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Kibbuznik, Schuhmacher, Gesangslehrer und Dichter:
Simon Kronberg in Palästina
(1934-1947)

Von Armin A. Wallas

An Bord des Dampfers 'Jerusalem' fuhr der Schriftsteller und zionistische Jugendführer Simon Kronberg im Oktober 1934 mit einer Gruppe jüdischer Jugendlicher nach Palästina. Mit der Fahrt von Berlin über Triest nach Haifa trat er die Flucht vor der nationalsozialistischen Judenverfolgung an, vor allem aber bedeutete ihm die Rückkehr in das Land der Väter die Erfüllung seiner zionistischen Sehnsucht.

Palästina betrachtete er nicht als Land des Exils, sondern als Ort der Hoffnung, an dem ein neues, von Verfolgung und Unterdrückung freies jüdisches Leben, ein eigener jüdischer Staat verwirklicht werden sollte. Am 15. Oktober landete Kronberg im Hafen von Haifa, erleichtert darüber, Hitler-Deutschland verlassen zu haben, und erfüllt von der Zuversicht, am Aufbau der neuen jüdischen Gemeinschaft mitwirken zu können; ein wenig getrübt wurde die Euphorie des Aufbruchs jedoch durch die Tatsache, daß er seine (nichtjüdische) Ehefrau Herta und Sohn Peter in Berlin zurücklassen mußte. In Berlin blieb auch ein Großteil seiner literarischen Manuskripte zurück, die zu den aussagekräftigsten und sprachmächtigsten Texten des Spätexpressionismus zählen, von denen zu seinen Lebzeiten aber nur ein geringer Teil veröffentlicht wurde.1 Mit seiner Alijah [Aufstieg], der Einwanderung in das jahrhundertelange Sehnsuchtsland der Diaspora-Juden fand Kronberg nicht nur Schutz vor Verfolgung, sondern er erhielt nun die Möglichkeit, sein literarisches Wirken in den Dienst der zionistischen Idee und des Aufbaus eines sozial gerechten jüdischen Gemeinwesens zu stellen. Wenn auch so manche Hoffnungen Kronbergs enttäuscht wurden und seine - Chiffren jüdischen Lebens von der biblischen Zeit bis in die Gegenwart entwerfenden - Dramen keinen Widerhall fanden und unveröffentlicht blieben, so konnte er doch durch seine volksbildnerischen Initiativen als Gesangslehrer und Chorleiter wichtige Impulse zur Integration der aus dem deutschen Sprachraum eingewanderten Juden in die palästinensische Gesellschaft setzen.

Geboren wurde Simon Kronberg 1891 in Wien als Sohn galizischer Zuwanderer.2 Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in einer von ostjüdischer Frömmigkeit und kleinbürgerlicher Enge geprägten Atmosphäre, aus der er 1913 ausgebrochen ist, um in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden die von Emile Jaques-Dalcroze geleitete 'Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus' zu besuchen. Im September 1914 übersiedelte er nach Düsseldorf, nahm Schauspielunterricht an der 'Hochschule für Bühnenkunst' des Düsseldorfer Schauspielhauses, beendete diesen Unterricht aber bereits nach wenigen Monaten wegen Differenzen mit den Lehrern, ließ sich privat zum Phonetiklehrer ausbilden und begann mit ersten literarischen Versuchen. Die Unentschlossenheit, welchen künstlerischen Beruf er ergreifen sollte, führte ihn 1915 nach Berlin, die Metropole des literarischen und künstlerischen Expressionismus. Unter dem Eindruck des Phänomens der Großstadt mit ihren dissoziierenden Eindrücken, ihrem Lebenstempo, ihrer pulsierenden Dynamik, aber auch mit ihren bedrohlichen, die Auflösung des Subjekts beschleunigenden Aspekten steigerte sich die literarische Produktivität Kronbergs. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen 1916/17 in einem der führenden Organe des Expressionismus, der von Franz Pfemfert herausgegebenen Wochenschrift Die Aktion. 1919/20 fand er Kontakt zu dem Kreis um die von Wolf Przygode herausgegebene Zeitschrift Die Dichtung, in der Gedichte und Aufzeichnungen Kronbergs sowie sein Drama Schimen in der Stille (1923) veröffentlicht wurden. 1921 erschien im 'Verlag der Dichtung' Gustav Kiepenheuer (Potsdam) Kronbergs einzige Buchveröffentlichung, der Prosaband Chamlam, der die Identitätssuche eines jungen Juden beschreibt, der sich in den Straßen der Stadt wie in einem "Garten der Zersplitterung"3 erlebt und sich auf die Suche nach Gott begibt. Die Vision des Sabbath und der Güte Gottes, die am Ende des Buches imaginiert wird, ist jedoch erst auf der Grundlage einer mehrfachen Brechung möglich: wie sein alter ego Chamlam - der 'Dummkopf', so die selbstironische Übersetzung - suchte Kronberg einen neuen Zugang zur jüdischen Tradition, indem er Elemente der traditionellen Lebenswelt (Vater, Lied, Lehrhaus), aus der er selbst ausgebrochen war, mit der Erkenntnis von der Dissoziation von Ich und Welt, Sprache und Realität konfrontiert, und es ihm so gelingt, zu einer Neuinterpretation der jüdischen Identität vorzudringen. Der Vielschichtigkeit der thematisierten Identitätsproblematik entsprechend setzt sich die Irritation des Lesers im Bereich der Form fort, die von einer kunstvollen Verschachtelung lyrischer, epischer und reflektierender Passagen, dem Wechsel der Erzählperspektive und der Spiralstruktur der Handlungsführung geprägt ist.

Zu Beginn der zwanziger Jahre fand Kronberg Anschluß an die zionistische Bewegung, in deren Dienst er fortan seine literarische Tätigkeit stellte. Besonders engagiert wirkte er an den Aktivitäten der jüdischen Jugendbewegung mit: er gehörte als Jugendführer und Chorleiter dem 'Jung-Jüdischen Wanderbund' an, veranstaltete Feste und führte mit Mitgliedern des Bundes eigene dramatische Werke auf. Der 1925 mit dem 'Brith Haolim' [Bund der Aufsteigenden] fusionierte 'Jung-Jüdische Wanderbund' wurde im Februar 1933 mit dem Jugendbund 'Kadima' [Vorwärts] unter dem Namen 'Habonim Noar Chaluzi' [Bauleute] vereinigt; im November 1933 schloß sich der Bund 'Noar Haoved' ebenfalls an Habonim an.4 Als Jugendführer des Bundes 'Habonim Noar Chaluzi Noar Haoved' nahm Kronberg an der Hachscharah, den Vorbereitungskursen für die Übersiedlung nach Palästina, auf Gut Winkel teil und übersiedelte in dieser Funktion schließlich nach Palästina. Zudem betätigte sich Kronberg in dem von Gershon Melber (1910-1985) in Berlin mitbegründeten 'Arbeitskreis jüdischer Jugendgruppen'. Aufschluß über die pädagogischen Ideale dieser Gruppierung gibt ein unter dem Titel Von der Grenadierstraße zum Arbeitskreis veröffentlichter autobiographischer Text Melbers, der ebenfalls 1934 nach Palästina übersiedelt ist, als Jugendführer im Kinderdorf Ben Schemen und in der Jugendalijah-Arbeit tätig war und später als Jurist gewirkt hat: "Vom Vater also lernte ich vom Geiste des 'Gässls', der in seinen Händen ruhte, und so erwarb ich ihn und übertrug ihn, so weit es in meinen Händen lag, an den Arbeitskreis. Und so schließt sich dieser Kreis, darin Erzählung nach Erzählung, die alle den gemeinsamen Stempel tragen: Liebe den Menschen."5 Auf ähnliche Weise wie Melber versuchte auch Kronberg, chassidische Spiritualität und jüdisch-religiöse Geistigkeit mit zionistisch-sozialistischem Engagement zu vereinen. Als Medium seines Wirkens verwendete er hierbei das jüdische Lied, dessen Schönheit ihm von seinem Vater erschlossen worden war, und in dem er das Fundament einer geistig-emotionalen Gemeinschaftsbildung erblickte. Welchen Eindruck Kronberg auf seine um vieles jüngeren Zuhörer ausgeübt hat, vermittelt ein Bericht von Jakow Kohl: "Aber in der Minute da er den Mund auftut - und singt - einen jüdischen Niggun, ein Lied oder eine Phantasie oder irgendeine andere Melodie - in dem selben Augenblick unser Herz erwärmte sich für ihn - und er verwandelte uns zu einer Einheit, einer Gruppe - und wir haben nur noch einen Wunsch mit ihm zusammen zu singen."6 Und Esther Barta ergänzt: "Ich war noch in der Schule, als ich durch Gerschon Melber und Alfred Kohl in den turbulenten 30er Jahren Schimon kennenlernte. Er entwickelte sich schnell zu einer zentralen Persoenlichkeit im kulturellen Bereich. Begeistert nahm ich teil am gemeinsamen Singen juedischer Buende im Chor, in dem er unsere Beziehung zur jiddischen und hebraeischen Sprache, zum Chassidismus und zum Judentum vertiefte. Ich erinnere mich besonders an eine Vorstellung, die Schimon inszenierte und die im Lehrervereinshaus, Berlin, stattfand. Das Publikum wurde in einer lebendigen und faszinierenden Darstellung durch die dramatischen Ereignisse der juedischen Geschichte seit der Zerstoerung des Tempels und die Vertreibung der Juden in die Diaspora gefuehrt. Ueber diese dunkle Epoche hinweg wies er in einem eindrucksvollen Finale auf die Loesung, die Gruendung eines juedischen Staates hin. Die Mittel denen er sich bediente waren hinreissend, ueberzeugend, dramatisch."7

Seiner sozialistischen Gesinnung entsprechend bewarb sich Kronberg mit seiner späteren Frau Jael und seinem Freund Jakow (Alfred) Kohl, die ihn auch auf der Fahrt nach Palästina begleitet hatten, um die Aufnahme in einen Kibbuz. Der 'Habonim'-Jugendbund hatte sich 1933 der Kibbuzbewegung 'Hakibbuz Hameuchad' angeschlossen, die der 1919 gegründeten sozialistischen Arbeiterpartei 'Achduth Haawoda' [Arbeitsgemeinschaft] nahestand. Die Kibbuzbewegung ist Ausdruck des Strebens der jüdischen Jugendbewegung nach der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft im Kleinen, die nicht durch staatliche Direktive, sondern durch die auf freiwilliger Basis erfolgte Errichtung von Gemeinschaftssiedlungen verwirklicht werden sollte. Die Grundlage der Kibbuz-Ideologie bildete die Verbindung von landwirtschaftlicher Arbeit zur Kolonisierung und Urbarmachung des Landes mit dem Aufbau eines genossenschaftlichen, egalitären, auf Privatbesitz verzichtenden Gemeinschaftslebens. Yitzhak Tabenkin, der Ideologe der 'Hakibbuz Hameuchad'-Bewegung, bringt die Ziele der ursprünglichen Kibbuz-Idee folgendermaßen zum Ausdruck: "The kvutza was the result of everything that the Jewish worker did in Palestine: in the conquest of work in town and country, in the conquest of the soil, the need for the kvutza always appeared; for we were alone and powerless, divorced from our parents and our environment, and face to face with the difficulties of life - the search for employment, illness, and so forth... The conquest of work turned the individual to the kvutza from his very first day."8 Und über die Integration der aus Deutschland eingewanderten Olim [Aufsteigende = Neueinwanderer] schreibt er: "Wir nehmen als unser Ziel zentral geleitete und gemischte Kibbuzim, keine totale Aufteilung, aber auch keine Isolierung - eine gemischte Wirtschaft, eine gemischte Gesellschaft und Vereinigung zwischen den Alteingesessenen (Vatikim) und den Neuen."9

Im Sinne dieser Leitlinie wurde den deutschen Einwanderern nicht erlaubt, eigene Kibbuzim zu gründen, sondern es wurde ihnen nahegelegt, sich in bereits bestehende Siedlungen einzugliedern (eine Ausnahme bildete eine Siedlungseinheit in Gedera, die von 'Habonim'-Mitgliedern gegründet wurde). Simon Kronberg trat gemeinsam mit seiner späteren Frau Jael in den 1932 gegründeten, in der Nähe von Chedera gelegenen Kibbuz Givat Chajim ein; benannt war dieser Kibbuz zu Ehren des 1933 ermordeten zionistischen Arbeiterführers Viktor Chajim Arlosoroff (1899-1933), dem Kronberg sein letztes in Berlin entstandenes Drama gewidmet hat, einen Sprechchor, der die Geschichte des Volkes Israel von der biblischen Zeit über die Diaspora und das Entstehen der zionistischen Idee bis zum Aufbau des jüdischen Gemeinwesens in Palästina erzählt.10 Wie sehr sich Kronberg mit den Idealen der Kibbuzbewegung identifiziert hat, geht aus einer Notiz hervor, die er zu seinem 45. Geburtstag verfaßt hat:

"Fast zwei Jahre im Kibbuz. Einer, der aus Deutschland nach Erez Jisrael kam. Von dort wegfuhr in Gesellschaft von jungen Menschen. Ein Mann über 40 Jahre alt. Entscheidende Erziehungsjahre in Deutschland, über 20 Jahre dort, mit nur gelegentlichem Zurücktasten nach Wien, der Geburtsstadt.

Überzeugt von der Notwendigkeit eines Lebensumbaus: Rückwandlung zum jüdischen Menschen. Der Glaube an die gesellschaftliche Kraft des Kibbuz (neue Lebensform), der Glaube an die Kraft der ehemals heimischen Erde, Luft, Wasser, der Elemente Palästinas. Kristallisiert sich zur Aufgabe für Palästina: Erziehungsarbeit im Kreis der jungen Menschen 1) zurück zu denen, die noch in der Vorbereitung für Erez in Berlin leben - 2) hin zu denen, die schon in Pal[ästina]. sind.

1) klar. 2) weil die Sage umging: dieses Pal[ästina]. besitze kraft der Erde, Wasser, Luft - der Elemente / die Menschen dort jedoch noch kein Organ dafür. Es fehle dort an Kräften die imstande seien, diese Metamorphose zu klarem Leben zu bringen. Man käme hin, ordne sich ein, lerne hebräisch... jede Äußerung jedoch des inneren Lebens sei abwegig von Neuschaffung, Jüdischkeit - siehe Gesang, Musik, Fest, Feier, Schabbath, Gang, Tanz."11

Die "Rückwandlung zum jüdischen Menschen", die Kronberg als Ziel der Alijah nennt, beruht auf einer Zusammenführung der Ideen des Sozialismus mit der Geistigkeit der jüdischen Religion, wie sie sich in religiösen Festen und in Liedern zum Ausdruck bringt. Sein Bemühen, religiöse Elemente im Kibbuzleben zu verankern, brachte ihn jedoch in Konflikt zu den laizistisch-sozialistisch ausgerichteten Gruppierungen. Wie sehr sich Kronberg darum bemühte, die zionistischen Pioniere zu einer Rückbesinnung auf ihre jüdischen Ursprünge zu veranlassen, dokumentiert eine Ansprache, in der er die Erneuerung des hebräischen Liedes, die Einbindung in die orientalische Musiktradition und die Abkehr von der europäischen Musikauffassung fordert:

"Der jüdische mensch (soweit er schon existiert) hungert regelrecht nach seiner ihm gemäßen musik, die ihm nicht nur ausdruck ist, die ihn wachsen und reif werden lassen kann... Ich weiß, daß diese musik gelebt hat, ich weiß, daß sie jetzt noch (in Fetzen) lebt, ich gehe lieber mit einem solchen Fetzen an mir, als daß ich fremde schöne kleider anziehe. Mein Vater lebte sein jüdisches leben aus dieser musik (die ihm ein schönes, ganzes kleid war). Er wärmte damit sich und mich - nach Jahren des Protestes mußte ich diese wärme an mir gewahr werden und daraus eine aufgabe für mich entdecken. Diese Fetzen (diese blühenden farben) liegen im Niggun. Hier ist der ganze abendländische Verstand ausgeschaltet, der zerstreuen lassen könnte. Hier redet die Sprache, die geformte Musik meines vaters und seiner väter rein zu mir. Ich höre sie wieder in liedern, volks- und kunstliedern jüdischer musiker, die nichts anderes tun, als dieser sprache wieder erlauben, tönend zu werden, wach zu werden. [...] Und damit, scheint mir, ist ein weg zu musik gefunden, der dem chawer des kibbuz entspricht..."12

In einem Pessach im Kibbuz betitelten, vermutlich 1937/38 entstandenen Kurzdrama thematisiert Kronberg die Frage nach dem Sinn der jüdischen Feste in der Gegenwart.13 Für einen Teil der Kibbuzniks, die Kronberg auf die Bühne stellt, haben die jüdischen Festtage ihre Bedeutung verloren, an deren Stelle der Erste Mai als internationaler Feiertag der Arbeiterschaft getreten ist, für andere jedoch stellen sie unverzichtbare Elemente der Tradition dar, die erklären, "warum wir immer noch ein Teil eines jüdischen Volkes sind" (S. 127). Am Beispiel des Pessachfestes, das die Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten wachhält, beschreibt Kronberg die identitätsbildende Funktion der religiösen Tradition und die beispielgebende, auf höhere Ziele weisende Wirkung der gemeinschaftlichen Erinnerungsarbeit. So antwortet eine Frau auf die Aufforderung eines Kibbuzniks, "endlich Schluß zu machen mit dem alten Kram" (S. 126), mit dem Hinweis auf die fortdauernde Aktualität des in Erinnerung Gerufenen: "Wenn aber dieser alte Kram unserem Menschen zur Besinnung verhilft, daß erst dort, wo sein Egoismus aufhört, das Lernen anfängt: wer ist das, dieser Nebenmensch?... dann bin ich für diesen alten Kram. [...] Zum Beispiel für Pessach! Die Zeit, in der wir leben, lehrt, daß nur der Mensch nicht absinkt in den Dreck, der ständig im Bewußtsein trägt, und von Zeit zu Zeit von dort hervorholt und erzählt: wie mühsam man aus Sklaverei zur Freiheit zieht. Nur der von uns, der weiß, daß immer möglich ist, was einmal möglich war, verzweifelt nicht vor dieser Gegenwart. Er lernt von diesem Früher den Gebrauch für unser Morgen." (S. 127) Wie Kronberg in einer Ansprache ausgeführt hat, versteht er Pessach als Feier der Erinnerung, die die Juden daran mahnt, dem Gebot des Jiskor, der Bewahrung des Gedächtnisses zu folgen:

"In dieser Nacht wird uns allen klar, dass wir aufgehört haben, Symbole der Eile, der Knechtschaft, des Herrentums zu beachten. [...] Daraus lernen wir, dass es nötig ist, die Erinnerung zu hüten. Sie allein bewahrt uns davor, Hunde zu werden, Sklaven des Vorübergehenden zu werden, den Knochen über alles in der Welt zu lieben. [...] Wir sind gesegnet mit der Erinnerung. Erinnern wir uns! Und wenn ihr mich fragt: warum gerade in dieser Nacht? So will ich Euch antworten: in allen Nächten!!! In dieser Nacht besonders, denn in dieser Nacht wurden wir aus hündischen Sklaven in Egypten Juden mit einer Aufgabe. Erinnern wir uns..."14

Das religiöse Fest initiiert den Prozeß kollektiven Erinnerns, der den Widerstandswillen und das Zusammengehörigkeitsgefühl des Volkes bestärkt.

