»Für
mich ist diese Sammlung miteinander verbundener Erzählungen, die alle in
einem rückständigen, vom Unglück heimgesuchten griechischen Dorf spielen,
die literarische Entdeckung des Jahres.«
Annie ProulxPanos Karnezis kleine
Gemeinheiten:
Eine klassische Erziehung
Als Nektarios den Papagei kaufte, sprach der Vogel nur einen einzigen
Satz, und selbst diesen nur auf portugiesisch, da er vorher einem Seemann
aus Porto Alegre gehört hatte, bis dieser das Tier bei einer heiß umkämpften
Partie Dame an die Vogelhändlerin verloren hatte.
»Mostre-me o caminho para o bor Ad mais barato, amigo«, sagte der Papagei.
Innerhalb eines Monats konnte er diese Worte auch in Nektarios' Sprache:
»Zeig mir den Weg zum billigsten Hurenhaus, mein Freund.«
Bei dem Papagei handelte es sich um eine gelbe Amazone mit einem gebogenen
Schnabel, so groß wie der Haken eines Derrickkrans und von geradezu
mineralischer Härte, einer ledrigen Zunge, mit der er sich unentwegt den
unteren Teil seines Schnabels leckte, und Augen, in denen sich offene
Neugier spiegelte. Nektarios nahm ihn mit nach Hause. Der Junggeselle wohnte
in einem Haus, das um einiges interessanter war als der heimische Dschungel
des Papageis. Es gab ein Sofa, an dem der Papagei gern rupfte und zupfte,
einen Lampenschirm auf einem freistehenden Ständer, auf dem er oft hockte
und sich stundenlang hin- und herwiegte, und einen alten Gefrierschrank, der
den Vogel jedesmal erschreckte, wenn das Stromaggregat ansprang. Nektarios
war entzückt. Er stellte den Papagei seiner Nichte vor, als ihre Eltern die
Kleine bei ihm einquartierten, ehe sie sich mit ihrem Lastwagen in die
Kreisstadt aufmachten, um ihr Korn zu verkaufen.
»Was meinst du?« fragte er sie.
Das kleine Mädchen sah den Vogel gleichgültig an.
»Er sieht aus wie ein zu großer Kanarienvogel. Außerdem singt er nicht«,
erklärte sie und machte den Fernseher an.
Nektarios war Sachbearbeiter im Rathaus. Seine Beschäftigung hatte ihn nicht
nur kurzsichtig gemacht, sondern sorgte auch dafür, daß die ihm eigene
krankhafte Phantasie seine Lebensmaßstäbe nicht völlig durcheinanderbrachte.
Für seine ungewöhnlichen Anwandlungen hatte er bereits bitter bezahlen
müssen: Er war einsam. So war es wohl unvermeidlich gewesen, daß er Trost in
der Gesellschaft von Haustieren gesucht hatte und seitdem seinen
Kindheitstraum zu verwirklichen versuchte; Dompteur hatte er werden wollen.
Einmal hatte er zwei Siamkatzen gekauft, denen er monatelang
Trapezkunststücke beizubringen versuchte, ohne auch nur das Geringste zu
erreichen. Schließlich fuhr er mit ihnen zum Tierarzt in der Kreisstadt.
»Sie sind einem Schwindler aufgesessen«, sagte der Doktor. »Diese Katzen
sind taub.«
Nektarios war enttäuscht, wenn auch nicht lange. Bald faßte er ein neues
Projekt ins Auge. Von weitem sah das Aquarium aus wie alle anderen auch,
doch bei näherem Hinsehen konnte man die sechsspurige Bahn und die Ziellinie
auf dem Boden erkennen. Nektarios begann, einen Schwarm Engelsfische für das
erste Fischrennen der Welt zu trainieren.
»Sie hätten mich vorher konsultieren sollen«, sagte der Tierarzt.
