieren, daß 200 junge Menschen begeistert
aufstehen und mich nicht wieder vergessen. Dann sitze ich in meinem
Zimmer, verschwitzt, müde und zufrieden - es ist wieder einmal vorüber
und geglückt. Nach meinem Singen mit ihnen, tanzten sie in dem großen
Raum noch eine Weile ihre Volkstänze und ich sah ihnen zu. Plötzlich
hatte mich ein ganz junges Ding bei der Hand gefaßt, ließ nicht locker
und ich mußte mit ihr ein paarmal durch den Saal tanzen. Gefreut hatte
es mich, daß es eine war, die mir als besonders graziös aufgefallen war.
15jährig und 56jährig. Hübsch."99
Im Bewußtsein zahlreicher jüdischer Einwanderer aus
Deutschland und Österreich, die im Zuge der Fünften Alijah nach
Palästina gelangt waren, wurde die Erinnerung an Simon Kronberg und vor
allem an sein Wirken als Gesangslehrer und Chorleiter wachgehalten, sein
literarisches Schaffen blieb jedoch lange Jahre in Vergessenheit. In
Kronbergs Werk drückt sich das Leid und das Erlösungsbedürfnis des
jüdischen Menschen aus, der in einer von Orientierungslosigkeit, der
Krise des Individuums und der Sprache, Metaphysikverlust, Einsamkeit und
antisemitischer Demagogie beherrschten Lebenswirklichkeit nach den
Grundlagen seiner Identität sucht. Als Gesangslehrer trug Kronberg zur
Schaffung einer Festkultur bei, die in den Mitwirkenden ein emotionales
Gemeinschaftsgefühl erwecken sollte, und als Dichter begab er sich auf
die Suche nach den Grundlagen und den Gefährdungen der jüdischen
Existenz im 20. Jahrhundert. Als Volksbildner wie als Literat vereinigte
er Elemente der jüdischen Überlieferung (Chassidismus, religiöse Feste,
hebräisches Lied etc.) mit Einflüssen aus der deutschen Kulturkritik der
Jahrhundertwende (nietzscheanische Festkultur, rhythmische Gymnastik,
Hellerauer Schulfeste, 'Ekstatisches Theater' des Düsseldorfer
Schauspielhauses etc.), der sozialdemokratischern Theaterkultur
(Sprechchor) sowie der expressionistischen Literatur- und
Kunst-Revolution. Die Besonderheit seiner Identität als Jude fand
Kronberg in der Vereinigung der jüdischen Religion mit den Ideen des
Sozialismus. Formal strebt das Spätwerk Kronbergs nach einer Synthese
aus expressionistischen Stilmitteln, rhythmisch-musikalisch
strukturierter Syntax und der Verschachtelung unterschiedlicher
Bedeutungs- und Stilebenen. In den Jahren, die er in Palästina verbracht
hat, versuchte er, der Rückkehr der Juden aus den Ländern der Diaspora
in das Land der Bibel poetische Gestalt zu verleihen. Daß er dies in der
deutschen Sprache tat, die im zionistischen Verständnis ein Relikt der
Galuth war und zudem als Sprache der nationalsozialistischen Judenmörder
verpönt war, gab seinem Unterfangen eine tragische, vielfach auf
Unverständnis stoßende Note. Dennoch gehören seine Texte zu den
überzeugendsten Dokumenten der jüdischen Identitätssuche im 20.
Jahrhundert, die die Tragik der jüdischen Existenz reflektieren, aber
auch die Utopien, die messianische Zuversicht sowie die ethischen und
religiösen Fundamente des Judentums in prägnanten Sprachbildern und
dramatischen Chiffren zum Ausdruck bringen.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts
'Jüdische Literatur in Mitteleuropa' (Jubiläumsfonds der
Oesterreichischen Nationalbank) (Leitung: Univ.Prof. Dr. Friedbert
Aspetsberger). Mein besonderer Dank gilt Herrn Peter Kronberg (St.
Louis, USA), der mir Einsicht in die Korrespondenz seines Vaters
gewährte, und den zahlreichen Zeitzeugen, die mir wertvolle
Informationen über das Leben Simon Kronbergs in Palästina zukommen
ließen. Ebenso danke ich dem Deutschen Literaturarchiv Marbach/Neckar
für die Einsichtnahme in den Teilnachlaß Simon Kronbergs (DLA, A:
Otten).
