Erzählungen
aus Thessaloniki:
Das jüdische Bett
Aus den Berichten des Jorgos Ioannous
Die Stadt
Thessaloniki, ihre Flüchtlinge, ihre Juden und die neueste Geschichte
liefern den Stoff für die meisten Erzählungen von Ioannou, Jorgos. Seine
sensible Schreibweise kann sich auch schonungslos gegen Mißstände und
verknöcherte Ansichten richten.
Jorgos Ioannous Lieblingsthemen sind Geschichten scheinbar
bedeutungsloser Personen. Es sind alltägliche, tragische und bisweilen
komische Schicksale oder beides, die er fast karikaturenhaft, aber mit einer
gewissen Sympathie skizziert.
Peter A. Mackridge schreibt dazu: "Obwohl die
Ereignisse und die Gefühle, die Ioannou beschreibt, sich auf die griechische
Wirklichkeit beziehen, sind sie trotzdem vom universellem Interesse."
Thessaloniki trägt wie viele alte Städte, in der sich einiges abgespielt
hat, noch heute die Spuren alter Leiden und Sünden, aber auch leuchtender
Höhepunkte.
Jorgos Ioannou gehört zu den wenigen, die diese Spuren noch wahrnehmen und
darüber schreiben. In seinen Kurzgeschichten schildert er häufig scheinbar
autobiographisch das Leben in seiner Heimatstadt Thessaloniki, in den
schwierigen Jahren vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg. In vielen
seiner Erzählungen verschwinden immer wieder die Grenzen zwischen dem
Klassischem Altertum, dem Alltag in Byzanz und in seiner Gegenwart.
Vergangenes und Gegenwärtiges gehen direkt, ohne dass der Leser es merkt,
ineinander über. In den Straßen und Plätzen der Altstadt sieht er eine
bemerkenswerte Kontinuität des Alltags. Dieselben Bettler, Ganoven und
Dirnen, die zur Zeit der Blüte des byzantinischen Thessaloniki den damals
vor den Stadttoren gelegenen Vardariplatz bevölkerten, scheinen auch heute
ihrer Tätigkeit nachzugehen.
Jorgos Ioannou ist immer bestrebt, einfach und ehrlich zu beschreiben. Er
selbst sagt: "Ich weiß nicht, ob das, was ich denke, für die Menschen einen
Fortschritt bedeutet. Und sicher ist mir das nicht gleichgültig. Vor allem
aber bin ich bemüht, ehrlich zu schreiben oder eher mit Andacht. Ich dürste
nach der Beichte, die ja immer irgendwie erleichtert."
Er wurde 1927 als Jorgos
Sorolopis als Sohn von Flüchtlingen aus dem östlichen Thrakien in
Thessaloniki geboren, wo er aufwuchs und Philologie studierte. Er
versah viele Jahre seinen Dienst an höheren Schulen in verschiedenen
Gebieten Griechenlands und eine Zeitlang an einem griechischen
Gymnasium in Bengasi / Lybien.
Er begann als Lyriker, machte sich aber später als
Prosaschriftsteller vor allem mit Erzählungen und Prosageschichten
einen Namen. Sein Werk besteht aus einer Reihe von Studien über die
urbane Kultur und die menschlichen Charaktere Griechenlands,
besonders Thessalonikis. 1971 ließ er sich in Athen nieder. Er starb
1985.
Seine wichtigsten Werke sind:
"Ja ena philotimo" (Der Ehre wegen),
"Ta chilia dentra" (Die tausend Bäume),
"Sarkophagos" (Der Sarkophag),
"I moni klironomia" (Das einzige Erbe),
"Diko mas äma" (Unser eigenes Blut),
"Omonia" (Eintracht),
"Pollapla katagmata" (Vielfache Brüche)
u.v.a.m.
Auf deutsch erschienen sind die Erzählungen "Hoch oben am Eski
Delik" in: Saloniki erzählt (Hrsg. N. Eideneier − P. Sfyridis),
Romiosini, Köln 1989;
"Am Hause Kemals" in: Thessaloniki − Bilder einer Stadt (Hrsg. N.
Eideneier − H. Eideneier) Romiosini, Köln 1992 und in Kalimerhaba
(Hrsg. N. Eideneier − A. Toker), Romiosini, Köln 1992.
Der Erzählband "Das Bett und andere Erzählungen" (gr.−dt.),
Romiosini, Köln 1994.
Die Erzählung "Die Hunde von Seich−Sou" in: Griechische Erzählungen
des 20. Jahrhunderts (Hrsg. Danae Coulmas), Insel, Frankfurt/Main −
Leipzig 2001.
Die Erzählung "Wartend am Altar" in: Rückkehr und Ankunft (Hrsg.
Niki Eideneier und Torsten Israel), 46. Jahrgang, Bd. 2, 2001. |
Das Bett
Am Tag, an dem sie aus unserer Nachbarschaft die Juden
einsammelten, brachten wir dieses Einzelbett zu uns herauf,
und schon vom selben Abend an schlief ich darin. Seine
Steppdecke, Matratze und seine schmutzige Bettwäsche hatten
inzwischen andere weggenommen. Das Bett war der einzige
Gegenstand, der schließlich in der wild ausgeplünderten
Wohnung zurückgeblieben war. Es war auch das einzige
jüdische Eigentum, das wir nach langem Zögern an uns nahmen.
Ich schwöre es.
Isos schlief darin. Er war zwei oder drei Jahre älter als
ich, aber mein Freund. Oft, wenn wir in seiner Wohnung
Verstecken oder andere Spiele spielten, versteckten wir uns
oder krochen darunter, um den Ball zu holen, der weggerollt
war. Als meine Familie einmal ausgegangen war, hatte man uns
sogar in diesem Bett zusammen schlafen lassen. Damals habe
ich zum erstenmal den jugendlichen behaarten Kranz der
Pubertät gesehen. Es ist wahr, daß das Bett ziemlich viele
Wanzen hatte, und trotz unserer späteren Nachstellungen
haben wir sie nie ganz ausrotten können. Es kamen Zeiten, an
denen ich Gott für diese Rettung gepriesen habe. Ein wenig
von Isos Blut war gerettet und hatte sich vielleicht mit dem
meinen vereinigt...
Aus:
ISBN 3-923728-65-4 / 2001 / 2. Ed. / 145 S.
Übersetzt von Käthi Dorfmüller-Karpusa.
http://www.romiosini-verlag.de
Die Erzählung findet sich, neben anderen
Erzählungen, auch in dem Sammelband: "Die
Sonnenblumen der Juden". |
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