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Presseinformation

Ehud Ben-Ezer:
Menschen von Sodom

In einer Nacht im Sodom der 50er Jahre treffen sich zufällig vier einander fremde Menschen. Sie erzählen sich eine unglaubliche Geschichte, deren Anfang in der deutschen Templer-Siedlung Wilhelma liegt, die Mitte des 19.Jahrhunderts in der Nähe vom späteren Tel Aviv gegründet wurde.

Die Geschichte setzt sich fort in der ersten Pottasche-Fabrik im Norden des Toten Meeres, im Ein Gedi der dreißiger Jahre des 20.Jahrhunderts und schließlich auf den Schlachtfeldern Europas während des Zweiten Weltkrieges.

In dem Roman von Ehud Ben-Ezer zeigen sich im Verlauf der Handlung Liebe und Hass, Schuldgefühle, Reue und Sühneverlangen und eine schreckliche Einsamkeit - vor dem Hintergrund der salzigen Wüste am "Boden der Welt" in Sodom, der Stadt der Sünde und der Zuflucht in der Not, deren Bedeutung die Grenzen von Zeit und Handlung sprengt.

Aus dem Inhalt:
... "Sie sprach. Keine Macht der Welt werde sie dazu bringen, zum Autobus zurückzukehren. Nie wieder werde sie aus der Höhle hinausgehen. Er könne ihnen sagen, dass sie hier bleibe. Solle sie allein lassen und gehen; er habe sie in Sodom vergessen. Jemanden in Sodom vergessen, zurückkehren und ihn nach fünftausend Jahren in Gomorrha wieder finden!"...
...weitere Leseproben

Der Autor, Ehud Ben-Ezer, wurde 1936 im damaligen Palästina geboren, in einer alteingesessenen Familie, die 1878 die erste jüdische Siedlung in Palästina, Petach Tiqva, mitbegründet hat.
Er studierte Philosophie und Kabbala an der Hebräischen Universität in Jerusalem, u.a. bei Professor Gershom Scholem.
Er arbeitete als Lehrer in der Negev-Wüste und lebte mehrere Jahre in Ein-Gedi am Toten Meer.
Er schrieb mehrere Romane und viele Kinderbücher und gehört zu den bekanntesten Autoren und Literaturkritikern Israels. Seine Bücher sind in mehreren Sprachen erschienen, u. a. bei so renommierten Verlagen wie Farrar, Straus & Giroux in den USA.
  ...»Alle suchen nach dem Alibi und es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Volk des Mörders und dem des Opfers.«

...»Einer der bedeutendsten israelischen Romane der Neuzeit: scharfsinnig beobachtet, leidenschaftlich erzählt und brillant geschrieben.«

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Melzer Verlag, Neu-Isenburg 2004, SEMIT edition, 416 Seiten,
Hardcover, ISBN 3-937389-33-4, 24,95 € / 41,95 sFr

Weitere Leseproben

Auszug aus KAPITEL II

Am Boden der Welt konnte man die Stille förmlich sehen...

Die beiden Frauen gingen in die baufällige Blechhütte neben der verlassenen Mole. Löwental wartete im Abstand von ein paar Schritten auf sie, lenkte züchtig seinen Blick an den Ritzen der Wände vorbei und lächelte vor sich hin, als er von drinnen Gelächter vernahm. Plötzlich hörte man einen dumpfen Schlag gegen die Blechwand, das alte Gebäude schwankte, stürzte beinahe ein, und die erschreckte, aber dennoch einschmeichelnde Stimme von Mussy ließ sich von innen vernehmen: „Herr Löwental, bitte!"