Im
folgenden werden nachstehende Abkürzungen verwendet:
-
APK
= Archiv Peter Kronberg, St. Louis, USA
-
DLA
= Deutsches Literaturarchiv Marbach/Neckar
-
Hs.
= Handschrift
-
Ts.
= Typoskript
-
TSK
= Teilnachlaß Simon Kronberg
1 Die Texte Simon Kronbergs waren weitgehend in
Vergessenheit geraten, als sich Karl Otten in den fünfziger und
sechziger Jahren um seine Wiederentdeckung bemühte; vgl. Karl Otten: Das
Werk Simon Kronbergs. In: Bulletin des Leo Baeck-Instituts 4 (1961), S.
101-110; darüber hinaus veröffentlichte Otten Texte Kronbergs in den
Anthologien Schrei und Bekenntnis (1959), Das leere Haus
(1959), Schofar (1962) und Ego und Eros (1963). Seit 1993
liegt eine Werkausgabe vor, die zum Großteil bis dahin
unveröffentlichte, aus den beiden Teilnachlässen (DLA; APK) edierte
Texte enthält: Simon Kronberg: Werke. Hrsg. v. Armin A. Wallas. 2 Bände.
Bd. 1: Lyrik - Prosa; Bd. 2: Dramatik. München: Klaus Boer Verlag 1993.
Mit dieser Werkausgabe wurde, wie ihre Rezeption belegt, die Bedeutung
und der literarische Rang des Schaffens Kronbergs nach langen Jahren des
Vergessens endlich zur Kenntnis genommen: vgl. Jakob Hessing: Krone
erdwärts wie im Traum. Eine vorbildliche Werkausgabe erinnert an Simon
Kronberg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 2. 1994, S. 28. - Paul
Michael Lützeler: Wachsende Kraft. Simon Kronberg: Ein vergessener Autor
aus Wien. In: Neue Zürcher Zeitung, 11. 3. 1994. - Wendelin
Schmidt-Dengler: Das Erwachen zum Verzicht. Simon Kronbergs Werke. In:
Literatur und Kritik 29 (1994), H. 283/284, S. 93f. - Dieter Sudhoff:
"Ich bin da, um zu weinen". Das grüblerische Werk von Simon Kronberg
wird wiederentdeckt. In: Neue Westfälische Zeitung, 3. 3. 1994. -
Karl-Markus Gauß: Seit ich wandere, hat der Schmerz eine Heimat.
Dichter, Aufklärer und singender Schuster: Der jüdische Expressionist
Simon Kronberg. In: Die Presse, 14. 1. 1995, S. VIII. - Evelyn Adunka:
Eine Werkausgabe des österreichischen Dichters Simon Kronberg. In:
Illustrierte Neue Welt (Februar 1995), S. 18.
2 Zur Biographie Kronbergs vgl. Armin A. Wallas: Nachwort:
"Ein Jude und ein Dichter dazu" - Simon Kronberg. In: Kronberg: Werke
(vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 335-410.
3 Simon Kronberg: Chamlam. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm.
1), Bd. 1, S. 133-179, hier S. 163.
4 Vgl. hierzu Hermann Meier-Cronemeyer: Jüdische
Jugendbewegung. In: Germania Judaica 8 (1969), S. 1-118.
5 Vgl. Gershon Melber: Von der Grenadierstraße zum
Arbeitskreis. In: Mnemosyne. ZEIT-Schrift für Geisteswissenschaften
(Klagenfurt) (1994), H. 16, S. 3-20, hier S. 19.
6 Jakow Kohl: Zu seinem Gedenken - Schimon Kronberg (1978).
In: Jiskor. Arbeitskreis Jüdischer Jugendgruppen Berlin. Haifa 1979, S.
27-29 (hebräisch; übersetzt von Jakow Kohl).
7 Esther Barta an Verf., Ramat Hasharon 15. 12. 1994.
8 Yitzhak Tabenkin, zit. nach Henry Near: The Kibbutz
Movement. A History. Bd. 1: Origins and Growth, 1909-1939. Oxford 1992
(= The Littman Library of Jewish Civilization), S. 56.