»Engelsfische sind keine besonders ehrgeizige Spezies.«
Während jener Tage der Rückschläge kam die Vogelhändlerin mit ihren
exotischen Vögeln ins Dorf. Als Nektarios den Papagei erblickte, ließ er
unvermittelt sein Einkaufsnetz fallen. Der Vogel war mit dem einen Bein an
eine hölzerne Stange gekettet und sah Nektarios ebenso fasziniert an. Mit
seinem aufgeplusterten Gefieder und dem enormen Schnabel wirkte er unter all
den kleinen Käfigen mit Finken und Kanarienvögeln fehl am Platz. Auf seiner
Brust befand sich ein mit Klebeband befestigtes Stück Papier, auf dem IM
SONDERANGEBOT, WEIL ER JEDEM AUF DIE NERVEN GEHT stand. Als Nektarios den
Vogel näher begutachten wollte, plapperte der Papagei jenen einzigen Satz,
den er kannte.
»Was hat er gesagt?« fragte Nektarios.
»Das ist die erste Zeile eines portugiesischen Gebets«, log die
Vogelhändlerin. »Was Sprachen angeht, ist der Vogel besonders begabt.«
Plötzlich kam Nektarios eine Idee, und seine Augen hinter der Brille
verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Ich nehme ihn«, sagte er mit fester Stimme.
»Sie brauchen auch einen Käfig«, warnte ihn die Vogelhändlerin. »Sonst
könnte es passieren, daß Sie den einen oder anderen Finger verlieren.«
Der Eisenkäfig kam auf den Küchentisch; zwischen die Stäbe steckte Nektarios
ein Salatblatt. Er ließ den Papagei jeden Morgen hinaus, bevor er zur Arbeit
ging, und setzte ihn abends wieder in den Käfig, um ihm Unterricht zu geben.
Mit Hilfe eines Wörterbuchs übersetzte er die Worte, die alles andere als
ein Gebet an die heilige Jungfrau waren, und in weniger als einem Monat
hatte er dem Vogel beigebracht, den Satz auch in seiner Sprache zu sagen.
Stolz wiederholte der Papagei pausenlos das Gelernte, bis Nektarios den
Käfig mit einem Tuch verhängte und der Vogel schließlich einschlief.
»Er heißt Homer«, ließ Nektarios seine Nichte wissen. »Und bald wird er die
Klassiker auswendig können.«
Das war leichter gesagt als getan, selbst für einen so außergewöhnlich
begabten Papagei. Homer war nämlich nicht nur im Amazonasdschungel geboren,
sondern in den übelsten Vierteln und Häfen der Welt aufgewachsen, ehe
Nektarios ihn in sein Ziegelhaus mitgenommen hatte. Seine Erziehung ging nur
langsam voran, doch Nektarios ließ sich nicht entmutigen. Seine Augen
leuchteten nur so vor fehlgeleitetem Enthusiasmus, während er dem Papagei
jeden Abend aus ausgewählten Bänden seiner Klassikerbibliothek vorlas. Er
hatte die Bücher mit den Lesebändchen auf dem Flohmarkt in der Kreisstadt
gekauft, zusammen mit einem schweren Lesepult, einem Fußbänkchen, einem
alten Hausmantel mit einer Reihe angesteckter Orden und einem Paar
Kordpantoffeln - deshalb, weil er belehrt worden war, nur so könne er
literarische Schriften wirklich genießen. Er hatte jedoch kaum das erste
Buch von Apollonius' Argonautica hinter sich gebracht, als er bereits das
Interesse verlor. Der Vergessenheit preisgegeben, waren die Bücher in den
Regalen gebheben, bis der Papagei ins Haus gekommen war.
Im Gegensatz zu seinem Besitzer erwies sich der Vogel als äußerst gelehrig.
Die Nächte, die er in Gesellschaft von Matrosen und Kneipengesindel
verbracht hatte, waren lange her; nun saß Homer stundenlang still da und
lauschte Nektarios' sanft intonierten Worten mit wissendem Nicken. Es
dauerte einige Tage, doch schließlich konnte der Papagei ganze Absätze
rezitieren, und wenn zufällig eine Seite fehlte, verfiel er in ein ziemlich
einschüchterndes Gebaren. Er gab ein lautes Quaken von sich, das er wohl von
einem tropischen Frosch aufgeschnappt hatte, und flatterte aufgebracht mit
seinen bunten Flügeln.