Die Pessachfeier belebt die Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und an den Beginn der Geschichte des Volkes Israel. Der Sinn der Feier liegt jedoch nicht nur darin, ein nationales Identifikationsbild zu konstruieren, sondern auch in der hautnah (wieder-)erlebten Präsenz des symbolischen Geschehens. Ausgehend von den Figuren der Pessach-Haggadah aktualisiert Kronberg im Drama Pessach im Kibbuz die biblische Geschichte, indem er sie in die Gegenwart versetzt: die Rolle des verfolgten jüdischen Volkes übernimmt ein Flüchtling aus Deutschland, der um Aufnahme in die Kibbuzgemeinschaft gebeten hat, während jener Kibbuznik, der aus Nützlichkeitserwägungen gegen die Integration des Flüchtlings gestimmt und die jüdischen Feste als "alten Kram" bezeichnet hat, "mit den Emblemen des Hitler, Schnurrbart und Hakenkreuz" (S. 129), behängt wird. Das weitere Geschehen spielt sich in Form einer Pantomime ab: Hitler verfolgt den mit einem "großen gelben Fleck" stigmatisierten Flüchtling, der einen Geldsack mit sich trägt, der ihm aber im Laufen hinderlich ist und den er schließlich Hitler vor die Füße wirft: "Während Hitler ihn aufnimmt, nimmt der Flüchtling einen Anlauf und überspringt mit einem mächtigen Satz das Meer. Er landet bei der Menge. Hitler will ihm, mit dem Sack voll Geld im Arm, nach, und fällt ins Meer, wo er ertrinkt." (S. 129) In der symbolischen Handlung des Dramas wiederholt sich die biblische Geschichte von der Rettung des Volkes Israel (dargestellt durch den Flüchtling) und der Vernichtung des Pharaos (bzw. Hitlers). Zugleich drückt sich darin die Warnung Kronbergs vor einer Verengung der Ideale der Kibbuzbewegung auf eine bloß zweckrational- und nützlichkeitsorientierte Arbeitsethik aus.15 Mit dem Drama Pessach im Kibbuz hat Kronberg ein Lehrstück geschaffen, das die Vereinbarkeit der religiösen Tradition des Judentums mit den Ideen des Sozialismus zum Inhalt hat und zugleich zur Solidarität mit den aus Hitler-Deutschland geflüchteten Juden aufruft. Die Aktualität des Pessachfestes manifestiert sich für Kronberg darin, daß es Maßstäbe des verantwortungsbewußten Handelns setzt und auf der Identifikation mit den Unterdrückten und Verfolgten, deren Freiheitswillen es stärkt, beruht.

Wegen seiner schwächlichen körperlichen Konstitution wurde Kronberg im Kibbuz nicht zur Feldarbeit eingeteilt, sondern erhielt eine Beschäftigung als Schuhmacher. Aus den Erinnerungen seines Freundes Jakow Kohl geht hervor, daß das Kibbuzleben "auf der einen Seite gut" für Kronberg war, "denn so brauchte er nicht seine Kräfte verschwenden um das tägliche Brot zu verdienen - aber auf der anderen Seite: Kronberg war kein Mensch für die Kommune - Kronberg war immer ein 'Einzelgänger', ein ganz besonderer und ein in sich abgeschlossener, der nur ausstrahlen konnte: Freude am Leben, Dank an Himmel (Schicksal) daß ein neuer Tag da war, eine neue Stunde des Erlebens -".16 Und über seine Tätigkeit in der Schusterwerkstatt des Kibbuz schreibt Kohl: "Ich erinnere mich an jenen Tag, da ich von meinem Arbeitsplatz ins Kibbuzlager geschickt wurde - und plötzlich [...] hörte ich Gesang und Gelächter [...] - Es waren einige Chawerim da, die einen besonderen Grund hatten zu feiern: Schimon hatte an diesem Tage das erste Mal ein Paar Schuhe gemacht mit seinen eigenen Händen - und ohne Hilfe. Er war mächtig stolz, daß er dem Kibbuz zu nutzen sein konnte - trotz seines hohen Alters. Nicht wenige Chawerim nannten ihn: 'Hans Sachs, den singenden Schuster'..."17 Eine besondere Vorliebe Kronbergs galt - wie schon während seiner Zeit in der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland - dem Singen, vor allem dem Gemeinschaftsgesang, wie sich Pinda Schefa, ein Gründungsmitglied des Kibbuz Givat Chajim, erinnert: "Er war schwächlicher Natur und wurde wohl deshalb zu keiner physisch schweren Arbeit eingeteilt, also als Schusterlehrling. Dort, vielleicht im Takte des Hammers, summte er seine Lieder und ich nehme an, dass ihm das Singen wohler tat, als das Klopfen des Hammers. In seiner und unserer Freizeit wurde viel gesungen (so auch in anderen Sprachen), aber soweit ich mich erinnere, sangen wir mit Schimon nur in hebräisch. Allerdings war diese Gruppe oder Kreis fast nur von Leuten aus westeuropäischen Jugendbewegungen besucht."18 Ergänzend hierzu berichtet Chanan Cohen: "Da in meinem Kibbuz viele aus dem deutschen Kultur-Kreis kamen, ist es natürlich, dass Simon bald unseren Chor leitete. Es war ein Vergnügen, unter seiner Leitung zu singen. Er lernte die hebräische Sprache schnell und wir waren sehr zufrieden mit seinem Repertoire. [...] So wie wir Alle war auch er ein richtiger Pionier."19 Wie sich Kronberg selbst gesehen hat, kann man der unveröffentlichten Prosaskizze Panoptikum entnehmen, die in Form mehrerer Einzelporträts einen Querschnitt durch die Kibbuzgemeinschaft wiedergibt; in diesem Text, der vermutlich als Couplet vorgetragen wurde, findet man unter der Überschrift 'Schimon' auch ein ironisches Selbstporträt des Autors: "Eine Abart von der wir hoffen, dass sie nicht alle Tage vorkommt. Geboren im Bau mit weissen Haaren, entweder er singt oder er schreit. Gefährlich unlogisch: schmale Brust und starke Lungen. Wer ihn mag, mag ihn ohne nachzudenken. Wer ihn hasst, hasst ihn ohne nachzudenken. Ein Phonetiker. Er kann Dich auftun wie ein Buch und darin lesen, er kann Dich vergessen wie eine Ader an seinem Herzen. Möge Erez ihn zu einem Bau segnen."20

Während seines zweijährigen Aufenthalts in Givat Chajim schrieb Kronberg unter anderem den Sprechchor Wien 1936, der von Mitgliedern des Kibbuz in verteilten Rollen aufgeführt wurde.21 Mit diesem Stück, das aus einer Collage von zeitgeschichtlichen Ereignissen, Bezugnahmen auf historische Personen und Zitaten zusammengesetzt ist, ruft Kronberg die Arbeiterschaft Palästinas zur Solidarität mit dem Kampf der österreichischen Arbeiter gegen die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und ihrem Widerstand gegen die austrofaschistische Diktatur auf. Das Stück steht in der Tradition des proletarischen Sprechchors, einer dramatischen Gattung, die im 'Roten Wien' der Zwischenkriegszeit besondere Wertschätzung genoß. Ziel des Sprechchors ist es, Ausdruck kollektiver Gesinnung zu sein und "einen Massenchor nicht nur zur Rezitation, sondern zur Verkörperung eines Kunstwerkes zu erziehen": "Dazu kommt, daß es der modernen Jugend nicht genügt, nur Publikum zu sein. Sie hat das Bedürfnis, ihre Gefühle selbsttätig auszudrücken, sich selber darzustellen. Menschen, deren Verlangen es ist, gemeinsam zu kämpfen, gemeinsam zu spielen, gemeinsam das Leben zu gestalten, haben ein tiefes Verlangen, dieses Gemeinschaftserlebnis im Kunstwerk wiederzugeben."22 Verteilt auf zirka 200 Sprechrollen erzählt Kronbergs Stück die Geschichte vom Kampf der österreichischen Sozialdemokratie gegen die reaktionären Mächte. In schlagwortartiger, auf prägnante Aussagen reduzierter Form werden markante Ereignisse der jüngsten österreichischen Geschichte verlebendigt; im Mittelpunkt steht dabei der im Februar 1934 durchgeführte bewaffnete Aufstand des Republikanischen Schutzbundes gegen die autoritäre Regierung von Bundeskanzler Dollfuß. Detailgenau beschreibt Kronberg die Stationen des Kampfes bis zur brutalen Niederschlagung des Aufstands durch Militär, Polizei und Heimwehr und schließlich die standgerichtliche Hinrichtung der Arbeiterführer. Als den "eigentliche[n] / Sieg der Staatsorgane" bezeichnet er das Ausbleiben des Generalstreiks: "Der Generalstreik wird nicht durchgeführt!!! Eisenbahner streiken nicht! Zeitungen streiken nicht! In vielen Bezirken wird gearbeitet!" (S. 119) Als fiktionales Element fügt Kronberg die Gestalten von Pierre Léon und Cornelia Thornwell aus Upton Sinclairs Roman Boston in den Sprechchor ein, deren Aussagen er als Kontrapunkt zu dem wiedergegebenen historischen Geschehen einsetzt. Pierre Léons Rede proklamiert die Notwendigkeit des revolutionären Kampfes gegen die kapitalistische Gesellschaft und liefert die ideologische Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt im Widerstand gegen die Unmenschlichkeit: "Wir wissen, daß Kapitalismus ein Weltgemetzel nach dem anderen bedeutet! Und zwar unvermeidlich. [...] Die kommunistische Anschauung wurde einmal so definiert: Nie zur Gewalt greifen, bevor man nicht genügend Gewaltmittel zur Verfügung hat. Das höfliche sozialistische Programm muß erst noch demonstrieren, wie man zentimeterweise einen Tiger umbringt!" (S. 123)

Durch die gemeinschaftliche Aufführung dieses Stückes sollten die Mitglieder des Kibbuz auf unmittelbare Weise mit dem Kampf und dem tragischen Scheitern der österreichischen Arbeiter konfrontiert werden. Indem die Grenze von Akteuren und Zuhörern aufgehoben wird, werden die Darsteller zu Miterlebenden. Jeder einzelne Sprecher ist zugleich handelnde Person des dramatisch erzählten Geschehens und Adressat der mitgeteilten Inhalte. Kronbergs Ziel ist es, einen Beitrag zur ideologischen und emotionalen Solidarisierung der palästinensischen Chawerim [Genossen] mit dem internationalen Kampf der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus zu leisten. Im Jahre 1936, als der Sprechchor geschrieben und aufgeführt wurde, sollte nach Überzeugung Kronbergs der "Schrei der Freunde aus einem Winkel dieser Welt, in dem wir die Bezirke kennen..." (S. 111), nochmals vernommen werden - in einem Jahr, in dem dieser Kampf nichts an Aktualität verloren, sondern noch an Bedeutung gewonnen hat. Die Erinnerung an die Geschehnisse in Wien sollte den Widerstandswillen stärken, dem immer bedrohlicheren Vordringen des Faschismus (ungenannt verbirgt sich hierin auch ein Hinweis auf den Spanischen Bürgerkrieg) Einhalt zu gebieten: "Im Jahre neunzehnhundertsechsunddreißig lebe ich! Im Jahre neunzehnhundertsechsunddreißig höre ich das Brüllen aus allen Ländern dieser Welt!" (S. 124) Der aus knappen, parataktisch aneinandergereihten Ausrufsätzen konzipierte Sprechchor sollte die Kibbuzmitglieder aufrütteln und sie am Beispiel der bürgerkriegsmäßigen Kampfhandlungen in Österreich, von wo zahlreiche Chawerim des Kibbuz Givat Chajim zugewandert waren, mit unmittelbarer Wucht mit den sozialen und politischen Kämpfen in Europa konfrontieren. Zugleich provoziert Kronberg die Zuhörer/Akteure zu einer diskursiven Auseinandersetzung über die Möglichkeiten einer Bekämpfung des Faschismus, wenn er unterschiedliche Rezeptionsweisen - von der isolationistischen Selbstbeschränkung ("Haben wir nicht genug eigene Sorgen? / Nicht genug eigene Kämpfe") über das unbeteiligte Beobachten ("Wir lesen von dem Kampf in den Zeitungen. / [...] / Es rührt uns das Wort nur zum Reden und sonst zu nichts") bis zur engagiert solidarischen Haltung ("Dann kümmert der Kampf jeden Arbeiter in der Welt!! / [...] / Wir steigern unser Leben durch diesen Kampf"; S. 121) - miteinander konfrontiert. Indem Kronberg durch den appellativen Charakter seines Dramas eine persönliche Stellungnahme jedes einzelnen Mitspielers und/oder Zuhörers herausfordert, gelingt es ihm, seine Botschaft von der Notwendigkeit der internationalen Solidarität im antifaschistischen Kampf auf ebenso wirksame wie differenzierte Weise zu vermitteln.

Der Sprechchor Wien 1936 verdeutlicht das Engagement Kronbergs für die Ziele der Arbeiterbewegung und seine Identifikation mit der sozialistischen Idee. Sein Bestreben richtete sich jedoch vor allem darauf, die Utopie von der Schaffung einer sozial gerechten Welt, wie sie der Sozialismus vertrat, mit einer Erneuerung und zeitgemäßen Adaptierung der religiösen Traditionen des Judentums zu kombinieren. Mit einer solchen Konzeption, wie er sie etwa im dramatischen Text Pessach im Kibbuz vertreten hat, konnte er sich jedoch in dem weitgehend areligiös ausgerichteten Kibbuzleben nur schwer durchsetzen, weshalb er den Kibbuz nach zwei Jahren verließ und sich in Haifa niederließ. Als einen der wichtigsten Gründe für Kronbergs Verlassen des Kibbuz nennt Reuwen Kalisch, Chawer des Kibbuz Givat Chajim, das von ihm beklagte Fehlen der religiösen Bindung innerhalb der Kibbuzgemeinschaft: "Schimon Kronberg hat sich eigentlich nie an das Kibbuzleben assimiliert. So war er 1) gegen die körperliche Arbeit in der israelischen Sommerhitze und 2) gegen die Verletzung des Sabbates durch Wanderungen in der Umgebung. Letzteres hielt er für 'unjüdisch', desgleichen Gartenarbeit nach 8stündiger Feldarbeit."23 Zudem war Kronbergs Begabung als Gesangsleiter bekannt geworden, so daß er immer häufiger von anderen Kibbuzim und Siedlungen eingeladen wurde, Feste zu leiten und Chöre zu dirigieren. Ein Angebot der Histadruth (Gewerkschaft), in ihrem Auftrag den Gemeinschaftsgesang in Palästina zu pflegen, veranlaßte ihn schließlich, Givat Chajim zu verlassen. Allerdings erhielt er von der Histadruth nicht die in Aussicht gestellte feste Anstellung, sondern mußte sich als freischaffender Künstler seinen Lebensunterhalt verdienen. Im März 1937 übersiedelte Kronberg nach Haifa, wo er im Haus Feingold am Karmelberg (Hadar Ha-Karmel) wohnte; später bezog er eine Wohnung in der Sea Road Nr. 124, Western Carmel. 1938 heiratete er seine Lebensgefährtin Jael. In den folgenden Jahren war er hauptsächlich als Chorleiter und Gesangslehrer tätig; neben dieser anstrengenden beruflichen Arbeit, die ihn auf ständigen Reisen durch das Land führte, schrieb er Lyrik, Prosatexte und mehrere Dramen, von deren Existenz jedoch noch wenige seiner Bekannten etwas wußten.

***

Über Kronbergs Tätigkeit als Chorleiter geben Berichte von Zeitzeugen Aufschluß; die wichtigste Quelle für diese Zeitspanne sind jedoch die Briefe, die er 1946/47 an seine in Berlin zurückgebliebene und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Salzburg übersiedelte zweite Frau Herta und seinen Sohn Peter geschrieben hat und in denen er ausführlich seine Lebenssituation, seine Nöte, Hoffnungen und Identitätskonflikte beschreibt. Zumeist kam Kronberg erst spät nachts von anstrengenden Busfahrten nach Hause oder mußte in den Siedlungen übernachten, wo er Chöre leitete und Feste veranstaltete. Den Ablauf eines solchen Festes beschreibt er in einem Brief an seinen Sohn:

"Chorfeste sind Zusammenkünfte der Chormitglieder bei bestimmten festlichen Gelegenheiten (fröhliche Feier- oder Gedenktage) bei denen die Chormitglieder, einzelne oder als Chor sich vortragend betätigen und die im Tanzen ausschwingen (Grammophon, Radio, Kapelle). Manche sind bescheiden (siehe Grammophon) einige ganz großen Ausmaßes. So kam ich heute von so einer Gedenkfeier (8tes Jahresfest des Chors einer Siedlung ehemaliger Deutscher in Pal[ästina].). Sie begann (in einem großen Kinosaal mit Bühne) mit einer Ansprache Deines Vaters, wurde fortgesetzt mit dem Vortrag dreier Chorlieder (Dirigent Dein Vater) und gipfelte in zwei Bühnenstücken, von denen das zweite eine Operette war. (Dein Vater war begeisterter Zuhörer.) Darnach Tanz mit guter Jazzkapelle, Bar etc. Dieses Jahresfest ist schon von lokaler Berühmtheit [...]. Es war ein großer Erfolg und wurde 3x (an 3 Abenden) gegeben."24

Vermutlich handelt es sich bei dieser Beschreibung um das Jahresfest des Chors der 1934 von deutschen Juden gegründeten, an der Mittelmeerküste nördlich von Akko gelegenen Siedlung Nahariya25, über das wir weitere Aufschlüsse aus den Erinnerungen von Fritz Wolf erhalten: "Es gab, ungefaehr um die Jahre des zweiten Weltkriegs herum, einen 'Nahariya-Chor' mittlerer Qualitaet und Groesse, dessen Leiter er [Kronberg] war. Das Repertoire bestand in einfachen mehrstimmigen Chorliedern israelischer, aber auch 'klassisch-romantischer' Komponisten, alle in Ivrith (Hebraeisch) gesungen. Jedes Jahr veranstaltete dieser Chor ein Chorfest. Dabei kamen weniger die Lieder des Chors als die Sketchs und Chansons einiger musikalisch und dichterisch recht begabter Chormitglieder zum Vortrag. Diese Chorfeste, bei denen Schimon Kronberg freilich stark in den Hintergrund trat, waren sehr beliebt und gut besucht. Die Sprache war, von den 'offiziellen' Liedern abgesehen, ausschliesslich deutsch, denn die Chormitglieder waren in der ueberwiegenden Mehrzahl deutsche Einwanderer, wie ueberhaupt Nahariya eine Gruendung deutscher mittelstaendischer Juden war."26

Kronberg war unermüdlich als Volksbildner, Gesangslehrer und Chorleiter tätig. Außer seinen zahlreichen Aktivitäten und Auftritten in den Siedlungen gab er Privatunterricht für Gesangsschüler27, war auch in Heimen und an Schulen tätig (Schulgesang und Festveranstaltungen) und brachte Schülern die Lieder der jüdischen Feste bei, etwa des Schawuot-Festes (Fest der Ernte und der Erinnerung an die Offenbarung am Sinai): "die Kinder trugen Blumenkränze, und brachten ihre Fruchtgaben in Körben, klassenweise, jede Klasse mit einem eigenen Lied, das die ganze Gesellschaft wiederholte. Es ist ein sacrales und nationales Fest diese Erste-Frucht-Weihe, ein Fest der fruchtbringenden Erde."28 Die Aufgabe, "den Menschen Fröhlichkeit zu bringen", bereitete Kronberg zwar Genugtuung, war jedoch mit großer Anspannung und der Notwendigkeit zu ständiger geistiger Konzentration und psychischer Ausgeglichenheit verbunden, wobei es darauf ankam, immer wieder aufs neue Menschen zu gemeinschaftlichem Singen zu inspirieren. Das hauptsächliche Betätigungsfeld Kronbergs war der Gemeinschaftsgesang (schira bezibbur, community singing):