Er trat ein, und vor ihm wand sich ihre rundliche Gestalt in einem geblümten Badeanzug. Sie bat ihn, den Reißverschluss am Rücken zu schließen, damit sie nicht noch einmal hinfalle wenn sie es selbst versuche. Nur durch ein Wunder sei sie nicht mit der Wand zusammen umgekippt.
Die Rosenbergin war damit beschäftigt, ihren Badeanzug über ihre kräftigen Schenkel zu zerren, ohne den Rock auszuziehen, und wirkte in der glühenden Hitze der Blechhütte recht hilflos. Mussy genoss Löwentals Hilfe, ließ ihn nicht in Ruhe, sondern zögerte das Schließen ihres Reißverschlus-ses so weit wie möglich hinaus. Schließlich schritten sie zu dritt barfuß zum Meer, Löwental schleifte Mussy hinter sich her, gelegentlich stieß sie einen Seufzer aus und tat, als ob sie beim bloßen Anblick eines glatten Steinchens umzufallen drohe. Die Rosenbergin schlenderte langsam hinter ihnen her wie ein altertümliches, dickbäuchiges Schiff; der breitkrempige, khakifarbene Militärhut verbarg ihr Gesicht. Ihr Blick war wässrig und stier, wie der eines alten Kapitäns, dessen Augen unter Salz und Branntwein gelitten hatten.

Am Gefälle des Strandes lagen rundliche Steine, heiß wie frisch gekochte Eier, wie erstarrtes Lavagestein. Dazwischen blitzte der graue, heiße Salzlehmboden hervor, dessen Kruste in größerer Entfernung vom Meer trocken war und sich allmählich in schwarzen, glitschigen Schlamm verwandelte, übel nach Petroleum und Salzen riechend, je mehr man sich dem Meer näherte. Die Damen verletzten und verbrannten sich die Füße. Löwental verließ sie, während sie sich gegenseitig festhielten, eilte in die Wellblechbaracke zurück, um ihnen ihre Schuhe zu holen. Die glatten Steine brannten wie glühendes Eisen; nahe dem Meer waren sie aschgrau mit dem trüb-dunklen Ton fettiger Flüssigkeiten. Schreiend kehrten die beiden um und sprangen zum trockenen Strand zurück. Löwental kam im Laufschritt mit den Schuhen in der Hand zurück. Während seines Aufenthaltes in der Herberge hatte er sich daran gewöhnt, barfuß auf den heißen Steinen zu gehen. Sein schmaler Körper hatte sich gebräunt, auf seinen Fußsohlen hatte sich Hornhaut gebildet. Dünne, weiße Haarlocken um seine Stirn, die in eine schmale, gebräunte Glatze auslief, verliehen ihm das Aussehen eines alten Seemannes. Er hätte als gut aussehend gelten können, wenn nicht die Ekzeme gewesen wären, die seinen Körper entstellten. Er bestand darauf, beiden beim Anziehen der Schuhe behilflich zu sein. Sein Rücken diente ihnen als Stütze. Das helle Lachen ging im schweren Wasser unter. Kein Vogel flog. Kein Windhauch regte sich. Nur in der Ferne flimmerten die Berge in der heißen Luft.
„Schade, dass Daniel mit seiner Kamera nicht hier ist." Mussy hüpfte auf einem Schuh herum unter Gelächter, das sich wie Stöhnen anhörte. „Er fotografiert mich immer. Seine Frau ist schon eifersüchtig auf mich. Haha!" Und damit lief sie ins Wasser.
Die gelbe Landschaft von Sodom, eingehüllt in Hitze, verschluckte die Stimmen. Löwental musste seine ganze Kraft aufwenden, um Mussy festzuhalten, denn sie lief so ungestüm, dass sie sich nicht die Mühe machte, aufzupassen, wohin sie ihre Füße setzte. Sie schien zu glauben, Löwental sei verpflichtet, mit seiner ganzen Ritterlichkeit bis zum Letzten aufwarten zu müssen. Huldvoll gab sie ihm Gelegenheit, sie möglichst oft festzuhalten. Die Steine auf dem Meeresboden waren glatt und mit schwarzem Klitsch bedeckt. Die Rosenbergin sah der Liebelei ihrer Gefährtin mit nachsichtigem Lächeln zu, wie man einem jungen, leichtfertigen Mädchen alles nachsieht.
Es war nicht leicht, ins Wasser zu gehen. Das flache Wasser dehnte sich weit hinaus, während die Füße auf den Steinen rutschten. Bei Knietiefe konnten sie im Wasser sitzen, und von da an war das Vorwärtskommen leichter. Die Körper trieben auf der schweren Flüssigkeit, und durch rudernde Bewegungen der ausgestreckten Arme nach beiden Seiten und nach hinten glitten sie auf ihren Gesäßen von Stein zu Stein ohne anzustoßen. Die Rosenbergin presste vor Anstrengung die Lippen zusammen und es liefen ihr, zu ihrem Ärger, Schweißperlen von der Stirn in die Augen und auf die Nasenspitze. Sie hätte gern mit der Hand den Schweiß abgewischt, erinnerte sich aber an Löwentals Befehl, nie mit feuchten Fingern an die Augen zu kommen. Der Geruch des Wassers und seine Berührung waren widerlich, wie ein Fass Öl mit Salz gemischt. Das Meer war schwer, fettig und ruhig. Löwental stand im Wasser auf und begann, sich mit der schwarzen Masse zu bestreichen, die mit einer dünnen Kruste mürben Lehms bedeckt war, die abplatzte und zerkrümelte, wenn man mit dem Fuß daran kam. Er nahm eine Hand voll von dem tropfenden Schlamm und malte schwarze Lehmstreifen auf seinen Körper. Zwischen seinen Beinen hindurch beobachtete er Mussy die bis zum Hals im Wasser saß, zwischen der rostenden Flotte und der Kette der Moabberge. Es dauerte nicht lange und er sah wie ein Schwarzer aus. Mit Ausnahme des Gesichts, das unter dem Hut verborgen war.

