Ethnisierung der Politik:
Theorie und Geschichte des Volksgruppenrechts in Europa
Rezension von Karl Pfeifer
Das vorliegende
Buch ist die
für die Veröffentlichung überarbeitete Dissertation "Volksgruppenrecht,
Antiuniversalismus und die Renaissance der Ethnopolitik" von Samuel
Salzborn, der Lehrbeauftragter an der Universität Gießen ist. Es geht in
diesem Buch nicht um "trockene" Theorien sondern um blutige Geschichte,
die leider auch nach 1945 nicht aufhörte.
Das Konzept des Volksgruppenrechts wurde bereits in der
Weimarer Republik aus dem Spektrum der Konservativen Revolution
entwickelt und war theoretisch gegen das Gleichheitspostulat der
Aufklärung sowie praktisch gegen die europäische Ordnung nach Ende des
Ersten Weltkriegs gerichtet.
"Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus erlebte die
Theorie des Volksgruppenrechts einen rasanten politischen
Bedeutungszuwachs, da die Leitlinien der nationalsozialistischen
Außenpolitik in den Jahren bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von den
Prinzipien des Volksgruppenrechts geprägt waren." Während des Zweiten
Weltkriegs wurde eher die Rassentheorie betont und nach der
Niederschlagung des NS-Regimes durch die Alliierten, schien es so, als
ob die Volksgruppentheorie am Ende sei.
Bald begann der kalte Krieg und eine Wiedergeburt der
Volksgruppentheorie, oft genug durch kompromittierte Wissenschaftler,
die es zu einer Meisterschaft bei der Vertuschung der eigenen
Vergangenheit und der Verschleierung des antidemokratischen und
antiindividuellen Kerns des Volksgruppenrechts brachten. Salzborn stellt
klar, welchen Beitrag die Volksgruppentheoretiker zur Konfliktschürung
leisteten und leisten, beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien.
"Anstelle eines ausschließlich auf das Individuum
ausgerichteten Schutzes vor Diskriminierung und einer entsprechenden
(bildungs-)politischen Praxis der Integrationsförderung zielt das
kollektiv ausgerichtete Volksgruppenrecht aber auf die Anerkennung,
Sicherung und Förderung der Ethnizität der Minderheiten als Gruppen",
wobei die ethnische Identität in dieser Vorstellung als das den Menschen
konstituierende Moment angesehen wird.
Salzborn kommt zum Schluss, "eine nicht-völkische
Menschendefinition wäre sicher nicht die schlechteste Voraussetzung für
eine antivölkisch ausgerichtete Minderheitenintegration. Und damit auch
zur Überwindung der von den Volksgruppentheoretiker/innen für den
europäischen Kontinent erstrebten Ordnung der Ungleichheit."
In verschiedenen Ländern Osteuropas befinden sich wieder
Nationalisten im Vormarsch, die versuchen die reaktionärsten Traditionen
wiederzubeleben und oft scheint es so, als ob es ihren demokratischen,
liberalen Gegnern das Wort verschlagen würde, wenn sie mit völkischen
Schlagwörtern konfrontiert werden. Dieses Buch könnte ihnen helfen die
völkische Regression zu bremsen.
Samuel Salzborn hat ein wichtiges Buch geschrieben, in
dem er mit großer Klarheit den Unterschied zwischen
liberal-demokratischen Minderheitenschutz und völkisch-nationalen
Volksgruppenkonzept, das schon so viel Unglück in Europa verursacht hat,
aufzeigt. Er brachte es fertig, Theorie und Geschichte des
Volksgruppenrechts in Europa sowohl allgemeinverständlich und spannend
als auch wissenschaftlich darzustellen.
hagalil.com
29-09-05 |