Susie Morgenstern:
Hallo Sarah - hier ist Salah
Aus dem Französischen von Peter Prange
ab 10 Jahren
Taschenbuch, 128 Seiten
4,95 Euro
Omnibus Verlag
ISBN: 3-570-20692-0
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Hallo
Sarah - hier ist Salah
von Susie Morgenstern
Salah, 12 Jahre alt, wählt
irgendeine Nummer und landet bei Sarah, 10 Jahre alt. Die beiden
entwickeln eine Telfonfreundschaft und tauschen sich über ihren Alltag
aus. Salah ist Muslim, hat viele Geschwister und muß bereits
Verantwortung für die Familie übernehmen, die in beengten Verhältnissen
wohnt. Sein Vater ist als Einwanderer aus Algerien nach Frankreich
gekommen. Er lebt in räumlich beengten Verhältnissen und hat noch nie
außerhalb der Schule ein Buch gelesen. Das örtliche Fernsprechbuch ist
das erste Buch, das ihn fasziniert. Sarah ist Jüdin, soll aufs Gymnasium
und steht als Einzelkind im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Eltern.
Sie lebt in einem Haus mit Garten. Bücher spielen eine große Rolle für
sie.
Diese beiden Kinder treffen
aufeinander und lernen sich telefonisch kennen: Was sie in der Schule
erleben, welche Feste in ihren Religionen gefeiert werden, was in der
Familie besprochen wird und wovon sie träumen.
Susie Morgenstern, eine in
Frankreich lebende amerikanische Jüdin hat hier in einem sehr
ansprechenden Stil ein Kinderbuch geschrieben, das zum gegenseitigen
Verständnis anregen könnte und auch schwere Themen wie Auschwitz und den
Algerienkrieg nicht ausspart. Da beide Kinder Minderheiten angehören,
könnten sich gerade für junge Leser und Leserinnen, die der
Mehrheitsgruppe angehören neue Einsichten bei der Lektüre ergeben.
Muslimische und jüdische Kinder könnten in diesem Buch ihre Lebenswelt
gespiegelt finden, was in der deutschen Kinderliteratur ohnehin eine
Seltenheit ist. Nach dem Einbruch, den die Terroranschläge des 11.
September darstellen, könnte ein solches Buch Anregungen für das
interkulturelle Gespräch geben.
Ein wichtiges Buch zur richtigen
Zeit?
Diese Frage muß leider mit NEIN beantwortet werden. Peter Prange hat in
der Übersetzung zwar den spritzigen und einfühlsamen Sprachstil von
Susie Morgenstern gut getroffen. Mit jüdischen Traditionen kennt er sich
jedoch nicht aus und hat Fehler und auch Fehlwahrnehmungen in den Text
hineinübersetzt. Da er Mohammed als "Oberhaupt von Salahs Glauben"
(Seite 90) bezeichnet, nehme ich ebenfalls an, daß seine Beschäftigung
mit dem Islam auch nicht sehr tiefgehend war, denn der Islam hat kein
Oberhaupt wie die katholische Kirche. Leider hat auch das Lektorat
schlampig gearbeitet und nicht dafür gesorgt, daß die Übersetzung
fachkompetent gegengelesen wird. Nur einige Beispiele seien hier
herausgegriffen:
Sarahs Großmutter ist in Konstantinopel - heute Istanbul - geboren
(Seite 41) und hat in ihrer Familie "ladinisch" gesprochen (Seite 44).
Man fragt sich, wie ladinisch, eine Minderheitensprache, die in einigen
Schweizer und Südtiroler Tälern gesprochen wird, in die Türkei kommt?
Die Juden, die ab 1492 von der
iberischen Halbinsel vertrieben wurden und sich größtenteils im
Mittelmeerraum ansiedelten (sephardische Juden) haben eine eigene
jüdische Sprache mit verschiedenen Ausprägungen: das Ladino - so wie die
Juden Mittel- und Osteuropas (aschkenasische Juden) jiddisch sprachen.
Im Italienischen wird sowohl die Sprache der sephardischen Juden als
auch die einer Schweizer und Südtiroler Minderheit als "ladino"
bezeichnet.
Wünschenswert wäre auch, daß die
Bezeichnungen der jüdischen Feiertage so übersetzt werden, wie sie hier
üblicherweise von Juden gebraucht werden, damit interessierte Leser sich
im Internet oder im Lexikon informieren können. Unter "Versöhnungsfest"
(Seite 48) ist im Internet im Gegensatz zum "Versöhnungstag" nichts zu
finden. Der "Geburtstag der Bäume" (Seite 74) - gemeint ist Tu bi
Schewat - ist das "Neujahrsfest" der Bäume. Da dem Buch kein Glossar
angefügt wurde, wäre es wichtig, daß diese Details stimmen.
Das Essen ist ein besonders
heikles Kapitel was die Übersetzungsfehler betrifft:
Die Speisegebote der Juden erweitert Peter Prange dahingehend, daß man
Rohkost vermeide. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Obst und Gemüse
können mit allen anderen erlaubten Lebensmitteln beliebig kombiniert
werden. Das bereits erwähnte "Neujahrsfest der Bäume" hat die
Besonderheit, daß dabei besonders viele unterschiedliche Früchte
verzehrt werden.
Außerdem hat Sarah zum ersten Mal
am "jüdischen Pfingstfest" (Seite 112) Wein getrunken. Gemeint ist das
Schawuot-Fest, an dem Gott dem jüdischen Volk die Torah am Sinai gegeben
hat. An Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, und das ist bekanntlich
eine christliche Angelegenheit. Hier trägt der Übersetzer das
christliche Konzept von Pfingsten an das Judentum heran. Sowenig wie es
ein "christliches Purimfest" gibt, gibt es ein "jüdisches Pfingstfest".
Mit solchen Bezeichnungen verhindert man eher einen Verstehensprozeß als
daß man ihn fördert, da hier Bilder vermittelt werden, denen
Fehlwahrnehmungen zugrunde liegen.
Der Leser erfahrt, daß Sarah am
"jüdischen Pfingstfest" kein Brot gegessen habe (S. 112). An Schawuot
ißt man vorwiegend Milchprodukte. Ganz beliebt sind alle möglichen
Varianten von Käsekuchen. Es gibt aber kein Verbot Brot oder Teigwaren
zu konsumieren. Der Übersetzer hat es mit dem Pessachfest verwechselt,
an dem 8 Tage alles Gesäuerte (Brot, Kuchen, Bier etc.) verboten ist.
Man fragt sich, warum der
Bertelsmann-Verlag, unter dessen Dach das Buch in der Omnibus-Gruppe
erscheint, einerseits in seinen Stiftungsaktivitäten interkulturelle
Aktivitäten finanziell fördert und andererseits ein derart schlampiges
Arbeiten in seinem Verlagsprogramm zuläßt. Leider in einigen großen
deutschen Verlagen noch keine ausreichende Sensibilität für
interkulturelle Fragestellungen vorhanden zu sein, ob es nun die
Übersetzungsfehler in den Krimis von Faye Kellerman sind oder von Rabbi
Walter Rothschild die "99
Fragen zum Judentum".
Iris Noah
haGalil onLine
13-02-2002 |