„Wie ist's mit Ihnen?", fragte er Mussy.
Die Vorstellung, dass jemand ihr den Leib mit schwarzem Schlamm einreiben könnte, verursachte ihr ein eigenartiges Gefühl des Wohlbehagens. Andererseits, so ein stinkender Schlamm. Lohne das? Der schwarze Schlamm bedeckte Löwentals weiße Brusthaare, und sein hagerer Körper vergrößerte und verbreiterte sich gewissermaßen mit jeder Schicht, mit der er sich einrieb. Mussy hänselte ihn ob seines Aussehens.
„Sie haben sich den .rechten Augenblick zum Witzemachen ausgesucht", schwerfällig bewegte die Rosenbergin ihre Lippen, sprach langsam und ohne den Kopf zu bewegen, damit der verfluchte Tropfen, der auf ihrer Stirn glänzte, nicht herunterrollte. Sie bemühte sich, keine überflüssige Bewegung zu machen, um kein bisschen dieses ekelhaften Seewassers in die Augen zu bekommen. Einen Augenblick zuvor war ihr ein winziges Tröpfchen in den Mundwinkel geraten, und der Geschmack war so bitter, beißend und widerlich gewesen, dass sie hätte schreien mögen. Wenn sie nicht befürchtet hätte, die anderen zu stören, hätte sie das auch gewiss getan. Mussy benahm sich wie eine Kokotte. Der Tropfen auf der Stirn konnte jeden Augenblick ins Rollen kommen; grausam stach die Sonne von Westen. Warum nahm Löwental sie nicht zum Baden an eine Stelle im Schatten des Berges? Der schwere, blöde Hut war hart wie Stein und drückte einen brennenden Rand von Salz um ihren Kopf, wie ein Feuerwehrhelm. Wenn man wenigstens etwas Kaltes zu trinken hier gehabt hätte. Oder etwas Süßwasser.