"Für viele Stunden Warten, Autobusfahrt, Warten (quasi in einem luftleeren Raum des Wartens), ist dann der Augenblick, an dem die Arbeit zu Ende ist und ich entspannt auf das Vehicel warte, das mich zurückbringt, die Belohnung. Ein Vortragender, ein Solist haben es leicht. Sie absolvieren ihre Sache, gut, schlecht - fertig. Ich aber muß mit einem Instrument arbeiten, das ich mir erst stimmen muß, auf dem ich - meist gegen seinen Willen, gute Töne hervorbringen muß, ein Instrument, daß [sic!] ich erst im Augenblick, da meine Arbeit beginnt, kennen lerne - und das immer wieder verschieden von allen anderen ist, die ich bisher kennen gelernt habe. Meine Reputation verlangt, daß ich immer wieder Erfolg habe. Mein Ruf bestätigt den Erfolg. So wurde diese Arbeit, einmal angefangen, Sporn zu ständiger Konzentration, Willensanstrengung. Psychologie der Masse, intuitives Erfassen der Mittel, mit denen die Trägheit der mit Feiertag beladenen Menschen zu besiegen ist und ein angeborenes Talent für diese Arbeit, bringen den Erfolg."29

Welch große Wirkung von Kronbergs Persönlichkeit und seinem Gemeinschaftsgesang ausgegangen ist, bestätigen Berichte von Mitwirkenden seiner Aufführungen: "Seine Stärke war 'Schira bezibur' was übersetzt heisst Gesang mit dem Publikum. Wer kam sang mit und viele wurden so zum Mitsingen gebracht" (Hannah und Benjamin Jeremias)30; "Damals wurde in Haifa ein Gemeinschaftssingen veranstaltet, und zwar jeden Dienstag abend von 8-10 Uhr in einem Saal, genannt 'Beitenu' in der Hechalutzstr. Shimon Kronberg hat das geleitet. Wir haben jede Woche ein neues Lied gelernt. Er hat das so hervorragend geleitet, mit viel Schwung und Humor, und er wurde von allen geliebt" (Miriam Lion)31; "Ich [...] habe aber fast alles vergessen, ausser wie er vor uns stand, und uns die ersten hebraeischen Lieder beibrachte. Gross, [...] weisshaarig und Brille, voll Bewegung und Begeisterung. Er kam auch hier in den Kibbuz Alonim. [...] Ich singe die Lieder noch und brachte sie meinen Kindern und Enkeln bei. Erzähle auch von Simon, wie er in einem komischen Hebraeisch uns erklaerte was die Lieder meinten" (Sabine Lindenbaum)32; "Er versammelte eine Anzahl Arbeiter, schrieb ihnen den Text des neuzuerlernenden Liedes auf eine Tafel auf [...] und sang ihnen dann das neue Lied mit seiner kräftigen Stimme vor, dabei auf jede instrumentale Begleitung verzichtend. So sang er, den weissen Kopf zurückgeworfen, mit ewig offenem Hemdkragen und den leuchtend-spottenden graublauen Augen und schon nach wenigen Augenblicken sangen alle, die am Beginn so skeptisch dreingeschaut hatten, freudig mit" (Ard Feder)33; "Und er mit seinem chassidischen Gesang reißt uns mit - Er ist es der singt, der begeistert, der lehrt, der bewegt. [...] Er war der Mensch, der dich bei den Haaren gezogen hat und nicht mehr los ließ - bis du du selber sein wirst. Dein Kopf fing an zu zittern. Dein Herz war mitbewegt. [...] Und doch [...] sah ich, Schimon hält irgend etwas zurück das nur ihm gehörte - und kein zweiter kann es verstehen - oder du folgst ihm in eine zweite, höhere Welt. Wir kannten Schimon nur von seinem Singen. - Wir kannten ihn nicht als Dichter oder Schriftsteller" (Alfred Moses).34 

Bei seinen volksbildnerischen Initiativen kamen Kronberg seine Ausbildung zum Phonetiklehrer und die Teilnahme an den Heinrich Jacoby-Gesangskursen, die er 1925 bis 1928 in Berlin besucht hatte, zugute. Heinrich Jacoby (1889-1964), der von 1924 bis zu seiner 1933 erfolgten Emigration in die Schweiz musikalische Arbeitsgemeinschaften in Berlin geleitet hat, an denen nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler, Künstler und Pädagogen teilgenommen haben, schöpfte seine Ideen wie Kronberg aus dem Studium der Methode der 'rhythmischen Gymnastik' von Emile Jaques-Dalcroze, an dessen Bildungsanstalt in Hellerau er unterrichtet hatte. In Weiterentwicklung dieser Methode entwarf Jacoby die Idee der "schöpferischen Musikerziehung", die darauf beruht, "das ursprünglich Schöpferische" im Menschen zu beleben, um "die Hemmungen, die den Menschen 'unmusikalisch' erscheinen lassen", zu überwinden und "die Entwicklung des Selbstvertrauens" und der 'Selbsttätigkeit' zu fördern.35 In Kronbergs Konzeption des Gemeinschaftsgesangs flossen Anregungen aus Jacobys Musikpädagogik ebenso ein wie Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit als Phonetiker: Kronberg absolvierte 1914/15 bei Hedwig Peuchen in Düsseldorf eine Ausbildung zum Phonetiklehrer; in dieser Funktion erteilte er Privatstunden, hielt Vorträge an Schulen und befaßte sich mit dem Problem einer Zusammenführung von Phonetik, rhythmischer Gymnastik und Schauspielkunst: "Studium der Laute, verbunden mit Schulung des Körpers. Da keine Übung für sich allein gilt, sondern vom Triumvirat Körper, Stimme, Sprache die Bänder zieht, kann auch keine phonetische Übung ohne stimmtechnische, ohne gestenbildende Anweisung vor sich gehen; so wird jede phonetische Übung in Rhythmus, in Atemweg und -Einteilung, in begleitender Geste ihre bestimmten Richtmaße haben."36 Ergänzend dazu entwickelte er in seinem Tagebuch die Idee zu einer "rhythmischen Gymnastik der Sprache", die den Sprechakt als Ausgangspunkt zur Gestaltung eines Sprach-Kunstwerks begreift.37

Auf synkretistische Weise konzipierte Kronberg in späteren Jahren aus all diesen Einflüssen, Bildungserlebnissen und eigenständigen Fortentwicklungen seine Version von 'schira bezibbur'. Die Anregung zum Selbstsingen hat für Kronberg eine über die Musikpädagogik hinausführende Bedeutung: Zunächst sollte durch das Selbstsingen - die Ideen Heinrich Jacobys aufgreifend - das 'Selbstvertrauen' gestärkt werden.38 In erster Linie jedoch verstand er den Gesang als primäres Ausdrucksmittel des jüdischen Menschen: durch die Aktivierung jedes einzelnen zum Mitsingen sollte der Anschluß an die ursprüngliche jüdische Musikauffassung gefunden werden, die auf der Improvisationsfähigkeit des Sängers und auf der Überwindung der Scheidung in Vortragende und Zuhörer beruht: "Darum ist die Freude der menschen in Haifa, der poalim, mit denen ich singe, echt und richtig: sie dürfen endlich selber singen, sie brauchen nicht bloß zu genießen. In diesem Zusammenhang wird verständlich, warum ich gegen vierstimmigkeit bin, gegen Orchester bin, gegen Notenlernen bin, warum ich lieber lange damit warte, lieber das Ohr sich zu sich entwickeln lasse, die eigene stimme dem menschen vertraut werden lasse -".39 In einem Brief an Elieser Lubrani, dem er den Vorschlag unterbreitete, 'schira bezibbur' im Jerusalemer Rundfunk zu senden, bezeichnet er den gemeinschaftlichen Gesang als identitätsbildendes Medium, das "etwas in unser Leben hinüberrettet, was einmal Eigentum einer jüdischen Gemeinschaft war: die Möglichkeit zur Freude, nicht ausgelöst von Einem und hingenommen von der Menge (üblicher Konzert- und Vortragsbetrieb) sondern aufgebaut aus Selbstarbeit der vielen Einzelnen, gemeinsam zu einem bestimmten Ziel (diesmal - nicht zufällig - das gemeinsame Erlernen eines hebräischen Liedes oder Nigguns)."40 Eine Stärkung des Selbstvertrauens durch Lied und Fest bedeutete für Kronberg die Voraussetzung zur Herausbildung des 'neuen jüdischen Menschen':

"und der junge jüdische mensch wird aufgerufen:

alles was war, die grösse, die stärke, die hoffnung hat für diesen jungen jüdischen menschen nur dann einen sinn, wenn es von neuem erarbeitet wird: er nimmt in gross gaglow einen spaten zur hand, verbrüdert sich mit einem stück erde, lernt das gespräch mit der erde in gemeinschaft mit andren jungen jüdischen menschen [...]

und kommt dann, körperlich müde, seelisch erfrischt

mit dem tonfall des alten vaters: niggun vom feld

ein neuer jüdischer mensch! er lebt!

diskutiert er dann, lernt er dann, so lernt er von seinem eigenen leben.

und nach dem diskutieren, nach dem lernen muss er singen und tanzen!!

wo bleibt die rolle des erwachsenen in diesem spiel?

der erwachsene soll die worte lernen und lernen sie mit inbrunst zu sprechen, sie zu dem jugendlichen zu sprechen: du lebst! mit dir will ich ein mensch sein, will es jüdisch sein!"41

Wenngleich ihm der Gemeinschaftsgesang mit den arbeitenden Menschen der Kibbuzim und Siedlungen Freude und innerliche Befriedigung bereitet hat, strengte ihn diese Tätigkeit sehr an, so daß ihm zu wenig Zeit für seine literarische Arbeit blieb. Die Unzufriedenheit mit dieser Situation ("ich wünsche - statt mit Kreti und Pleti zu singen - in Ruh gelassen zu werden")42 wurde durch die ständige Unsicherheit in seiner Position als freischaffender Künstler noch verstärkt: "dabei muß ich ständig in den Auto-Bussen unterwegs sein, zwischendurch meine Arbeit machen, die viel Ähnlichkeit mit Schwer-Athletik hat; naß durch und durch muß ich dann wieder in den Autobus, dessen Fenster - natürlich - alle offen sind, um wundervollen Durchzug zu gewähren - während sich alle freuen, sitz ich ängstlich da, bemüht, die kühle Luft von meinen empfindlichen Stimmorganen fernzuhalten [...]. Einige Institutionen, für die ich arbeite, gewähren mir bezahlten Urlaub - die anderen denken nicht daran: und ich bin doch ein freier Künstler, frei, jede Arbeit abweisen zu können, frei, nicht essen zu müssen, wenn ich nicht will."43 Und an anderer Stelle schreibt er: "Ich hab einen freien Beruf - da kann man nichts machen. Jeder, der will, kann kommen und mich zur Arbeit anfordern. Ich kann zwar jedesmal, theoretisch, nein sagen; praktisch muß ich froh sein, Geld verdienen zu können. Ich träume von einer Zeit, die mir erlaubt, meinen Tag, Abend und die Nacht nach eigenem Ermessen auszufüllen. Dazu gehört ein Arbeitsraum, nur ein Arbeitsraum. Daneben ein Schlafraum. Essen, wann ich will. Schlafen, wann ich will. So wenig wie möglich unter Menschen gehen."44 Seine unsichere materielle Lage - ohne festes Gehalt und Sozialversicherung - und ständiger Schlafmangel, da er oft erst spätabends von den Ausfahrten zurückkehrte und ihm die literarische Arbeit nur in der Nacht möglich war, belastete ihn ebenso wie ein tiefempfundenes Gefühl der Einsamkeit: "Wenn man Dich fragt, was für eine Arbeit das ist, könntest Du antworten: er macht andere Menschen fröhlich. Der Mann singt und macht alle mitsingen und so, daß sie große Löffel Fröhlichkeit schlucken. [...] Dabei ist die Reaktion unausbleiblich; ich bin ein einsamer Mensch, ein eingebildeter Narr, oft böse mit Worten, ohne Freunde, empfindlich oft und das so stark, daß ich zu Zeiten es nicht ertrage, mit anderen Menschen (und sei es nur einer) im gleichen Raum zu sein. Hunderten Menschen gegenüber werde ich zu einem guten Instrument. Einem gegenüber zu einem äußerst empfindlichen."45

Trotz seiner ärmlichen Verhältnisse unterstützte Kronberg seine in Berlin lebenden Familienangehörigen, sandte ihnen Gebrauchsgegenstände und Bücher und bemühte sich darum, daß sie mit Care-Paketen aus den USA versorgt wurden. In einem Brief an Herta Kronberg entwarf er ein - wenn auch selbstironisch formuliertes - Selbstporträt, das die äußere Not, gegen die er ständig anzukämpfen hatte, und die beschwerlichen Umstände seiner Lebensverhältnisse besonders drastisch wiedergibt:

"Ein paar Mal habe ich Dir angedeutet, daß ich, im Gegensatz zu allen Menschen, mit denen ich bei der Arbeit oder sonst zusammenkomme, wie ein heruntergekommener, oder besser wie ein nicht hinaufgekommener Künstler (lies Vagabund) aussehe. Manchmal bietet mir einer abgelegte zerrissene Schuhe an [...], dann andere einen von Herrschaften abgelegten Anzug eines feisten Mannes (der schon einmal von dieser Herrschaft gewendet worden ist) (ich ließ ihn von einem kleinen Schneider halbwegs auf mein Maß zurückschneidern, stöhnte ob des Geldes und trug ihn). Einmal kaufte ich von einer Frau, deren Mann gestorben war, 2 Hemden, billig; ein einziges Mal -, ich war der vielen alten Schuhe vor zwei Jahren müde geworden - kaufte ich mir ein Paar Stiefel. Ich habe mir noch nie - solange ich in Pal[ästina]. bin - ein Paar Socken, Unterhosen gekauft, von Anzügen gar nicht zu reden. Nur so billige Khakihosen und Blusen, die hab ich gekauft. Man kann (man muß nicht) hier so herumgehen. Ich habe keine gesellschaftlichen Verpflichtungen, das Wetter ist dementsprechend. Zwar, ich muß Dir gestehen: ich bin manchmal... müde. Ich weiß genau, wie schön es ist und nützlich und Eindruck schindend (auf andere Menschen) und Nerven sparend, gut angezogen zu sein. Vergiß nicht, ich bin fast immer unterwegs [...]. Ich werde 56 Jahre und versuche, mich auszulachen. Ich habe zwar den Krieg nicht verloren, auch keine gute Existenz eingebüßt. Ich bin ein harter Arbeiter geworden. Das Leben ist hier immer teurer geworden. Ich wage es nicht, Geld auszugeben (für mich.) Ich gehe monatelang herum, ohne mir die Haare schneiden zu lassen. [...] Dieses Leben lebe ich jetzt 13 Jahre."46

Als seine 'eigentliche' Arbeit empfand Kronberg die Fortsetzung seines literarischen Schaffens. Er litt darunter, daß ihm für das Schreiben seiner Gedichte und Dramen allzu wenig Zeit blieb: "Nur, wenn ich abends am Schreibtisch sitze und bedenke, wie die Zeit mir abgeht (und die Kraft), in Ruhe meine eigene Arbeit zu leisten und die Anderen Andere sein zu lassen, dabei sie zu verhindern, sich um mich zu kümmern - dann empört es sich in mir - bis ich mich selbst auslache und am nächsten Tag von vorne anfange mit der Fron."47 Außer dem Zeitmangel bedrückte ihn der Boykott der deutschen Sprache, die im Palästina der dreißiger und vierziger Jahre als verpönte Sprache, als Sprache Hitlers und der Judenverfolgung galt, weshalb er keine Chance sah, Veröffentlichungsmöglichkeiten und Publikum für seine Werke zu finden: "Daneben läuft die Arbeit des - in deutscher Sprache Dichtenden. Das bedeutet in einem Land, das von der deutschen Sprache nicht viel wissen will, eine Komödie - und ich bin der Wurschtl darin. Vielleicht wird es in den nächsten Jahren, wenn die Grenzen um die Länder, die deutsch sprechen, nicht so hermetisch verschlossen sein werden, anders, besser. Ich habe wenigstens nie gehungert."48 Doch auch innerhalb der kleinen Kreise, die über das literarische Schaffen Kronbergs Bescheid wußten, fand er nur wenig Widerhall, da Sprache und Form seiner vom literarischen Expressionismus beeinflußten Texte auf wenig Verständnis stießen. Kronberg verstand sich als "einer [...], dessen Talent gegen die herrschende Strömung sich äußert"49, und dessen Werke als "zu 'modern'" gelten50: "Wenn ich draußen Erfolg haben werde, werden die hier in Palästina nachhinken. Meine Art zu arbeiten, schreckt sie einstweilen. Sie sind es nicht gewöhnt, daß einer seine eigene Form wahrt. Weicht die nur wenig von der der Heerstraße ab, schreien sie: das versteht das Publikum nicht."51 Behaftet mit dem "Stempel des Außenseiters"52, konnte sich Kronberg zwar nur schwer in das entbehrungsreiche palästinensische Leben einordnen, er identifizierte sich jedoch voll und ganz mit dem Aufbauwerk des jüdischen Staates und mit "Arbeit und Mühen und Erfolg der Gesamtheit", zu denen er selbst durch seine erzieherischen und künstlerischen Leistungen Wesentliches beigetragen hat: "Ursprung dieser Arbeit, dieser Mühen und dieses Erfolgs ist zutiefst verankertes Gefühl für 'Frieden' (der übliche Gruß ist hier 'Frieden'.) Mir scheint, nur so ist alles hier bei uns zu begreifen, alles, auch Schlimmes (wo gibt es das nicht). [...] das, was heute am Worte 'Jude' zu ehren ist, ist das Leid und der Wille zum dennoch leben."53

In Haifa gehörte Kronberg einem privaten Künstlerkreis an, der sich 'Mittwoch-Abend-Gesellschaft' nannte, dessen Protokolle von ihm geführt wurden und dem unter anderem der Regisseur Ard Feder und die Pianistin Gertie Reiner angehörten.54 In diesem Kreis fand er ein - wenn auch kleines - Publikum, dem er seine literarischen Werke vortragen konnte. An die Atmosphäre dieser Abende erinnert sich Ard Feder:

"Nur im engsten Freundeskreis konnte er sich mit seinem schmetternden Lachen aus dem Absurden seiner Doppelexistenz befreien. Sie wird ihn mehr Kräfte gekostet haben als er sich ansehen liess, denn er litt auch noch unter dem starken inneren Druck des Bewusstseins ein deutschschreibender Dichter in einem jüdischen Land zu sein - man bedenke, es waren die Kriegsjahre! [...] Der überherrschende Eindruck, den er machte, war der eines vitalen, lebefreudigen ja fast lebemännisch-gewandten Menschen, ein Bild, das eigentlich nicht ganz zu seinen Dichtungen passte und das ich als einen Teil seiner nach aussen hin schauspielerischen Natur erkennen lernte. Er las uns seine Gedichte und Dramen, sobald er sie auf seiner altmodischen Schreibmaschine in der Endfassung niedergelegt hatte, gern und sehr plastisch vor. Die Entwürfe behielt er sich übrigens, weil er davon überzeugt war, dass sie 'noch einmal Geld aufbringen würden' wie er sehr ernst - oder war auch das nur Spott? - meinte."55