»Er spricht in Zungen«, sagte Nektarios' Nichte.
»Nein«,berichtigte sie ihr Onkel. »Das ist Herodot im Original.«
»Poesie wäre noch schwieriger, Onkel.«
Nektarios tätschelte Homer den Kopf.
»Warte nur ab, bald beherrscht er auch den daktylischen Hexameter.«
Die Sommertage schleppten sich dahin wie ein Zug auf einer Anhöhe. Jeden Tag
befaßte sich Nektarios mit Geburtsurkunden und anderen amtlichen
Aufzeichnungen, immer ein Auge auf die Uhr geheftet, bis es endlich wieder
Zeit war, nach Hause zu gehen, wo der Papagei bereits auf die nächste
epische Vorlesung wartete und kleine Stückchen aus dem Sofa biß. Homers
Hingabe war nicht rein akademischer Natur. Um seinen Lerneifer ein wenig
anzustacheln, brachte Nektarios jeden Nachmittag eine volle Tüte Vogelsamen
mit, was es erschwerte, die Grenze zwischen dem Wissensdurst des Papageis
und seiner Gefräßigkeit klar zu definieren. Das Dorf litt unter einer
Hitzewelle, und es wurde zur Qual für Nektarios und das Mädchen, in dem
kleinen Haus zu schlafen. Den Papagei hingegen hielten Wetter und Vogelsamen
bei bester Laune, und so manche Nacht wurden Nektarios und seine Nichte von
Homers beherztem Keckem geweckt, einem Echo der geheimnisvollen Träume, wie
sie nur Vögel träumen können.
Einige Tage später erhielt Nektarios ein Telegramm von seiner Schwester, daß
sich der Verkauf des Korns schwierig gestaltete und sie es noch in anderen
Städten versuchen wollten. Paß auf das Kind auf. Küsse.
»Jetzt sind wir beide die Gelackmeierten«, sagte seine Nichte. »Du mußt es
mit mir aushalten, und ich mit einem philologisch geschulten Papagei.«
An dem Sonntag, als der gelbe Wind vom Meer her wehte und das Tal zur
Mittagszeit mit einer goldenen Staubschicht bedeckt hatte, war Homer zum
dreiundzwanzigsten Buch der Odyssee vorgedrungen.
»Wo kommt er überhaupt her?« fragte die Kleine ihren Onkel, während sie den
Papagei mit einem Staubwedel putzte.
»Aus der afrikanischen Wüste jenseits des Ozeans«, antwortete Nektarios.
Eingehüllt von dem seltsamen Nebel aus Staub, traf der in die Kreisstadt
fahrende Bus ein und brauste mit angeschalteten Scheibenwischern und
Scheinwerfern wieder ab, während jene Menschen, die auf den Straßen
unterwegs waren, sich Schals um die Gesichter wickeln und mit Regen- und
Sonnenschirmen schützen mußten. Die Luft war zum Ersticken. Vor dem Rathaus
stülpte sich ein Vagabund einen Pappkarton über den Kopf, schnitt Löcher zum
Sehen hinein und sah zu, wie der Wind den Sand zu funkelnden Haufen
auftürmte. Der Sturm hielt bis zum Abend an. Unterdessen verbreiteten sich
im Dorf so derart abwegige Gerüchte, daß selbst der Priester ihnen keinen
Glauben schenkte. Unter anderem ging das Gerede, daß es draußen im Tal
plötzlich frischen Dung geregnet habe und wenige Minuten später drei
verschreckte Kamele erschienen seien, auf denen Beduinen in schwarzen
Dschellabas saßen.
Nektarios in seinem kleinen Haus schenkte dem Naturphänomen nur wenig
Beachtung; statt dessen konzentrierte er sich darauf, dem Vogel die Regeln
der griechischen Syntax beizubringen. Ermutigt vom Lerneifer des Papageis
war auch Nektarios' Ehrgeiz gewachsen - nun hatte er vor, den ersten
Übersetzerpapagei der Welt zu dressieren. Er verlor das Zeitgefühl und
arbeitete die ganze Nacht hindurch, während er Homer mit reichlich
Vogelsamen bei Laune hielt. Am Montagmorgen setzte sich der Sandsturm fort,
um einiges heftiger als zuvor.