9 Yitzhak Tabenkin, zit. nach Shlomo Erel: Neue Wurzeln. 50
Jahre Immigration deutschsprachiger Juden in Israel. Gerlingen 1983, S.
157.
10 Vgl. Simon Kronberg: [Wir klagen dieses Volk an!...].
In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 99-109. Vgl. auch Kohl: Zu
seinem Gedenken (vgl. Anm. 6): "Ich erinnere mich besonders an jenen
speziellen Tag im Jahre 1933, als alle jüdischen Jugendverbände sich
trafen um den Tod Chaim Arlosoroffs zu betrauern - und Schimon verband
alle zu einer großen Einheit. Mit seinem Können eine Masse zu bewältigen
und zusammenzuschweißen zu einer Einheit."
11 Simon Kronberg: 26. Juli 1936, Hs., DLA, TSK.
12 Simon Kronberg: [Ich sah am Abend...], Hs., DLA, TSK.
Die ungewöhnliche Orthographie in diesem und anderen Zitaten folgt dem
Original.
13 Vgl. Simon Kronberg: Pessach im Kibbuz. In: Kronberg:
Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 125-129.
14 Simon Kronberg: Pessach, Ts., DLA, TSK. Vgl. auch den
Text: Kiddusch, Ts., ebd. Kiddusch [Heiligung] ist die Weihe des Sabbath
bzw. des Feiertags, in diesem Fall der Segensspruch über den Wein, mit
dem das Pessachfest eingeleitet wird: "Wir feiern das Fest der
Erinnerung. [...] Wir, die wir hier an einem Tisch sitzen, wissen: es
ist kein Unterschied zwischen dem Leid unserer Väter und unserem Leid."
(ebd.) In diesem Zusammenhang verweist Kronberg auf den Bericht von
D[avid]. Ben-Gurion: Von Petach-Tikwa bis Ssedschera. In: Jiskor. Ein
Buch des Gedenkens an gefallene Wächter und Arbeiter im Lande Israel.
Deutsche Ausgabe. Mit einem Geleitwort v. Martin Buber. Berlin 1918, S.
5-31, hier S. 25ff., der von der Pessachfeier in der Kolonie Sedschera
im Jahre 1909 erzählt, die von Araberunruhen gestört wurde.
15 Vgl. etwa folgende Aussage jenes Kibbuzniks, der die
Rolle Hitlers übernehmen muß: "Sinn hat für uns nur die Arbeit.
Verständlich ist nur der Kampf um die Existenz. Zu allem anderen gibt es
keine Zeit, keine Lust, keinen Schatten von Vernunft!", ebd., S. 126.
16 Jakow Kohl an Verf., Ramat Gan 18. 9. 1990.
17 Kohl: Zu seinem Gedenken (vgl. Anm. 6).
18 Pinda Schefa an Verf., Givat Chajim Ichud 29. 9. 1990.
19 Chanan Cohen an Verf., Givat Chajim Meuchad 2. 10. 1990.
20 Simon Kronberg: Panoptikum, Ts., DLA, TSK.
21 Vgl. Simon Kronberg: Wien 1936. In: Kronberg: Werke
(vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 110-124. Am 23. 3. 1995 wurde der Sprechchor
Wien 1936 - zusammen mit Wir klagen dieses Volk an! - vom
'Ersten Wiener Lesetheater' im Literaturhaus Wien aufgeführt.
22 Maria Gutmann: Sprechchöre. In: Kunst und Volk.
Mitteilungen des Vereines "Sozialdemokratische Kunststelle" 3 (1928), H.
1, S. 14-15.
23 Reuwen Kalisch an Verf., Givat Chajim Meuchad 10. 4.
1991.
24 Simon Kronberg an Peter Kronberg, Haifa 12. 3. 1947,
APK.
25 Zur Geschichte Nahariyas hat Kronberg einen - vom 29.
10. 1943 datierten - Aufsatz verfaßt, in dem er unter anderem schreibt:
"Worte! Bilder! Träume! Rechtlich gesicherte Heimstätte! Blühende
Felder! Vaterland! Diese Worte werden allmählich seine Worte. [...]