Inzwischen zählte Löwental Mussy die Vorteile der Seebäder auf. Er erklärte ihr, dass das Einreiben mit schwarzem Schlamm und das Eintauchen in die Schwefelwasser der heißen Soharquellen nicht weit von hier ein vorzügliches Heilmittel gegen Hautkrankheiten und Gelenkleiden darstellten. Das Wasser des Toten Meeres enthalte auch das Hormon Östrogen, das Geschlechtshormon der Frau. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte Professor Hermann Zondek aus Jerusalem mittels eines besonderen Verfahrens Hormonstoffe aus dem Wasser des Toten Meeres gewonnen. Forschungen hatten ergeben, dass im südlichen Teil des Meeres wo sie sich gerade befanden, mehr Hormone enthalten waren, als im nördlichen und im Grundwasser des Meeres war der Gehalt zwanzigmal so groß wie in der obersten Wasserschicht. Daraus schloss man, dass die Quelle des Hormons der Grund des Meeres war. Man untersuchte den Schlamm und fand, dass wirklich große Mengen Hormone darin enthalten waren. Ferner stellte man fest, dass das Hormon durch die Poren der Haut eindrang und man durch das Einreiben der Haut mit dem Hormon dieselbe Wirkung erzielte wie durch subkutane Injektion. Langjährige Versuche bestätigten die Annahme, dass die Behandlung durch die Haut vom medizinischen Standpunkt aus wertvoll ist. Zur Unterstützung einer Hormonbehandlung war es gut, im Toten Meer zu baden und sich mit dem Schlamm des Meeresbodens einzureiben. Der Gehalt an Sexualhormonen stand nicht hinter dem weltberühmter Moorbädern wie Franzensbad und Piermont zurück.
„Autsch, das tut weh!", klagte Mussy und stützte sich auf seine Schulter, während er erklärte und damit beschäftigt war, ihren Körper mit Schlamm einzureiben. Für einen Augenblick erschrak er und ließ sie los. „Nein, nein!" Sie klammerte sich an ihn und lehnte sich jedes Mal an einen anderen seiner Körperteile: Schulter, Hals, Ellenbogen, Rücken. Sie hielt sich krampfhaft an ihm fest, wenn er sich bückte, um eine neue Handvoll Schlamm aufzunehmen und ihren Körper von allen Seiten zu bemalen. „Ah, ah ...", stöhnte sie noch einmal.
„Habe ich Ihnen wehgetan?"
„Ich bitte Sie sehr, machen Sie weiter. Hier", zeigte sie ihm mit der Hand. „Hier haben Sie gar nichts aufgetragen, bitte. Auch da, wenn es Ihnen keine Mühe macht, noch einmal." Und plötzlich war der Himmel klar und blau, die Hitze drückte nicht, das Salz brannte nicht, das Licht blendete nicht - als ob sich der Himmel aufgetan hätte und überirdischer Gesang von Tausenden von Vögeln darin zwitscherte und schwang.
Ein greller Schrei der Rosenbergin unterbrach die dämmrige Stille, die über dem friedlichen Meer ruhte. Sie saß bis zum Hals im Wasser und schlug mit aller Kraft auf die Meeresoberfläche, wodurch sie Fontänen von Salzschaum in die Luft peitschte und einen Sprühregen erzeugte wie ein Springbrunnen. Ihre Ellenbogen bewegten sich zu beiden Seiten ihres steifen Körpers wie das Triebrad eines altmodischen Dampfschiffes. „Meine Augen!", schrie sie. „Ich sterbe! Ich werde blind! Oh, meine Augen! Meine einzigen Augen!" Auch der Armeehut, den sie aufhatte, war nass geworden und die Khakifarbe zu einem schwarzen, fettigen Fleck. Löwental ließ Mussy los und watschelte barfuß im Wasser, hüpfte von Stein zu Stein, und bevor er auf einem ins Rutschen kam, war er schon im Sprung auf dem nächsten. Mit jedem Schritt in dem schweren Wasser spritzte er Tropfen in die Luft. Schnell eilte er zur Küste, ergriff die Wasserflasche und kehrte damit zu der strampelnden Rosenbergin zurück, deren Schreie vom dumpfen Echo des Meeres und von dem Felsen des dunklen Berges beantwortet wurden. Er krempelte den Rand ihres Hutes nach oben und wusch vorsichtig und besorgt ihre Augen mit dem lauwarmen Wasser aus. Mit dem Rest des Wassers spülte sie ihre Fingerspitzen ab, führte sie vorsichtig ans Gesicht und stöhnte ausgiebig, bis sie sich endlich von dem quälenden Jucken befreit hatte. Sie bedankte sich bei ihm. Eine Weile saßen sie so im Wasser, da stand Löwental auf und zog die Frauen hinter sich her, tiefer ins Wasser. Als sie bis zur Brust im Wasser waren, legte er sich vorsichtig flach auf den Rücken und schwamm. Er rief ihnen zu, es ihm gleich zu tun, aber aufzupassen, dass sie nicht untertauchten. Das Schwimmen war überhaupt kein Vergnügen. Wegen des hohen spezifischen Gewichts des Meerwassers tauchte man nicht tief genug ein. Die Fußsohlen weigerten sich, in dem schweren Wasser zu bleiben. Man musste sie mit Kraftanstrengung nach unten drücken, um mit ihnen rudern zu können. Das war ein schweres Stück Arbeit. Es war kein Schwimmen, sondern hässliches Watscheln, ähnlich dem einer Ente. Jeden Augenblick sprangen die bloßen Sohlen nach oben, gewichtslos, die Hacken schwebten in der Luft, und der Schwimmer selbst kam auch nicht ein Schrittchen vorwärts. Löwental lag auf dem Rücken und ruhte bewegungslos auf dem Wasser. Die Hauptschwierigkeit war, den Kopf zu halten. Die übrigen Körperteile trieben unter absoluter Entspannung aller Muskeln ruhig auf dem Wasser, außer dem Genick, das manchmal bis zur Schmerzgrenze angespannt war. Man konnte zwar den Kopf in einer Linie mit dem Körper halten, aber das bedingte das Nasswerden der Haare und eine Gefahr für die Augen. Löwental verschränkte die Finger unter dem Genick und stützte den Kopf mit den Händen, so schwamm er erhobenen Hauptes auf dem Wasser, unbeweglich wie ein Stein.
Nach einigen Misserfolgen, die fast wieder zu einer Panik geführt hätten, gelangten auch die Damen in dieselbe Ruhelage, und so trieben sie langsam dahin: drei unbewegliche Figuren mit bunten Hüten. Langsam zog die Strömung sie fort, sie merkten es nur an der langsam wachsenden Entfernung vom Fuß des Berges. Die Sonne versank hinter dem Westkamm des nahen Sodomberges. Schatten breitete sich aus, näherte sich ihnen und bedeckte sie bald. Vollkommene Ruhe herrschte über dem Meer. Die Hitze ließ nicht nach, war aber im Wasser weniger intensiv als unter dem Vordach der Herberge.
„Menschen, die Gott mit seinem inneren Auge betrachtet", murmelte die Rosenbergin, „Doktor Krüger. Das Nirwana. Er weiß, was ich meine!" „Ich werde meinem Mann erzählen, dass ich am untersten Punkt der Welt gelegen habe, ganz allein!", kicherte Mussy und verstummte plötzlich, als erschrecke sie ihre eigene Stimme, „Ja, am Boden der Welt", überlegte Löwental langsam, mit lauter Stimme, das Gesicht nach oben gerichtet. Sie sahen einander nicht an.
„Diese Ruhe ringsherum. Man kann die Ruhe richtig sehen. Vor lauter Ruhe sind meine Ohren ganz leer. Manchmal schwimme ich und liege hier lange Zeit ganz allein und denke..." "Und was dann?", fragte Mussy gespannt.
Einen Augenblick schien die Welt stillzustehen...