***

In dem 1937/38 entstandenen und am 26. April 1938 abgeschlossenen vieraktigen Drama Ehud. Ein Richter in Israel56 setzte Kronberg - transponiert in die symbolische Sprache des Mythos - dem zionistischen Aufbauwerk ein literarisches Denkmal, das zugleich als Gründungsmythos des Staates Israel und als prophetische Mahnung vor einer realpolitischen Verengung der zionistischen Ideale interpretiert werden könnte. Das Drama thematisiert den Kampf des Richters Ehud gegen den Moabiterkönig Eglon, der im dritten Buch der Richter (Richter 3, 12-30) beschrieben wird. Ehud war es gelungen, die Moabiter, die Jericho erobert und die Israeliten achtzehn Jahre lang zu Tributzahlungen gezwungen hatten, hinter den Jordan zurückzuwerfen; die endgültige Besiegung der Moabiter gelang jedoch erst König David. Der biblische Bericht war für Kronberg lediglich als Ideenmaterial von Interesse, das ihm Gelegenheit bot, eine Vision vom Kampf des Volkes Israel gegen Fremdherrschaft und für soziale Gerechtigkeit in machtvolle Bilder umzusetzen. Er zeichnet den in der Bibel als Linkshänder beschriebenen Ehud, der die Waffe mit beiden Händen gebrauchen konnte, als stummen, verkrüppelten, von den Bürgern verachteten Außenseiter, dessen Befreiungstat in eine Sozialrevolution mündet. In den Notizen zum Entwurf des Schauspiels, das er als "drama eines volkes, dem ein fremdes auf dem nacken sitzt", bezeichnet, entwirft Kronberg eine detaillierte Charakterstudie des Helden:

"ehud [...], der der mutter entläuft, dem haß, der verachtung, der angst - der dieser aus allem diesem gemischten liebe dieser mutter entläuft (hin zu der einsamkeit, dem vorherbestimmten platz), der abgott der kinder, der jungfrauen, der heldenträumenden geschöpfe / ehud, dessen nabel von der schnur träumt und ihr das mysterium andichtet: der brücke zur unendlichen ruh, der stufe zum nachhausekommen / der schweigende - denn welche sprache drückte wohl all dies aus? [...] er ist wie einer, der aus großem jammer stumm und ohne weite sicht geblieben ist: so einer, eingeschlossen in ungerechtigkeit hat keinen raum für seine mutter, für den nebenmenschen, für das volk - er sieht nur sich, ist wie ein stein, der rollen muß auf einer schiefen ebene - und wehe dem, der ihn dabei behindern will. der sinn? vielleicht ist das der sinn dieses lebens, zu fallen und zu schlagen, was erschlagen werden soll - ein werkzeug gottes der die bitterkeit erschuf und diese seinem menschen schenkte - oh auserwählter ehud! der aufenthalt, der mord, dieses erschlagen, diese tat, die ihm, dem von geburt elenden fallenden mitgeboren war, hält ihn nur kurz auf - verändert ihn nicht, den fallenden, er tut, und fällt, weiter, tiefer, immer wieder - denn da ihn gott erst nach dem tode umschafft, hat er den jammer solange er lebt und trägt ihn fallend."57

Ehud ist die paradigmatische Figur eines Ausgegrenzten. Körperlich verkrüppelt staut sich in ihm der Haß auf eine Gesellschaft, die ihn ausgestoßen hat. Er flieht die Menschen und zieht sich in die Abgeschiedenheit zurück; als letzte Konsequenz seiner sozialen Verweigerung verzichtet er auf die Sprache: er ersetzt Sprache durch Tat, Kommunikation durch Handeln, Diskussion durch Gewalt: "Ehud, Sohn des Jair! Das schöne wilde Tier. Das sich Absondernde. Der stumme Mund in Israel. Von Gott getroffen von Geburt. Seine Mutter schreit noch heute in Erinnerung. Man sagt, daß Kinder ihn lieben, Alte ihn fürchten." (S. 143) Die Rolle des prophetischen Verkünders, der den Taten Ehuds Stimme verleiht, übernimmt der vom Volk als 'Bettler', 'Mahner' und 'Narr' bezeichnete Prophet Chasán. Mit der Namensgebung dieser Gestalt verweist Kronberg auf die Hauptfigur seines zwischen 1916 und 1920 entstandenen Prosazyklus Chasán, der einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, zwischen Transzendenz und Immanenz verkörpert.58 Der Name Chasán leitet sich von der Bezeichnung des Vorsängers (Vorbeters) in der Synagoge ab; im Mittelalter übte der Chasán, der die Gemeinde beim Gebet vertritt, häufig die doppelte Funktion eines Sängers und Dichters aus, der eigene Dichtungen verfaßt und zum Vortrag gebracht hat.59 In der Gestalt des Dichter-Sängers, der seine Dichtung als Gottesverkündigung versteht, fand Kronberg das Symbol einer imaginativen Selbstinterpretation, die ihm die Möglichkeit bot, Chiffren der jüdischen Identitätssuche zu entwerfen. Im Drama Ehud tritt Chasán als Begleiter und Verkünder Ehuds auf, der den Krüppel als 'Licht für Israel' preist und dessen künftige Befreiungstat prophezeit. Chasán, der bereits bei der Geburt Ehuds als ekstatischer Tänzer anwesend war, verkündet der Mutter Ehuds und dem Volk Israel die 'frohe Botschaft' (S. 135) von der Auserwähltheit des Knaben: "Ehud! Gesegnet und erwählt vor allen Kindern in Israel!" (S. 138) Chasán ist der Bote des Retters, der Israel befreien wird; in ihrer Funktion verhalten sich Chasán und Ehud zueinander wie das (antizipierende) Wort und die Tat. So heißt es in Kronbergs Vorstudien: "was ist ihm schon dieser chasán: ein aufgefangener laut, ein erhaltenes wort, ein verstandener satz - ein anfang in diesem immer wieder neubeginnenden leben. er hört, versteht, tut, geht -".60 Für den in räumlicher und psychischer Isolation - abgeschieden von den Menschen und eingesponnen in seine eigene (Traum-)Wirklichkeit - lebenden Ehud sind das Wirken und die Worte Chasáns lediglich als auslösendes Moment von Bedeutung; größere Wirkung entfaltet jedoch die nach außen gerichtete propagandistische Tätigkeit Chasáns, die das Volk zum Widerstand gegen die Fremdherrschaft aufruft.

Die Worte Chasáns und die Taten Ehuds finden vor allem unter den Außenseitern der Gesellschaft - den Bettlern, Besitzlosen, Krüppeln, Schwachen, Entrechteten und Unterdrückten - Anhängerschaft, während sich die Bürger mit der Fremdherrschaft arrangieren und den "Frieden um jeden Preis" (S. 141) wünschen. Für jene Szenen, die die Haltung des Volkes wiedergeben, verwendet Kronberg die Form des Sprechchors, die eine größere, für die Haltung des Kollektivs repräsentative Anzahl von Sprechern zu Wort kommen läßt. In den Wortmeldungen der Bürger und Soldaten spiegelt sich die Furcht vor Veränderung, die kleinbürgerliche Sehnsucht nach einem Leben in Bequemlichkeit und die selbstgefällige Zufriedenheit der Kollaborateure wider: "Hat man uns nicht oft genug erzählt, der Sinn des Lebens sei der Frieden, sei Arbeit, Essen, Kinderkriegen?!" (S. 150) In den Vorstudien des Dramas beschreibt Kronberg das Verhalten der Israeliten, die sich mit dem behaglichen Leben unter der moabitischen Okkupation arrangiert haben, so: "man war daran gewöhnt: abgaben an moab, opfer für moabs götter, übermut der feistgewordenen moabiter, verweichlichung der israeliten durch 80 jahre frieden, verführung, schwächung der israeliten durch moabs frauen, (außerachtlassen) vergessen aller eigenen werte und einrichtungen."61 Das Volk ist - durch Vergreisung und Kontakte mit moabitischen Frauen - vom Verlust seiner Identität bedroht. In dieser Situation soll die Tat Ehuds die Befreiung und die Erneuerung des Volkes ermöglichen. Ehud ist jedoch nicht als heroische Befreiungsgestalt, sondern als ambivalenter Held gezeichnet: Seine Tat, die Ermordung des Moabiterkönigs Eglon und die Vertreibung des moabitischen Heeres, löst eine nationale Euphorie des jüdischen Volkes aus und führt in der Folge zu einer Sozialrevolution. Da sich der Richter Ehud nach der Ausführung seiner Tat wieder in die Einsamkeit zurückzieht, bleibt die Herrschaft der alten (bürgerlichen) Eliten zunächst unangetastet. Erst die Verurteilung zweier Bettler, der "einzigen in Israel, die Ehud suchten, nach ihm schrien" (S. 163), die von den Bürgern wegen ihrer als subversiv eingeschätzten, die bürgerliche Ordnung störenden Suche nach Ehud gesteinigt werden sollten, ruft den Richter zurück, um sein Befreiungswerk durch eine soziale Revolution zu vollenden: "Vor den Steinen bückte er sich zur Erde und ergriff einen Stein. Und wog ihn in der Hand. Und nach ihm bückten die beiden Alten sich zur Erde. Und jeder von ihnen nahm einen Stein. Als wäre das ein Zeichen und verabredet, kamen aus dem Volk die Zerlumpten, die Bettler hervor und jeder von ihnen nahm einen Stein. Ehud warf den ersten Stein. Da schrien die Entrechteten, es schrien die Armen und warfen die Steine und steinigten... die ehrenwerten Bürger Israels!, die Richter sein wollten gegen Gott! Als die Edlen in Israel erschlagen am Boden lagen, ging Ehud, so wie er gekommen war, dorthin, woher er gekommen war. Chasán war nicht mehr zu sehen. Seitdem sucht ganz Israel nach dieser Spur von Gott, nach seinem Richter Ehud!" (S. 163f.) Wenngleich sich Kronberg der Ambivalenz und Einseitigkeit in Charakter und Verhalten Ehuds bewußt ist, sympathisiert er mit den 'Zerlumpten' und 'Bettlern', die die 'Edlen' steinigen und die lebensfeindliche bürgerliche Ordnung stürzen. Somit denkt er den biblischen Bericht, der mit der Vertreibung der Moabiter und der knappen Mitteilung einer darauffolgenden achtzigjährigen Friedenszeit endet, weiter und verknüpft das Geschehen der Vorzeit mit einer aktuellen sozialkritischen Aussage.

Kronberg verwendet die biblische Geschichte als Spiegel, in dem er seine Interpretation von der gegenwärtigen Situation des Judentums, seiner Chancen und Gefährdungen wiedergibt. Imaginäre Assoziationslinien von der Frühgeschichte zur Gegenwart durchziehen das gesamte Drama: so etwa verweist die Schilderung des von Trägheit und Indolenz geprägten Lebens der Israeliten unter der moabitischen Herrschaft (die Kronberg, um die Drastik seiner Darstellung zu verstärken, von der in der Bibel erwähnten achtzehnjährigen Dauer auf achtzig Jahre erhöht) ebenso auf das fremdbestimmte Leben der Juden in der Diaspora wie auf die Situation der zionistischen Pioniere unter der britischen Mandatsverwaltung in Palästina; im Wunsch der Bürger nach einem 'Frieden um jeden Preis' verbirgt sich die Kritik an der Appeasement-Politik Großbritanniens gegenüber Hitler-Deutschland; die satirische, den Topos der Schlachtbeschreibung ins Lächerliche verzerrende Darstellung der Kampfunlust, Feigheit und des Wankelmuts des Volkes, das seine Ideale und Hoffnungen auf Kosten der Bequemlichkeit opfert und dem jeweils Siegreichen zujubelt, beinhaltet - abgesehen von der prinzipiellen, massenpsychologisch motivierten Bedeutung dieser Aussage - eine Kritik am Verhalten der herrschenden Eliten in Palästina. Mit der Dramatisierung der Ehud-Geschichte richtet Kronberg einen Appell an die jüdischen Bewohner Palästinas, der sie an die Notwendigkeit erinnern sollte, im Kampf um die Erringung der nationalen Selbständigkeit den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit nicht außer acht zu lassen. Kronbergs Engagement für die Benachteiligten der Gesellschaft und seine Verachtung für das nützlichkeitsorientierte, menschenverachtende Verhalten der 'ehrenwerten Bürger' verdichtet sich in der Vision von der Vernichtung der 'Edlen' durch den Aufstand der Entrechteten, mit der er das Drama schließt. Der von einem Schuhmachermeister gesprochene Schlußsatz des Dramas: "Sie werden lange Zeit kein Unrecht tun!" (S. 164), bringt jedoch die skeptische Haltung des Autors zum Ausdruck, daß jede Revolution nur eine kurzfristige Erneuerung initiiert und vor ihrer Verflachung bewahrt werden müsse, indem das soziale Engagement beständig wachgehalten wird. Ehud, der Kämpfer gegen Moab und Held der Ausgestoßenen, wird so zu einer Symbolfigur im Kampf gegen Ungerechtigkeit. In Form einer Weiterentwicklung biblischer Urbilder solidarisiert sich Kronberg mit den Bestrebungen der zionistisch-sozialistischen Pioniere in Palästina und versucht gleichzeitig, diesen Bestrebungen eine an religiösen, nationalen und sozialen Idealen ausgerichtete Neuorientierung zu geben. Kronbergs Schauspiel Ehud, das Partei ergreift für das (auch von der sozialistischen Dogmatik bekämpfte) sogenannte 'Lumpenproletariat', ist ebenso ein soziales Lehrstück wie ein jüdisches Nationaldrama, das eine mythische Deutung des zionistischen Aufbauwerks in Palästina beinhaltet.

Am Tag seines 50. Geburtstags, dem 26. Juni 1941, vollendete Kronberg das dreiaktige Drama Nittel (Blinde Nacht), das die Tragik und das Scheitern der Assimilation wie auch die Wirksamkeitsmechanismen der antisemitischen Agitation beschreibt.62 Das Wort 'Nittel' ist ein volkstümlicher Ausdruck für den Weihnachtsabend, der vermutlich aus einer Verballhornung von 'dies natalis' (Tag der Geburt) entstanden ist. Im Mittelalter war es den Juden verboten, an den Weihnachtsfeiertagen die Straßen zu betreten und die Schulen und Synagogen zu besuchen, weshalb das Wort 'Nittel' als Abkürzung von 'Nit Jiden toren (= dürfen) lernen' interpretiert wurde. In Osteuropa bezeichneten die Juden den Weihnachtsabend als 'Blinde Nacht', "wahrscheinlich weil an diesem Abend das Licht des Toralernens nicht leuchtet". Allerdings wurde den Juden die Unterbrechung des Thorastudiums von der christlichen Bevölkerung als Bosheit ausgelegt, da ein Aberglaube besagte, "daß Jesus nur Ruhe habe, wenn die J[uden]. 'lernten'".63 Über die Intention dieses Dramas, das ihm besonders wichtig war, schreibt Kronberg in einem Brief an seine - liebevoll 'Mammi' genannte - Ex-Frau Herta: "Das ist ein Weihnachtsgedanke: einer Jüdin wurde ein Kind geboren. Der Jude Jesus wurde unentwegt, immer gekreuzigt. Er wurde davon nicht schöner. Im Bild des Messias geistert er wie ein stets unwillkommener Bettler, als Dichter verschrien, durch die Völker und Länder. Mammi, ich schicke Dir zu Weihnachten ein Weihnachtsstück von mir 'NITL' (so heißt bei den Juden die Nacht vor Weihnachten). Den Juden war in dieser Nacht das Lernen (das Beschäftigen mit der Lehre) verboten. Wahrscheinlich hatten sie gerade in dieser Nacht am meisten zu fürchten und durften sich deshalb im Lernen nicht vergessen. Ich wüßte keinen, dem ich zu Weihnachten so gerne schenkte, wie Dir. Daß es diesmal ein Stück von mir, dieses Stück ist, mag Dir sagen, wie wichtig ich dieses halte. Hoffentlich liebst Du es."64 Und in einem Brief an seinen Sohn ergänzte er - unter Hinweis auf die mangelnde Anerkennung seiner Arbeiten: "Ich bin neugierig, was Du zu dieser Arbeit sagen wirst. Ich glaube nicht, daß es einen objektiven Maßstab gibt, mit dem man messen kann. Dieselbe Arbeit kann von einem gepriesen, vom anderen verhöhnt, vom dritten nicht verstanden werden. Jeder von ihnen glaubt an sein Urteil. Somit ist eine Arbeit, besonders eine, die mit der gesicherten Form bricht, etwas Neues darstellt, so auf Glück oder auf Liebe angewiesen wie ein Mensch. Manchmal braucht es ein ganzes Leben, bis einer (ein Maßgebender) ausruft: das ist gut, obgleich es neu ist! Und dann plappern viele nach."65

Das Drama hat die Entstehung und den Ablauf eines Pogroms zum Inhalt. In einem breit angelegten Sittenbild analysiert Kronberg die Mechanismen der antisemitischen Indoktrinierung: Die Angst der ländlichen Bevölkerung vor den bösen Dämonen der 'wilden Jagd', die zur Weihnachtszeit ihr Unwesen treiben sollen, findet ein Ventil im Haß auf 'die Juden', die mit 'Teufeln' und 'Geistern' gleichgesetzt werden. Aufgehetzt von zwei 'Vorübergehenden' und unterstützt vom Ortspfarrer ermordet die Menge den einzigen Juden des Dorfes und setzt dessen Haus in Brand. 'Der Jude' wird zum Sündenbock für selbstverschuldete Fehler und zum Aggressionsobjekt, in das die von Staat und Kirche in Unwissenheit und Abhängigkeit gehaltene Bevölkerung ihre irrationalen Ängste, sexuellen Phantasien und abergläubischen Vorstellungen projiziert. Ausgelöst wird die Massenhysterie durch die bevorstehende Geburt eines Kindes: Christine, der Gebärenden, wird vom Pfarrer vorgeworfen, gesündigt zu haben, da sich ihr Kind vor der Geburt des Heilands zur Welt dränge und Jesus nicht den Vortritt lassen wolle. Der Pfarrer droht ihr: "Bete! Daß es sich verkrieche in deinen Leib und nicht geboren werde, bevor..." (S. 175), und die abergläubische Hebamme verläßt in panischer Furcht vor Dämonen das Haus. Frida, Christines Schwester, motiviert ihre Judenfeindschaft aus ihrem Männerhaß und ihren sexuellen Frustrationen, da es ihr nicht möglich ist, in die Nachfolge der Gottesmutter Maria zu treten und als Jungfrau zu gebären: "Sie durfte ja doch auch ein Kind gebären ohne Mann. [...] In diesen Nächten des Advent geht es mir wie einer Schwangeren. Es zieht in Brust und Beinen. Und ich fühle solche Lust in mir." (S. 178f.) Während der Judenhaß der Hebamme als Konsequenz ihrer abergläubisch-bigotten Verblendung erklärt wird, ist der Antisemitismus Fridas ein Produkt ihrer überhitzten Sexualphantasien und -ängste, die sich in Form einer Schwangerschaftspsychose und des von der christlichen Madonnenverehrung abgeleiteten Ekels vor der Körperlichkeit äußern. Zum schuldig-unschuldigen Handlanger der aufgehetzten Menge, der schließlich das Haus des Juden Konrad anzündet, wird Christines Ehemann Georg, der von seiner Frau ausgesandt wird, geweihte Kräuter zu entzünden, um ihr die Geburt zu erleichtern: "Die Erde ist erfroren und die Menschen sind wie Eis. Georg, du sollst mir helfen. Man muß ein Feuer machen! Nimm die Kräuter da oben in dem Schrank." (S. 177f.) Georg, der in seinem Schmerz und seiner Verzweiflung die ihn umgebende Realität nicht mehr wahrnimmt, ist für die Pogromisten das ideale Werkzeug zur Ausführung ihrer Tat. In mythischer Monumentalität wird das Drama jedoch von den Gestalten der beiden 'Vorübergehenden' beherrscht, die als Agitatoren von Ort zu Ort ziehen, um den latenten Antisemitismus der christlichen Bevölkerung zu wecken und judenfeindliche Ausschreitungen zu provozieren: "Wir gehen vorüber. Sie schlafen. Wir rufen: Jud! Jud! Sie fragen, obs brennt. Wir zünden ein Feuer an. Ha! Wie sie aus den Betten laufen, die Schuster und Schneider! Du zählst an deinen Fingern ab. Sie zählen mit. Erstens: im Namen Gottes gehen wir vorüber. Sie sagen: Vorübergehende. Zweitens: vor des Juden Haus. Sie merken auf, die Schuster und Schneider, und merken des Juden Haus. Drittens: wenn an diesem Ort zu Tod geboren wird... [...] Der Jud hat schuld!" (S. 171)

