Im "Bund" (die Bund Verlag AG ist Herausgeberin der Berner Tageszeitung «Der
Bund» und dessen Online-Angebot
www.eBund.ch) schrieb Walter Lüthi:
Verantwortungsbewusstsein gegenüber Israel:
Mahner, nicht Nestbeschmutzer
Ernest Goldbergers kritische Publikation «Die Seele Israels» ist getragen
von Verantwortungsbewusstsein gegenüber Israel
walter lüthi
Um
es gleich vorwegzunehmen: Wer «Die Seele Israels»
von Ernest Goldberger aufmerksam gelesen hat, der mag verunsichert,
vielleicht gar irritiert sein. Der 1931 in Basel geborene Autor – er hat
dort Soziologie studiert und ist 1991 nach Israel ausgewandert – räumt mit
manch lieb gewonnenem Klischee, mit Legenden und Mythen auf.
Israel erscheint nicht mehr als das «gelobte
Land», nicht länger als «rettender Hafen», der es unter dem britischen
Mandat und einige Jahre nach der Staatsgründung gewesen ist. Der Autor setzt
an die Stelle eines geschönten Bildes ein realistisches, das viele bisher
verdrängt haben – inner- und ausserhalb Israels.
Harte, aber faire Analyse
Ernest Goldberger ist alles andere als ein
Nestbeschmutzer. Er ist ein Mahner, der um Israels internationalen Ruf und
den Fortbestand des Staates bangt. Die Grundlage seiner harten, doch stets
fairen Analyse des gegenwärtigen Zustandes Israels ist Erich Fromms
radikaler Humanismus und Isaiah Berlins Begriff der Freiheit, den der 1997
gestorbene Denker als das «höchste Gut des anzustrebenden Humanismus»
vertreten hat. In diesem Rahmen, in den er ebenfalls Freud, Buber, Camus und
andere Geistesgrössen stellt, sind Goldbergers kluge Beobachtungen und
scharfsinnige Betrachtungen zu verstehen und zu werten. Sie sind geleitet
von Verantwortungsbewusstsein gegenüber einem Land, das aus den
vielfältigsten Gründen «entgleist» ist – nicht zuletzt wegen der Besetzung
der Palästinensergebiete.
Goldbergers persönliche Empfindungen folgen strengen soziologischen und
philosophischen Leitplanken, die fest im Säkularen verwurzelt sind – und
nicht in einem wie immer gearteten «Göttlichen». Jedes religiöse Gehabe ist
ihm suspekt; die fehlende klare Trennung von Staat und Religion bezeichnet
er als Geburtsfehler Israels. Seine Kapitel über Jerusalem – «die heilige
Stadt des Unfriedens» – oder über das von den Orthodoxen geführte
geisttötende, autoritäre Schulsystem sind bittere, zugleich heilsame
Lektionen.
Von innen bedroht
Die von Zeitungsartikeln, Statistiken und persönlichen Alltagserfahrungen
untermauerte Kritik Goldbergers klammert keine Bereiche der Innen- und
Aussenpolitik, der Wirtschaft und der Gesellschaft aus. Sein Befund ist
ernüchtern und glasklar: Israel wird heute nicht von äußeren Feinden
bedroht, sondern von Verwerfungen im Innern: von der wachsenden Kluft
zwischen Arm und Reich, von der Unfähigkeit der zusehends fragmentierten
Gesellschaft, sich zu integrieren und eine Identität zu schaffen.
Israel ist bedroht von Gruppenegoismen, die sich in der Politik
niederschlagen, von den orthodoxen Juden, an erster Stelle von der
sephardischen Shas-Partei, die alle Friedensanstrengungen boykottiert und
die jeweiligen Regierungen meisterhaft zu erpressen versteht. Nicht zuletzt
bedroht wird Israel von den paar Zehntausend «messianisch» aufgeladenen
Siedlern, die aus religiösen Gründen ein ganzes Volk in Geiselhaft genommen
haben. Vernichtend auch fällt Goldbergers Urteil über die meisten
derzeitigen Politiker aus.
Und er zerstört auch den liebevoll gehegten Mythos, wonach Israel die
«einzige Demokratie im Nahen Osten» sei, als «Lebenslüge»; bestenfalls ist
es eine «Pseudodemokratie» mit starken Tendenzen zu einer Spielart des
«Peronismus». Diese geht einher mit einem Niedergang der politischen Kultur
– nicht erst seit Ariel Sharon, den er als «letzten grossen Kolonialisten»
bezeichnet, als einen Mann, der sich den Krieg schafft, «der ihn lebendig
erhält». Aus dieser Warte gesehen, sind Sharons Friedensbeteuerungen und
Rückzugspläne nicht zum Nennwert zu nehmen.
Goldbergers innenpolitische Analysen sind eingebettet in die Geschichte des
Landes, den Zionismus mit all seinen Verrenkungen, vor allem jedoch in die
Besetzungspolitik, die eng verknüpft ist mit visionslosem Sicherheits- und
Machtdenken. Das ist, angesichts der militärischen Siege, psychologisch zwar
nachvollziehbar. Doch ein nur auf «Sieg» beruhender Ausgleich mit den
Palästinensern kann laut Goldberger den Frieden nicht bringen.
Positiv aufmüpfig
Die «infernale Dialektik» (Camus) der letzten drei Jahre lässt sich mit der
zurzeit vorherrschenden Strategie nicht durchbrechen. Goldberger, der mit
seiner feinen Beobachtungsgabe und seinem kompromisslosen Denken vor keinem
Tabu Halt macht, kreidet den Stillstand des Friedensprozesses nicht
einseitig den Palästinensern an; er verteilt die Schuld an der gegenwärtigen
hoffnungslosen Situation gleichmäßig auf beide Seiten. Goldbergers Warnung
ist nicht zu überhören: «Tatsächlich wird Israel die Besetzung und die
Unterdrückung eines andern Volkes nicht mehr lange aufrechterhalten können,
ohne sein Existenzrecht und seine Überlebensfrage (aus demografischen
Gründen) in Frage zu stellen.»
Es ist insgesamt ein im Grundton pessimistisch gehaltenes Buch, zugleich ein
positiv aufmüpfiges und aufrüttelndes.
Israel mag in Wirklichkeit nicht ganz so nahe am Abgrund stehen, wie es
Ernest Goldberger diagnostiziert – aus Enttäuschung und Ernüchterung
vielleicht? «Die Seele Israels» klingt aus mit der Hoffnung, eine
Friedenspartei verdränge die etablierten Parteien und gebe der Grussformel
«Shalom» Sinn und Inhalt.
[i] Ernest Goldberger: «Die Seele Israels. Ein Volk zwischen Traum,
Wirklichkeit und Hoffnung».
2004, 492 Seiten, Eu. 38 / Fr. 58 Ein
Volk zwischen Traum, Wirklichkeit und Hoffnung:
Die
Seele Israels
Der Ex-Basler Ernest Goldberger, der seit 1991 in Israel
lebt, hat ein Buch über den Zustand des Staates Israel geschrieben, das
bereits viel zu reden und zu schreiben gegeben hat... [Bestellen?]
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09-07-2004 |