Auszug aus KAPITEL 14

Die Templer wanderten nach Palästina ein. Als Karl die Familie Kaltenbach aus Haifa in Australien besuchte, erfuhr er etwas über die Anfänge der Templer. Schon vor seiner Reise stand er mit ihnen in Briefwechsel, um durch sie von Johannes Schmidts Schicksal zu erfahren. Während des Zweiten Weltkrieges hatten die Engländer einen Teil der Farmer aus den deutschen Kolonien nach Australien verbannt. Daniel hatte nie etwas von den Templern gehört. So erzählte ihm Karl, bevor er ihm den letzten Brief zu lesen gab: „In den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts spaltete sich in Württemberg die protestantische Kirche, weil der Prediger Christoph Hoffmann erklärt hatte, Christus sei der Messias und er werde wiederkehren. Seine Anhänger traten aus der Protestantischen Kirche aus und gingen nach Palästina, um auf das Wiedererscheinen des Messias zu warten. Sie leugneten die Göttlichkeit Jesu, die Dreieinigkeit und das Sühneopfer durch den Tod. Ihrer Meinung nach vernachlässigte die protestantische Kirche die Grundprinzipien des Christentums. Der Theologe Christoph Hoffmann (er starb im Jahr 1885) stand an ihrer Spitze, arbeitete als Missionar und Lehrer und war Abgeordneter für die religiösen Kreise der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche.