Das zweite Handlungsfeld des Dramas beschreibt die Tragik der Assimilation, die Kronberg am Beispiel des mit einer Christin verheirateten Juden Konrad darstellt, der sich im Vertrauen auf die Vernunft und die Liberalisierung der Gesellschaft in trügerischer Sicherheit fühlt und die Gefahr eines Rückfalls in atavistische Formen des Judenhasses so lange ignoriert, bis es zu spät ist. Für Konrad ist der Antisemitismus ein Relikt aus überwundenen Zeiten, "einer Zeit, in der ich nicht mehr bin" (S. 174), von dessen Auswirkungen er sich nicht bedroht fühlt: "Soll ich den Spuk um Jude, Nichtjude ernsthaft nehmen? Bist du mir weniger nah, weil du nicht Jüdin bist? Wollte ich dich je bekehren? Oder spürtest du, daß ich mit dieser Etikette Jude jemals großtat vor dir? Wußten wir denn überhaupt um diese Zweiheit, bevor die Schreier auf den Gassen dich daran mahnten?" (S. 173) Im Gegensatz zu Konrad, der unbeirrt an seiner liberal-humanistischen Überzeugung festhält und judenfeindlichen Äußerungen mit skeptischer Ironie begegnet, setzt sich Lisa, seine christliche Frau, offensiv gegen den Antisemitismus zur Wehr.66 Sie weist Konrad darauf hin, daß er von seiner Umgebung 'als Jude' angefeindet und diskriminiert wird und warnt ihn vor der immer bedrohlicher werdenden antisemitischen Agitation: "Und aus den Fenstern lachen sie und aus den Haustoren toben sie: die Juden sind an allem schuld. Sie schmieren es an die Türen. Und wo ein Aussatz ist, da steht geschrieben: Jud! Und wo ein Lehrhaus ist, da lehren sie: der Jud! Der Pfarrer predigt es. Die Kinder lallen es. Die Klugen düngen es mit Klugheit. Die Dummen renten davon und füllen sich das Maul damit. In den Tagen des Advent und gar in dieser letzten Nacht vor Weihnacht wird daraus Legende, und sie lesen, einer vom christlichen Herzen des zweiten ab, die Losung: Juden zu töten, um damit die Geburt des Heilands zu bereiten." (S. 174)

Als Gegenbild zu dem Assimilanten Konrad verkörpert sein Freund Daniel, der ihn in der Nacht vor Weihnachten besucht, die Geistigkeit und die Lebensfülle eines Judentums, das in seiner Tradition verwurzelt geblieben ist. Die Unterschiedlichkeit der Lebenskonzepte äußert sich etwa in folgendem Gespräch:

"Daniel [...] Unter Freunden essen, bewegt zu danken vorher und zu danken nachher. Da verwandelt sich die Speise in mehr als Speise.

Lisa Auch Konrad ist ein Jude. Doch verfiel er nie darauf, so biblisch davon zu erzählen.

Konrad Ich hör es trotzdem gern. Es kommt aus einer Fülle, die uns verloren ging..." (S. 182f.)

Der Dank für die Speise, die mehr ist als Speise, verweist darauf, daß für die jüdische Religion der Akt der Nahrungsaufnahme auch eine symbolische Handlung bedeutet, die die Einheit von Körper und Geist, irdischer und transzendenter Welt zum Ausdruck bringt: "Der Tisch [...] soll uns lehren, daß wir essen, um zu leben, und wir leben, um im Dienst des Allerhöchsten zu wirken. [...] Die Losung heißt Heiligung. Heilighaltung des Lebens. Auch der Nahrung. Vor allem der Nahrung. Und darüber hinaus von allem, was der Mensch mit dem Tier gemeinsam hat."67 Bei seinen alltäglichen Handlungen wie auch in seiner Sprache schöpft Daniel aus einer spirituellen Fülle, die dem Assimilanten Konrad verlorengegangen ist. Daniel bekennt sich zu seiner Herkunft und seiner Identität als Jude; sein Name assoziiert den Propheten Daniel, der zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft dem Judentum treu geblieben war und in seinen Traumvisionen die Ankunft des Gottesreiches prophezeit hat. Daniel könnte somit als "Urbild des in der Verbannung lebenden Juden", als "Sohn des Leides" interpretiert werden.68 Kronberg vereinigt in der Figur des wandernden Juden Daniel Züge des biblischen Propheten (in der Anspielung auf die babylonische Gefangenschaft verbirgt sich ein Hinweis auf die Diaspora der Gegenwart) mit der Gestalt Ahasvers, des unbehausten, zu ständiger Flucht getriebenen und leidenden Juden. Daniel-Ahasver ist ein ewiger Zeuge des Unrechts, das Christen an Juden verüben. Zugleich ist er für Kronberg eine Identifikationsfigur, die die Juden zur Bewahrung ihrer religiösen Tradition mahnen und sie davor bewahren soll, sich den Verlockungen und den Gefahren der Assimilation auszusetzen.

In einer Nebenhandlung führt Kronberg drei unterschiedliche Juden in das dramatische Geschehen ein, die auf der Flucht vor der antisemitische Hetzlieder brüllenden Menge zusammentreffen und der alleingelassenen Christine bei der Geburt ihres Kindes helfen. Während die Christen ihren Ängsten und Wahnvorstellungen nachjagen und Christine in ihren Schmerzen und Seelenqualen zurücklassen, leisten die Juden rasche und konkrete Hilfe. Die drei Juden, ein Kräftiger ("Kraft in Israel"), ein Dünner ("die Zähigkeit im Stamm") und ein Dicker ("ein General der Freude") (S. 201), sind Symbolfiguren für die von der antisemitischen Klischeebildung negierte Divergenz des jüdischen Volkes. Bei all ihrer individuellen Unterschiedlichkeit ist den drei Juden das Schicksal der Verfolgung gemeinsam - sie sind es "gewohnt", "von Ort zu Ort zu laufen, das will heißen: von Jude zu Jude, und noch dies: von Zerstreuung zu Zerstreuung..." (S. 191) Als Grund ihrer Verfolgung erkennen sie den irrationalen Haß ihrer christlichen Umgebung, die durch die Aggression gegen die zum 'Sündenbock' erklärten Juden von ihren eigenen unbewältigten Konflikten abzulenken versucht: "Sie sammeln ihre Furcht im Namen 'Jud'. Alles, was sie ängstigt, liegt darin." (S. 191) Im Drama Nittel (Blinde Nacht) entwirft Kronberg eine massenpsychologische Deutung des Antisemitismus und bringt zugleich unterschiedliche Formen des jüdischen Reagierens auf diese Bedrohung zur Diskussion. Die Spannweite der Judenfeindschaft reicht von der kalkulierten Agitation der beiden 'Vorübergehenden' bis zur Affekthandlung der abergläubischen, von der Kirche durch das Schreckbild von der Sündhaftigkeit des Lebens disziplinierten und in Furcht gehaltenen Masse. In der Reaktion der Juden wiederum spiegelt sich der Wunsch nach der Aufhebung ethnischer und religiöser Abgrenzungen (Konrad) ebenso wider wie der Versuch, der antisemitischen Anfeindung die Bewahrung und Stärkung der eigenen jüdischen Identität entgegenzusetzen (Daniel). Bedingt durch die zeitgeschichtlichen Erfahrungen war das Assimilationskonzept für Kronberg illusionär geworden: mit der Ermordung Konrads wird auch dessen liberal-humanistisches Ideal gewaltsam zerbrochen, während die 'Vorübergehenden' ihren Weg fortsetzen, um Haß und Gewalt in die Welt zu tragen. Kronberg zeigt die Brutalität der antisemitischen Demagogie und die irrationalen Mechanismen ihrer Wirksamkeit, ohne sich der utopischen Hoffnung hinzugeben, daß diese Situation ohne eine grundlegende Änderung im Bereich von Erziehung, Mentalität und sozialen Verhältnissen überwunden werden könne. Das Drama endet resignativ, es enthält jedoch die Botschaft an die Juden, an ihrer Religion und am Bewußtsein ihrer Besonderheit auch in Zeiten der Verfolgung festzuhalten.

1942 entstand das dreiaktige Drama Der Tod im Hafen, das die Bombenexplosion auf einem mit illegalen Einwanderern besetzten Schiff im Hafen von Haifa behandelt.69 Die Idee zu diesem Drama bezog Kronberg aus einem Geschehen, zu dessen Zeuge er im November 1940 geworden war: Im Zuge der restriktiven Einwanderungspolitik der britischen Mandatsmacht war einer Gruppe von 3500 jüdischen Flüchtlingen aus Hitler-Deutschland, die unter vielen Strapazen auf dem Schiffsweg von Wien über die Donau und das Schwarze Meer nach Palästina gelangt waren, die Einreise verweigert worden. Die Flüchtlinge wurden auf das requirierte Passagierschiff 'Patria' verlegt und sollten in das britische Internierungslager auf der Insel Mauritius verlegt werden. Um dies zu verhindern, verübte die zionistische Untergrundorganisation 'Hagana' unter der Leitung von Eliyahu Golomb und Shaul Avigur am frühen Morgen des 25. November 1940 einen Bombenanschlag auf die 'Patria', der das Schiff manövrierunfähig machen sollte, aber so großen Schaden anrichtete, daß es innerhalb kurzer Zeit sank und 267 Menschen in den Tod riß. Die Verwundeten wurden in die Krankenhäuser von Haifa eingeliefert und die Überlebenden im Lager Atlit interniert. In einem zeitgenössischen Bericht über die Katastrophe heißt es: "Die Hafenpolizei, Hafenarbeiter bemühten sich nur um die eine, im Augenblick wichtigste Aufgabe: alles zu tun, um soviel Menschen wie möglich zu retten. Private Boote von Juden und Arabern zogen die Menschen aus dem Wasser, australische Soldaten haben mit einer nicht müde werdenden Ausdauer im Laufschritt stundenlang Bahren mit Leichtverwundeten und insbesondere Frauen, die Schockwirkungen erlitten haben, zu der Erste-Hilfe-Station gebracht. [...] Unter vielen herrschte Verzweiflung, da sie ihre nächsten Angehörigen suchten. All ihr Gepäck war verlorengegangen, ihre Kleidung war durchnäßt. [...] Die außergewöhnliche Hilfsbereitschaft der jüdischen Bevölkerung ermöglichte es, daß am Abend, als die Menschen nach Atlit fuhren, zumindest jeder, wenn auch nicht ausreichend, so doch notdürftig bekleidet war." Schließlich gelang es Chaim Weizmann, dem Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, nach einer Intervention beim britischen Premierminister Winston Churchill, eine Aufenthaltsbewilligung für die 'Patria'-Überlebenden zu erwirken; die Passagiere eines weiteren Flüchtlingsschiffes, der 'Atlantic', die ebenfalls auf die 'Patria' verlegt hätten werden sollen, wurden jedoch gewaltsam nach Mauritius gebracht. Der 'Patria'-Konflikt machte auch die Auffassungsunterschiede innerhalb der zionistischen Bewegung zur Frage der illegalen Einwanderung deutlich: "Es ging um prinzipielle Fragen wie die Rolle einer aktivistischen Politik als Ausdruck des jüdischen Widerstandes gegen die britische Politik und die Bedeutung der illegalen Einwanderung während der Kriegszeit."70

Mit Ausnahme des ostjüdischen Ehepaares Jaakow und Leah tragen die Personen in Kronbergs Drama keine Eigennamen, sondern fungieren als typisierte Vertreter kollektiver Ideen und Haltungen. Kronberg adaptiert das für die expressionistische Dramatik charakteristische Stilmittel der Typisierung, wodurch es ihm gelingt, das Schicksal der handelnden Personen - denen er Namen wie 'Betender', 'Verheirateter', 'Zwei Abgebrühte', 'Zwei Leichenfledderer', 'Bedächtiger', 'Toller', 'Mutter des toten Kindes', 'Vier Herren im Café' etc. gibt - als anonymes und kollektives, mithin austauschbares zu interpretieren. Die Handlung folgt in ihren Grundzügen dem Ablauf der 'Patria'-Katastrophe. Im Drama wird die Bombe von der 'Mutter des toten Kindes', die die Erlaubnis erhalten hatte, zum Begräbnis ihres Kindes an Land zu gehen, unwissend in einem Paket auf das Schiff gebracht und von einer Gruppe von Passagieren, der die beiden 'Leichenfledderer', der 'Bedächtige', der 'Tolle' und zwei 'Ältere Männer' angehören, zur Explosion gebracht. Abgesehen von einigen geringfügigen Veränderungen entspricht diese Episode dem Ablauf der historischen Ereignisse: die Bombe wurde von Munya Mardor, einem als Hafenarbeiter verkleideten 'Hagana'-Mitglied, an Bord gebracht, von mitwissenden Passagieren in Empfang genommen und von Hans Wendel, der beim Versuch, Ertrinkende zu retten, selbst umgekommen ist, gezündet. In der Autobiographie Mardors heißt es: "Die Einwanderer auf dem Schiff hatten Taten gefordert und machten ihre diesbezüglichen Gefühle unmißverständlich klar. [...] Anfangs konnten wir nicht begreifen, wie durch eine so kleine Bombe ein so großes Loch in die metallene Wand eines so großen Schiffes gerissen werden konnte. Wir hatten jeden Grund zu der Annahme gehabt, daß die 'Patria' in einem guten Zustand sei. Es stellte sich jedoch heraus, daß, obwohl kein altes Schiff, sie äußerst vernachlässigt war, sodaß eine kleine Sprengladung den verhängnisvollen Schaden bewirkte. Metallplatten, deren Nieten vollkommen verrostet waren, waren durch die Explosion aus der Schiffswand herausgerissen worden, und durch ein großes Loch [...] strömten große Mengen Wasser herein, wodurch das Schiff sofort Schlagseite bekam und sank."71

Der erste Akt des Dramas Der Tod im Hafen spielt mit Ausnahme der Einleitungsszene auf dem Flüchtlingsschiff, das - der Regieanweisung Kronbergs zufolge - im Längsschnitt auf die Bühne gestellt wird: "aufgeteilt in Kabinen, die nur dann beleuchtet werden, wenn die Menschen darin in das Geschehen eingreifen. Hat das Geschehen in zwei oder mehreren Kabinen zueinander unmittelbare Beziehung, bleiben diese Kabinen zu gleicher Zeit beleuchtet." (S. 208) Der Blick in die Kabinen führt ein Panoptikum von Lebensschicksalen vor, die von existentieller Not, Verzweiflung, Trauer und Lebenszuversicht, aber auch von Habgier und Egoismus beherrscht sind. In Anspielung an die literarisch-künstlerische Tradition des Totentanzes gibt Kronberg einen Querschnitt durch das Sozialpanorama und die existentielle Befindlichkeit der Flüchtlinge wieder: man sieht Eltern, die um den Tod ihres Kindes trauern, Jugendliche, die durch die Verfolgung ihr Selbstwertgefühl verloren haben und dem 'jüdischen Selbsthaß' unterliegen, Menschen, die nüchtern ihren Vorteil berechnen, solche, die - wie der 'Betende' - ihre letzte Hoffnung auf Palästina als "einzige[n] Ort auf dieser Welt, wo Brüder auf uns warten" (S. 210), richten, und solche, die alles daransetzen, die jüdische Bevölkerung Palästinas zum Protest gegen die Deportation der Flüchtlinge aufzurufen.

Der zweite Akt und der Großteil des dritten Akts spielen im Hafen von Haifa und schildern die Reaktion der Bevölkerung auf die Katastrophe. Beispielhaft vertreten die 'Vier Herren im Café' die von Kronberg in satirisch-verzerrter Form karikierte Haltung der Einwohner. Während die zeitgenössischen Quellen von der großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu berichten wissen, läßt Kronberg nur wenige Personen seines Dramas - den 'Dritten Herrn', eine 'Alte Frau' und eine 'Junge Dame', die unter den Überlebenden nach ihrer Mutter sucht - eine solidarische Haltung mit den Flüchtlingen äußern. Anhand der Figur des 'Vierten Herrn' gestaltet er eine an Karl Kraus gemahnende, apokalyptische Züge annehmende satirische Kritik an der Korrumpierung des Gewissens durch die Presse. Der 'Vierte Herr', der darauf hofft, daß seine unter den Passagieren befindliche Ehefrau ertrunken ist, um sein bequemes Leben nicht zu stören, nimmt die Wirklichkeit nur durch den Filter des gedruckten Wortes, vermittelt durch die Schlagzeilen und manipuliert durch die machtkonforme Interpretation der Zeitung wahr. Während der 'Dritte Herr' durch das Fenster des Kaffeehauses beobachtet, wie Soldaten die Menschenmenge mit Bajonetten auseinandertreiben, antwortet der 'Vierte Herr', ohne von seiner Zeitung aufzublicken: "Ich aber will in Ruhe meine Zeitung lesen. In einer Zeitung werden Sie nie finden ein 'ich weiß nicht'. Da steht gedruckt: 'ich weiß'!" (S. 228) In den Aussagen des 'Vierten Herrn', der seine Kommunikationsfähigkeit verloren hat und dessen Sprache zu einem aus Phrasen und Klischees zusammengesetzten Surrogat, zum Wirklichkeitsersatz eines nichtgelebten Lebens reduziert ist, fokussiert Kronberg seine Kritik an der seiner Meinung nach unzureichenden Solidarität der Juden Palästinas mit den Verfolgten und Vertriebenen: "Lassen Sie uns endlich hier in Ruh! Nur keine Revolutionen im heiligen Lande! Hier herrscht Ordnung!" (S. 230); "Ich frage Sie: muß jeder verlorene Sohn gleich festlich empfangen werden? Zum Teufel mit denen! Warum sind sie nicht früher gekommen? Der Platz ist besetzt! [...] Denn die Obrigkeit ist streng und gerecht!: Geh ein Haus weiter, mein Söhnchen! Hier ist alles voll!" (S. 238) Der selbst erst vor kurzem in das Land eingewanderte 'Vierte Herr' übernimmt die fremdenfeindliche Ideologie eines eingesessenen Bürgers, der fürchtet, durch die Neueinwanderer in seiner behaglichen Ruhe und ökonomischen Saturiertheit gestört zu werden. Eine solche Lebenseinstellung entspricht der Haltung der Bürger in Kronbergs biblischem Drama Ehud, deren lebensfeindliche, auf materiellem Wohlstand und Menschenverachtung aufgebaute Ordnung durch eine Sozialrevolution hinweggefegt wird.

