Mona Yahia:
Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom
Eichborn-Verlag Frankfurt 2002, 432 Seiten, 22 Euro
Übersetzung: Susanne Aeckerle
(When the Grey Beetles Took Over Baghdad)
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Taschenbuch:
Mona Yahia:
Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom
Dtv Verlag 2004
Euro 9,50
Übersetzung: Susanne Aeckerle
(When the Grey Beetles Took Over Baghdad)
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Mona Yahia:
Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom
Rezension von Iris Noah
"Für meine Eltern, die mir Sprachen
gaben statt Wurzeln"
lautet die Widmung, die Mona Yahia ihrem Debütroman "durch
Bagdad fließt ein dunkler Strom" voranstellt. Sie wurde 1954
in Bagdad geboren und floh 1970 über den Iran nach Israel,
wo sie an der Universität von Tel Aviv Psychologie und
Französisch studierte. Seit 1985 lebt sie als Künstlerin und
Autorin in Deutschland. Ihren
ersten inzwischen preisgekrönten Roman hat sie im Jahr 2000
auf englisch veröffentlicht, denn "Englisch schreiben
war eine intuitive Entscheidung. Die englische Sprache hat
mich nie verletzt oder im Stich gelassen oder missbraucht,
wie das Arabische und auch keinen Absolutheitsanspruch
erhoben wie das Hebräische. Im Gegenteil, als eine fremde
Sprache läßt sie mir die sichere Distanz zu meiner Welt -
ein Niemandsland in meinem Kopf".
"Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom"
erzählt die Geschichte von Lina, einem jüdischen Mädchen,
das Mitte der fünfziger bis Ende der sechziger Jahre in
einer Mittelschichtfamilie in Bagdad aufwächst. Diese Zeit
ist geprägt von wechselnden Regimes, wirtschaftlicher
Instabilität und zunehmender Ausgrenzung und Verfolgung der
Juden im Irak nach dem Sechs-Tage-Krieg. Aus der Sicht eines
Teenagers beschreibt Mona Yahia fesselnd das Alltagsleben,
mit seinen Ereignissen, Gerüchen, Farben und Klängen in der
Familie, in der Schule, mit Freunden und wie Verunsicherung,
Angst und Bedrohung dieses einst sorglose, behütete Leben
mehr und mehr überschatten. Lina bekommt zu spüren, wie sich
die Atmosphäre im Land zunehmend radikalisiert und gegen die
jüdische Minderheit richtet.
Nach dem Sechs-Tage-Krieg wird die
jüdische Schule, die Lina besucht, vom Staat übernommen. Ihr
Vater vernichtet Familienfotos und Dokumente. Lina erfährt,
daß die Verwandten, von denen Briefe aus Amerika kamen, in
Wirklichkeit in Tel Aviv leben. Filme jüdischer Filmstars
werden verboten, Nachbarn grundlos verhaftet, der
Geheimdienst beschattet das Viertel, ein Gesetz friert
jüdische Konten ein und verweigert Juden das Recht auf
Pässe. Während sich die Landkarte im Nahen Osten radikal
verändert, hat Lina ihre erste Menstruation, erlebt
unbekannte Gefühle im Kontakt mit Jungen, verschlingt
Liebesromane und entdeckt, daß im französischen Schullexikon
die Flagge eines Landes, das alphabetisch zwischen Irland
und Italien liegt, unsichtbar gemacht worden ist. Es kommt
schließlich soweit, daß sie beschließt ihre Muttersprache,
das Arabische, aktiv zu verlernen, indem sie jeden Tag einen
Buchstaben mehr aus ihrem Wortschatz entfernt. Ihr Bruder
Shuli zeichnet einem Mitschüler auf dessen Frage einen
Davidstern an die Tafel. Er wird denunziert und wegen
angeblicher zionistischer Propaganda verhaftet. Die Familie
beschließt nun sobald wie möglich das Land mit Hilfe von
Fluchthelfern zu verlassen um in Israel ein neues Leben zu
beginnen.
Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom ist
zugleich die Geschichte einer Kindheit, einer Familie und
die Geschichte der Juden als Minderheit in der irakischen
Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Ob Mona Yahia von einem
unbekümmerten Purim-Abend erzählt, an dem man sich zu
Kartenspiel, reichlichem Essen und anderen Vergnügungen
trifft, vom Schwimmunterricht im Tigris. oder die
Hinrichtung auf dem Tahrirplatz schildert, bei der 9 der 13
Ermordeten Juden sind - es sind immer unterschiedliche
Geschichten und Erzählebenen gleichzeitig präsent. Ein
vielfarbiges Gewebe entsteht, läßt Persönliches und
Politisches deutlich werden. Die Erzählkraft und poetische
Sprache von Mona Yahia wird in englischsprachigen Ländern
nicht zu Unrecht mit Salman Rushdie verglichen. Zu Susanne
Aeckerle als Übersetzerin kann man Verlag und Autorin nur
beglückwünschen, denn sie hat die unterschiedlichen
Sprachebenen stilistisch hervorragend übertragen.
Es geht in diesem Roman um grundlegende
Fragen wie Identitäten, Zugehörigkeiten, Sprachen und Heimat
sowie dem Verlust derselben.. Obwohl die Autorin die
Verfolgung der Juden im Irak detailliert erzählt sind es
nach der Lektüre die lebensfrohen Aspekte, die stärker in
Erinnerung bleiben.
Gerade deshalb ist es gleichzeitig ein
trauriges Buch, denn es zeigt - unabhängig vom Schicksal der
irakischen Juden unserer Zeit - wie eine der bedeutendsten
und wichtigsten jüdischen Diaspora-Kulturen vernichtet
wurde. Die Kultur der irakischen Juden, die heute in der
Welt verstreut sind, ist großenteils eine virtuelle. Auch in
Deutschland - besonders in Hamburg - gibt es irakischen
Juden. Das Buch von Mona Yahia beschreibt deren Hintergrund
und macht uns somit auch mit der Geschichte einer Gruppe
bekannt, die als unbekannte Minderheit unter uns lebt. |