Im Jahr 1856 versammelten sich bei Marbach im Land Württemberg vierundsechzig Leute unter Führung von Christoph Hoffmann und gründeten die Deutsche Tempelgesellschaft. Ihre Mitglieder strebten ein einfaches Leben im Heiligen Land an. Ein Leben, das die Grundlagen des reinen Christentums verwirklichen sollte. Der Enkel oder Urenkel dieses Hoffmanns und seine Familie leben bis zum heutigen Tag in Australien. Sie nannten sich selbst Templer` nach den Gotteshäusern, die sie errichteten, um den Gegensatz zwischen ihrer und der herrschenden Kirche zu betonen. Ihr Haus war der Tempel, nicht die Kirche. Sie gaben den üblichen Gottesdienst auf und schufen sich ihre eigenen Gebete, die sie in ein besonderes Gebetbuch druckten. Das Einzige, das sie mit der Christenheit verband, war ihr Glaube an Jesus den Heiland. Sie schafften das Kreuz und die Geistlichkeit ab. In den ersten Jahren sah man kein Kreuz und keinen Pfarrer in ihren Gotteshäusern und auf ihren Friedhöfen. Die protestantische Kirche verfolgte sie aufs Grausamste. Man nannte sie Heiden und machte ihnen das Leben in ihrer Heimat zur Hölle. Daher fand der Ruf ihres Führers Christoph Hoffmans, nach Palästina auszuwandern, um dort in Frieden nach den Gesetzen ihres Glaubens zu leben und auf den Messias zu warten, begeisterte Aufnahme. So konnten sie ruhig nach ihrem Ritus leben und waren vor Verfolgungen geschützt.
Ihre Nachbarn versuchten sie von ihrem Vorhaben abzubringen und sie in den Schoß der Kirche zurückzuführen. Sie würden in ein Land gehen, das seine Einwohner verschlinge. Dort gebe es die gefährliche Wüste, das Wasser aus den Sümpfen sei vergiftet, Ärzte gebe es nicht. Die Wege seien schlecht und würden von arabischen Räubern beherrscht. Die Eingeborenen stürben am Fieber, überall seien Typhus- und Pockenkranke. Die Augen würden vom Staub und der blendenden Hitze angegriffen und schließlich erblinden. Dort bekämen sie keine breiten Flüsse zu sehen, keine dichten, Schatten spendenden Wälder, keine grünen Auen. Das Land sei gelb. Am Rand der Wüste. Not, Hunger und Krankheiten herrschten dort anstelle von Recht und Gesetz.

Die Templer antworteten, dass ihr Auszug sinnlos sei, wenn das Land nicht öde und wüst sei. Sie erwarteten nicht, Reichtümer zu sammeln. Aber es sei ihnen beschert, auf den Pfaden Galiläas zu wandeln, die einst Jesu, des Messias Füße, betreten hätten. Sie würden der Stimme Gottes in ihrem Herzen folgen. Er rufe sie. In seine Hände legten sie ihr Geschick. Sie seien gewiss, er werde sie in Frieden leben lassen, in Einigkeit und Einfachheit. Er werde ihnen helfen, die Ebene Saron zu bebauen. Dort würden ihre Dörfer und ihre Gotteshäuser entstehen, ihre Äcker, ihre Felder würden grün sein. Sie würden Wege bauen. Pocken, Fieber und sonstige Krankheiten würden sie ausrotten.

"Gottes Erdboden soll nicht mehr ungepflügt bleiben", sagte einer zum anderen, "denn es liegt in unserer Macht, ihn in ein Paradies zu verwandeln."
Eines Tages, im Jahr 1866, war ein langer Zug ihrer Wagen durch die Wälder und Seen Württembergs unterwegs. Es waren die Templer, die die Anwesen, Häuser und Möbelstücke ihrer Väter verkauft hatten und auf die weite Reise gingen. Als sie auszogen, kamen ihre Nachbarn und blickten ihnen nach. Manche in Wehmut, manche mit geballten Fäusten, drohend und fluchend. Manche hielten sie für einfältige und naive Leute, die Christoph Hoffmann mit seiner Irrlehre verführt habe. Sie versuchten eindringlich, sie von ihren Reiseplänen abzubringen. Andere hielten sie für Sünder, die alle Fesseln gesprengt hatten und ein zügelloses und gottloses Leben führten. Aber alle waren sich einig in der Gewissheit, dass keiner der Ausziehenden je wieder die Felder seiner Ahnen sehen würde und dass keinem von ihnen beschieden wäre, in dem Land, in das er gehen wollte, alt zu werden.
Viele Tage lang trieben die Templer auf dem Meer. Einige Kinder erkrankten, und schweigend trugen die Frauen ihr Leid. Plötzlich tat sich vor ihren Augen der Grat des Kamelgebirges auf. Die Sonne spielte in den goldenen Mauern von Akko und in den Minaretts der Moscheen. Einer von ihnen, ein einfacher Mann, ein Tischler, fiel an Deck auf die Knie, als er das Land von Ferne sah. Dieser Mann, der während der ganzen Fahrt kaum den Mund aufgetan hatte, sang das Dankgebet:
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele;
er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.

