Salomon Korn:
Die fragile Grundlage
Mit einem Geleitwort von Joschka Fischer.
Stark erweiterte Neuauflage
Philo Verlagsges. 2004, Euro 16,00
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Salomon Korn:
Die fragile Grundlage
In 'Die fragile Grundlage' beleuchtet Salomon Korn
verschiedene Aspekte des komplexen und historisch belasteten
deutsch-jüdischen Beziehungsgefüges.
Neben Reflexionen unter anderem über Architektur und
Judentum, Erinnerung und Gedenken sowie über jüdisches Leben in
Deutschland schließt die vorliegende stark erweiterte zweite Auflage
auch Beiträge zur Kontroverse um die so genannte "Flick-Collection" mit
ein.
Buchvorstellung mit dem Autor
Gesprächspartner auf dem Podium sind:
Dr. Salomon Korn, Autor
Prof. Dr. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin
Dr. Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin -
Centrum Judaicum
Axel Rütters, Verleger des Verlags PHILO & Philo Fine Arts
21.10.2004, 19:30 Uhr
Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, Oranienburger
Straße 28/30, 10117 Berlin |
Leseprobe: Vorbemerkung
"Als ich 1966 begann, mich wissenschaftlich mit dem
Synagogenbau in Deutschland zu befassen, lernte ich im Laufe meiner
Forschungen die 1700jährige Geschichte der deutschen Juden näher kennen.
So sehr mich deren Errungenschaften auch faszinierten, so wenig fühlte
ich mich von ihr angezogen. Sie erschien mir partiell, insbesondere seit
Beginn des 19. Jahrhunderts, als eine Geschichte überzogener Anpassung,
Anbiederung, ja, Selbstverleugnung.
In dem Maße jedoch, wie ich zunehmend über die
Beziehungen zwischen Deutschen und Juden nach 1945 nachdachte, erkannte
ich: Die jahrhundertealte deutsch-jüdische Geschichte hätte nicht – wie
bis dahin vermutet – zwangsläufig in den Verbrennungsöfen der
nationalsozialistischen Vernichtungslager enden müssen. Daraus folgte
die lange abgewehrte Einsicht, jüdisches Leben in Deutschland habe
vielleicht doch eine Zukunft – allerdings unter gänzlich anderen
Voraussetzungen als vor dem nationalsozialistischen
Jahrhundertverbrechen.
Wenn Jakob Wassermann 1921 in seinem Buch "Mein Weg als
Deutscher und Jude" noch aus tiefer Überzeugung schreiben konnte: "Ich
bin Deutscher, und ich bin Jude, eines so sehr und so völlig wie das
andere, keines ist vom anderen zu lösen", so hat dieses Bekenntnis seine
Gültigkeit auf lange Zeit hinaus verloren. Die heute in Deutschland
lebenden Juden sind nicht angetreten, das frühere deutsche Judentum zu
ersetzen. Allein der Versuch, unmittelbar an eine der vernichteten
Traditionen anzuknüpfen wäre ein Vergehen gegen die grausam gemordeten
Opfer, denn er würde, im Falle seines Gelingens, den endgültigen
Verlust, den tiefen geschichtlichen Bruch verkleinern, wenn nicht gar
überbrücken.
Da die historische Monstrosität in ihrem ganzen Ausmaß
bestehen bleiben muss, wenn den Opfern des Nationalsozialismus nicht
noch einmal Unrecht widerfahren soll, bedeutet dies – sofern Juden
dauerhaft hier leben wollen – "neu" zu beginnen, ohne alt-neue
Traditionen in Deutschland anzustreben. Unter diesen Umständen gilt für
Juden wie Nichtjuden gleichermaßen, dass aufrichtige Annäherung und
dauerhaftes Miteinander nur im Bewusstsein des dauerhaft Trennenden
möglich ist.
In meiner 1999 im Philo Verlag veröffentlichten
Aufsatzsammlung "Geteilte Erinnerung" habe
ich versucht, mich dem komplizierten deutsch-jüdischen Verhältnis von
mehreren Blickwinkeln her zu nähern: historischen, soziologischen,
sozialpsychologischen, kulturellen und baugeschichtlichen. Es dürfte
kaum möglich sein, die Komplexität deutsch-jüdischer Gegenwart anders
als fragmentarisch zu erfassen.
Und so folgt auch das vorliegende Buch "Die fragile
Grundlage" dem Prinzip facettenartiger Annäherung an ein schwieriges,
historisch belastetes Beziehungsgefüge. Es beginnt mit dem "Versuch,
sich der deutsch-jüdischen 'Normalität' im Gespräch zu nähern" und endet
mit Beiträgen zur Kontroverse um die sogenannte "Flick-Collection" –
einer weiteren deutschen Selbstfindungsdebatte.
Dazwischen gehe ich auf die Bedeutung von Ignatz Bubis
sel. A. ein, stelle Überlegungen zu "Architektur und Judentum" an,
beschäftige mich mit der "Gegenwart der Vergangenheit", gehe einigen
Aspekten von "Kultur und Judentum" nach, beobachte gegenwärtiges
"Jüdisches Leben in Deutschland" und beschreibe schließlich anhand
aktueller Phänomene "Die Normalität der Anormalität" zwischen Juden und
Nichtjuden in diesem Lande.
Der Buchtitel "Die fragile Grundlage" verweist auf den
transitorischen Charakter deutsch-jüdischer "Normalität": schwer zu
erfassen und noch schwerer zu verwirklichen. Dies ist nicht
verwunderlich, denn nach allem, was geschah, ist es durchaus normal,
dass noch nicht alles normal ist. Daher wird die "Normalität der
Anormalität" oder die "Anormalität der Normalität" zwischen Juden und
Nichtjuden in Deutschland andauern – vielleicht zwei, vielleicht drei
Generationen. Angesichts solcher Entwicklungszeiträume verlieren
gelegentliche Rückschläge oder vermeintliche Rückschläge im
vielschichtigen deutsch-jüdischen Verhältnis manches von ihrer
gegenwartsbezogenen Dramatik und lassen sich in dieser Sicht gelassener
beurteilen."
hagalil.com
19-10-04 |