Diese Bilder sieht er [der deutsche Jude, A.d.V.] nun schon mit seinen
Augen, eine Wirklichkeit. Und er selber schuf die Wirklichkeit. [...]
Sehr wach erkennt er die Kraft solchen Träumens und überträgt sie auf
seine Kinder. [...] Er überträgt sie auf die Forderung eines jüdischen
Landes: Hebräische Sprache, Hebräische Kultur", Simon Kronberg: Naharia,
Ts., DLA, TSK.
26 Dr. Fritz Wolf an Verf., Nahariya 20. 9. 1990.
27 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 3. 5.
1947, APK.
28 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 5. 6. 1947,
APK.
29 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 25. 5. 1947,
APK.
30 Hannah und Benjamin Jeremias an Verf., Nahariya o. D.
[August 1990].
31 Miriam Lion an Verf., Kiriath Bialik 14. 8. 1990.
32 Sabine Lindenbaum an Verf., Tel Aviv 5. 8. 1990.
33 Ard Feder: Erinnerungen an Schimon Kronberg aus den
Jahren 1940-1947, Beilage zu Brief Ard Feder an Karl Otten, Kiryat
Tiv'on 9. 4. 1961 (Kopie), APK.
34 Alfred Moses: Wer ist das? (Juni 1957). In: Jiskor (vgl.
Anm. 6), S. 30-33 (hebräisch; übersetzt von Jakow Kohl).
35 Vgl. Heinrich Jacoby: Grundlagen einer schöpferischen
Musikerziehung. In: Die Tat 13 (1922), H. 12, S. 889-909, hier S. 895f.
u. 899. Kronberg übernimmt die Terminologie Jacobys zum Teil
wortwörtlich, wie aus einem Brief an Elieser Lubrani, Konzept o.D., DLA,
TSK, hervorgeht, in dem er Gesang als 'Selbstarbeit' bezeichnet und das
"Singen des Einzelnen, auch des Gehemmten, als unmusikalisch geltenden
Menschen" propagiert.
36 Simon Kronberg: Lautbildung, Stimmbildung,
Bewegungslehre, hs. korrigierte Druckfahne, o.D., DLA, TSK.
37 Vgl. Simon Kronberg: Tagebuch [Bd. 1], Eintragung vom
12. 6. 1915, DLA, TSK; vgl. hierzu: Wallas: Nachwort (vgl. Anm. 2), S.
362ff.
38 Vgl. Simon Kronberg: Meine Arbeit...unsere Arbeit, Ts.,
DLA, TSK: "Ich aber glaube [...], dass ihr lebendige Menschen seid,
denen nur
Selbsthilfe und Selbstvertrauen abhanden gekommen sind. [...]
Ihr wurdet 'Gesangssoldaten mit musikalischem Paradeschritt'. [...] Nun
ist Singen, Musik in Wirklichkeit etwas ganz Anderes. [...] Lassen wir
einmal auch die mittun, die sich 'unmusikalisch' nennen. Wir
machen den Mund auf. Wir versuchen, uns mit Singen irgendwie
auszudrücken."
39 Simon Kronberg: [Ich sah am Abend...] (vgl. Anm. 12).
40 Simon Kronberg an Elieser Lubrani (vgl. Anm. 35).
41 Simon Kronberg: Jüdische Feier, Ts., DLA, TSK. Bereits
im Rahmen der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland war Kronberg für
die Gestaltung von Festen und für Gesangsunterricht zuständig, so etwa
hielt er im Dezember 1927 auf dem Führerlager des 'Jung-Jüdischen
Wanderbundes' in Berlin ein Referat zum Thema 'Feste und Feiern'
(zusammen mit Isi Reiss) (Abteilung 'Praktika der Bundesarbeit' der
'Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft'), vgl. Rundschreiben 3/29 des
Jung-Jüdischen Wanderbundes, Berlin 1. 11. 1927, Central Zionist
Archives (Jerusalem), Z4/2926 I; vgl. hierzu auch Wallas: Nachwort (vgl.
Anm. 2), S. 396f.
42 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 25. 5. 1947,
APK.
43 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 17. 7. 1947,
APK.