Je näher sie dem Berg Karmel kamen, desto größer wurde ihre Erregung. Schon konnte man das einsame Gebäude erkennen, das auf der Höhe des Karmels stand. Die ungeschlachten Bauern in ihren Lederjacken liefen auf dem Deck umher, die Hände in den Hosentaschen, linkisch und unsicher, was sie in dieser feierlichen Stunde tun sollten. Und siehe da, einer nach dem anderen schlossen sie sich dem Tischler an, der auf dem Boden kniete. Die Raucher steckten ihre Tonpfeifen in die Schaftstiefel. Einer nach dem anderen kniete auf dem Deck nieder, den Blick nach Osten gerichtet, und Tränen traten ihnen in die Augen: Männern, Frauen und Kindern. Eine Frau bekam ihre Wehen an Bord des Schiffes. Sie gebar eine Tochter, und am Tag der Taufe gab sie ihr den Namen Karmel. Einzelne Palmen wurden an der Küste sichtbar. Eine Kamelkarawane zog langsam auf dem gelblichen Boden der Küstenebene vorbei, mit traumhaften Bewegungen, wie die Wellen des blauen Meeres. Die ganze Gemeinde fiel in den Gesang des Tischlers ein:
Und ob ich schon wandere im finsteren Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

Ihre Augen waren auf das heilige Nazareth, die Stadt Jesu, gerichtet. In ihrer Nähe wollten sie ihr erstes Dorf aufbauen. Sie bildeten sich ein, Nazareth in seiner ganzen Pracht auf der Höhe der galiläischen Berge liegen zu sehen, deren matte Konturen fern im Osten vor ihren Augen sichtbar wurden.

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde,
du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Sie waren fleißig und brachten Pflüge, Saatgut, Zuchtvieh, Werkzeuge und Schmiedegeräte für jedes Handwerk und für den Hausbau mit. Sie verweilten ein paar Tage in Haifa. Dann mieteten sie arabische Begleiter mit Eseln und Kamelen, und eines Morgens machten sie sich mit all ihren Habseligkeiten auf den Weg nach Osten. Langsam bewegten sie sich in den Bergen Galiläas auf ihren neuen Ansiedlungsort zu, der an den Ausläufern der Berge Nazareths liegen sollte. Am Rand der Berge Nazareths erwarben sie von den Arabern verlassene Grundstücke am Fuß des arabischen Dorfes Medjedel. Sie ließen sich in dem zerstörten arabischen Dorf Hanneipas nieder. Dort bauten sie einige Baracken. Nur zu schnell wurden die traurigen Prophezeiungen ihrer Nachbarn und Verwandten in der Heimat wahr. Sie erkrankten alle an Malaria und Trachoma. Die Hitze erschöpfte ihre Kräfte. Fliegen stachen sie ohne Unterlass. Mücken fraßen ihnen das Fleisch vom Leib und infizierten sie mit Malaria. Die Haut schwoll an und wurde rot vom Sonnenbrand, den entzündeten Stichen und den Kratzwunden. Das Wasser war schlecht. Der schwere europäische Pflug, den sie mitgebracht hatten, war zur Bearbeitung der steinigen Felder ungeeignet. Die Ernte verbrannte. Der Tischler und mehrere andere erkrankten und starben. Sie meißelten ihnen Gräber in die Felsen in Nazareth, wohin sie ihre Kranken überführten. Im darauffolgenden Jahr siedelten die Überlebenden auf einen nahe dem Dorf gelegenen Hügel im Norden über. Es war das biblische Schimron, im heutigen Arabisch Ssamoniah genannt, in der Nähe der späteren jüdischen Siedlung Nahalal. Auch hier erkrankten einige von ihnen.
Die Krankheit schwächte sie und jagte ihnen den Schrecken in die Glieder. So verließen sie auch Ssamoniah. Sie waren dem Klima, dem Fieber und dem Wohnen in Hütten auf dem kahlen Hügel nicht gewachsen. Ein Teil von ihnen verließ das Land und kehrte enttäuscht, mittellos und ohne schöne Träume in die Heimat zurück. Ein anderer Teil zog sich wieder nach Nazareth zurück. Von dort aus gingen sie im Jahr 1868 nach Haifa und gründeten dort zusammen mit neuen Einwanderern, die inzwischen angekommen waren, die erste Siedlung, die man die „Deutsche Kolonie“ nannte.
Ein Jahr später, im Jahr 1869, landete in Jaffo noch eine Gruppe von Templern. Sie kauften die verlassene amerikanische Kolonie in Jaffo und ließen sich dort nieder. Im Jahr 1875 bauten sie auch in Jerusalem, an der Grenze des Gespenstertals, eine Siedlung, die man Refajim, Gespenstersiedlung, nannte. Dies waren die ersten europäischen Siedlungen, die in Palästina errichtet wurden. Sie waren im Stil ihrer Häuser, der Gärten, der Alleen und breiten Straßen ganz außergewöhnlich moderne Orte im Gegensatz zu den ungeordnet gebauten orientalischen Dörfern.