»Das ist das Ende der Welt!« sagte das staunende Mädchen. »Pater Gerasimo
hat recht gehabt.«
Nektarios war gerade dabei, den Papagei mit einer weiteren Handvoll
Vogelsamen zu ködern.
»Aber erst ißt du dein Frühstück auf«, sagte er geistesabwesend.
Der Sturm hielt Onkel und Nichte davon ab, ins Freie zu gehen. Sie blieben
mehrere Tage lang im Haus, und die Kleine sah sich, unbeachtet von ihrem
Onkel, so viele Kindersendungen im Fernsehen an, daß ihre Augen genauso
rechteckig wie der schwarzweiße Bildschirm wurden. Ab und zu hielt der
Papagei, erschöpft von Odysseus' Abenteuern, in seinen Rezitationen inne und
sah ebenfalls zu. Nektarios schüttete dann wieder Vogelsamen in den kleinen
Napf in seinem Bauer, worauf Homer sich erneut seinen Studien widmete. Doch
alles Bestreben war vergeblich. Der Papagei wurde nur immer fetter, ohne
auch nur ein einziges Wort des antiken Texts in die moderne Sprache zu
übersetzen. Nektarios' Enthusiasmus begann zu verfliegen, während ihm seine
Anstrengungen schlimmere Kopfschmerzen bereiteten als der Geruch der
chinesischen Tusche im Büro.
Am Tag, als sich der Sandsturm endlich legte, trafen Nektarios' Schwester
und sein Schwager ein, um die Kleine wieder mit nach Hause zu nehmen. Nun
war der Fernseher aus, und es kehrte wieder Stille in die kleine Wohnung
ein. Der Fernseher gehörte ebenfalls zu Nektarios' Spontankäufen. Allein sah
er nie fern. Er hatte ihn in der Kreisstadt von der Familie eines
verstorbenen Verwandten gekauft, als er vor einiger Zeit einem Lamm hatte
beibringen wollen, jedesmal zu blöken, sobald der Präsident eine Rede an die
Nation hielt. Auch dieses Unternehmen war ein Schlag ins Wasser gewesen.
»Schafe haben ihren eigenen Willen, auch wenn die meisten Leute das nicht
glauben wollen«, hatte der Tierarzt gesagt, als Nektarios mit dem Tier
vorbeigekommen war, um seine Sehkraft überprüfen zu lassen.
Nun saß Nektarios in seinem Lehnstuhl und betrachtete sein Spiegelbild auf
der dunklen Mattscheibe. Neben ihm saß Homer friedlich auf der Stange in
seinem Käfig. Seit seine Nichte abgereist war, kam Nektarios das Haus
kleiner vor. Ihm fiel auf, daß er beide Wände gleichzeitig berühren konnte,
wenn er die Arme ausstreckte, und daß er mit dem Kopf an die von der Decke
hängende Glühbirne stieß, wenn er sich zu voller Größe aufrichtete - beides
Zeichen, daß seine Phantasie langsam versiegte. Er setzte seine
Anstrengungen fort, auch wenn der alte Schwung passe war. Eines Abends
schließlich hörte der Papagei zu sprechen auf und begann, seinem Herrn
Samenhülsen ins Gesicht zu spucken.
»Jetzt ist endgültig Schluß!« sagte Nektarios wütend. »Morgen bringe ich
dich dahin zurück, wo du hergekommen bist. Und wenn sie dich nicht
zurückhaben wollen, stopfe ich dich aus wie einen Pharao.«
Mitten in der Nacht wachte Nektarios auf und stellte fest, daß er in seinem
Lehnstuhl eingeschlafen war. Im Dunkel sah er zwei Augen, in denen sich das
Licht des Mondes spiegelte. Er hielt den Atem an und lauschte. Der Papagei
schwafelte vor sich hin.
»Der kann ja sogar reimen!« murmelte Nektarios schließlich mit bebender
Stimme.