44 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 15. 8. 1947,
APK.
45 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 6. 4. (1947),
APK.
46 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 4. 1947,
APK.
47 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 29. 6. 1947,
APK.
48 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 12. 2. 1946,
APK.
49 Simon Kronberg an Peter Kronberg, Haifa 21. 7. 1946,
APK.
50 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 1.
1947, APK.
51 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 9. 1947,
APK.
52 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 20. 6. 1947,
APK.
53 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 8. 1946,
APK.
54 Vgl. Peter Kronberg an Verf., St. Louis 3. 5. 1990.
55 Ard Feder: Erinnerungen (vgl. Anm. 33).
56 Vgl. Simon Kronberg: Ehud. Ein Richter in Israel. Drama
in vier Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 130-164. Im
DLA befinden sich zwei Fassungen dieses Dramas.
57 Simon Kronberg: Notizbuch, DLA, TSK.
58 Vgl. Simon Kronberg: Chasán. In: Kronberg: Werke (vgl.
Anm. 1), Bd. 1, S. 180-209.
59 Vgl. I[smar]. E[lbogen].: Chasan. In: Jüdisches Lexikon.
Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden.
Begründet v. Georg Herlitz u. Bruno Kirschner. Berlin 1927, Neudruck
Frankfurt/M.
21987, Bd. 1, Sp. 1335-1337.
60 Simon Kronberg: Notizbuch, DLA, TSK. Ursprünglich gab
Kronberg der Figur des Verkünders den Namen 'Dam', erst in den späteren
Notizen findet sich der Name 'Chasán'.
61 Ebd.
62 Vgl. Simon Kronberg: Nittel (Blinde Nacht). Drama in
drei Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 165-202. Mit
dem Problem des Antisemitismus befaßt sich auch Kronbergs Exposé zu
einem Drama mit dem Titel Das deutsche Märchen ("Der gute Handel"),
DLA, TSK: "So wird der Dumpfe, der Dumme, der Bauer zu Deinem
Nachfolger, zu einem König. Das ist die Luft in der Juden in Deinem
Reich leben. Gefürchtet, verachtet, abgeschieden, fremd, jeder Schläue,
jeder Grobheit, jeder Ungerechtigkeit in jedem Augenblick ihres Lebens
ausgeliefert. Diese Luft kennt den Begriff der Menschlichkeit, der Güte
nicht. [...] Ist der Jude hungrig, singt er. Ist der Bauer hungrig,
schlägt er sein Weib. / Hat der Jude recht, bekommt er erst recht
Schläge. / [...] / Einen getauften Juden, einen geadelten Bauern und
einen gezähmten Wolf mag der Teufel holen."
63 Vgl. S[amuel]. R[appaport].: Nittel (Blinde Nacht). In:
Jüdisches Lexikon (vgl. Anm. 59), Bd. 4/1, Sp. 512f.
64 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 2. 12. 1946,
APK.
65 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 12. 1946,
APK. Vgl. auch Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 4. 1947,
ebd.: "Du bist nicht schuld daran, daß ein Teil meines Menschen wie ohne
Schlüssel für Dich ist. Und nur von diesem Teil aus ist der Mensch zu
begreifen, der Nitl schrieb", und Simon Kronberg an Herta Kronberg,
Haifa 6. 4. 1947, ebd.: "Ich bekam [...] einen Brief Deines geliebten
(auch von mir) Sohnes Peter, der mich so glücklich machte. [...] Das
hindert mich am Schmollen über unvermeidliche Dinge wie zb., daß mein in
mir so tief verankertes Judesein auch nicht den leisesten Anklang in
meinem Sohn findet. Peter schrieb mir in so bezaubernder, seelisch
sauberer Weise über seine Reaktion auf
Nitel, mein Drama. Mehr: was ich über alles liebe, wenn ein Mensch mit
Ehrfurcht vor einem Anderssein steht [...]."
66 Diese Konstellation enthält ein autobiographisches
Element: Kronberg war in erster und zweiter Ehe mit nichtjüdischen
Frauen verheiratet (im März 1917 heiratete er in Berlin Friedl "Hibi"
Gieseke, von der er 1929 geschieden wurde, im Januar 1930 ehelichte er
Margarete Charlotte Herta Dautert, mit der er seit 1926 zusammenlebte).