Zwei Passagiere des Flüchtlingsschiffes, Jaakow und Leah, werden aus der namenlosen Masse herausgehoben: Durch die Namensgebung wird das ostjüdische Ehepaar mit dem Erzvater Jakob, dem Enkel Abrahams und Sohn Isaaks, und seiner ersten Frau Leah, der Tochter Labans und Urbild der jüdischen Mutter, assoziiert. Diese beiden Figuren repräsentieren die Tradition des Judentums (Verwendung der jiddischen und hebräischen Sprache, Gebet, Religiosität) und die Bewahrung der jüdischen Identität, wodurch sie von den übrigen (durch die Typisierung ihrer Individualität entkleideten) Protagonisten abgegrenzt sind, die als Vertreter von Indifferentismus, Areligiosität, jüdischem Selbsthaß, Eigennutz oder palästinensischer Selbstgenügsamkeit vorgestellt werden. Durch ihre Sprache und die Aura ihrer in der Tradition verwurzelten Persönlichkeit heben sich Jaakow und Leah von der Masse ab: ihre Sprache ist von einer biblischen Bildhaftigkeit geprägt, die irdisches Geschehen als Symbol für die göttliche Weltordnung deutet und einen geheimen Zusammenhang von Immanenz und Transzendenz herstellt. In den Ostjuden verkörpert sich für Kronberg, der selbst von galizischen Einwanderern in Wien abstammte, der lebendige Kontakt mit der jüdischen Überlieferung. So etwa konfrontiert er im Essay Der jüdische Mensch das Verhalten der West- und Ostjuden in Palästina und bekennt sich zu seiner Sympathie für die ostjüdische Spiritualität, von der er aber fürchtet, daß sie aufgrund der praktischen Anfordernisse des zionistischen Aufbauwerks und der sozialistischen Ausrichtung der Pioniere auch von den Ostjuden selbst immer stärker an den Rand gedrängt wird:

"Daneben sprechen die Ostjuden hebräisch und jiddisch, hebräisch und russisch, hebräisch und rumänisch. Und wenn sie sich nicht vorsehen, lebt in diesem sprechen (unbewußt) ein stück lebendiger jüdischer gasse - wehe, wenn man mit dem finger darauf zeigt! [...] Sie lächeln überheblich. Sie sind doch längst diesem milieu entwachsen, sie sind längst palästinisiert, längst aus dem ei gekrochen, längst erwachsen = marxistisch glattgeplättet, klargedacht, hebräisch-versiert. Gefühl des herzens, blüte des chassidismus, märchen, hoffnung, erzählung, mystik - alles längst zum alten eisen geworfen... das ist nichts für 'unsere menschen'. Für unsere menschen ist klarheit, verstand, logik, iwrith, arbeitergeist, proletarische einheitsfront. Zugeschüttet ist der schmale aufblitz in die gegend jüdischer mensch. Wo ist er? -"72

Im Drama Der Tod im Hafen erfährt die Leidensgeschichte und die trotz aller Verfolgung ungebrochene Gotteszuversicht des Volkes Israel in den Worten und Gebeten Jaakows eine Interpretation von prophetischer Dimension: "Der Mensch... wie zerbrochene Scherbe, dorrendes Gras, welkende Blume, vergehender Schatten... [...] Juden auf der Flucht... [...] Wie nah bin ich dir, Gott! Ich klage im Namen dieser Juden. Höre, Gott! Die sich die Obrigkeit hier nennen... selber wie zerbrochene Scherbe, warum zerbrechen sie uns Juden? Selber wie dorrendes Gras, warum zertreten sie uns Juden? [...] Aus der Tiefe rufe ich Erbarmen von dir, Obrigkeit der Welt, und der Beschluß ist wie Schatten, verwehender Wind..." (S. 224f.) Nach seiner Rettung vom sinkenden Schiff irrt Jaakow, "behängt mit eiligst zusammengesuchten Kleidungsstücken, die ihn zu einer grotesken Figur machen", durch Haifa und trägt vor den unverständig zuhörenden Kaffeehausbesuchern eine visionäre, in gleichnishaft-apokalyptischen Bildern erzählte Ansprache vor, die - halb Gebet, halb Anklage an Gott - die Trauer über die massenhafte Ermordung der Juden in der Shoah mit der Zuversicht auf den jüdischen Widerstandswillen verbindet und in die Hoffnung auf den Aufbau eines neuen Lebens in Palästina mündet: "Öffne Deine Augen und sieh unsere Verwüstung. [...] Schone Dein Volk und gib nicht Dein Erbteil der Schande. Warum soll man unter den Völkern sprechen: wo ist denn ihr Gott? [...] Zu Hohn und Spott sind wir geworden. Man achtet uns wie die Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden zum Erschlagen, zum Verderben, zu Schmerz und zu Schmach. [...] Wir sind ermüdet und haben keine Ruh. [...] Behüte den Rest des einigen Volkes! [...] Wir sind umhergeschweift nach den vier Enden der Erde. Heilung fanden wir nicht. Nun sind wir zurückgekehrt zu Dir beschämten Angesichts, Dich zu suchen, Gott, in der Zeit unserer Not." (S. 229ff.)73

Im dritten Akt beschreibt Kronberg eine Gerichtsszene, die in einem "Lager abseits der Stadt" (gemeint ist das britische Internierungslager Atlit) spielt und in deren Verlauf sich die überlebenden Attentäter Rechenschaft über ihre Schuld an der Katastrophe geben. In ihren Wortmeldungen kommen die unterschiedlichen Erwartungen zur Sprache, die die Protagonisten mit ihrer Einwanderung nach Palästina verbinden und die von der opportunistisch-zynischen Haltung der beiden 'Leichenfledderer' bis zum ernsthaften Bemühen um ein Wiederanknüpfen an die jüdische Tradition reichen. Für den 'Ersten älteren Mann' sind die Juden in Palästina vor die Notwendigkeit gestellt, zu den Ursprüngen ihrer Herkunft zurückzufinden, um die durch Diaspora und Assimilation verursachten Fehlentwicklungen zu überwinden. Der Sprecher beklagt die Sinnlosigkeit einer Existenz, die durch den Zwang zur Assimilation jegliche Orientierung verloren hat: "'Juden', immer wieder suchte ich den Sinn dazu [...]. Was ist das: ein Jude?! Wo das greifbar ist? An mir nicht. Und an dir nicht. [...] Kommt aber einer... [...] Und schreit: Jud, ja, und du sagst: ich? und er sagt: ja, und du fragst: warum? und er: Jud! und du bist beschmiert mit Dreck, und du sagst: Jud? und er schreit: Sau!... und du beginnst zu suchen nach dem Sinn von Jud, und wo es greifbar wäre... Und du findest nichts, nichts, nichts!" (S. 243) Der 'Erste ältere Mann' beklagt die Identitätskrise der assimilierten Juden, die durch die nationalsozialistische Rassenpolitik auf ihre jüdische Herkunft, der sie zum Teil gleichgültig gegenübergestanden waren oder die sie zum Teil sogar abgelehnt hatten, zurückgeworfen wurden und sich einem existentiellen Vakuum ausgeliefert sahen, da sie ihr Judesein nicht als selbstgewählte Identität, sondern als aufgezwungenes Stigma erlebten. In der Gerichtsszene des Dramas Der Tod im Hafen wird das Lebenskonzept der Assimilation ebenso als schuldhaft bezeichnet wie die Reaktionsweise des 'Trotzjudentums', das seine Selbstdefinition auf die Abwehr des Antisemitismus reduziert ('Toller': "Sie rufen 'Jud', und ich bin es aus Trotz, und könnte jeden von ihnen schädigen und immer wieder schädigen!"; S. 244), und das Verhalten der Gleichgültigen ('Erster Leichenfledderer': "Ruft mich einer 'Jud' und hat Vergnügen daran, laß ihn! Wird er mir lästig, fahre ich davon"; S. 244). Als Orientierungsmodell, das den Juden der Galuth bei der Wiederfindung ihrer verlorengegangenen Identität als Vorbild dienen könnte, faßt der 'Erste ältere Mann' die Verankerung in der jüdischen Religiosität auf, wie sie teilweise in der Figur des 'Betenden', vor allem aber von Jaakow, dem Paradigma des frommen Juden, verkörpert wird: "der eine, jüngere... war er mit dem Beten fertig, war er wieder so wie ich und du, nicht mehr zu greifen, nichts Besonderes mehr, nicht Jude mehr! Der andere, Alte, aber blieb in jedem Augenblick, nichtbetend, betend, immer ein Besonderes, das ihn entfernt hielt von dir und von mir, verbunden mit etwas, das mehr ist als du und ich... ein Jude! [...] Wie ist er von uns verschieden! Ruf ihn 'Jud', du rufst ihn richtig! Und ruf uns mit diesem Namen... Und dieses ohne Sinn, und dieses ohne Würde macht den Haß, macht schuldig!" (S. 244)

Der zweite Teil des dritten Aktes spielt wiederum in Haifa, wo der 'Dritte Herr' im Kaffeehaus von der 'Schuld' der Juden spricht, die die religiöse und solidarische Grundlage ihres Gemeinschaftslebens verloren haben: "Es gab eine Zeit, da kamen im Unglück die Menschen zusammen, um einer vom anderen Trost zu fordern und zu geben. Dabei wurden sie zum Volk, erkannten Gott und fanden Frieden. [...] Es gab eine Zeit, da konnten die Juden Buße tun. Lag ein Unrecht in der Luft... [...] trat einer aus dem Volke, der Gott als den obersten Richter erkannt, vor die Menge [...] und er geißelte sich... [...] Und bekannte vor allem Volk die Schuld..." (S. 249f.) Stellvertretend für das Volk tritt nun Jaakow in die Rolle des gottesgläubigen Büßers. Während der Lärm verstummt und das Leben im Kaffeehaus nur noch pantomimisch, "wie im Traum" vor sich geht, bis es völlig erstarrt, spricht Jaakow in einer visionären Sequenz das Bußgebet (S. 250ff.). Die Textelemente dieser Rede entnahm Kronberg aus folgenden Gebeten: Schacharit [Morgenzeit] von Jom Kippur (Morgengebet des höchsten jüdischen Feiertags), Selicha [Verzeihung] von Jom Kippur (Bußgebet mit der Bitte um Vergebung der Sünden) und der Überleitung zur Keduscha [Heiligung; Gotteshuldigung] von Rosch-ha-schana. Rosch-ha-schana, das jüdische Neujahrsfest, das am ersten Tag des Monats Tischri mit dem Blasen des Schofars eingeleitet und als 'Tag des Gedenkens' sowie als 'Tag des Gerichts' begangen wird, bildet den Auftakt zur Bußzeit, die ihren Höhepunkt im Jom Kippur am 10. Tischri findet. Jom Kippur, der 'Versöhnungstag', ist der heiligste Tag des jüdischen Jahres, an dem "durch aufrichtige Reue und Läuterung [...] die Verzeihung der Sünden und die Versöhnung mit Gott" sowie die "Erneuerung des religiös-sittlichen Lebens" bewirkt werden soll.74 Mit der Rezitation von Rosch-ha-schana- und Jom Kippur-Gebeten bringt Jaakow sein tiefempfundenes, religiös motiviertes Bedürfnis zu einem Sühne- und Schuldbekenntnis zum Ausdruck. Der Deutung Kronbergs zufolge lag die Schuld des jüdischen Volkes im Verlust der ursprünglichen Einheit von Religion und Volk.

Das Drama endet mit einer satirisch-makabren Szene, in der der 'Vierte Herr' vom personifizierten 'Tod' die Nachricht vom Sterben seiner Frau in Empfang nimmt; gefolgt wird diese Szene von einer Collage von Stimmen aus dem Publikum, die das Wrack des gesunkenen Schiffes betrachten und von einer - dem Titel des Dramas eine allegorische Deutung gebenden - 'Starken Stimme' übertönt werden, die eine Anklage gegen die Gleichgültigkeit der Menschen formuliert: "Kreaturen! [...] Liebe ist auf Dinge des ICH verrieben. [...] Sie essen. Sie schlafen. Sie warten auf alles. Der Tod kommt an. Mißmutig! Nebenbei nur arbeitet sein Mund. Er speit die Bearbeiteten ins Meer. Das Schiff verfault. Der Tod sieht nicht hin." (S. 255f.) Indem Kronberg das zögernde Verhalten der jüdischen Behörden und die stellenweise vorhandene fremdenfeindliche Stimmung unter der Bevölkerung ins Zentrum seiner Kritik stellt, die restriktive Einwanderungspolitik Großbritanniens jedoch nur am Rande erwähnt, folgt er der politischen Linie der zionistischen Arbeiterbewegung, die sich im Gegensatz zu den rechtsgerichteten Revisionisten nur zögernd zu einer antibritischen Haltung entschlossen hat. Das Schwergewicht seiner Zeitkritik liegt jedoch auf der prophetischen Ermahnung zu einer religiösen Neubesinnung des Judentums. Der vor der nationalsozialistischen Verfolgung aus Osteuropa nach Palästina geflüchtete Jude Jaakow ist für Kronberg die Symbolfigur für das Entstehen einer erneuerten und geläuterten jüdischen Gemeinschaft, die nach einer zeitgemäßen Interpretation ihrer religiösen Traditionen sucht. Die Besonderheit der jüdischen Identität ist für Kronberg in der Verknüpfung des religiösen Bekenntnisses mit dem Bewußtsein der ethnischen Zusammengehörigkeit begründet, die auf der Erkenntnis von der Einheit des Irdisch-Materiellen und des Transzendent-Göttlichen beruht.

In seinen letzten Lebensjahren befaßte sich Kronberg mit dem Plan, Filmdrehbücher zu schreiben, und verfaßte die beiden Komödien Mamma (beendet am 7. Juli 1944) und Gänse (beendet im Juni 1945). Das zunächst unter dem Titel Komödie der Familie Schiff konzipierte Drama Mamma75 ist eine satirische Kritik an der kleinbürgerlichen Mentalität europäischer Einwanderer in Palästina. Kronberg verlegt das Geschehen in die Zukunft und stellt dar, wie die nach Palästina gelangte Familie Schiff nach Ende des Zweiten Weltkriegs in ihre ungarische Heimat fährt, aber sehr bald wieder - enttäuscht und gedemütigt von der ungebrochenen Virulenz des Antisemitismus - nach Palästina zurückkehrt. Dieses Handlungselement verbindet Kronberg mit der Kritik am kleinbürgerlichen Eigentumsbegriff. Die von der Mutter der Familie Schiff angestrebte 'Million' - als Chiffre für das Privateigentum - wird von Kronberg als zerstörerisches Element des jüdischen Gemeinwesens aufgefaßt. Insgesamt jedoch scheitert Kronberg bei seinem Bestreben, zwei so divergierende Problembereiche wie Emigration und Antisemitismus auf der einen und den Konflikt zwischen dem erstrebten Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft und den privaten Eigentumsinteressen auf der anderen Seite zusammenzuführen und daraus eine Komödie zu verfertigen. Zum einen läuft die komödienhafte Darstellung Gefahr, die Tragik der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu verharmlosen, zum anderen bedient sich der Dramatiker unangemessener und mißverständlicher Darstellungsmittel wie etwa der Verwendung einer karikierenden 'mauschelnden' Redeweise, die er etlichen jüdischen Protagonisten seiner Komödie in den Mund legt. Aus diesem Grunde wurde er in seinen Bekanntenkreisen, denen er die Komödie vortrug, mit dem Vorwurf konfrontiert, 'jüdischen Selbsthaß' zu praktizieren: "Den Leuten hier war sie [die Komödie Mamma, A.d.V.] zu 'sauer', zu antijüdisch, einer schrieb mir sogar von 'Selbsthaß'. Was kann man tun? Dabei ist alles darin aus dem vollen, untersten Leben geschöpft, wie es sich neben dem der Hoffnung breitmacht."76 Noch deutlicher heißt es im letzten Brief Kronbergs, den er wenige Tage vor seinem Tod an Herta schrieb: "Ich bin neugierig, was Du zu 'Mamma' sagen wirst. Dieses Patent-Frauenzimmer hat meine größte Hochachtung. Merkt man das? Ob ich wohl eine Aufführung dieser Komödie erlebe? Hier bestimmt nicht. Sie können nicht umhin, die Qualität des Stückes anzuerkennen - jedoch der Stoff ist ihnen hier zu 'antisemitisch'! (wörtlich bekam ich das zu hören); sie wagen die Aufführung nicht. Was kannste da machen? Einer sprach sogar von 'Selbsthaß'. Diese Leute könnten einen fröhlich machen, wenn sie nicht Typen dieser (meiner) Zeit wären, mit denen ich gezwungen bin (noch) zu leben."77

Im Unterschied zu den übrigen Dramen, die Kronberg in Palästina verfaßt hat, enthält die Komödie Gänse78 keinen Hinweis auf die jüdische Problematik, sondern kritisiert die Verlogenheit der bürgerlichen Ehe. Mit der Darstellung eines triebbesessenen, 'der Baron' genannten Ur-Mannes, der die Frauen einer Kleinstadt zum Ausbruch aus ihren spießigen Ehe-Gefängnissen veranlaßt, zeichnet Kronberg eine don-juanhafte Gestalt, die die Flucht in die Sexualität zur Betäubung ihres Lebensekels benützt und letztlich die Sinnlosigkeit ihres Treibens erkennt. Die Komödie decouvriert die Entfremdungsmechanismen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und denunziert die auf ihren Warencharakter reduzierte Ehe als ein prostitutionsähnliches Herrschafts- und Triebverhältnis.79 - Trotz der aktuellen Themenwahl und ihren neue Wege weisenden Besonderheiten in Aufbau und sprachlicher Gestaltung fanden die Dramen Simon Kronbergs nur wenig Echo und blieben - bedingt durch den Boykott der deutschen Sprache in Palästina, die restaurative Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland und Nachkriegsösterreich sowie durch den frühen Tod des Dichters - ungedruckt und unaufgeführt. Kronbergs Dramen sind Zeugnisse des individuellen und kollektiven Ringens um die jüdische Identität; in ihrer formalen Ausarbeitung verknüpft sich die - immer wieder von visionären Sequenzen durchbrochene - realistische Darstellung der Figurenkonstellation und ihrer Konflikte mit der suggestiven, auf Verdichtung, Wiederholung, rhythmisierter Sprechweise und komprimierter Syntax beruhenden Sprachgestaltung des Expressionismus. Die geringe Wirkung seines Schaffens verursachte ein sarkastisch geäußertes Gefühl bitterer Enttäuschung, das in Kronbergs Briefen ständig wiederkehrt: "Am 7. Juli 1944 hatte ich eine Komödie zu Ende geschrieben: 'Mamma' [...]. Jetzt liegt sie schon 3 Jahre in meinem Schreibtisch und wartet. Ich habe Zeit. Dann ist da noch eine Komödie: Gänse. Auch die wartet. Dann ist da noch ein Drama: 'Der Tod im Hafen'. Wartet. Und das, das Du kennst 'Nitl'. Auch das wartet. Hübsch? Schadet nichts. Eines Tages werden sie es mir aus den Händen reißen. Und wenn nicht, umso schlimmer für sie. Wenn ich überlege, mit wie komischen Glückszufällen alles Wertvolle im Leben eines Künstlers zur Anerkennung kommt (wenn es dazu kommt) rege ich mich nicht auf. Wenn die Dame 'Glück' will, ich bin bereit. Auch gegen viel Geld hab ich nichts."80 Kronberg, der sich eingehend für das kulturelle Leben im Nachkriegsösterreich interessierte81, wünschte sich besonders, daß seine Dramen in Österreich aufgeführt werden82 - sein Wunsch blieb jedoch unerfüllt.