Die Templer eröffneten in ihren Siedlungen moderne Werkstätten, bauten Mühlen, Weinkeltereien, ansprechende Hotels, Pensionen und Handelshäuser. Sie wurden die Vertreter großer deutscher Fabriken. In ihren Tischlereien wurden die ersten Droschken gebaut, die man damals im Land sah.
Trotz ihrer Erfolge in der städtischen Siedlung vergaßen die württembergischen Bauernherzen nicht ihr ursprüngliches Sehnen, Dörfer in Galiläa und im Scharon zu bauen. Nachdem sie noch ein Stadtviertel in Jaffo unter dem Namen Wilhelma errichtet hatten, kauften sie im Jahr 1870 Boden nördlich von Jaffo und errichteten dort ihre erste Kolonie Sarona. Im Jahr 1906 erbauten sie bei Lydda noch eine zweite Kolonie Wilhelma. In den Bergtälern Nieder-Galiläas gründeten sie im Jahr 1906 zwei nahe beieinander gelegene Kolonien. Wegen der schönen Eichenwälder nannten sie die eine Waldheim, die andere Bethlehem. In den Feldern Bethlehems steht noch heute das Denkmal, das sie in Erinnerung an die deutschen Siedler, die in Medjedel, Hanneipas und Ssamoniah umgekommen waren, errichteten.
Die Templer bauten noch eine kleine Kolonie südlich von Haifa in dem Dorf Tirah und nannten sie Neuhardtd-Hof. Sie kauften Boden in der Ebene von Beith Sheän, am Ufer des Jordan. Nahe der Stadt Ramlah gründeten sie die Spohm-Farm. Die interne Verwaltung lag in den Händen der Versammlung der Familienväter, die nach Bedarf einberufen wurde. Im Zentrum jeder Kolonie wurde das Gotteshaus gebaut, sie errichteten Kindergärten und Schulen. Um dem Geist ihrer Aufgabe gerecht zu werden, nahmen die Templer darin auch eine kleine Anzahl arabischer Kinder auf; meistens die Kinder der arabischen Arbeiter, die in ihren Kolonien Beschäftigung gefunden hatten.

Aber seltsam, sobald es anfing, ihnen besser zu gehen und ihrer Hände Werk Früchte zu tragen begann, betrachteten jene Bauern sich selbst als das europäische Element, als hocherhaben über die elenden Araber dieses Landes, an deren Ausbeutung sie sich bereicherten. Die religiöse Begeisterung begann in ihren Herzen zu erlöschen. Ihr Eid, ins Heilige Land zu ziehen, um dort in Frieden und Freiheit ihren Glauben zu leben und die Wiederkehr ihres Messias zu erwarten, geriet in Vergessenheit. Wieder führten sie ein Bauernleben mit seinen sinnlichen Genüssen: üppige Festmähler, Biergelage mit lautem Rundgesang...

hagalil.com 14-07-04











 

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