Zum Antisemitismus nimmt er in einem Brief an Herta folgendermaßen
Stellung: "ist das eine Welt, in die wir geboren wurden! Jeder gegen
Jeden und an allem ist - noch immer - der Jud schuld. Wie das wohl sein
muß, kein Jude zu sein und darüber zur Tagesordnung übergehen zu können?
Ich würde ja klein beigeben, wenn die Anderen [...] so vollendete
Exemplare der Menschheit wären, daß sie mit Recht uns den klaren Spiegel
vorhalten könnten, in dem wir Verruchte uns klein und häßlich zu zeigen
hätten", Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 7. 7. 1947, APK.
67 S. Ph. de Vries: Jüdische Riten und Symbole. Wiesbaden
61990, S. 162 u. 169.
68 Vgl. Karl Otten: Nachwort. In: Das leere Haus. Prosa
jüdischer Dichter. Hrsg. v. Karl Otten. Stuttgart 1959, S. 602-621, hier
S. 614.
69 Vgl. Simon Kronberg: Der Tod im Hafen. Drama in drei
Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2. S. 203-256. Das Drama
sollte im Moadim Verlag erscheinen, vgl. Aufbau (New York) 13, H. 51
(19. 12. 1947), S. 15.
70 Vgl. Gabriele Anderl: Der Untergang der "Patria". In:
profil. Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs 21 (1990), H. 30,
S. 70-73 (aus diesem Artikel stammt auch das Zitat aus dem
zeitgenössischen Bericht). Vgl. auch A[haron]. Z[wergbaum].: Patria. In:
Encyclopaedia Judaica. Jerusalem 1966ff., Bd. 13, Sp. 181. - Erich
Gershon Steiner: The Story of the Patria. New York 1982. - Gabriele
Anderl: Emigration und Vertreibung. In: Vertreibung und Neubeginn.
Israelische Bürger österreichischer Herkunft. Hrsg. v. Erika Weinzierl
u. Otto D. Kulka. Wien-Köln-Weimar 1992, S. 167-337, hier S. 307f.
71 Munya M. Mardor: Haganah. Strictly Illegal. New York
1964, zit. nach Anderl: Der Untergang der "Patria" (vgl. Anm. 70), S.
71.
72 Simon Kronberg: Der jüdische Mensch, Hs., DLA, TSK.
73 Diese Rede Jaakows ist in deutscher Sprache und
hebräischer Übersetzung wiedergegeben.
74 Vgl. M[ax]. J[oseph].: Jom Kippur. In: Jüdisches Lexikon
(vgl. Anm. 59), Bd. 3, Sp. 309-313, hier Sp. 310.
75 Vgl. Simon Kronberg: Mamma. Komödie in drei Akten, Ts.,
DLA, TSK.
76 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 9. 1947,
APK.
77 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 27. 10. 1947,
APK.
78 Vgl. Simon Kronberg: Gänse. Komödie in drei Akten, DLA,
TSK.
79 Zum Inhalt dieser Komödie vgl. Simon Kronberg: Werke
(vgl. Anm. 1), Bd. 2, Anhang, S. 277ff.
80 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 9. 3. 1947, APK.
81 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 5.
1947, APK: "Österreich ist für mich ein besonderer Klang, verwoben mit
dem Schönsten. [...] Ich habe oft Sehnsucht nach Österreich. Vielleicht
nach einem Traum-Österreich, das schöner, menschlicher, aufgeschlossener
ist als alle anderen Länder der Welt. Ich war in meiner Jugend dort. Und
habe mit 20 Jahren das Weite gesucht..."; vom Kulturleben im
Nachkriegsösterreich erwähnt Kronberg in den Briefen an die Familie
unter anderem die Salzburger Festspiele sowie die Zeitschriften Der
Turm,
Europäische Rundschau und Erbe und Zukunft.
82 Vgl. Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 22. 2.
1946, APK.
83 Diese Texte befinden sich als Ts. in DLA, TSK.
84 Vgl. Simon Kronberg: Der verlorene Sohn. In: Kronberg:
Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 325-329.
85 Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 105.