Kronberg verfaßte in Palästina nicht nur Dramen, sondern setzte auch seine epische und lyrische Produktion fort. Es entstanden Kurzgeschichten und Erzählungen mit Titeln wie David bändigt die wilden Tiere und weiß es nicht (1942), Der menschliche Wäger (1944), Der Koffer, Tur-Simon oder Wüstenwind83, der Monolog Leah, die lyrische Prosa Der verlorene Sohn und zahlreiche Gedichte. Im Mittelpunkt seines Interesses stand das Motiv des 'verlorenen Sohnes', in dem er nicht nur eine Chiffre für seinen persönlichen Lebensweg, der ihn über den Umweg eines Ausbruchs aus der traditionellen jüdischen Lebenswelt zur Neuentdeckung des jüdischen Erbes (unter anderem in Form der Jugendbewegung, des Zionismus und des Chorgesangs) geführt hatte, sondern vor allem ein Symbol für die aktuelle Situation des Judentums fand. In der 1944 entstandenen lyrischen Prosa Der verlorene Sohn84 beschreibt er das Haus des Vaters als eine Stätte der Furcht, in das der Sohn mit ambivalenten Gefühlen zurückkehrt, in dem er erneut von Furcht erfaßt und von seinen Geschwistern zurückgestoßen wird und schließlich Erlösung im Gebet findet. Für Karl Otten verbirgt sich in diesem Text eine verschlüsselte Selbstinterpretation Kronbergs: "Der Dichter ist sich klar über sein Los: ausgeschlossen, ausgestossen aus der Gemeinschaft der Familie wie der Mensch ganz allgemein, muss er den Weg des zur Einsamkeit Verdammten inmitten der Lachenden, Jungen, Daseinstrunkenen zu Ende gehen."85 Der 'verlorene Sohn' ist ein Paradigma des Ausgestoßenen, zu ständiger Suche Getriebenen, der sich zwar nach Geborgenheit und Ruhe sehnt, diese aber niemals finden kann. Erst im Gebet - dem Symbol für die Wiederfindung seiner religiösen Identität - lernt er seine Furcht zu überwinden; doch auch diese Lösung ist für Kronberg nur eine vorläufige, deren utopische Dimension in der Schlußpassage des Textes relativiert wird:

"Er ging, das Geheimnis des Windes ergründen. Sein Woher und Wohin.

Und wurde selber wie Wind, wovor sie die Mauern erbauen.

Und wurde selber Geheimnis, von dem sie die Lettern aushauen:

DER VERLORENE SOHN!" (S. 329)

Im Schicksal des 'verlorenen Sohnes' spiegelt sich sowohl die Identitätskrise des Judentums zwischen Assimilation und Zionismus wider, als auch die Ambivalenz des Dichters, der sich der Herausforderung bewußt ist, daß ihm erst der Bruch mit der Tradition den Zugang zu einer selbstgewählten Identität ermöglicht. Diese Identität findet er zwar in einer Rückkehr zu dieser Tradition, von der er sich zunächst abgewandt hatte, die er nun jedoch gefiltert und gebrochen durch seine persönlichen Leidens- und Dissoziationserfahrungen sowie ein immanentes Bewußtsein des Ausgeschlossenseins erkundet.86 Der 'verlorene Sohn', der in das Vaterhaus zurückkehrt, um es sogleich wieder zu verlassen, und auszieht, "das Geheimnis des Windes [zu] ergründen", ist ein Urbild des Exilierten. Im Bild des Windes verdichtet Kronberg die jüdische Geschichte der Diaspora, die er bereits in der 1923 veröffentlichten Prosaskizze Der Jude unter Zuhilfenahme der Wind-Metapher beschrieben hat: "Wind der Winde findet seinen letzten Ort."87

Ein weiterer Beleg dafür, daß Kronberg das Motiv des 'verlorenen Sohnes' als kollektive Chiffre der jüdischen Identität aufgefaßt hat, findet sich im Gedicht Jom Kippur (1941): "Ein Tag, an dem die verlorenen Söhne / und ohne einander zu nennen / in den Straßen der Städte / Einzelne / lächeln, als litten sie voreinander und im Geheimen / Strafe, und das ist Alleinsein."88 Kronberg interpretiert die Feier des 'Versöhnungstages' als Suche der von existentieller Einsamkeit gepeinigten 'verlorenen Söhne' nach dem 'Vater', der hier als Symbol für das religiöse Judentum aufgefaßt wird. Das Gedicht konfrontiert die Haltung dreier Einzelpersonen miteinander, von denen nur derjenige Eingang in das Haus des Vaters findet, der den Egoismus überwindet, auf die 'Worte' als Hilfsmittel einer auf den Intellekt beschränkt bleibenden Identitätssuche verzichtet und die Einheit seines Selbst wiedergefunden hat. In einem programmatisch Der Jude betitelten Gedicht, das im März 1946 unter dem Eindruck der Shoah entstanden ist, vergleicht Kronberg das Judentum mit einem Baum, dessen Wurzeln im Himmel verankert sind und der somit als Symbol für den Zusammenhang der irdischen und jenseitigen Welt gedeutet werden könnte; zugleich verweist dieses Symbol darauf, daß das materielle Leben seine Kraft aus der Spiritualität bezieht. Mit dieser Deutung assoziiert Kronberg den Mythos des Lebens- bzw. Weltenbaumes, der in zahlreichen Mythologien (Indien, Naher Osten, Afrika, Europa etc.) als umgekehrt wachsender Baum dargestellt wird (indischer Ashvattha-Baum, iranischer Himmelsbaum Haru, indo-iranischer Haoma- oder Somabaum, germanischer Weltenbaum Yggdrasil etc.). Der Baum gilt als Symbol des Lebens, der Vitalität, der Fruchtbarkeit und der Unsterblichkeit.89 Kronberg adaptiert das Motiv des Weltenbaums, um darauf hinzuweisen, daß im Schicksal des jüdischen Volkes "Himmel und Erde miteinander vereint" sind90: "Aus allen Wäldern dieser Welt ein Baum / trägt seine Krone erdwärts wie im Traum. / [...] / Die Wurzel, mächtig, greift in Himmel ein / genährt im Paradies mit Gottes Wein. / Der sickert tief im Stamm zu den Erstickten. / Im Grabe grünen, blühen die Erquickten. -"91 In einem Brief aus dem Jahre 1946 schreibt Kronberg, daß am Worte 'Jude' "das Leid und der Wille zum dennoch leben" zu ehren sei92; diese Aussage klingt wie eine Interpretation des im selben Jahr entstandenen Gedichts Der Jude, das die "individuelle und kollektive Not" der Zeit zur Sprache bringt: "Im Schatten der Schoa stülpt der Expressionist noch einmal alle Naturlyrik um und verneigt sich in jüdischer Erlösungssehnsucht vor den Toten seines Volkes."93 Auf ebenso subtile wie ausdrucksstarke Weise chiffriert Kronberg seine Trauer über die Ermordeten im Bild des mythischen Weltenbaumes, dessen Erlösungskraft bis zu den Opfern der Shoah dringen soll - ein Bild, in dem sich seine leise Hoffnung ausdrückt, daß sich die Lebenskraft des Judentums stärker als Verfolgung und Vernichtung erweisen wird.

Einen weiteren zentralen Motivkomplex im Spätwerk Simon Kronbergs bildet die Thematisierung der Liebessehnsucht und die Konstruktion eines mütterlich-liebenden Frauenbildes. In den vierziger Jahren entstand der Monolog Leah, der aus der Perspektive der ersten Gemahlin des biblischen Patriarchen Jakob erzählt wird und eine ergreifende Klage über Liebesverlust und Liebesmangel enthält.94 Leah richtet einen imaginären Monolog an ihre Schwester Rachel, der sie ihr Leid klagt; sie fühlt sich von Jakob, der sich in Rachel verliebt hat, vernachlässigt und beschuldigt die Schwester, sie um ihr Glück betrogen zu haben: "Du flammst nur dich. / Ich aber asche. / [...] / Eingebrochen in mein Herz ist Rachel, leer ist mein Herz. / Eingedrungen in meinen Kopf ist Rachel, wüst ist mein Kopf. / Eingefallen in mein Licht ist Rachel, verwittert ist mein Licht" (S. 321f.). Rachel wird mit dem Attribut der 'Flamme', der erotischen Attraktivität und sexuellen Aktivität, versehen, Leah mit jenem der 'Asche', des Leidens bzw. der zurückgehaltenen Energie. In der Erzählung von den beiden Gemahlinnen des Jakob fand Kronberg eine Motivkonstellation vor, die ihm Versatzstücke zur Ausgestaltung seines ambivalente Züge tragenden Frauenbildes bereitstellte: Im Unterschied zur christlichen Dichotomisierung der Frau in die vergeistigte, auf Mutterschaft fixierte Gestalt der 'Madonna' und die auf ihre Sexualität reduzierte Figur der 'Hure' betont die jüdische Tradition, wie sie etwa in der Geschichte von Rachel und Leah repräsentiert wird, den Doppelaspekt der Frau als Geliebte und Mutter. Kronbergs Frauenfiguren stellen Sinnbilder der mütterlichen Frau dar; in ihnen verbinden sich autobiographische Aspekte (Kronberg, der sich als Knabe von seiner Mutter vernachlässigt fühlte, suchte in seinen Frauenbeziehungen stets aufs neue das 'Mütterliche')95 mit Elementen der jüdischen Überlieferung. Kronbergs Idealvorstellung war es, die von Leah und Rachel symbolisierten Bereiche, Mutterschaft und Sexualität, zu vereinen; so etwa betont er im Monolog Leah die Sehnsucht der vernachlässigten Frau und Mutter, zur sexuellen Erfüllung zu gelangen. Karl Otten interpretiert Kronbergs Frauenideal so: "In der Beschwörung Gottes um Gnade in der Liebe, im Monolog 'Leah', wird die tragische Sehnsucht des Dichters nach der 'Mütterlichen', der Geliebten, die zugleich die Rolle der Mutter spielt, Gestalt und Musik. [...] Erst beide Schwestern, Leah und Rahel, in einer Gestalt vereint, würden den Traum des Dichters zur Wirklichkeit werden lassen."96 In einem seiner letzten Gedichte, Am Morgen (entstanden am 5. Oktober 1947), faßt Kronberg noch einmal seine in der Spannung von Realität und Irrealität sich vollziehende Liebessuche zusammen: "Bist du fröhlich, Liebste... / [...] / Träumte ich dich nicht? / Du Traum!"97

Simon Kronberg war voll von Plänen und literarischen Einfällen, als er am 1. November 1947 an einem Schlaganfall starb, den er an einer Busstation erlitt, als er von einer Gesangsveranstaltung nach Hause fahren wollte98; wenige Tage nach seinem Tod beging seine Frau Jael Selbstmord. Einen seiner letzten Glücksmomente erlebte er bei einem Gemeinschaftsgesang in einer landwirtschaftlichen Siedlung, an dem mehr als 200 junge, begeisterte Menschen teilnahmen: "Dabei muß ich mich so konzentrieren, daß 200 junge Menschen begeistert aufstehen und mich nicht wieder vergessen. Dann sitze ich in meinem Zimmer, verschwitzt, müde und zufrieden - es ist wieder einmal vorüber und geglückt. Nach meinem Singen mit ihnen, tanzten sie in dem großen Raum noch eine Weile ihre Volkstänze und ich sah ihnen zu. Plötzlich hatte mich ein ganz junges Ding bei der Hand gefaßt, ließ nicht locker und ich mußte mit ihr ein paarmal durch den Saal tanzen. Gefreut hatte es mich, daß es eine war, die mir als besonders graziös aufgefallen war. 15jährig und 56jährig. Hübsch."99

Im Bewußtsein zahlreicher jüdischer Einwanderer aus Deutschland und Österreich, die im Zuge der Fünften Alijah nach Palästina gelangt waren, wurde die Erinnerung an Simon Kronberg und vor allem an sein Wirken als Gesangslehrer und Chorleiter wachgehalten, sein literarisches Schaffen blieb jedoch lange Jahre in Vergessenheit. In Kronbergs Werk drückt sich das Leid und das Erlösungsbedürfnis des jüdischen Menschen aus, der in einer von Orientierungslosigkeit, der Krise des Individuums und der Sprache, Metaphysikverlust, Einsamkeit und antisemitischer Demagogie beherrschten Lebenswirklichkeit nach den Grundlagen seiner Identität sucht. Als Gesangslehrer trug Kronberg zur Schaffung einer Festkultur bei, die in den Mitwirkenden ein emotionales Gemeinschaftsgefühl erwecken sollte, und als Dichter begab er sich auf die Suche nach den Grundlagen und den Gefährdungen der jüdischen Existenz im 20. Jahrhundert. Als Volksbildner wie als Literat vereinigte er Elemente der jüdischen Überlieferung (Chassidismus, religiöse Feste, hebräisches Lied etc.) mit Einflüssen aus der deutschen Kulturkritik der Jahrhundertwende (nietzscheanische Festkultur, rhythmische Gymnastik, Hellerauer Schulfeste, 'Ekstatisches Theater' des Düsseldorfer Schauspielhauses etc.), der sozialdemokratischern Theaterkultur (Sprechchor) sowie der expressionistischen Literatur- und Kunst-Revolution. Die Besonderheit seiner Identität als Jude fand Kronberg in der Vereinigung der jüdischen Religion mit den Ideen des Sozialismus. Formal strebt das Spätwerk Kronbergs nach einer Synthese aus expressionistischen Stilmitteln, rhythmisch-musikalisch strukturierter Syntax und der Verschachtelung unterschiedlicher Bedeutungs- und Stilebenen. In den Jahren, die er in Palästina verbracht hat, versuchte er, der Rückkehr der Juden aus den Ländern der Diaspora in das Land der Bibel poetische Gestalt zu verleihen. Daß er dies in der deutschen Sprache tat, die im zionistischen Verständnis ein Relikt der Galuth war und zudem als Sprache der nationalsozialistischen Judenmörder verpönt war, gab seinem Unterfangen eine tragische, vielfach auf Unverständnis stoßende Note. Dennoch gehören seine Texte zu den überzeugendsten Dokumenten der jüdischen Identitätssuche im 20. Jahrhundert, die die Tragik der jüdischen Existenz reflektieren, aber auch die Utopien, die messianische Zuversicht sowie die ethischen und religiösen Fundamente des Judentums in prägnanten Sprachbildern und dramatischen Chiffren zum Ausdruck bringen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts 'Jüdische Literatur in Mitteleuropa' (Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank) (Leitung: Univ.Prof. Dr. Friedbert Aspetsberger). Mein besonderer Dank gilt Herrn Peter Kronberg (St. Louis, USA), der mir Einsicht in die Korrespondenz seines Vaters gewährte, und den zahlreichen Zeitzeugen, die mir wertvolle Informationen über das Leben Simon Kronbergs in Palästina zukommen ließen. Ebenso danke ich dem Deutschen Literaturarchiv Marbach/Neckar für die Einsichtnahme in den Teilnachlaß Simon Kronbergs (DLA, A: Otten).

Im folgenden werden nachstehende Abkürzungen verwendet:

  • APK = Archiv Peter Kronberg, St. Louis, USA

  • DLA = Deutsches Literaturarchiv Marbach/Neckar

  • Hs. = Handschrift

  • Ts. = Typoskript

  • TSK = Teilnachlaß Simon Kronberg

1 Die Texte Simon Kronbergs waren weitgehend in Vergessenheit geraten, als sich Karl Otten in den fünfziger und sechziger Jahren um seine Wiederentdeckung bemühte; vgl. Karl Otten: Das Werk Simon Kronbergs. In: Bulletin des Leo Baeck-Instituts 4 (1961), S. 101-110; darüber hinaus veröffentlichte Otten Texte Kronbergs in den Anthologien Schrei und Bekenntnis (1959), Das leere Haus (1959), Schofar (1962) und Ego und Eros (1963). Seit 1993 liegt eine Werkausgabe vor, die zum Großteil bis dahin unveröffentlichte, aus den beiden Teilnachlässen (DLA; APK) edierte Texte enthält: Simon Kronberg: Werke. Hrsg. v. Armin A. Wallas. 2 Bände. Bd. 1: Lyrik - Prosa; Bd. 2: Dramatik. München: Klaus Boer Verlag 1993. Mit dieser Werkausgabe wurde, wie ihre Rezeption belegt, die Bedeutung und der literarische Rang des Schaffens Kronbergs nach langen Jahren des Vergessens endlich zur Kenntnis genommen: vgl. Jakob Hessing: Krone erdwärts wie im Traum. Eine vorbildliche Werkausgabe erinnert an Simon Kronberg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 2. 1994, S. 28. - Paul Michael Lützeler: Wachsende Kraft. Simon Kronberg: Ein vergessener Autor aus Wien. In: Neue Zürcher Zeitung, 11. 3. 1994. - Wendelin Schmidt-Dengler: Das Erwachen zum Verzicht. Simon Kronbergs Werke. In: Literatur und Kritik 29 (1994), H. 283/284, S. 93f. - Dieter Sudhoff: "Ich bin da, um zu weinen". Das grüblerische Werk von Simon Kronberg wird wiederentdeckt. In: Neue Westfälische Zeitung, 3. 3. 1994. - Karl-Markus Gauß: Seit ich wandere, hat der Schmerz eine Heimat. Dichter, Aufklärer und singender Schuster: Der jüdische Expressionist Simon Kronberg. In: Die Presse, 14. 1. 1995, S. VIII. - Evelyn Adunka: Eine Werkausgabe des österreichischen Dichters Simon Kronberg. In: Illustrierte Neue Welt (Februar 1995), S. 18.

2 Zur Biographie Kronbergs vgl. Armin A. Wallas: Nachwort: "Ein Jude und ein Dichter dazu" - Simon Kronberg. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 335-410.

3 Simon Kronberg: Chamlam. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 133-179, hier S. 163.

4 Vgl. hierzu Hermann Meier-Cronemeyer: Jüdische Jugendbewegung. In: Germania Judaica 8 (1969), S. 1-118.

5 Vgl. Gershon Melber: Von der Grenadierstraße zum Arbeitskreis. In: Mnemosyne. ZEIT-Schrift für Geisteswissenschaften (Klagenfurt) (1994), H. 16, S. 3-20, hier S. 19.

6 Jakow Kohl: Zu seinem Gedenken - Schimon Kronberg (1978). In: Jiskor. Arbeitskreis Jüdischer Jugendgruppen Berlin. Haifa 1979, S. 27-29 (hebräisch; übersetzt von Jakow Kohl).

7 Esther Barta an Verf., Ramat Hasharon 15. 12. 1994.

8 Yitzhak Tabenkin, zit. nach Henry Near: The Kibbutz Movement. A History. Bd. 1: Origins and Growth, 1909-1939. Oxford 1992 (= The Littman Library of Jewish Civilization), S. 56.