Der Papagei rezitierte ein Kindergedicht, das Nektarios noch nie gehört
hatte. Als er mit dem Gedicht fertig war, fing er gleich mit dem nächsten
an. Als er noch ein drittes aufgesagt hatte, schnellte Nektarios aus seinem
Stuhl hoch. Er hatte dem Papagei jedenfalls keines der Gedichte beigebracht.
Es gab nur eine einzige Erklärung.
»Ich weiß nicht, wie ich es zustande gebracht habe«, murmelte Nektarios,
»aber ich habe etwas viel Besseres als einen Übersetzer aus ihm gemacht -
einen Dichter!«
In den folgenden Tagen fand er heraus, daß der Papagei noch viel mehr
Kindergedichte verfaßt hatte.
»Er muß in seiner Freizeit an ihnen gearbeitet haben«, versuchte Nektarios
sich an einer Erklärung.
Er geriet in Ekstase. Nach Jahren der Fehlschläge waren seine Träume endlich
wahr geworden. Endlich war es ihm gelungen, ein Tier so zu dressieren, daß
es mehr bewerkstelligen konnte als bloß ein hübsches Kunststück. Seine
Gedanken drehten sich nun um die Früchte seiner Mühen, und so manche Nacht
schlief er lächelnd am Küchentisch ein, nachdem er wieder einmal
überschlagen hatte, was es bringen würde, die Menschen auf einer Tournee
durchs Land mit den Darbietungen des Papageis zu ergötzen.
An dem Tag, als er im Rathaus kündigen wollte, wachte Nektarios morgens auf
und mußte feststellen, daß der Papagei sterbenskrank geworden war. Der Vogel
versuchte sich auf seiner Schaukel zu halten, doch waren seine Beine so
schwach, daß er ein ums andere Mal kopfüber auf den dungübersäten Boden
seines Käfigs fiel.
»Filho daputa!« krächzte er und versuchte es erneut.
Kalter Schweiß perlte über Nektarios' Stirn. In der Hoffnung, daß es sich
nur um ein Papageienfieber handelte, eilte er mit dem Vogel zum Tierarzt.
Der Doktor senkte den Stirnspiegel über sein Auge. Homer sah ihn mit
glasigen Augen an und schenkte ihm das, was einem Lächeln mit Schnabel wohl
am nächsten kam, ehe er ihm ein Gedicht vorsang.
»Der Vogel ist bekifft«, diagnostizierte der Arzt alsbald.
Die Hanfsamen waren schuld; daß Homer zum Dichter geworden war, lag schlicht
daran, daß er einer Überdosis an Halluzinogenen und Klassikern ausgesetzt
worden war, dachte Nektarios. Der Tierarzt kratzte sich am Kopf und blickte
Nektarios ungläubig an.
»Dichter? Das sind doch bloß Kinderreime.«
Der Papagei sagte das nächste Gedicht auf.
»Ja, natürlich«, sagte der Tierarzt. »Meine Tochter ist völlig verrückt nach
diesen Reimen.«
Nektarios errötete, und mit einem Mal fiel die Augenbinde seiner
unkontrollierten Einbildungen von ihm ab.
»Der Fernseher!« rief er aus.
Die bittere Wahrheit fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Er sah alles
deutlich vor sich, seine Nichte, wie sie vor dem Fernseher saß und all die
Kindersendungen verfolgte, den Papagei, der seinen Blick ebenfalls auf den
Bildschirm richtete, derweil er gleichzeitig unermüdlich die griechischen
Dichter rezitierte, und sich selbst, Nektarios, den Dresseur, die Tüte mit
den Vogelsamen in der einen und die Odyssee in der anderen Hand, ein
zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht.
Nektarios war gerade ein paar Häuserblocks von der Tierklinik entfernt, als
er stehenblieb und den Vogelbauer auf dem Bürgersteig abstellte. Im Käfig
wurde der Papagei langsam wieder nüchtern. Nektarios öffnete die kleine
Drahttür, erhob sich wieder und machte sich postwendend von dannen. Er ging
schnell; der Zug zum Dorf fuhr bald ab.
Aus: Kleine Gemeinheiten.
Von Panos Karnezis, Sky Nonhoff,
dtv.
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