86 Im Gedicht Der verlorene Vater (1946), das die
Gefühlsschwankungen im Verhältnis zu seinem Sohn, von dem er jahrelang
getrennt war, beschreibt, kehrt Kronberg die Motivkonstellation um,
indem er die Suche des Vaters nach dem Sohn thematisiert, vgl. Simon
Kronberg: Der verlorene Vater. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1,
S. 114.
87 Simon Kronberg: Der Jude. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm.
1), Bd. 1, S. 27.
88 Simon Kronberg: Jom Kippur. In: ebd., S. 102f.
89 Vgl. Donald Ward: Baum. In: Enzyklopädie des Märchens.
Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung.
Hrsg. v. Kurt Ranke. Berlin-New York 1977, Bd. 1, Sp. 1366-1374.
90 Vgl. Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 101.
91 Simon Kronberg: Der Jude. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm.
1), Bd. 1, S. 112.
92 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 8.
1946, APK.
93 Hessing: Krone erdwärts wie im Traum (vgl. Anm. 1), S.
28.
94 Vgl. Simon Kronberg: Leah. In: Kronberg: Werke (vgl.
Anm. 1), Bd. 1, S. 316-324.
95 Vgl. Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 17. 2.
1947, APK: "Es ist ein Vorsprung in seinem [Peters, A.d.V.] lieben
Leben, den ich vergebens bei mir suche: die Mutter, wie Dich. Alle
Männer, die in Ruhe wachsen, haben diesen Vorsprung. Die, die ihn nicht
hatten, wie ich, verbrauchen ungeheure Mengen von Energie, nur um dieses
Weniger ein wenig auszugleichen; [...]. Mir graut vor meiner Jugend,
wenn ich an sie zurückdenke. [...] Und so finde ich mich immer noch
unterwegs, sehr, sehr langsam erwachsen werdend." In den Briefen an
Herta Kronberg verwendet er die Anredeformen 'Mammi' und 'Mammilein'.
96 Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 109. Vgl. auch
folgende Notizen Kronbergs zu dem geplanten Drama Die zwei Schwestern:
"lea, rachel, jaakob. Das ist die geschichte, das drama der drei. [...]
Zuerst die lea gesehen und angesprochen. Dann die rachel gesehen und
geliebt. Dann das opfer der begegnung. Dazwischen: das verlassen.
[...] Endlich:
die bezahlung (das ende)"; "keine weiß, daß dieser mann jakob derselbe
ist. [...] So daß aus jeder der schilderungen ein teil von jakob, immer
der teil, der zu der einen aus- und von ihr zu jakob wieder
zurückstrahlte, zu erleben ist. Sie leben zwei welten, diese schwestern.
Aus zwei welten setzt sich jakob zusammen", Simon Kronberg: Notizbuch,
DLA, TSK.
97 Simon Kronberg: Am Morgen. In: Kronberg: Werke (vgl.
Anm. 1), Bd. 1, S. 122.
98 Vgl. -d: Wie wir hören. In: Aufbau (New York) 13, H. 51
(19. 12. 1947), S. 15.
99 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18./19. 10.
1947, APK.
Gemeinsames Projekt der
Universitäten Tel Aviv und Konstanz:
"The Contribution of Jewish Theatre Artists in the German Speaking
Countries, in Palestine and in Israel"
- MitarbeiterInnen des Projektes
- Abstract zu Forschungszweigen
-
Tagung "Jüdisches Theater und jüdischer Film", Konstanz, September 1997
(Vortragstexte)
-
Tagung "Helden und Märtyrer", Tel Aviv, April 2000 (Abstract und Beiträge)
Vor dem Vergessen bewahrt:
Moshe Yaacov BenGavri'el
Im beschaulichen Jerusalem der
vierziger und fünfziger Jahre war er bei seinen Freunden und in
jeckischen Kreisen unter seinem Spitznamen, "Moj" benGavri'el, weit
bekannt...
Vor dem Vergessen bewahrt:
Armin
Alexander Wallas
Mit Armin A. Wallas verließ uns einer
der wichtigsten Literaturwissenschaftler und Fachmann der
jüdisch-deutschen und jüdisch-österreichischen Schriftsteller...
hagalil.com
22-09-03 |