9 Yitzhak Tabenkin, zit. nach Shlomo Erel: Neue Wurzeln. 50 Jahre Immigration deutschsprachiger Juden in Israel. Gerlingen 1983, S. 157.

10 Vgl. Simon Kronberg: [Wir klagen dieses Volk an!...]. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 99-109. Vgl. auch Kohl: Zu seinem Gedenken (vgl. Anm. 6): "Ich erinnere mich besonders an jenen speziellen Tag im Jahre 1933, als alle jüdischen Jugendverbände sich trafen um den Tod Chaim Arlosoroffs zu betrauern - und Schimon verband alle zu einer großen Einheit. Mit seinem Können eine Masse zu bewältigen und zusammenzuschweißen zu einer Einheit."

11 Simon Kronberg: 26. Juli 1936, Hs., DLA, TSK.

12 Simon Kronberg: [Ich sah am Abend...], Hs., DLA, TSK. Die ungewöhnliche Orthographie in diesem und anderen Zitaten folgt dem Original.

13 Vgl. Simon Kronberg: Pessach im Kibbuz. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 125-129.

14 Simon Kronberg: Pessach, Ts., DLA, TSK. Vgl. auch den Text: Kiddusch, Ts., ebd. Kiddusch [Heiligung] ist die Weihe des Sabbath bzw. des Feiertags, in diesem Fall der Segensspruch über den Wein, mit dem das Pessachfest eingeleitet wird: "Wir feiern das Fest der Erinnerung. [...] Wir, die wir hier an einem Tisch sitzen, wissen: es ist kein Unterschied zwischen dem Leid unserer Väter und unserem Leid." (ebd.) In diesem Zusammenhang verweist Kronberg auf den Bericht von D[avid]. Ben-Gurion: Von Petach-Tikwa bis Ssedschera. In: Jiskor. Ein Buch des Gedenkens an gefallene Wächter und Arbeiter im Lande Israel. Deutsche Ausgabe. Mit einem Geleitwort v. Martin Buber. Berlin 1918, S. 5-31, hier S. 25ff., der von der Pessachfeier in der Kolonie Sedschera im Jahre 1909 erzählt, die von Araberunruhen gestört wurde.

15 Vgl. etwa folgende Aussage jenes Kibbuzniks, der die Rolle Hitlers übernehmen muß: "Sinn hat für uns nur die Arbeit. Verständlich ist nur der Kampf um die Existenz. Zu allem anderen gibt es keine Zeit, keine Lust, keinen Schatten von Vernunft!", ebd., S. 126.

16 Jakow Kohl an Verf., Ramat Gan 18. 9. 1990.

17 Kohl: Zu seinem Gedenken (vgl. Anm. 6).

18 Pinda Schefa an Verf., Givat Chajim Ichud 29. 9. 1990.

19 Chanan Cohen an Verf., Givat Chajim Meuchad 2. 10. 1990.

20 Simon Kronberg: Panoptikum, Ts., DLA, TSK.

21 Vgl. Simon Kronberg: Wien 1936. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 110-124. Am 23. 3. 1995 wurde der Sprechchor Wien 1936 - zusammen mit Wir klagen dieses Volk an! - vom 'Ersten Wiener Lesetheater' im Literaturhaus Wien aufgeführt.

22 Maria Gutmann: Sprechchöre. In: Kunst und Volk. Mitteilungen des Vereines "Sozialdemokratische Kunststelle" 3 (1928), H. 1, S. 14-15.

23 Reuwen Kalisch an Verf., Givat Chajim Meuchad 10. 4. 1991.

24 Simon Kronberg an Peter Kronberg, Haifa 12. 3. 1947, APK.

25 Zur Geschichte Nahariyas hat Kronberg einen - vom 29. 10. 1943 datierten - Aufsatz verfaßt, in dem er unter anderem schreibt: "Worte! Bilder! Träume! Rechtlich gesicherte Heimstätte! Blühende Felder! Vaterland! Diese Worte werden allmählich seine Worte. [...] Diese Bilder sieht er [der deutsche Jude, A.d.V.] nun schon mit seinen Augen, eine Wirklichkeit. Und er selber schuf die Wirklichkeit. [...] Sehr wach erkennt er die Kraft solchen Träumens und überträgt sie auf seine Kinder. [...] Er überträgt sie auf die Forderung eines jüdischen Landes: Hebräische Sprache, Hebräische Kultur", Simon Kronberg: Naharia, Ts., DLA, TSK.

26 Dr. Fritz Wolf an Verf., Nahariya 20. 9. 1990.

27 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 3. 5. 1947, APK.

28 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 5. 6. 1947, APK.

29 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 25. 5. 1947, APK.

30 Hannah und Benjamin Jeremias an Verf., Nahariya o. D. [August 1990].

31 Miriam Lion an Verf., Kiriath Bialik 14. 8. 1990.

32 Sabine Lindenbaum an Verf., Tel Aviv 5. 8. 1990.

33 Ard Feder: Erinnerungen an Schimon Kronberg aus den Jahren 1940-1947, Beilage zu Brief Ard Feder an Karl Otten, Kiryat Tiv'on 9. 4. 1961 (Kopie), APK.

34 Alfred Moses: Wer ist das? (Juni 1957). In: Jiskor (vgl. Anm. 6), S. 30-33 (hebräisch; übersetzt von Jakow Kohl).

35 Vgl. Heinrich Jacoby: Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung. In: Die Tat 13 (1922), H. 12, S. 889-909, hier S. 895f. u. 899. Kronberg übernimmt die Terminologie Jacobys zum Teil wortwörtlich, wie aus einem Brief an Elieser Lubrani, Konzept o.D., DLA, TSK, hervorgeht, in dem er Gesang als 'Selbstarbeit' bezeichnet und das "Singen des Einzelnen, auch des Gehemmten, als unmusikalisch geltenden Menschen" propagiert.

36 Simon Kronberg: Lautbildung, Stimmbildung, Bewegungslehre, hs. korrigierte Druckfahne, o.D., DLA, TSK.

37 Vgl. Simon Kronberg: Tagebuch [Bd. 1], Eintragung vom 12. 6. 1915, DLA, TSK; vgl. hierzu: Wallas: Nachwort (vgl. Anm. 2), S. 362ff.

38 Vgl. Simon Kronberg: Meine Arbeit...unsere Arbeit, Ts., DLA, TSK: "Ich aber glaube [...], dass ihr lebendige Menschen seid, denen nur Selbsthilfe und Selbstvertrauen abhanden gekommen sind. [...] Ihr wurdet 'Gesangssoldaten mit musikalischem Paradeschritt'. [...] Nun ist Singen, Musik in Wirklichkeit etwas ganz Anderes. [...] Lassen wir einmal auch die mittun, die sich 'unmusikalisch' nennen. Wir machen den Mund auf. Wir versuchen, uns mit Singen irgendwie auszudrücken."

39 Simon Kronberg: [Ich sah am Abend...] (vgl. Anm. 12).

40 Simon Kronberg an Elieser Lubrani (vgl. Anm. 35).

41 Simon Kronberg: Jüdische Feier, Ts., DLA, TSK. Bereits im Rahmen der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland war Kronberg für die Gestaltung von Festen und für Gesangsunterricht zuständig, so etwa hielt er im Dezember 1927 auf dem Führerlager des 'Jung-Jüdischen Wanderbundes' in Berlin ein Referat zum Thema 'Feste und Feiern' (zusammen mit Isi Reiss) (Abteilung 'Praktika der Bundesarbeit' der 'Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft'), vgl. Rundschreiben 3/29 des Jung-Jüdischen Wanderbundes, Berlin 1. 11. 1927, Central Zionist Archives (Jerusalem), Z4/2926 I; vgl. hierzu auch Wallas: Nachwort (vgl. Anm. 2), S. 396f.

42 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 25. 5. 1947, APK.

43 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 17. 7. 1947, APK.

44 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 15. 8. 1947, APK.

45 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 6. 4. (1947), APK.

46 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 4. 1947, APK.

47 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 29. 6. 1947, APK.

48 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 12. 2. 1946, APK.

49 Simon Kronberg an Peter Kronberg, Haifa 21. 7. 1946, APK.

50 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 1. 1947, APK.

51 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 9. 1947, APK.

52 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 20. 6. 1947, APK.

53 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 8. 1946, APK.

54 Vgl. Peter Kronberg an Verf., St. Louis 3. 5. 1990.

55 Ard Feder: Erinnerungen (vgl. Anm. 33).

56 Vgl. Simon Kronberg: Ehud. Ein Richter in Israel. Drama in vier Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 130-164. Im DLA befinden sich zwei Fassungen dieses Dramas.

57 Simon Kronberg: Notizbuch, DLA, TSK.

58 Vgl. Simon Kronberg: Chasán. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 180-209.

59 Vgl. I[smar]. E[lbogen].: Chasan. In: Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Begründet v. Georg Herlitz u. Bruno Kirschner. Berlin 1927, Neudruck Frankfurt/M. 21987, Bd. 1, Sp. 1335-1337.

60 Simon Kronberg: Notizbuch, DLA, TSK. Ursprünglich gab Kronberg der Figur des Verkünders den Namen 'Dam', erst in den späteren Notizen findet sich der Name 'Chasán'.

61 Ebd.

62 Vgl. Simon Kronberg: Nittel (Blinde Nacht). Drama in drei Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, S. 165-202. Mit dem Problem des Antisemitismus befaßt sich auch Kronbergs Exposé zu einem Drama mit dem Titel Das deutsche Märchen ("Der gute Handel"), DLA, TSK: "So wird der Dumpfe, der Dumme, der Bauer zu Deinem Nachfolger, zu einem König. Das ist die Luft in der Juden in Deinem Reich leben. Gefürchtet, verachtet, abgeschieden, fremd, jeder Schläue, jeder Grobheit, jeder Ungerechtigkeit in jedem Augenblick ihres Lebens ausgeliefert. Diese Luft kennt den Begriff der Menschlichkeit, der Güte nicht. [...] Ist der Jude hungrig, singt er. Ist der Bauer hungrig, schlägt er sein Weib. / Hat der Jude recht, bekommt er erst recht Schläge. / [...] / Einen getauften Juden, einen geadelten Bauern und einen gezähmten Wolf mag der Teufel holen."

63 Vgl. S[amuel]. R[appaport].: Nittel (Blinde Nacht). In: Jüdisches Lexikon (vgl. Anm. 59), Bd. 4/1, Sp. 512f.

64 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 2. 12. 1946, APK.

65 Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 12. 1946, APK. Vgl. auch Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 6. 4. 1947, ebd.: "Du bist nicht schuld daran, daß ein Teil meines Menschen wie ohne Schlüssel für Dich ist. Und nur von diesem Teil aus ist der Mensch zu begreifen, der Nitl schrieb", und Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 6. 4. 1947, ebd.: "Ich bekam [...] einen Brief Deines geliebten (auch von mir) Sohnes Peter, der mich so glücklich machte. [...] Das hindert mich am Schmollen über unvermeidliche Dinge wie zb., daß mein in mir so tief verankertes Judesein auch nicht den leisesten Anklang in meinem Sohn findet. Peter schrieb mir in so bezaubernder, seelisch sauberer Weise über seine Reaktion auf Nitel, mein Drama. Mehr: was ich über alles liebe, wenn ein Mensch mit Ehrfurcht vor einem Anderssein steht [...]."

66 Diese Konstellation enthält ein autobiographisches Element: Kronberg war in erster und zweiter Ehe mit nichtjüdischen Frauen verheiratet (im März 1917 heiratete er in Berlin Friedl "Hibi" Gieseke, von der er 1929 geschieden wurde, im Januar 1930 ehelichte er Margarete Charlotte Herta Dautert, mit der er seit 1926 zusammenlebte). Zum Antisemitismus nimmt er in einem Brief an Herta folgendermaßen Stellung: "ist das eine Welt, in die wir geboren wurden! Jeder gegen Jeden und an allem ist - noch immer - der Jud schuld. Wie das wohl sein muß, kein Jude zu sein und darüber zur Tagesordnung übergehen zu können? Ich würde ja klein beigeben, wenn die Anderen [...] so vollendete Exemplare der Menschheit wären, daß sie mit Recht uns den klaren Spiegel vorhalten könnten, in dem wir Verruchte uns klein und häßlich zu zeigen hätten", Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 7. 7. 1947, APK.

67 S. Ph. de Vries: Jüdische Riten und Symbole. Wiesbaden 61990, S. 162 u. 169.

68 Vgl. Karl Otten: Nachwort. In: Das leere Haus. Prosa jüdischer Dichter. Hrsg. v. Karl Otten. Stuttgart 1959, S. 602-621, hier S. 614.

69 Vgl. Simon Kronberg: Der Tod im Hafen. Drama in drei Akten. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2. S. 203-256. Das Drama sollte im Moadim Verlag erscheinen, vgl. Aufbau (New York) 13, H. 51 (19. 12. 1947), S. 15.

70 Vgl. Gabriele Anderl: Der Untergang der "Patria". In: profil. Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs 21 (1990), H. 30, S. 70-73 (aus diesem Artikel stammt auch das Zitat aus dem zeitgenössischen Bericht). Vgl. auch A[haron]. Z[wergbaum].: Patria. In: Encyclopaedia Judaica. Jerusalem 1966ff., Bd. 13, Sp. 181. - Erich Gershon Steiner: The Story of the Patria. New York 1982. - Gabriele Anderl: Emigration und Vertreibung. In: Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft. Hrsg. v. Erika Weinzierl u. Otto D. Kulka. Wien-Köln-Weimar 1992, S. 167-337, hier S. 307f.

71 Munya M. Mardor: Haganah. Strictly Illegal. New York 1964, zit. nach Anderl: Der Untergang der "Patria" (vgl. Anm. 70), S. 71.

72 Simon Kronberg: Der jüdische Mensch, Hs., DLA, TSK.

73 Diese Rede Jaakows ist in deutscher Sprache und hebräischer Übersetzung wiedergegeben.

74 Vgl. M[ax]. J[oseph].: Jom Kippur. In: Jüdisches Lexikon (vgl. Anm. 59), Bd. 3, Sp. 309-313, hier Sp. 310.

75 Vgl. Simon Kronberg: Mamma. Komödie in drei Akten, Ts., DLA, TSK.

76 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18. 9. 1947, APK.

77 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 27. 10. 1947, APK.

78 Vgl. Simon Kronberg: Gänse. Komödie in drei Akten, DLA, TSK.

79 Zum Inhalt dieser Komödie vgl. Simon Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 2, Anhang, S. 277ff.

80 Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 9. 3. 1947, APK.

81 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 5. 1947, APK: "Österreich ist für mich ein besonderer Klang, verwoben mit dem Schönsten. [...] Ich habe oft Sehnsucht nach Österreich. Vielleicht nach einem Traum-Österreich, das schöner, menschlicher, aufgeschlossener ist als alle anderen Länder der Welt. Ich war in meiner Jugend dort. Und habe mit 20 Jahren das Weite gesucht..."; vom Kulturleben im Nachkriegsösterreich erwähnt Kronberg in den Briefen an die Familie unter anderem die Salzburger Festspiele sowie die Zeitschriften Der Turm, Europäische Rundschau und Erbe und Zukunft.

82 Vgl. Simon Kronberg an Herta Kronberg, Haifa 22. 2. 1946, APK.

83 Diese Texte befinden sich als Ts. in DLA, TSK.

84 Vgl. Simon Kronberg: Der verlorene Sohn. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 325-329.

85 Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 105.

86 Im Gedicht Der verlorene Vater (1946), das die Gefühlsschwankungen im Verhältnis zu seinem Sohn, von dem er jahrelang getrennt war, beschreibt, kehrt Kronberg die Motivkonstellation um, indem er die Suche des Vaters nach dem Sohn thematisiert, vgl. Simon Kronberg: Der verlorene Vater. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 114.

87 Simon Kronberg: Der Jude. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 27.

88 Simon Kronberg: Jom Kippur. In: ebd., S. 102f.

89 Vgl. Donald Ward: Baum. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. v. Kurt Ranke. Berlin-New York 1977, Bd. 1, Sp. 1366-1374.

90 Vgl. Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 101.

91 Simon Kronberg: Der Jude. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 112.

92 Vgl. Simon Kronberg an Peter Kronberg, (Haifa) 12. 8. 1946, APK.

93 Hessing: Krone erdwärts wie im Traum (vgl. Anm. 1), S. 28.

94 Vgl. Simon Kronberg: Leah. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 316-324.

95 Vgl. Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 17. 2. 1947, APK: "Es ist ein Vorsprung in seinem [Peters, A.d.V.] lieben Leben, den ich vergebens bei mir suche: die Mutter, wie Dich. Alle Männer, die in Ruhe wachsen, haben diesen Vorsprung. Die, die ihn nicht hatten, wie ich, verbrauchen ungeheure Mengen von Energie, nur um dieses Weniger ein wenig auszugleichen; [...]. Mir graut vor meiner Jugend, wenn ich an sie zurückdenke. [...] Und so finde ich mich immer noch unterwegs, sehr, sehr langsam erwachsen werdend." In den Briefen an Herta Kronberg verwendet er die Anredeformen 'Mammi' und 'Mammilein'.

96 Otten: Das Werk (vgl. Anm. 1), S. 109. Vgl. auch folgende Notizen Kronbergs zu dem geplanten Drama Die zwei Schwestern: "lea, rachel, jaakob. Das ist die geschichte, das drama der drei. [...] Zuerst die lea gesehen und angesprochen. Dann die rachel gesehen und geliebt. Dann das opfer der begegnung. Dazwischen: das verlassen. [...] Endlich: die bezahlung (das ende)"; "keine weiß, daß dieser mann jakob derselbe ist. [...] So daß aus jeder der schilderungen ein teil von jakob, immer der teil, der zu der einen aus- und von ihr zu jakob wieder zurückstrahlte, zu erleben ist. Sie leben zwei welten, diese schwestern. Aus zwei welten setzt sich jakob zusammen", Simon Kronberg: Notizbuch, DLA, TSK.

97 Simon Kronberg: Am Morgen. In: Kronberg: Werke (vgl. Anm. 1), Bd. 1, S. 122.

98 Vgl. -d: Wie wir hören. In: Aufbau (New York) 13, H. 51 (19. 12. 1947), S. 15.

99 Simon Kronberg an Herta Kronberg, (Haifa) 18./19. 10. 1947, APK.

Gemeinsames Projekt der Universitäten Tel Aviv und Konstanz:
"The Contribution of Jewish Theatre Artists in the German Speaking Countries, in Palestine and in Israel"

- MitarbeiterInnen des Projektes
- Abstract zu Forschungszweigen
- Tagung "Jüdisches Theater und jüdischer Film", Konstanz, September 1997 (Vortragstexte)
- Tagung "Helden und Märtyrer", Tel Aviv, April 2000 (Abstract und Beiträge)

Vor dem Vergessen bewahrt:
Moshe Yaacov BenGavri'el

Im beschaulichen Jerusalem der vierziger und fünfziger Jahre war er bei seinen Freunden und in jeckischen Kreisen unter seinem Spitznamen, "Moj" benGavri'el, weit bekannt...

Vor dem Vergessen bewahrt:
Armin Alexander Wallas
Mit Armin A. Wallas verließ uns einer der wichtigsten Literaturwissenschaftler und Fachmann der jüdisch-deutschen und jüdisch-österreichischen Schriftsteller...

hagalil.com 22-09-03











 

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